Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 V 258



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Urteilskopf

138 V 258

31. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. H. gegen
Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_728/2011 vom 26. April 2012

Regeste

Art. 14e der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71; im Rahmen eines Sondersystems für
Beamte versicherte Personen.
Art. 14e der bis 31. März 2012 gültig gewesenen Verordnung Nr. 1408/71 enthält
eine Ausnahme vom Grundsatz, wonach Beamte den Rechtsvorschriften jenes
Mitgliedstaates unterliegen, in dessen Behörde sie (aktiv) beschäftigt sind.
Die Bestimmung ist folglich eng auszulegen. Auf einen Ruhestandsbeamten nach
deutschem Recht, der das gewöhnliche Rentenalter noch nicht erreicht hat, ist
das Recht des schweizerischen Wohnsitzstaates zur Beitragserhebung anwendbar
(Art. 14a Abs. 2 und Art. 14d Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71), wonach die
gesamten Erwerbstätigkeiten zu berücksichtigen sind. Eine allfällige Kürzung
der deutschen Rentenleistungen um das in Deutschland erzielte Einkommen aus
(selbstständiger) Erwerbstätigkeit bewirkt weder eine unzumutbare
Doppelbelastung im Sinne von Art. 1a Abs. 2 lit. b AHVG noch eine gegen die
Niederlassungsfreiheit oder die Personenfreizügigkeit verstossende Belastung
des Einkommens (E. 2-6).

Sachverhalt ab Seite 259

BGE 138 V 258 S. 259

A. Der deutsche Staatsangehörige H. war von 1981 bis 1997 erster Bürgermeister
von X. (Deutschland). Seither ist er als Partner in einer deutschen
Anwaltskanzlei tätig und arbeitet zudem in einem Anwaltsbüro in der Schweiz.
Seit 2003 hat er Wohnsitz in der Schweiz und ist bei der Ausgleichskasse des
Kantons St. Gallen (nachfolgend: Ausgleichskasse) als Selbstständigerwerbender
erfasst. Mit Nachtragsverfügung vom 22. Dezember 2009 setzte die
BGE 138 V 258 S. 260
Ausgleichskasse die persönlichen Beiträge des H. für das Jahr 2006 auf Fr.
27'336.60 fest und mit Nachtragsverfügung vom 20. Juli 2010 für das Jahr 2005
auf Fr. 20'934.-. An diesen Verfügungen hielt die Ausgleichskasse mit
Einspracheentscheid vom 14. Dezember 2010 fest.

B. Die hiegegen erhobene Beschwerde des H. wies das Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 4. August 2011 ab.

C. H. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt,
in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sowie der beiden
Nachtragsverfügungen betreffend die Jahre 2005 und 2006 und des
Einspracheentscheids vom 14. Dezember 2010 sei sein Verdienst in Deutschland
nicht in die Beitragsrechnung miteinzubeziehen.
Vorinstanz, IV-Stelle und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Zu prüfen ist, ob die in betraglicher Hinsicht nicht bestrittenen Einkünfte
des Beschwerdeführers aus den Jahren 2005 und 2006, die er sowohl in seinem
Wohnsitzland Schweiz als auch in Deutschland erzielt hatte, integral als
Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 AHVG
(SR 831.10) und Art. 17 ff. AHVV (SR 831.101) zu qualifizieren sind, oder ob
der Verdienst aus selbstständiger Tätigkeit in Deutschland bei der
Beitragserhebung ausser Acht zu bleiben hat. Unbestritten ist das Vorliegen
eines grenzüberschreitenden Sachverhalts, der unter die Bestimmungen des
Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten
andererseits über die Freizügigkeit fällt (FZA; SR 0.142.112.681).

2.2 Die Vorinstanz bestätigte die Auffassung der Ausgleichskasse, wonach Art.
14e der bis 31. März 2012 gültig gewesenen Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des
Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf
Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb
der Gemeinschaft zu- und abwandern (SR 0.831.109.268.1;
BGE 138 V 258 S. 261
nachfolgend: Verordnung 1408/71), nur auf aktiv als Beamte beschäftigte
Personen anzuwenden sei. Art. 14e der Verordnung 1408/71 enthält eine
Sonderregelung bezüglich der anwendbaren Rechtsvorschriften für Beamte, die im
Rahmen eines Sondersystems für Beamte versichert sind und gleichzeitig im
Gebiet eines anderen Mitgliedstaats oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten eine
abhängige und/oder eine selbstständige Tätigkeit ausüben. Das kantonale Gericht
erwog, die Beschränkung von Art. 14e der Verordnung 1408/71 auf aktive Beamte
werde durch die deutschsprachige Literatur - und die (Internet-)Auskünfte der
Deutschen Rentenversicherung - bestätigt, sie ergebe sich auch aus der
englischen ("A person who is simultaneously employed as civil servant or a
person treated as such") und französischen ("Une personne qui, simultanément,
est employée comme fonctionnaire ou personnel assimilé") Fassung von Art. 14e
der Verordnung 1408/71. Dass Art. 14e der Verordnung 1408/71 nur aktive Beamte
betreffe, entspreche auch dem Zweck der Art. 13 ff. Verordnung 1408/71, wonach
eine mit einer Doppelversicherung verbundene doppelte Belastung verhindert
werden sollte. Bei pensionierten Beamten bestehe die Gefahr einer doppelten
Beitragserhebung mangels Erzielung eines Beamtenlohnes nicht mehr. Damit seien
sämtliche in Deutschland und in der Schweiz erzielten Einkommen des
Beschwerdeführers aus selbstständiger Anwaltstätigkeit ausschliesslich im
Wohnsitzland Schweiz beitragspflichtig. Eine allfällige Kürzung der deutschen
Rentenleistungen aufgrund der selbstständigen Erwerbstätigkeit vermöchte daran
nichts zu ändern, eine solche diene einzig der Verhinderung einer
Überentschädigung und stehe nicht in Zusammenhang mit der Beitragserhebung oder
einer Versicherungspflicht.

2.3 Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, als ehemaliger
Bürgermeister von X. habe er den deutschen Beamtenstatus zeitlebens inne,
unabhängig davon, ob er noch eine aktive Tätigkeit ausübe oder im (Beamten-)
Ruhestand sei. Er unterliege dem Recht des Mitgliedstaates, in dem er als
Beamter versichert sei, weshalb sein in Deutschland erzieltes Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit in Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 14e
der Verordnung 1408/71 für die Bemessung der AHV-Beiträge unberücksichtigt
bleiben müsse. Dass er in Deutschland gemäss Beamtenrecht keine Beiträge zu
bezahlen habe, dürfe nicht ins Gewicht fallen. Vielmehr sei bei Beamten eine
wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten, zumal die deutsche
Versorgungsanstalt statt einer
BGE 138 V 258 S. 262
Beitragserhebung seine Versorgung (Rente) aus der Bürgermeistertätigkeit
entsprechend dem aus der Anwaltstätigkeit in Deutschland erzielten Einkommen
kürze. Eine andere Betrachtungsweise bewirke, dass (deutsche) Beamte - mangels
Beitragspflicht - nie unter Art. 14e der Verordnung 1408/71 fallen würden, was
mit dem Regelungszweck unvereinbar sei. Die Vorinstanz habe somit zu Unrecht
sein in Deutschland erzieltes Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit
für die Bemessung der AHV-Beiträge herangezogen. Wenn in der Schweiz auf diesem
Einkommen zusätzlich AHV-Beiträge zu entrichten wären, führe dies zu einer mit
Art. 14e der Verordnung 1408/71 unvereinbaren, gegen die Niederlassungsfreiheit
und die Personenfreizügigkeit verstossende Doppelbelastung. Darüber hinaus sei
die Nachtragsverfügung vom 20. Juni 2010 (betreffend die Beiträge 2005)
rechtswidrig, weil die ursprüngliche Beitragsverfügung nicht offensichtlich
unrichtig sei und daher nicht hätte in Wiedererwägung gezogen werden dürfen.
Zumindest habe die Beschwerdegegnerin nicht dargelegt, auf welchen
Rückkommenstitel sie sich berufe und aus welchen Gründen sie auf ihre
ursprüngliche Verfügung zurückgekommen sei. Bereits aus rechtsstaatlichen
Gründen sei deshalb die Aufhebung der Verfügung vom 20. Juli 2010 angezeigt.

3.

3.1 Ob die Einkünfte des Beschwerdeführers aus seiner selbstständigen
Erwerbstätigkeit in Deutschland in den Anwendungsbereich der Sonderbestimmung
von Art. 14e der Verordnung 1408/71 fallen, ist frei überprüfbare Rechtsfrage.

3.2 Zunächst scheint es - entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers -
zumindest nicht einem unangefochtenen Prinzip des deutschen Rechts zu
entsprechen, dass deutsche Beamte bis zum Erreichen des Pensionsalters generell
keine Beiträge in die deutsche Rentenversicherung zu bezahlen haben, auch nicht
für die nach dem Ausscheiden aus dem Amt erzielten Einkommen aus
selbstständiger oder unselbstständiger Erwerbstätigkeit. Gemäss einem Urteil
des deutschen Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. September 1980 (12 RK 41/79)
entspricht es der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des BSG, dass sich
die Vorschriften über die Versicherungsfreiheit von Beamten nicht auf
Beschäftigungsverhältnisse erstrecken, die der Beamte neben seinem
Dienstverhältnis unterhält. Gemäss § 5 Abs. 1 des Sechsten Buches des deutschen
Sozialgesetzbuches betreffend die gesetzliche Rentenversicherung
BGE 138 V 258 S. 263
(nachfolgend: SGB VI) besteht in Zweit-/Neben- oder anderweitigen
Beschäftigungen von Beamten Versicherungsfreiheit nur dann, wenn die
Gewährleistung einer Versorgungsanwartschaft auf diese erstreckt wird (vgl.
z.B. auch Urteil des Hessischen Landesgerichts, 1. Senat, vom 29. März 2007, Az
L 1 KR 138/06). Wie es sich damit verhält, kann indes offenbleiben, weil von
einer doppelten Berücksichtigung des in Deutschland erzielten Einkommens
bereits deshalb keine Rede sein kann, da einerseits die geltend gemachte
Pensionskürzung ihren Grund in der nach Ende der Beamtentätigkeit aufgenommenen
selbstständigen Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers hat und weil
andererseits die auf dem Gesamteinkommen erhobenen AHV-Beiträge rentenbildend
sind. Anders verhielte es sich allenfalls, wenn der Beschwerdeführer bereits im
AHV-Alter stände und seine Beiträge keinen rentenbildenden Effekt hätten, was
sich indes weder den Akten entnehmen lässt noch vom Beschwerdeführer geltend
gemacht wird.

4.

4.1 Grundanliegen des FZA im Bereich der sozialen Sicherheit sind neben der
Gleichbehandlung und der Bestimmung des anwendbaren Rechts (Art. 8 lit. a und b
FZA) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen nationalen
Rechtsvorschriften berücksichtigten Versicherungszeiten für den Erwerb und die
Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der
Leistungen (Art. 8 lit. c FZA), die Zahlung der Leistungen an Personen, die
ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien haben (Art. 8 lit. d FZA)
sowie die Amtshilfe und Zusammenarbeit der Behörden und Einrichtungen (Art. 8
lit. e FZA). Das FZA und die Verordnung 1408/71 wollen tendenziell Inland- und
EU-Auslandsachverhalte gleich behandeln, weshalb Personen, die sich innerhalb
des EU-Raums bzw. von dort zur Schweiz bewegen, sozialversicherungsrechtlich
keine Nachteile erleiden, sondern gleich behandelt werden sollen wie übrige
Staatsangehörige (z.B. Urteil 9C_504/2010 vom 1. September 2010 E. 2.2, in: SVR
2011 AHV Nr. 8 S. 25).

4.2 Nach Art. 8 und Anhang II FZA in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 lit. b der
Verordnung 1408/71 unterliegen Personen, die eine selbstständige Tätigkeit
gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Vertragsstaaten ausüben, den
Rechtsvorschriften desjenigen Vertragsstaates, in dem sie wohnen, wenn sie ihre
Tätigkeit zum Teil in diesem Gebiet ausüben (Art. 14a Abs. 2 der Verordnung
1408/71). Diese Regelung bezweckt, dass ein und dieselbe Person für einen
BGE 138 V 258 S. 264
bestimmten Zeitraum immer nur dem Sozialversicherungsrecht eines der
beteiligten Staaten unterstellt ist (vgl. Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts K 25/05 vom 29. März 2006 E. 3.1, nicht publ. in: BGE 132
V 310), auch in Bezug auf die Beitragspflicht (vgl. EDGAR IMHOF, FZA/
EFTA-Übereinkommen und soziale Sicherheit, in: Jusletter 23. Oktober 2006, Rz.
11 und 36; derselbe, Über die Kollisionsnorm der Verordnung 1408/71
[anwendbares Sozialrecht, zugleich Versicherungsunterstellung], SZS 2008 S. 313
ff., 316, 319 f.). Ist auf eine Person das schweizerische Recht anwendbar,
untersteht somit ihr gesamtes selbstständiges Erwerbseinkommen der
schweizerischen AHV-Beitragspflicht, selbst wenn dieses in einem anderen
Vertragsstaat erzielt wurde.

4.3 Gemäss Art. 4 Abs. 4 der Verordnung 1408/71 in der bis 24. Oktober 1998
gültig gewesenen Fassung waren die mitgliedstaatlichen Sondersysteme für Beamte
vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen, weil sie als zu
unterschiedlich angesehen wurden, um gemeinschaftsweit koordiniert zu werden
(vgl. STÜRMER/BILLER, Die Einbeziehung der Beamten in den Anwendungsbereich der
Verordnung [EWG] Nr. 1408/71, DÖD, Der Öffentliche Dienst,[deutsche]
Fachzeitschrift für Angehörige des öffentlichen Dienstes, 2001 S. 105). In der
Lehre kamen indes Zweifel auf an der Vereinbarkeit der fehlenden
freizügigkeitsspezifischen Koordinierung im Bereich der Sondersysteme für
Beamte mit dem Freizügigkeitsrecht (STÜRMER/BILLER, a.a.O., mit weiteren
Hinweisen). Der Europäische Gerichtshof (EuGH), welcher sich im Urteil vom 22.
November 1995 C-443/93 Vougioukas, Slg. 1995 I-4052, mit einem griechischen
Arzt zu befassen hatte, der einen Rentenanspruch aus einem griechischen
Sondersystem für Beamte unter Einbezug seiner versicherungspflichtigen
Beschäftigung in Deutschland geltend machte, erteilte daraufhin dem
Gemeinschaftsgesetzgeber den Auftrag, "eine Koordinierung auch für
Sondersysteme in Angriff zu nehmen" (HAVERKATE/HUSTER, Europäisches
Sozialrecht, 1999, Rz. 121). Die Verordnung (EG) Nr. 1606/98 vom 29. Juni 1998,
ABl. L 209 vom 25. Juli 1998 S. 1, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/
71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer,
Selbstständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu-
und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 zur Durchführung der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (in der Fassung von Anhang II zum Abkommen
zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten
BGE 138 V 258 S. 265
einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die
Freizügigkeit [SR 0.831.109.268.11; in Kraft getreten am 1. Juni 2002])
bezweckte die Einbeziehung der Sondersysteme für Beamte und ihnen
gleichgestellte Personen. Diese wurden im Rahmen der Art. 14a-f der Verordnung
1408/71 nachträglich als Sonderbestimmungen für Beamte in das
Freizügigkeitssystem integriert (MAXIMILIAN FUCHS, in: Kommentar zum
Europäischen Sozialrecht, 3. Aufl. 2002, N. 43 ff. zu Art. 4 der Verordnung
1408/71 S. 131 f.; HEINZ-DIETRICH STEINMEYER, ebenda, S. 209 sowie in: Handbuch
des europäischen Arbeits- und Sozialrechts, Hanau/Steinmeyer/Wank [Hrsg.],
2002, S. 1098). Gemäss Normzweck und Entstehungsgeschichte von Art. 14e der
Verordnung 1408/71 wurde mit dem Einbezug der Beamten in das System der
Verordnung somit nicht deren generelle Privilegierung beabsichtigt, sondern -
entsprechend dem Grundanliegen der Koordination der sozialen Sicherheit - die
Elimination der bis dahin bestandenen punktuellen Schlechterstellungen
gegenüber (anderen) Arbeitnehmern mit grenzübergreifenden Tätigkeiten. Die
Sondervorschriften für Beamte zielen nur, aber immerhin, darauf ab, nicht
allein den Arbeitnehmern, sondern auch den Beamten Versicherungszeiten, die sie
in anderen Mitgliedsländern zurückgelegt haben, anzurechnen bzw.
Versicherungslücken bei Tätigkeiten in verschiedenen Mitgliedsländern zu
vermeiden (vgl. HAVERKATE/HUSTER, a.a.O., Rz. 114 und 120 f.); dasselbe
gesetzgeberische Ziel liegt auch den Art. 43a und 51a der Verordnung 1408/71
zugrunde.

4.4 Nach Art. 14a Abs. 2 der Verordnung 1408/71 gilt "für andere Personen als
Seeleute, die eine selbstständige Tätigkeit ausüben", folgende Regelung:
"Eine Person, die eine selbstständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei
oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften des
Mitgliedstaates, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil
im Gebiet dieses Mitgliedstaates ausübt. Übt sie keine Tätigkeit im Gebiet des
Mitgliedstaats aus, in dem sie wohnt, so unterliegt sie den Rechtsvorschriften
des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie ihre Haupttätigkeit ausübt. Die
Kriterien zur Bestimmung der Haupttätigkeit sind in der in Artikel 98
vorgesehenen Verordnung festgelegt."
Art. 14d Abs. 1 der Verordnung 1408/71 bestimmt, dass eine Person, für die u.a.
der soeben angeführte Art. 14a Abs. 2 der Verordnung 1408/71 gilt, so behandelt
wird, als ob sie ihre gesamte Erwerbstätigkeit oder ihre gesamten
Erwerbstätigkeiten im Gebiet des
BGE 138 V 258 S. 266
betreffenden Mitgliedstaates ausübte. Gemäss Art. 14f der Verordnung 1408/71
unterliegen Beamte und ihnen gleichgestellte Personen, die in zwei oder mehr
Mitgliedstaaten tätig und in mindestens einem dieser Mitgliedstaaten im Rahmen
eines Sondersystems für Beamte versichert sind, den Rechtsvorschriften jedes
dieser Mitgliedstaaten.

4.5 Der hier besonders interessierende Art. 14e der Verordnung 1408/71 regelt
unter dem Titel "Sonderregelung für im Rahmen eines Sondersystems für Beamte
versicherte Personen, die gleichzeitig im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates
oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten eine abhängige Beschäftigung und/oder
eine selbstständige Tätigkeit ausüben" (vgl. E. 2.2 hievor), was folgt:
"Beamte und ihnen gleichgestellte Personen, die im Rahmen eines Sondersystems
für Beamte in einem Mitgliedstaat versichert sind und gleichzeitig in einem
anderen Mitgliedstaat oder mehreren anderen Mitgliedstaaten eine abhängige
Beschäftigung und/oder selbstständige Tätigkeit ausüben, unterliegen den
Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem sie im Rahmen eines
Sondersystems für Beamte versichert sind."

5.

5.1 Es fragt sich, ob der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 14e der Verordnung
1408/71 dem deutschen Recht untersteht, zumal er unbestritten ein Ruhegehalt
des kommunalen Versorgungsverbandes Baden-Württemberg erhält und sich damit die
Frage stellt, ob er aus diesem Grund weiterhin als im Rahmen eines
Sondersystems für Beamte versichert anzusehen ist (analog der Rechtsprechung
des EuGH im Krankenversicherungsbereich: vom 31. Mai 1979 182/78 Pierik, Slg.
1979 S. 1977; vom 22. Mai 1980 C-143/79 Walsh, Slg. 1980 S. 1639; vom 3. Juli
2003 C-156/01 van der Duin und ANOZ Zorgverzekeringen, Slg. 2003 I-7045; vgl.
auch SABINE PICOUT, Die Wanderarbeitnehmerverordnung [EWG] Nr. 1408/71, 2007,
S. 4 ff.).

5.2 Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer, soweit er vorbringt, die
Vorinstanz habe verkannt, dass die (deutsche) Beamteneigenschaft lebenslänglich
bestehe, weshalb eine zusätzliche Versicherungspflicht in der Schweiz
ausgeschlossen sei. Wie einleitend festgehalten, versah der Beschwerdeführer
sein Amt während sechzehn Jahren (entsprechend zwei Wahlperioden; heutige
Regelung: § 42 Abs. 3 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg in der Fassung vom
24. Juli 2000), weshalb für ihn die Rechtsvorschriften für (Wahl-)Beamte auf
Zeit Anwendung finden. Das bedeutet, dass
BGE 138 V 258 S. 267
nach dem Ausscheiden aus dem Amt die Beamteneigenschaft nicht weiter
fortbestand (§ 132 Landesbeamtengesetz von Baden-Württemberg in der bis 31.
Dezember 2010 gültig gewesenen Form; Merkblatt Beamtenversorgung des kommunalen
Versorgungsverbandes Baden-Württemberg vom 1. März 2012, S. 14 unten).

5.3 Zu prüfen ist, ob nach der Verordnung 1408/71 auch Ruhestandsbeamte im
Sinne des deutschen Rechts als im Rahmen eines Sondersystems für Beamte
versichert anzusehen sind.

5.3.1 Das FZA sieht keine überstaatliche Gerichtsinstanz vor, die über die
korrekte Anwendung und einheitliche Auslegung des Vertragswerks wacht. Ein
Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof ist somit nicht vorgesehen. Das
Abkommen enthält in Art. 11 ausschliesslich eine innerstaatliche
Rechtsweggarantie für die vom Abkommen betroffenen oder begünstigten Personen
(EDGAR IMHOF, Eine Anleitung zum Gebrauch des Personenfreizügigkeitsabkommens
und der Verordnung 1408/71, in: Aktuelles im Sozialversicherungsrecht, 2001, S.
106 f.). Ein schweizerisches Gericht kann daher - anders als die Gerichte in
den EU-Mitgliedstaaten (vgl. Art. 234 EG-Vertrag) - dem Gerichtshof nicht eine
Sache zur Vorabentscheidung vorlegen (BGE 135 V 339 E. 5.3 S. 349; Urteil
8C_994/2009 vom 16. April 2010 E. 10). Es hat bei Auslegungsproblemen somit
weder Pflicht noch Möglichkeit, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, sondern
muss das Problem allein lösen unter Berücksichtigung der allgemeinen
Auslegungsregeln gemäss dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das
Recht der Verträge (SR 0.111; BGE 130 II 113 E. 6.1 S. 120 f.). Eine solche
Regel ist die Auslegung nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der
gewöhnlichen, den Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und
im Lichte von Ziel und Zweck des Vertrages (Art. 31 Abs. 1 des Wiener
Übereinkommens).

5.3.2 Die Auslegung eines Staatsvertrags geht somit in erster Linie vom
Vertragstext aus, wie ihn die Vertragsparteien nach dem Vertrauensprinzip im
Hinblick auf den Vertragszweck verstehen durften (BGE 130 I 312 E. 4.1 i.f. S.
326; BGE 130 II 113 E. 6.1 i.f. S. 121). Erscheint die Bedeutung des Textes,
wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie dem Gegenstand und Zweck
des Vertrags ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, kommt eine über den
Wortlaut hinausreichende - ausdehnende oder einschränkende - Auslegung nur in
Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit
auf eine vom Wortlaut
BGE 138 V 258 S. 268
abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten zu schliessen ist (BGE 127 III
461 E. 3 S. 465; BGE 125 V 503 E. 4b S. 506; BGE 124 III 382 E. 6c S. 394; je
mit Hinweisen). Soweit für die Anwendung der Verordnung Begriffe des
Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, ist die bis 21. Juni 1999 ergangene
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu
berücksichtigen (Art. 16 Abs. 2 FZA; vgl. BGE 132 V 423 E. 9.2 S. 437, BGE 132
V 53 E. 2 S. 56; BGE 130 II 113 E. 5.2 S. 119); später ergangene Urteile sind
heranzuziehen, sofern sie sich darauf beschränken, bereits bekannte Grundsätze
zu wiederholen und ohne neue Elemente auf einen gleichartigen Fall anzuwenden (
BGE 132 V 423 E. 9.3 und 9.4 S. 437 ff.).

5.3.3 Gemäss der Grundregel von Art. 13 Abs. 2 lit. d der Verordnung 1408/71
unterliegen Beamte den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen
Behörde sie beschäftigt sind. Die Anwendbarkeit der Rechtsordnung des
Dienststaates setzt somit eine aktive Beschäftigung voraus. Nach der
Rechtsprechung des EuGH sind Sonderregeln, hier Art. 14e der Verordnung 1408/
71, grundsätzlich eng auszulegen (z.B. Urteile des EuGH vom 10. März 1987 199/
85 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik, Slg.
1987 S. 1039; vom 3. Mai 1994 C-328/92 Kommission der Europäischen
Gemeinschaften gegen Spanien, Slg. 1994 I-1569 [1588 f.]). Auch ausgehend von
Entstehungsgeschichte und Normzweck des Art. 14e Verordnung 1408/71 (E. 4.3
hievor) und mit Blick darauf, dass es bei der strittigen Beitragserhebung
wederum eine Frage der Gleichbehandlung in der Anrechnung von
Versicherungszeiten noch um die Vermeidung drohender Versicherungslücken oder
Doppelversicherungen geht, sondern um die Gleichbehandlung derjenigen Personen,
die in einem Staat Wohnsitz haben und länderübergreifend einer oder mehreren
(selbstständigen) Erwerbstätigkeit(en) nachgehen, ist ein Anwendungsfall von
Art. 14e der Verordnung 1408/71 zu verneinen. Nicht zuletzt würde die vom
Beschwerdeführer vertretene Ansicht eine unangemessene, dem Normzweck von Art.
14e der Verordnung 1408/71 widersprechende Privilegierung (deutscher) Beamter
bewirken, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt bei Erfüllung der
entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen im Unterschied zu anderen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bereits vor Erreichen des gewöhnlichen
Rentenalters eine Versorgung erhalten. Diese verringert sich zwar allenfalls um
anderweitig erzielte Einkünfte, lebt aber bei Erreichen des Rentenalters
(wieder) ungeschmälert auf. Blieben die nach
BGE 138 V 258 S. 269
dem Ausscheiden aus dem Amt erzielten Einkünfte beitragsbefreit, läge darin
eine Besserstellung gegenüber den (übrigen) Arbeitnehmern, die nicht Inhalt der
mit der Verordnung 1606/98 angestrebten Gleichbehandlung von Beamten und
Arbeitnehmenden bildet (vgl. E. 4.3 hievor). Massgebliche Grundlage ist
vielmehr Art. 14a Abs. 2 der Verordnung 1408/71, wonach das Recht des
Wohnsitzstaates zur Beitragserhebung anwendbar ist, und Art. 14d der Verordnung
1408/71, wonach die gesamten Erwerbstätigkeiten berücksichtigt werden (E. 4.4).

5.4 Eine den Einbezug in die Schweizerische Versicherungspflicht
ausschliessende unzumutbare Doppelbelastung im Sinne von Art. 1a Abs. 2 lit. b
AHVG fehlt ebenso wie eine gegen die Niederlassungsfreiheit oder die
Personenfreizügigkeit verstossende "abstruse" Belastung des Einkommens. Das aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen des Beschwerdeführers
unterliegt nicht einer mehrfachen Abgabepflicht, sondern nur derjenigen in der
Schweiz. Sodann sind die Beiträge des Beschwerdeführers, welcher das AHV-
Rentenalter noch nicht erreicht hat (E. 3.2 hievor i.f.), rentenbildend. Nicht
stichhaltig ist auch das Argument, deutsche Beamte könnten mangels
Beitragspflicht nie unter Art. 14e der Verordnung 1408/71 fallen, zumal gemäss
Wortlaut nicht die Beitragspflicht Anknüpfungspunkt bildet, sondern der Status
des Versichertseins, der von aktiven Beamten unabhängig von einer
Beitragsentrichtung erfüllt sein kann. Der Beschwerdeführer wird behandelt wie
jeder in der Schweiz wohnhafte Selbstständigerwerbende, der hier und in
Deutschland seine Tätigkeiten entfaltet. Dass er zudem als Ruhestandsbeamter
eine gekürzte Versorgungsleistung bezieht, vermag an der Rechtslage nach dem
Gesagten nichts zu ändern.

6. Schliesslich erfolgte die vorinstanzlich geschützte wiedererwägungsweise
Aufhebung der ursprünglichen Verfügung durch die Beschwerdegegnerin
bundesrechtskonform. Nicht nur ist die erhebliche Bedeutung der Berichtigung
angesichts der Höhe der mit Nachtragsverfügung vom 20. Juli 2010 auf Fr.
20'934.- festgesetzten zusätzlichen Beiträge ohne Weiteres erfüllt. Es ist auch
die Voraussetzung der zweifellosen Unrichtigkeit gegeben, welche unter anderem
bei unrichtiger Rechtsanwendung erfüllt wird (BGE 126 V 399 E. 2b/bb S. 401).
Einer (weiteren) Begründung durch die Beschwerdegegnerin bedurfte es nicht. Mit
der positivrechtlichen Regelung der Wiedererwägung rechtskräftiger Verfügungen
in Art. 53 Abs. 2 ATSG (SR 830.1) hat der Gesetzgeber die im Rahmen des
BGE 138 V 258 S. 270
verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes vorzunehmende Abwägung zwischen der
Durchsetzung des objektiven Rechts und dem Interesse an der Bestandeskraft der
Verfügung abstrakt und für das Bundesgericht verbindlich vorgenommen (Art. 190
BV). Die richtige Anwendung von Art. 53 Abs. 2 ATSG ist somit von Verfassungs
wegen mit dem Vertrauensschutz vereinbar. Vorbehalten sind nur jene
Situationen, in welchen sämtliche Voraussetzungen für eine - gestützt auf den
Vertrauensschutz - vom Gesetz abweichende Behandlung gegeben sind (BGE 116 V
298 und seitherige Rechtsprechung), woran es hier insbesondere mit Bezug auf
das Erfordernis einer getätigten und ausgewiesenen Disposition fehlt. Die
Beschwerde ist unbegründet.