Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 V 23



Urteilskopf

138 V 23

4. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau gegen Gemeinde X. (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_727/2010 vom 27. Januar 2012

Regeste

Art. 21 Abs. 1 ELG; Art. 1a Abs. 3 aELG (aufgehoben auf Ende 2007); Art. 13
Abs. 1 ATSG; Art. 25 Abs. 1 und 2, Art. 377 Abs. 1 und 2 ZGB; Zuständigkeit für
die Festsetzung und die Auszahlung der Ergänzungsleistung.
Bei Heim- oder Anstaltsbewohnern führt die Verlegung des nach Art. 25 Abs. 1
oder 2 ZGB abgeleiteten zivilrechtlichen Wohnsitzes in einen andern Kanton zu
einer Änderung in der örtlichen Zuständigkeit der EL-Behörden (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 23

BGE 138 V 23 S. 23

A. Die 1987 geborene, entmündigte und unter elterlicher Sorge stehende R.
bezieht eine ganze Rente der Invalidenversicherung und eine
Hilflosenentschädigung wegen mittelschwerer Hilflosigkeit. Seit März 2005 lebt
sie unter der Woche in der Stiftung A. und an den Wochenenden sowie in den
Ferien bei ihrer Mutter, G., welche die elterliche Sorge alleine innehat. Die
Mutter der Versicherten wohnte bis Juli 2009 in X., Kanton Zürich, bevor sie
nach Y. im Kanton Aargau umzog. Mit Beschluss des Gemeinderates Z./AG vom 7.
September 2009 ging die Aufsicht über die entmündigte R. von der
Vormundschaftsbehörde X. auf diejenige der Gemeinde Z. über; gleichzeitig wurde
G. als Inhaberin des elterlichen Sorgerechts verpflichtet, für ihre Tochter
eine Rechnung über deren Einnahmen und Ausgaben zu führen. Die Gemeinde X.,
welche bislang
BGE 138 V 23 S. 24
Ergänzungsleistungen (EL) zur IV-Rente von R. ausgerichtet hatte, ersuchte die
Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, Ausgleichskasse (nachfolgend:
SVA Aargau), um Festsetzung und Auszahlung dieser Leistung ab August 2009. Die
zürcherische Gemeinde stellte sich auf den Standpunkt, mit der
Wohnsitzverlegung der Versicherten in den Kanton Aargau sei auch die
ergänzungsleistungsrechtliche Zuständigkeit auf diesen Kanton übergegangen. Mit
Verfügung vom 2. November 2009 lehnte die SVA Aargau "die Zuständigkeit des
Kantons Aargau ab" und wies "das Begehren um Ausrichtung einer
Ergänzungsleistung" ab.

B. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess die von der Gemeinde X.
dagegen eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 10. August 2010 gut, hob die
Verfügung der SVA Aargau vom 2. November 2009 auf und verpflichtete diese, den
Anspruch von R. auf Ergänzungsleistung materiell zu prüfen und darüber zu
verfügen.

C. Die SVA Aargau führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf
Aufhebung des angefochtenen Entscheids.
Die Gemeinde X. verzichtet ausdrücklich auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragt deren Gutheissung,
während das Versicherungsgericht des Kantons Aargau und die als
Mitinteressierte beigeladene R. (vertreten durch ihre Mutter) auf eine
Stellungnahme verzichten.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Im Streite liegt die Zuständigkeit für die Festsetzung und die Auszahlung
der Ergänzungsleistung ab 1. August 2009.

3.1

3.1.1 Nach Art. 1a Abs. 3 aELG (aufgehoben auf Ende 2007) war der Kanton, in
dem der Bezüger seinen Wohnsitz hatte, zuständig für die Festsetzung und
Auszahlung der Ergänzungsleistung. Der Wohnsitz im Sinne dieser Vorschrift
bestimmt sich nach den Art. 23-26 ZGB (Art. 13 Abs. 1 ATSG [SR 830.1] in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 ELG [SR 831.30] sowohl in der Fassung des am 1.
Januar 2008 in Kraft getretenen neuen Rechts als auch in derjenigen des
abgelösten aELG). Der zivilrechtliche Wohnsitz einer Person befindet sich an
dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden
BGE 138 V 23 S. 25
Verbleibens aufhält (Art. 23 Abs. 1 ZGB) und den sie sich zum Mittelpunkt ihrer
Lebensinteressen gemacht hat (BGE 133 V 309 E. 3.1 S. 312; BGE 127 V 237 E. 1
S. 238; BGE 125 III 100 E. 3 S. 102). Der Aufenthalt an einem Ort zum Zweck des
Besuchs einer Lehranstalt und die Unterbringung einer Person in einer
Erziehungs-, Versorgungs-, Heil- oder Strafanstalt begründen keinen Wohnsitz
(Art. 26 ZGB).

3.1.2 Rechtsprechungsgemäss wird jedoch in der letztgenannten Bestimmung
lediglich die Vermutung angestellt, wonach der Aufenthalt am Studienort oder in
einer Anstalt nicht bedeutet, dass auch der Lebensmittelpunkt an den fraglichen
Ort verlegt worden ist. Diese Vermutung ist widerlegbar, insbesondere wenn eine
urteilsfähige mündige Person freiwillig und selbstbestimmt, allenfalls vom
"Zwang der Umstände" (etwa Angewiesensein auf Betreuung, finanzielle Gründe)
diktiert, sich zu einem Anstaltsaufenthalt unbeschränkter Dauer entschlossen
und überdies die Anstalt und den Aufenthaltsort frei gewählt hat (BGE 137 III
593 E. 4.1 S. 600; BGE 134 V 236 E. 2.1 S. 239 f.; BGE 133 V 309 E. 3.1 S. 312;
BGE 127 V 237 E. 2b und 2c S. 239 ff.). Die Widerlegung der Vermutung gemäss
Art. 26 ZGB und mithin die Annahme der Wohnsitzverlegung eines EL-Bezügers an
den Anstaltsort konnte also nach der früheren gesetzlichen Regelung zu einem
Wechsel in der ergänzungsleistungsrechtlichen Zuständigkeit führen (BGE 133 V
309). Das Bundesgericht erkannte durchaus, dass diese Rechtslage die
Standortgemeinden und -kantone von Einrichtungen zur Betreuung und Pflege
Behinderter finanziell benachteiligte und dadurch letztlich der Mobilität der
Betroffenen bei der Suche nach einer geeigneten Institution abträglich war,
weil sich zum Teil Widerstand gegen ein vorgesehenes Heimprojekt oder die
Aufnahme ausserkantonaler Heimbewohner regte. Es befand indessen, es bleibe
Sache des Gesetzgebers, Abhilfe zu schaffen und gegebenenfalls
ergänzungsleistungsrechtlich eine vom zivilrechtlichen Wohnsitz abweichende
Lösung vorzusehen (BGE 133 V 309 E. 3.3 in fine S. 314; BGE 127 V 237 E. 2d in
fine S. 242).

3.1.3 Eine derartige vom zivilrechtlichen Wohnsitz abweichende Regelung wurde
im Bundesgesetz vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung
Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG; SR 851.1) verankert. Dessen Art. 5
bestimmt, dass der Aufenthalt in einem Heim, einem Spital oder einer andern
Anstalt und die behördliche oder vormundschaftliche Versorgung einer
BGE 138 V 23 S. 26
mündigen oder entmündigten Person in Familienpflege keinen
Unterstützungswohnsitz begründen; der Eintritt eines solchen Sachverhaltes
beendigt denn auch einen bestehenden Unterstützungswohnsitz nicht (Art. 9 Abs.
3 ZUG). Diese Regelung dient unter anderem dem Schutz der Standortkantone und
soll den Anreiz nach kantonsexterner Unterbringung unterstützungsbedürftiger
Personen verringern (Urteil 8C_79/2010 vom 24. September 2010 E. 7.2, nicht
publ. in: BGE 136 V 346; Urteil 2A.714/2006 vom 10. Juli 2007 E. 3.2). Der
Gesetzgeber nahm dabei bewusst in Kauf, dass eine freiwillig in ein Heim
eintretende und am Ort des Heims zivilrechtlichen Wohnsitz begründende Person
ihren Unterstützungswohnsitz weiterhin dort hat, wo sie vor dem Heimeintritt
ihren Lebensmittelpunkt hatte (WERNER THOMET, Kommentar zum Bundesgesetz über
die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG], 2. Aufl. 1994, N.
109 zu Art. 5 und N. 153 zu Art. 9 Abs. 3 ZUG).

3.2 Im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung
zwischen Bund und Kantonen (NFA) wurde das bisher geltende Bundesgesetz vom 19.
März 1965 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung (aELG) einer Totalrevision unterzogen. Das neue
Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 (ELG) wurde auf den 1. Januar 2008 in Kraft
gesetzt. Laut dessen Art. 21 Abs. 1 erster Satz wird - in Verbindung mit Art.
13 Abs. 1 ATSG - die kantonale Zuständigkeit für die Festsetzung und die
Auszahlung der Ergänzungsleistung grundsätzlich nach wie vor an den
zivilrechtlichen Wohnsitz der bezugsberechtigten Person geknüpft. Der zweite
Satz von Art. 21 Abs. 1 ELG stellt nun aber im Sinne einer Ausnahme klar, dass
der Aufenthalt in einem Heim, einem Spital oder einer andern Anstalt und die
behördliche oder vormundschaftliche Versorgung einer mündigen oder entmündigten
Person in Familienpflege keine neue Zuständigkeit begründen. Diese Bestimmung
ist mangels einer anderslautenden Übergangsbestimmung sofort anwendbar (SVR
2011 EL Nr. 6 S. 17, 9C_972/2009 E. 2.2 in fine).
Gemäss Art. 21 Abs. 2 ELG bezeichnen die Kantone die Organe, die für die
Entgegennahme der Gesuche und für die Festsetzung und die Auszahlung der
Ergänzungsleistungen zuständig sind; sie können die kantonalen
Ausgleichskassen, nicht aber die Sozialhilfebehörden mit diesen Aufgaben
betrauen. Während der Kanton Aargau - wie die meisten Kantone - die kantonale
Ausgleichskasse (Sozialversicherungsanstalt) mit der EL-Durchführung betraut
hat (§ 5
BGE 138 V 23 S. 27
Abs. 1 und § 7 Abs. 2 des Gesetzes vom 26. Juni 2007 über Ergänzungsleistungen
zur AHV und IV im Kanton Aargau [Ergänzungsleistungsgesetz Aargau, ELG/AG; SAR
831.300]), hat der Kanton Zürich diese Aufgabe grundsätzlich den politischen
Gemeinden übertragen (§ 2 des Zürcher Gesetzes vom 7. Februar 1971 über die
Zusatzleistungen zur eidgenössischen AHV/IV [Zusatzleistungsgesetz, ZLG; LS
831.3]).

3.3 Die beschwerdeführende SVA Aargau und das BSV interpretieren die
Ausnahmeregelung gemäss zweitem Satz von Art. 21 Abs. 1 ELG in dem Sinne, dass
bei Heimbewohnern in jedem Falle derjenige Kanton EL-rechtlich zuständig
bleibt, welcher die Ergänzungsleistung vor dem Heimeintritt ausgerichtet hatte
- und zwar unabhängig von allfälligen "direkten" oder "abgeleiteten
Wohnsitzverschiebungen" (so in der Beschwerdeschrift). Demgegenüber stellen
sich die Vorinstanz und die Gemeinde X. auf den Standpunkt, dass nach der
genannten neuen Gesetzesbestimmung zwar der Heimaufenthalt an sich keine neue
ergänzungsleistungsrechtliche Zuständigkeit zu begründen vermag, eine solche
Änderung in der kantonalen Zuständigkeit aber unter Berücksichtigung des
Grundsatzes von Art. 21 Abs. 1 erster Satz ELG weiterhin eintreten kann,
namentlich dann, wenn der abgeleitete zivilrechtliche Wohnsitz bevormundeter
oder entmündigter, unter elterlicher Sorge stehender Heimbewohner wechselt.
In diesem Zusammenhang gilt es Folgendes klarzustellen: Die gemäss Art. 369 ZGB
entmündigte, unter die elterliche Sorge ihrer Mutter gestellte R. (Art. 385
Abs. 3 ZGB) hat ihren (abgeleiteten) zivilrechtlichen Wohnsitz am Wohnsitz der
Mutter (Art. 25 Abs. 1 ZGB; vgl. BGE 133 III 305 E. 3.3 S. 306 ff.; DANIEL
STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 4. Aufl. 2010, N. 12
zu Art. 25 ZGB; SCHNYDER/MURER, Berner Kommentar, 3. Aufl. 1984, N. 22 zu Art.
376 ZGB), d.h. bis Juli 2009 in X., danach in Y. Entgegen den
missverständlichen Ausführungen im angefochtenen Entscheid wie auch in der
dagegen erhobenen Beschwerde spielt im hier zu beurteilenden Fall der Sitz der
Vormundschaftsbehörde, welche die Aufsicht über die Versicherte ausübt (nunmehr
Z., früher X.), keine Rolle. Art. 25 Abs. 2 ZGB, wonach bevormundete Personen
ihren (ebenfalls abgeleiteten) Wohnsitz am Sitz der zuständigen
Vormundschaftsbehörde haben, ist auf volljährige Entmündigte, die unter
elterlicher Sorge stehen, nicht anwendbar. Dies ändert indessen nichts an der
nachfolgend zu beantwortenden Rechtsfrage:
BGE 138 V 23 S. 28
Führt die Verlegung des abgeleiteten Wohnsitzes der nach wie vor im selben
Behindertenheim lebenden EL-Bezügerin von X. in den Kanton Aargau zu einem
Wechsel in der ergänzungsleistungsrechtlichen Zuständigkeit? Oder mit andern
Worten: Ist dieser rechtserhebliche Sachverhalt unter die Grundnorm (erster
Satz von Art. 21 Abs. 1 ELG) oder aber unter die Ausnahmeregelung (zweiter Satz
dieser Gesetzesbestimmung) zu subsumieren?

3.4

3.4.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Vom
klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur
ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann, wenn triftige Gründe dafür
vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Norm wiedergibt. Solche
Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem
Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben. Eine
historisch orientierte Auslegung ist für sich allein nicht entscheidend.
Anderseits vermag aber nur sie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers (die sich
insbesondere aus den Materialien ergibt) aufzuzeigen, welche wiederum zusammen
mit den zu ihrer Verfolgung getroffenen Wertentscheidungen verbindliche
Richtschnur des Gerichts bleibt, auch wenn es das Gesetz mittels teleologischer
Auslegung oder Rechtsfortbildung veränderten, vom Gesetzgeber nicht
vorausgesehenen Umständen anpasst oder es ergänzt (BGE 137 V 13 E. 5.1 S. 17
mit Hinweisen).

3.4.2 Den Materialien zur Totalrevision des ELG lässt sich entnehmen, dass der
Gesetzesentwurf zuhanden des Parlaments dem Bundesrat die Kompetenz einräumte,
nach Anhörung der Kantone für in Heimen oder Spitälern lebende Personen
besondere Zuständigkeitsbestimmungen zu erlassen (Art. 21 Abs. 1 zweiter Satz
ELG-Entwurf gemäss Botschaft vom 7. September 2005 zur Ausführungsgesetzgebung
zur NFA; BBl 2005 6029 ff., 6357 [Anhang 3]). Zur Begründung wurde ausgeführt,
bei Heimbewohnern sei es in der Praxis zwischen den Kantonen immer wieder zu
Streitigkeiten über die Zuständigkeit gekommen, "weil gerade die Wohnsitzfrage
nicht immer ohne weiteres zu beantworten" sei (BBl 2005 6232 f. Ziff. 2.9.8.3
zu Art. 21 ELG). Auf Antrag seiner vorberatenden Kommission (Protokolle der
Sitzung vom 18./19. Januar 2006 [S. 69 ff.] und derjenigen vom 6./7. Februar
2006 [S. 20 ff.]) beschloss der Ständerat als Erstrat, die Kompetenz des
Bundesrates zu streichen und durch den nunmehr geltenden zweiten Satz von Art.
21 Abs. 1
BGE 138 V 23 S. 29
ELG zu ersetzen. Im Rahmen der ständerätlichen Beratung führte der
Kommissionssprecher aus, diese neue Regelung stimme mit derjenigen im hievor
(E. 3.1.3) erwähnten ZUG überein. Die zum Zuständigkeitsgesetz entwickelte
Praxis für Heim- und Anstaltsinsassen sowie Familienpfleglinge solle
grundsätzlich auch im EL-Bereich Anwendung finden. Zuhanden der Materialien
werde mit aller Deutlichkeit festgehalten, dass die Änderung keine Auswirkungen
auf die Festlegung des zivilrechtlichen Wohnsitzes habe. Dieser bestimme sich
einzig und allein nach dem ZGB (AB 2006 S 212). Der Nationalrat stimmte dem
gegenüber der bundesrätlichen Vorlage neu gefassten Art. 21 Abs. 1 ELG
diskussionslos zu (AB 2006 N 1255; SVR 2011 EL Nr. 6 S. 17, 9C_972/2009 E.
5.3.2.1).

3.4.3 Die dargelegte Entstehungsgeschichte der streitigen Norm zeigt, dass es
dem Gesetzgeber darum ging, bei Heimbewohnern eine Kongruenz zwischen
Ergänzungsleistung und Sozialhilfe herzustellen. Mit der dem ZUG
nachempfundenen Ausnahmeregelung im zweiten Satz von Art. 21 Abs. 1 ELG sollten
zum einen die zwischen den Kantonen immer wieder auftretenden, sich an der
Wohnsitzfrage entzündenden Streitigkeiten über die
ergänzungsleistungsrechtliche Zuständigkeit bei Heimbewohnern künftig möglichst
vermieden werden (vgl. vorstehende E. 3.1.2 und 3.4.2 am Anfang). Zum andern
ging die gesetzgeberische Regelungsabsicht dahin, die Benachteiligung der
Standortkantone von Heimen, Anstalten und vergleichbaren Institutionen (vgl.
hiezu vorne E. 3.1.2 f.) fortan zu verringern. Wie weit die Kongruenz zwischen
Ergänzungsleistung und Sozialhilfe reicht, beantwortet sich nach der jeweiligen
Rechtsanwendungslage. So hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit dem
fraglichen Eintritt einer EL-Bezügerin in eine der angeführten Einrichtungen
festgestellt, ein solcher bleibe nach dem klaren Willen des Gesetzgebers, wie
er auch im Wortlaut seinen Niederschlag gefunden hat, ohne Bedeutung für die
Frage der Zuständigkeit für die Festsetzung und die Auszahlung der
Ergänzungsleistung, unabhängig davon, ob am Ort der Institution
zivilrechtlicher Wohnsitz begründet wird. Zuständig ist bzw. bleibt der Kanton,
in welchem die Ergänzungsleistung beziehende Person unmittelbar vor dem Heim-
oder Anstaltseintritt Wohnsitz hatte. Insoweit stellt sich die in der Praxis
häufig schwierige Frage der Abgrenzung von wohnsitzbegründendem freiwilligen
Eintritt in ein Heim oder eine Anstalt und nicht wohnsitzrelevanter
Unterbringung nicht mehr. Für den Fall eines Aufenthalts in einem Heim, einem
Spital oder einer
BGE 138 V 23 S. 30
andern Anstalt hat der Gesetzgeber somit eine Regelung getroffen, bei welcher -
ähnlich wie im Fürsorgebereich (E. 3.1.2 f.) - der zivilrechtliche Wohnsitz und
die Zuständigkeit für die Festsetzung und die Auszahlung der (Ergänzungs-)
Leistung auseinanderfallen können (SVR 2011 EL Nr. 6 S. 17, 9C_972/2009 E.
5.3.2.2).

3.4.4 Was die hier zu beantwortende Rechtsfrage (E. 3.3 hievor in fine)
betrifft, ist der - in den drei Sprachfassungen übereinstimmende - Wortlaut von
Art. 21 Abs. 1 zweiter Satz ELG ("der Aufenthalt in ...", "le séjour dans ...",
"il soggiorno in ...") ebenfalls eindeutig: Einzig der Heim- oder
Anstaltsaufenthalt als solcher bleibt nach der neuen gesetzlichen
Ausnahmeregelung für die Bewohner der erwähnten Einrichtungen EL-rechtlich
unbeachtlich. Anderweitige Umstände, nach denen sich der zivilrechtliche
Wohnsitz und damit dem Grundsatze nach auch die ergänzungsleistungsrechtliche
Zuständigkeit bestimmen (Art. 21 Abs. 1 erster Satz ELG in Verbindung mit Art.
13 Abs. 1 ATSG), sind indessen nach wie vor massgebend. So ändert die bisherige
örtliche Zuständigkeit für die Festsetzung und die Auszahlung der
Ergänzungsleistung, wenn - wie hier - der gemäss Art. 25 Abs. 1 ZGB abgeleitete
Wohnsitz einer entmündigten, unter elterlicher Sorge stehenden
leistungsberechtigten Heimbewohnerin in einen andern Kanton verlegt wird, weil
deren Mutter als alleinige Inhaberin des Sorgerechts vom zürcherischen X. in
den Kanton Aargau zieht. Dieselben Überlegungen gelten für den ebenso
abgeleiteten, am Sitz der Vormundschaftsbehörde liegenden zivilrechtlichen
Wohnsitz bevormundeter Heim- oder Anstaltsbewohner (Art. 25 Abs. 2 ZGB): Deren
Wohnsitzwechsel in einen andern Kanton führt nach der Grundnorm von Art. 21
Abs. 1 erster Satz ELG ebenfalls zu einer Änderung in der bisherigen
ergänzungsleistungsrechtlichen Zuständigkeit, wobei eine solche
Wohnsitzverlegung der formellen Übertragung der Vormundschaft auf die
Vormundschaftsbehörde am neuen Ort bedarf (Art. 377 Abs. 1 und 2 ZGB;
STAEHELIN, a.a.O., N. 4 ff. zu Art. 377 ZGB; vgl. Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts P 5/02 vom 24. April 2002 E. 2). Hätte der Gesetzgeber
tatsächlich in dem Sinne legiferieren wollen, dass bei Heimbewohnern die im
Zeitpunkt des Eintritts bestehende kantonale Zuständigkeit der EL-Behörden in
keinem Falle mehr eine Änderung erfährt, hätte er für die Ausnahmebestimmung
zweifellos eine entsprechende Formulierung gewählt.

3.4.5 Gründe für eine vom unmissverständlichen Wortlaut abweichende Auslegung
von Art. 21 Abs. 1 zweiter Satz ELG (E. 3.4.1 hievor) bestehen nicht: Die
erwähnte, vom Gesetzgeber
BGE 138 V 23 S. 31
beabsichtigte Kongruenz zwischen Ergänzungsleistung und Sozialhilfe ist unter
systematischem Blickwinkel insofern begrenzt, als sich die Zuständigkeit im
EL-Bereich grundsätzlich nach dem zivilrechtlichen Wohnsitz richtet (erster
Satz von Art. 21 Abs. 1 ELG), wogegen der Bedürftige seinen sog.
Unterstützungswohnsitz nach Art. 4 Abs. 1 ZUG prinzipiell in dem Kanton hat, wo
er sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Dem im vorliegenden
Zusammenhang interessierenden abgeleiteten Wohnsitz nach Art. 25 Abs. 1 oder 2
ZGB kommt somit im Sozialhilferecht für Erwachsene keinerlei Bedeutung zu (vgl.
demgegenüber Art. 7 ZUG für unmündige Kinder). Folglich lassen sich für die
hier zu beantwortende Rechtsfrage nach der Tragweite des zweiten Satzes von
Art. 21 Abs. 1 ELG von vornherein keine Kongruenzüberlegungen anstellen, obwohl
diese Ausnahmebestimmung mit derjenigen von Art. 5 ZUG weitgehend übereinstimmt
(vgl. E. 3.1.3 und 3.4.2 f. hievor). Immerhin ist anzumerken, dass der
Aufenthalt in einem Heim oder einer Klinik auch unter der Herrschaft des ZUG
nicht dazu führt, dass der Unterstützungswohnsitz praktisch nicht mehr ändern
kann (Urteil 8C_79/2010 vom 24. September 2010 E. 7.2 in fine, nicht publ. in:
BGE 136 V 346; Urteil 2A.714/2006 vom 10. Juli 2007 E. 3.3).
Auch eine am Sinn und am Zweck (teleologisch) oder an der Entstehungsgeschichte
der Norm orientierte Interpretation ändert nichts am bisher ermittelten
Auslegungsergebnis. Keiner der angeführten, sich aus den Materialien ergebenden
Aspekte der gesetzgeberischen Regelungsabsicht verlangt nach einer über den
Wortlaut hinausgehenden Subsumtion des hier relevanten Sachverhalts unter die
Ausnahme- statt unter die Grundregel (d.h. unter den zweiten statt den ersten
Satz von Art. 21 Abs. 1 ELG). So kann die vorliegende Anknüpfung der
ergänzungsleistungsrechtlichen Zuständigkeit an den abgeleiteten
zivilrechtlichen Wohnsitz bevormundeter oder entmündigter, unter elterlicher
Sorge stehender Heimbewohner offenkundig nicht dazu führen, dass sich - wie
unter dem früheren aELG - an der oft schwierigen Abgrenzung zwischen
wohnsitzbegründendem freiwilligem Eintritt ins Heim einerseits und nicht
wohnsitzrelevanter Unterbringung anderseits Streitigkeiten unter den Kantonen
entfachen (vgl. E. 3.4.2 f. hievor). Ebenso wenig kommt es nach der dargelegten
Lösung zu einer nennenswerten Benachteiligung der Standortkantone von Heimen
und Anstalten (vgl. dazu vorne E. 3.1.2 f. und 3.4.3).

3.4.6 Die Auslegung der Ausnahmeregelung von Art. 21 Abs. 1 zweiter Satz ELG
anhand der normunmittelbaren Kriterien führt
BGE 138 V 23 S. 32
zum Ergebnis, dass der Wortlaut der Gesetzesbestimmung deren wahren Sinn zum
Ausdruck bringt. Bei Heim- oder Anstaltsbewohnern steht einzig der Aufenthalt
in der jeweiligen Einrichtung als solcher der Begründung einer neuen
ergänzungsleistungsrechtlichen Zuständigkeit entgegen, während anderweitige,
den zivilrechtlichen Wohnsitz als grundsätzlichen Anknüpfungspunkt bestimmende
Umstände (Art. 21 Abs. 1 erster Satz ELG) nach wie vor massgebend bleiben (so
der abgeleitete Wohnsitz nach Art. 25 Abs. 1 oder 2 ZGB).
Die der gesetzlichen Regelung widersprechende, vom BSV im Hinblick auf den
vorliegenden Rechtsstreit ergänzte Verwaltungsweisung (Rz. 1330.02 der
Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL] in der ab 1.
April 2011 gültigen Fassung http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/index/
category:59) ist unbeachtlich.

3.5 Nach dem Gesagten ging die Zuständigkeit für die Festsetzung und die
Auszahlung der Ergänzungsleistung von R. am 1. August 2009 von der Gemeinde X.
auf die SVA Aargau über, als die Mutter der Leistungsbezügerin als (alleinige)
Inhaberin der elterlichen Sorge in Y./AG neuen zivilrechtlichen Wohnsitz nahm.