Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 III 176



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Urteilskopf

139 III 176

24. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Z.
Switzerland AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_619/2012 vom 7. März 2013

Regeste

Art. 2 lit. a MSchG; Gemeingut; Freihaltebedürfnis; elementare Zeichen.
Zeichen des Gemeinguts (E. 2). Das Wort "YOU" in Alleinstellung ist ein zur
persönlichen Anrede der Abnehmer unentbehrlicher Ausdruck des allgemeinen
englischen Sprachgebrauchs und deshalb freihaltebedürftig (E. 3-5.2).

Sachverhalt ab Seite 176

BGE 139 III 176 S. 176

A. A. (Beschwerdeführer) ist von Beruf Rechtsanwalt. Er ist seit dem 19.
September 2008 Inhaber der Schweizer Wortmarke "YOU", die am 14. Juli 1976 als
Nr. 2P-x ins Markenregister eingetragen wurde. Diese Marke wird für "Seifen,
Parfümerien, ätherische Oele, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege,
Haarwässer, Zahnputzmittel" der Klasse 3 nach dem Abkommen von Nizza über die
internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung
von Marken, revidiert in Genf am 13. Mai 1977 (SR 0.232.112.9; nachfolgend:
Nizza-Klassifikation) beansprucht. Zudem ist er Inhaber der am 26. Februar 2008
als Nr. y eingetragenen Schweizer Wortmarke "YOU". Diese Marke wird für "Wasch-
und Bleichmittel; Putz-, Polier-, Fettentfernungs- und Schleifmittel; Seifen;
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Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege,
Haarwässer, Zahnputzmittel" der Klasse 3 sowie "medizinische und
veterinärmedizinische Dienstleistungen; Gesundheits- und Schönheitspflege für
Menschen und Tiere; Dienstleistungen im Bereich der Land-, Garten- und
Forstwirtschaft" der Klasse 44 gemäss Nizza-Klassifikation beansprucht.
Die Z. Switzerland AG (Beschwerdegegnerin) ist eine in I./ZH ansässige
Aktiengesellschaft, die den Handel mit Waren aller Art bezweckt. Sie betreibt
in der Schweiz die Parfümeriekette "Z." mit über 100 Verkaufsstellen, gibt das
"Z. Magazin" heraus und führt eine Webseite unter der Internetadresse
"www.z.ch". Die Beschwerdegegnerin ist eine Tochtergesellschaft der in Paris
ansässigen Z. S.A., die in die Q.-Gruppe, eine Detailhandelsgruppe des
internationalen Mischkonzerns R. Ltd. mit Sitz in Hongkong, integriert ist.

B. Der Beschwerdeführer reichte am 1. März 2010 beim Handelsgericht des Kantons
Zürich eine Markenverletzungsklage gegen die Beschwerdegegnerin ein. Er machte
geltend, diese verletze seine Markenrechte
- durch die drohende Wiederverwendung des Zeichens:
[d]
- und durch die Verwendung bzw. drohende Wiederverwendung der folgenden
Zeichen:
[d]
[d]
[d]
Die Beschwerdegegnerin erhob Widerklage mit den Anträgen, es sei die
Nichtigkeit der Schweizer Marken Nrn. 2P-x und y festzustellen.
BGE 139 III 176 S. 178
Mit Urteil vom 4. September 2012 hiess das Handelsgericht die Widerklage gut
und stellte die Nichtigkeit der Schweizer Marken Nrn. 2P-x und y fest, da das
Wort "YOU" freihaltebedürftig sei. In der Folge wies es die Hauptklage ab.

C. Der Beschwerdeführer beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, dieses Urteil
des Handelsgerichts aufzuheben, die Widerklage abzuweisen und die Klage
gutzuheissen. Eventualiter sei die Klage zur Neubeurteilung an das
Handelsgericht zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Nach Art. 2 lit. a MSchG (SR 232.11) sind Zeichen vom Markenschutz
ausgeschlossen, die Gemeingut sind, es sei denn, dass sie sich als Marke für
die Waren oder Dienstleistungen durchgesetzt haben, für die sie beansprucht
werden.
Die Gründe für den Schutzausschluss von Zeichen, die dem Gemeingut angehören,
liegen entweder im Freihaltebedürfnis oder in der fehlenden
Unterscheidungskraft, wobei sich Überschneidungen ergeben können (BGE 131 III
121 E. 4.1 S. 126; vgl. auch das Urteil 4A_648/2010 vom 28. Februar 2011 E.
3.4, in: sic! 7-8/2011 S. 437 ff. und BGE 117 II 321 E. 3a S. 324 f.; EUGEN
MARBACH, Markenrecht, SIWR Bd. III/1, 2. Aufl. 2009, S. 75 f. Rz. 246 ff.;
DAVID ASCHMANN, in: Markenschutzgesetz, Noth/Bühler/Thouvenin [Hrsg.], 2009, N.
1 zu Art. 2 lit. a MSchG; LUCAS DAVID, Markenschutzgesetz, Muster- und
Modellgesetz, 2. Aufl. 1999, N. 5 zu Art. 2 MSchG; CHRISTOPH WILLI, MSchG,
Kommentar zum schweizerischen Markenrecht [...], 2002, N. 34 zu Art. 2 MSchG).
Freihaltebedürftig sind Zeichen, auf deren Verwendung der Wirtschaftsverkehr
angewiesen ist. Im Interesse eines funktionierenden Wettbewerbs müssen Zeichen
vom Markenschutz ausgeschlossen werden, die für den Wirtschaftsverkehr
wesentlich oder gar unentbehrlich sind und die folglich von einem einzelnen
Gewerbetreibenden nicht monopolisiert werden dürfen. Die Unterscheidungskraft
geht Zeichen ab, die aufgrund ihres Erscheinungsbildes oder ihres sachlichen
resp. beschreibenden Gehalts die markenspezifische Unterscheidungsfunktion
nicht erfüllen können (MARBACH, a.a.O., S. 75 Rz. 247).
Nach herkömmlicher Einteilung gehören zum Gemeingut im Sinne von Art. 2 lit. a
MSchG elementare Zeichen (BGE 134 III 314 E. 2.3.3),
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Herkunftsangaben (BGE 128 III 454 E. 2.1 S. 458), beschreibende Angaben über
die Beschaffenheit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen (BGE 131
III 495 E. 5 S. 503) sowie Freizeichen (BGE 130 III 113 E. 3.1 S. 116 ff.; vgl.
zum Ganzen: BGE 134 III 314 E. 2.3.2 S. 320; BGE 131 III 121 E. 4.1 S. 127).
Elementare Zeichen werden als im wirtschaftlichen Verkehr unabdingbar und
demzufolge freihaltebedürftig erachtet (BGE 134 III 314 E. 2.3.3; BGE 131 III
121 E. 4.3 S. 129 mit Hinweisen).
Das Bundesgericht prüft grundsätzlich als Rechtsfrage frei, wie der massgebende
Adressatenkreis für die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen abzugrenzen
ist und wie das allgemeine Publikum aufgrund der erwarteten Aufmerksamkeit das
Zeichen wahrnimmt (BGE 134 III 547 E. 2.3 S. 551; BGE 133 III 342 E. 4 S. 347;
je mit Hinweisen). Der massgebende Verkehrskreis kann je nach
Prüfungsgesichtspunkt unterschiedlich sein. So beurteilt sich die
Freihaltebedürftigkeit eines Zeichens nach dem Bedürfnis bzw. Verständnis der
Konkurrenten, während bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft auf das
Verständnis des durchschnittlichen Abnehmers abzustellen ist (MARBACH, a.a.O.,
S. 52 Rz. 181).

3. Die Vorinstanz erwog, das Wort "YOU" gehöre zum elementaren Grundwortschatz
der englischen Sprache und sei in der Schweiz allgemein bekannt. Beim
englischen Pronomen "YOU" handle es sich um ein triviales Wort, das in der
Schweiz weit verbreitet sei und im Wirtschaftsverkehr häufig verwendet werde.
Dementsprechend seien im schweizerischen Markenregister für Waren der Klasse 3
mehrere Marken eingetragen, die "YOU" verwenden. Das Wort "YOU" stelle
insbesondere in der von englischen Wörtern durchsetzten Werbesprache einen
unentbehrlichen Begriff dar. Deshalb müssten sich Unternehmen, die gleiche oder
ähnliche Waren und Dienstleistungen anbieten, des Pronomens "YOU" bedienen
können, um potentielle Konsumenten anzusprechen. Das Wort "YOU" stelle aufgrund
seines personenbezogenen Sinngehalts einen wesentlichen Ausdruck des
allgemeinen Sprachgebrauchs dar, der umfassend freizuhalten sei. Das Wort "YOU"
dürfe in Alleinstellung, ohne dass es grafisch originell oder fantasiereich
dargestellt wäre, im Interesse des freien Wettbewerbs in der Schweiz nicht als
Marke monopolisiert werden.

4. Diesen Erwägungen ist beizupflichten. Beim englischen Personalpronomen "YOU"
handelt es sich um ein elementares Wort der englischen Umgangssprache. Wie der
Beschwerdeführer selber zugesteht, gehört der Ausdruck "YOU" zum trivialsten
Grundwortschatz und
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ist in seiner Bedeutung als Entsprechung des deutschen "du"/"ihr"/ "Sie" in der
Schweiz durchwegs bekannt. Als elementarster Ausdruck des allgemeinen
Sprachgebrauchs muss er für den ungehinderten Gebrauch im Geschäftsverkehr
freigehalten werden. Es muss insbesondere möglich sein, ungehindert Marken mit
dem Bestandteil "YOU" zu bilden und gleiche Waren und Dienstleistungen wie
diejenigen, die der Beschwerdeführer für seine Marken beansprucht, damit zu
kennzeichnen. Ebenso ist die englisch durchsetzte Werbesprache auf diesen
Ausdruck angewiesen, der sich in seiner Bedeutung als persönliche Anrede der
potentiellen Konsumenten nicht substituieren lässt. Dabei ist zu beachten, dass
auch der Gebrauch in der Werbung als kennzeichenmässiger Gebrauch gilt (vgl.
Art. 13 Abs. 2 lit. e MSchG; BGE 135 III 359 E. 2.5.2 S. 366), den der
Markeninhaber einem Dritten verbieten kann (BGE 120 II 148 E. 2b S. 148; WILLI,
a.a.O., N. 12 zu Art. 13 MSchG; THOUVENIN/DORIGO, in: Markenschutzgesetz, Noth/
Bühler/Thouvenin [Hrsg.], 2009, N. 51 zu Art. 13 MSchG; MARBACH, a.a.O., S. 433
Rz. 1457). Eine Monopolisierung des Ausdrucks "YOU" würde daher auch dessen
Gebrauch in der Werbung beeinträchtigen. Die Vorinstanz hat daher Art. 2 lit. a
MSchG nicht verletzt, indem sie die klägerischen Wortmarken "YOU" wegen
Freihaltebedürftigkeit als nichtig beurteilte.

5. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, dringt nicht durch:

5.1 Er trägt vor, der Umstand allein, dass das Wort "YOU" zum trivialen
Grundwortschatz der englischen Sprache zähle, führe noch nicht dazu, dass der
Ausdruck zum Gemeingut zu zählen sei. Vielmehr gelte es, ausgehend von diesem
Umstand, das Freihaltebedürfnis und die Unterscheidungskraft konkret zu prüfen.
Dies ist zutreffend. Vorliegend ergibt die konkrete Prüfung aber entgegen der
Meinung des Beschwerdeführers, dass ein Freihaltebedürfnis zu bejahen ist.
Der Beschwerdeführer bestreitet, dass die Eintragung des Zeichens "YOU" als
Marke dazu führe, dass das Pronomen "YOU" von Unternehmen nicht mehr verwendet
werden dürfe, um ihre Produkte anzupreisen bzw. zu bewerben und die Konsumenten
anzusprechen. Das Markenrecht schütze einzig davor, dass Dritte das Zeichen
"YOU" zur Kennzeichnung von Waren und Dienstleistungen der beanspruchten
Klassen einsetzten, wobei die Verwendung des Wortes "YOU" als Bestandteil einer
anderen Marke (z.B. "YOU ARE THE ONE" [Nr. 534371], "WATER MOVES YOU" [Nr.
559497 und 563891], "DO YOU PLAY?" [Nr. 571918]) davon nicht beeinträchtigt
werde.
BGE 139 III 176 S. 181
Es trifft zu, dass ein Schutz des Zeichens "YOU" als Marke die Verwendung des
Ausdrucks "YOU" als Bestandteil einer Marke nicht in jedem Fall verunmöglicht,
zumal diesem Bestandteil nur ein schwacher Schutzumfang zuzugestehen wäre (vgl.
BGE 122 III 382 E. 2a S. 385 ff.). Indessen würde dessen Verwendung in
zahlreichen Fällen gesperrt bzw. erheblich erschwert, weil jedesmal fraglich
wäre, ob mit dem gewählten Zeichen hinreichend Abstand von den klägerischen
Marken erlangt wird. Die Beschwerdegegnerin weist in diesem Zusammenhang mit
Recht darauf hin, dass dies vor allem bei der Bildung von prägnanten
YOU-Kurzmarken gilt, wie etwa "2YOU", "YOU TOO", "LIKE YOU", "YOU & ME". Gerade
die vorliegende Klage, mit welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner
Marken durch die beklagtischen Zeichen ("ONLY YOU") wegen ihres Bestandteils
"YOU" geltend macht, zeigt dies deutlich. In einer solchen Sperrung oder
Erschwerung der Verwendung eines unentbehrlichen und nicht substituierbaren
Ausdrucks des Grundwortschatzes liegt eine übermässige Behinderung des
Geschäftsverkehrs, die für die Annahme eines Freihaltebedürfnisses genügt (vgl.
WILLI, a.a.O., N. 148 zu Art. 2 MSchG). Das Freihaltebedürfnis für
Elementarzeichen setzt nicht voraus, dass bei Gewährung von Markenschutz dessen
Verwendung als Bestandteil einer Marke gänzlich ausgeschlossen ist. Ansonsten
gäbe es diese Konstellation von Freihaltebedürftigkeit überhaupt nicht mehr,
weil beispielsweise auch Elementarzeichen wie einzelne Buchstaben oder Zahlen
stets zur Bildung von Marken herangezogen werden können. Trotzdem wird an
solchen Zeichen in Alleinstellung im Interesse des freien Wirtschaftsverkehrs,
der auf die Verwendung dieser Elementarzeichen angewiesen ist, ein
Freihaltebedürfnis bejaht (BGE 134 III 314 E. 2.3.2. und 2.3.3; BGE 131 III 121
E. 4.1; BGE 118 II 181 E. 3c S. 183; Urteil 4A_261/2010 vom 5. Oktober 2010 E.
2.3, in: sic! 2/2011 S. 102 ff.).

5.2 Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, das Zeichen "YOU" sei nicht
beschreibend. Namentlich könne "YOU" nicht als direkten Hinweis auf den
Destinatärkreis verstanden werden. "YOU" sei jeder (jedermann und jedefrau) und
weise daher auf keinen Personen- oder Destinatärkreis hin.
Es trifft zu, dass "YOU" nicht einen bestimmten, eingeschränkten Personenkreis
umschreibt, an den sich die so bezeichneten Waren besonders richten. Insofern
besteht eine Differenz zum französischen Pronomen "Elle", das unmittelbar auf
Personen weiblichen Geschlechts als Konsumentinnen der Produkte hinweist, was
das Bundesgericht
BGE 139 III 176 S. 182
veranlasste, die Schutzfähigkeit dieses Zeichens in Alleinstellung zufolge
eines umfassenden Freihaltebedürfnisses in Frage zu stellen (Urteil 4A_13/1995
vom 20. August 1996 E. 4b, in: sic! 6/1997 S. 159).
Nun wird dem Ausdruck "YOU" der Markenschutz aber nicht deswegen versagt, weil
er unmittelbar den Destinatärkreis der markierten Waren in bestimmter Weise
umschreibt. Seine Freihaltebedürftigkeit ergibt sich aus seiner Bedeutung als
Zeichen, mit dem die Kunden angesprochen werden. Der Ausdruck grenzt zwar nicht
einen bestimmten Adressatenkreis ein. Er hat aber einen klaren Bezug zu den
potentiellen Abnehmern, indem er diese in umfassender und dennoch persönlicher
Weise angeht, fühlt sich doch mit "YOU" jeder direkt angesprochen. Den
Konkurrenten stehen keine gleichbedeutenden Alternativen zur Verfügung, um sich
in der gerne verwendeten englischen Sprache in dieser persönlichen Weise an die
Abnehmer zu richten. Die grundsätzliche und umfassende, auf den Adressaten
bezogene Bedeutung des Ausdruckes "YOU" lässt seine Monopolisierung jedenfalls
in Alleinstellung als Wortmarke nicht zu. Es muss auch den Konkurrenten möglich
sein, die Konsumenten gleicher Produkte unter Verwendung von "YOU"
anzusprechen. In diesem Sinne handelt es sich bei "YOU" um einen
unentbehrlichen Ausdruck des allgemeinen Sprachgebrauchs, der zur persönlichen
Anrede des Abnehmers benötigt und auch rege verwendet wird (vgl. nur die
Erwähnung von YOU-Marken in E. 5.1 vorne). Er ist daher für den
Wirtschaftsverkehr freizuhalten.