Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 V 420



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Urteilskopf

138 V 420

50. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Stiftung N.
der Firma S. AG gegen Amt für berufliche Vorsorge und Stiftungen des Kantons
Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_125/2012 vom 12. Oktober 2012

Regeste

Art. 89^bis Abs. 6 Ziff. 18 ZGB; Art. 71 Abs. 1 BVG; Art. 49a Abs. 2 lit. a,
Art. 59 Abs. 1 lit. b und Art. 49-58a BVV 2; Anlagereglement eines patronalen
Wohlfahrtsfonds.
Auch bei einem patronalen Wohlfahrtsfonds ist das oberste Organ verpflichtet,
ein Anlagereglement zu erlassen (E. 3.1 und 3.2).
Die Bestimmungen der Art. 49 ff. BVV 2 sind im Rahmen der analogen Anwendung
grosszügig auszulegen. Bei der Reglementsausgestaltung kann den Umständen des
Einzelfalles Rechnung getragen werden (z.B. Differenzierung nach der Grösse des
Fonds und seinen Leistungsausschüttungen; E. 3.3).

Sachverhalt ab Seite 421

BGE 138 V 420 S. 421

A. Mit Verfügung vom 11. August 2009 wies das Amt für berufliche Vorsorge und
Stiftungen des Kantons Zürich (nachfolgend: Aufsichtsbehörde) die Stiftung N.
der Firma S. AG (kurz: Stiftung N.) im Wesentlichen an, bestimmte
Arbeitgeberbeitrags-Zahlungen für die Jahre 2006-2008 von der Arbeitgeberfirma
S. AG zurückzufordern (Dispositiv-Ziff. I lit. a), ein Anlage- und ein
Teilliquidationsreglement zu erstellen (lit. b und c), die seit 1999 bejahten
bzw. verneinten Teilliquidationstatbestände zu begründen (lit. d) sowie den
Umgang mit allfälligen Retrozessionen offenzulegen (lit. e).

B. Am 22. Dezember 2011 hiess das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene
Beschwerde der Stiftung N. teilweise gut, indem es Dispositiv-Ziff. I lit. a, d
und e der angefochtenen Verfügung aufhob. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

C. Die Stiftung N. reicht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
ein und beantragt in materieller Hinsicht, es seien das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 2011, soweit die Beschwerde
abgewiesen worden sei, sowie Dispositiv-Ziff. I lit. b und c der Verfügung vom
11. August 2009 aufzuheben. In formeller Hinsicht stellt sie Antrag auf
Erteilung der aufschiebenden Wirkung.
Die Aufsichtsbehörde beantragt in ihrer Stellungnahme, die Beschwerde sei
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
BGE 138 V 420 S. 422
Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
verzichten auf eine Stellungnahme.

D. Mit Verfügung vom 19. März 2012 hat die Instruktionsrichterin der Beschwerde
die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.2 Es ist unbestritten, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um einen
patronalen Wohlfahrtsfonds im Sinne von BGE 138 V 346 E. 3.1.1 Abs. 1 S. 348
handelt. Wie die Vorinstanz diesbezüglich für das Bundesgericht verbindlich
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), besteht keine reglementarische
Personalvorsorge. Ebenso wenig wurde die Stiftung je mit Arbeitnehmerbeiträgen
finanziert. Es besteht keine Veranlassung, von der allseits anerkannten
Qualifizierung abzuweichen.

2. Mit Grundsatzurteil BGE 138 V 346 hat das Bundesgericht entschieden, dass
patronale Wohlfahrtsfonds vom Anwendungsbereich des Art. 89^bis Abs. 6 ZGB
(nachfolgend zitiert in der auch hier anwendbaren, bis Ende 2011 gültig
gewesenen Fassung) nicht ausgenommen sind. Indes darf der darin stipulierte
Kriterienkatalog nicht integral und strikt übertragen werden. Er ist auf
patronale Wohlfahrtsfonds analog anzuwenden, wenn und soweit die BVG-Normen mit
deren Charakter vereinbar sind (BGE 138 V 346 E. 4.5 S. 354).
Einer solchen Analogie zugänglich sind grundsätzlich die BVG-Bestimmungen
betreffend die Revisionsstelle (Art. 89^bis Abs. 6 Ziff. 7 ZGB mit Verweis auf
Art. 53 BVG [SR 831.40]), die Aufsicht (Art. 89^bis Abs. 6 Ziff. 12 ZGB mit
Verweis auf Art. 61, 62 und 64 BVG) sowie die Rechtspflege (Art. 89^bis Abs. 6
Ziff. 19 ZGB mit Verweis auf Art. 73 und 74 BVG; BGE 138 V 346 E. 4.6 S. 355).
Ebenfalls analog anwendbar ist, wie im besagten Grundsatzurteil neu
entschieden, Art. 53b BVG (vgl. Art. 89^bis Abs. 6 Ziff. 9 ZGB), welche
Bestimmung das Verfassen eines Teilliquidationsreglements vorschreibt (BGE 138
V 346 E. 5.6 S. 361). Insoweit sich die Beschwerde gegen die von der
Aufsichtsbehörde verfügte Erstellung eines Teilliquidationsreglements - und
dessen Einreichung zur Genehmigung - richtet, welche Anordnung das
Bundesverwaltungsgericht geschützt hat, erweist sie sich somit als unbegründet
und ist abzuweisen.
BGE 138 V 420 S. 423

3. Zu prüfen ist die Frage, ob und inwieweit die Beschwerdeführerin
verpflichtet ist, ein Anlagereglement zu erstellen.

3.1

3.1.1 Art. 89^bis Abs. 6 ZGB verweist in Ziff. 18 auf Art. 71 BVG, welche
Bestimmung von der Vermögensverwaltung handelt. Danach verwalten die
Vorsorgeeinrichtungen ihr Vermögen so, dass Sicherheit und genügender Ertrag
der Anlagen, eine angemessene Verteilung der Risiken sowie die Deckung des
voraussehbaren Bedarfes an flüssigen Mitteln gewährleistet sind (Abs. 1).
Gemäss Art. 49a Abs. 2 lit. a der Verordnung vom 18. April 1984 über die
berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1
[in der ab 1. Januar 2009 gültigen Fassung; AS 2008 4651]), der vom Bundesrat
als Durchführungsbestimmung zu unter anderem Art. 71 Abs. 1 BVG erlassen wurde
(vgl. Art. 97 Abs. 1 BVG), hat das oberste Stiftungsorgan die Aufgabe, in einem
Reglement die Ziele und Grundsätze, die Organisation und das Verfahren für die
Vermögensanlage festzulegen. Im Weiteren hat der Verordnungsgeber in Art. 59
Abs. 1 lit. b BVV 2 (in Kraft seit 1. Januar 2009; AS 2008 4655), der ebenfalls
eine Durchführungsbestimmung zu Art. 71 BVG darstellt, ausgeführt, dass die
Bestimmungen des dritten Abschnittes, d.h. Art. 49-58a BVV 2, sinngemäss auch
für patronale Wohlfahrtsfonds gelten.

3.1.2 In seiner Mitteilung Nr. 108 vom 27. Oktober 2008 über die berufliche
Vorsorge hat das BSV Art. 49 ff. BVV 2 erläutert (Rz. 665; http://
www.bsv.admin.ch). In Bezug auf den hier interessierenden Art. 49a Abs. 2 lit.
a BVV 2 legte es dar, dass als "Ziele und Grundsätze" unter anderem folgende
Punkte festgehalten werden sollten: Auf den Versicherungsbestand und das
Leistungsreglement ausgerichtete Ertragsvorstellungen, Prinzipien zur
Sicherstellung eines ausgeglichenen Verhältnisses von Vermögen und
Verbindlichkeiten, Zulässigkeit von Anlagekategorien und -formen, Grundsätze
zur Liquidität und Zahlungsfähigkeit, Grundsätze zur Risikofähigkeit und
-bereitschaft des obersten Organs. Betreffend die "Organisation" hielt das BSV
fest, dass im Anlagereglement die Verantwortlichkeiten der verschiedenen Organe
der Vorsorgeeinrichtung umschrieben werden müssten. Das oberste Organ müsse
festlegen, welche Entscheidungen es selbst treffe und wie es das dazu
notwendige Know-how verfügbar mache. Unter dem Titel "Verfahren" erwähnte das
BSV drei weitere Punkte, die es zu regeln gelte, nämlich die Verwaltungs- und
Verfahrensgrundsätze, die Diversifikationsgrundsätze
BGE 138 V 420 S. 424
sowie die Grundsätze zu Reporting und Überwachung (Mitteilung Nr. 108 S. 14,
Erläuterungen Ziff. 2.1).

3.2 Mit Art. 59 BVV 2, der explizit vorsieht, dass die Anlagebestimmungen (Art.
49-58a BVV 2) sinngemäss auf patronale Wohlfahrtsfonds anzuwenden sind,
bestätigt der Verordnungsgeber, dass es lediglich um eine analoge Anwendung
gehen kann (vgl. E. 2 vorne). Wenn auch Art. 59 BVV 2 erst einige Zeit nach
Inkrafttreten der 1. BVG-Revision (am 1. Januar 2005) Eingang in die Verordnung
gefunden hat (vgl. E. 3.1.1 vorne), darf nicht übersehen werden, dass Art. 89^
bis Abs. 6 ZGB bereits davor auf Art. 71 BVG verwiesen hat. Seit jeher war das
Führungsorgan einer reglementarischen Vorsorgeeinrichtung zur zweckkonformen
Verwendung und sorgfältigen Verwaltung des Vorsorgevermögens angehalten sowie
verpflichtet, die erforderliche Transparenz im Hinblick auf die Überprüfung der
Einhaltung dieser Pflicht zu schaffen (Art. 49a Abs. 1 BVV 2 in der bis 31.
Dezember 2008 gültig gewesenen Fassung; BGE 132 II 144 E. 1.3 S. 147).
Die Forderung, auch patronale Wohlfahrtsfonds hätten ihre Anlagepolitik
nachvollziehbar zu machen, ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. Sie
widerspricht nicht seinem Charakter (vgl. E. 2 vorne). Zum einen dienen die
Vorschriften von Art. 49 ff. BVV 2 selbst bei gewöhnlichen resp. klassischen
Stiftungen im Sinne von Art. 80 ZGB als Orientierungshilfe (BGE 124 III 97 E.
2c S. 99). Ihre Überarbeitung per 1. Januar 2009 tut dem keinen Abbruch. Zum
andern ist im Bewusstsein zu behalten, dass die Mittel eines patronalen
Wohlfahrtsfonds, wenn auch einzig vom Arbeitgeber geäufnet, nicht diesem
gehören und er über diese Gelder nicht frei verfügen kann (BGE 138 V 346 E. 5.3
Abs. 2 S. 358 und E. 6.5.2 Abs. 2 S. 364). Es liegt somit - nicht anders als
bei reglementarischen Vorsorgeeinrichtungen - sowohl im Interesse der
Destinatäre als auch in demjenigen der Organe, die grundsätzlichen Ziele und
Verhaltensrichtlinien der Vermögensanlage und -verwaltung in Form eines
Anlagereglements festzuhalten. So steht die Richtschnur, an welcher sich die
finanzielle Führung des Stiftungsrats auszurichten - und im Schadenfall messen
zu lassen - hat, für alle Beteiligten von Anfang an fest (vgl. YVAR MENTHA, in:
Handkommentar zum BVG und FZG, Schneider/Geiser/Gächter [Hrsg.], 2010, N. 45 in
fine zu Art. 71 BVG). An diesem Formalisierungsbedürfnis ändern "einfache"
Verhältnisse, wie sie bei der Beschwerdeführerin vorliegen - ihr Vermögen
erschöpft sich im Wesentlichen in einem Wohnhaus mit Gewerbe - nichts.
BGE 138 V 420 S. 425

3.3 Eine andere Frage ist, wie das Anlagereglement hinsichtlich patronaler
Wohlfahrtsfonds zu substanziieren resp. die Vermögensbewirtschaftung inhaltlich
auszugestalten ist (vgl. E. 3.1.2 vorne). Mangels eines konkreten
Anfechtungsgegenstands lassen sich an dieser Stelle nur, aber immerhin,
allgemeine Betrachtungen anführen.

3.3.1 Patronale Wohlfahrtsfonds weisen - anders als reglementarische
Vorsorgeeinrichtungen - kaum feste zukünftige Verpflichtungen auf. Deshalb ist
grundsätzlich eine grosszügige Auslegung von Art. 49 ff. BVV 2 angesagt (vgl.
auch Mitteilungen Nr. 108 S. 21, Ziff. 2.10 Abs. 2). Insbesondere ist ein
hinreichend enger sachlicher Zusammenhang zwischen den (analog) anwendbaren
Bestimmungen und den konkreten Gegebenheiten des patronalen Wohlfahrtsfonds
unabdingbar. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und der in der
Lehre geäusserten Annahme und Befürchtung (HERMANN WALSER, Ein
vorsorgerechtlicher Spezialfall: der patronale Wohlfahrtsfonds, in: Festschrift
für Erwin Murer zum 65. Geburtstag, 2010, S. 970 f.) bleibt somit die
Möglichkeit bestehen, der Situation im Einzelfall Rechnung zu tragen und nicht
alle Anlagebestimmungen tel quel zur Anwendung zu bringen (CHRISTINA
RUGGLI-WÜEST, Wohlfahrtsfonds heute: Ein Auslaufmodell, oder ...?, in:
BVG-Tagung 2009, Schaffhauser/Stauffer [Hrsg.], S. 171). Im Normalfall sollten
auch die Erweiterungen gemäss Art. 50 Abs. 4 BVV 2 in Anspruch genommen werden
können (Mitteilungen Nr. 108 S. 21, Ziff. 2.10 Abs. 2).

3.3.2 Im Übrigen ist vor allem nach der Grösse des patronalen Wohlfahrtsfonds
und seinen Leistungsausschüttungen zu differenzieren. Je mehr Vermögen
vorhanden ist und je mehr (langjährige) Ausschüttungen vorgenommen werden resp.
je mehr (langjährige) Verpflichtungen bestehen, umso detaillierter sind die
Vermögensanlage und -verwaltung zu konkretisieren und umso weniger verbleibt
Raum für eine large(re) Handhabung (RUGGLI-WÜEST, a.a.O., S. 171). Mit anderen
Worten darf relativ bescheidenen Verhältnissen mit einer relativ elementaren
Reglementsausgestaltung begegnet werden.

3.4 Die Sorge der Beschwerdeführerin, eine über Jahrzehnte bewährte
Vermögensanlage ohne jegliche wirtschaftliche Notwendigkeit anpassen zu müssen,
kann nach dem Gesagten nicht geteilt werden. Die Grundsätze der Sicherheit,
Rentabilität, Liquidität, Risikoverteilung und Substanzerhaltung sind in
Berücksichtigung der gesamten Umstände in einer Weise anzuwenden, dass dem
Stiftungszweck dauernd
BGE 138 V 420 S. 426
Nachachtung verschafft werden kann, wobei auch der Grundsatz der
Verhältnismässigkeit zu beachten ist. Der "einseitigen" Vermögensanlage der
Beschwerdeführerin (vgl. E. 3.2 vorne) sind daher unter anderem der Grad der
Selbstfinanzierung, die Rendite und die Rückstellungen für den
Liegenschaftsunterhalt gegenüberzustellen. Ausserdem weist die
Beschwerdeführerin selber darauf hin, dass sie keine Verpflichtungen gegenüber
Destinatären hat. Die Aufsichtsbehörde hat denn auch keine Auflagen zur Anlage
selber erlassen. Vor allem hat sie die von der Beschwerdeführerin beanspruchte
Erweiterung der Anlagebegrenzung (vgl. Anhänge zu den einzelnen
Jahresrechnungen) nicht in Frage gestellt. Schliesslich trägt sich die
Beschwerdeführerin selber mit dem Gedanken, die Liegenschaft mittelfristig zu
verkaufen, wie sich dem Anhang zur Jahresrechnung 2008 entnehmen lässt.

3.5 Zusammengefasst ist die Beschwerdeführerin gehalten, ein Anlagereglement
gemäss Art. 49a Abs. 2 lit. a BVV 2 in Bezug auf die bei ihr herrschende
Sachlage zu erstellen und es der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorzulegen.
Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt abzuweisen.