Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 V 218



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Urteilskopf

138 V 218

27. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen M. (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_951/2011 vom 26. April 2012

Regeste

Art. 25 Abs. 1 zweiter Satz ATSG; Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 46 ATSG; Erlass der
Rückerstattung unrechtmässig bezogener Witwerrenten: guter Glaube oder
zumindest grobfahrlässige Verletzung der Meldepflicht hinsichtlich
Wiederverheiratung? Umkehr der Beweislast wegen Verletzung der
Aktenführungspflicht durch die Ausgleichskasse?
Die in casu festgestellten geringfügigen Unzulänglichkeiten bei der
elektronischen Verwaltung des Aktendossiers rechtfertigen keineswegs die
vorinstanzliche Annahme, wonach die Ausgleichskasse der ihr obliegenden
Aktenführungspflicht nicht ordnungsgemäss und vollständig nachgekommen sei und
deshalb mit Bezug auf die in den Unterlagen fehlende Anzeige der
Wiederverheiratung eine Umkehr der Beweislast eintrete (E. 4-9).

Regeste

Art. 25 Abs. 1 zweiter Satz ATSG; Art. 70^bis AHVV; Erlassvoraussetzung des
guten Glaubens in casu selbst bei Erfüllung der Meldepflicht betreffend
Zivilstandsänderung zu verneinen.
Man kann als wiederum Verheirateter nicht gutgläubig über Jahre hinweg
weiterhin eine Witwerrente beziehen, ohne bei der Ausgleichskasse je
nachgefragt zu haben, ob die Anzeige der neuerlichen Eheschliessung eingegangen
und die Weiterausrichtung der Rente tatsächlich rechtens sei. Für jedermann ist
nämlich einsichtig, dass der neue Zivilstand den alten ersetzt, an welchen der
Bezug der Witwerrente, allein schon dem Namen nach, gebunden war (E. 10).

Sachverhalt ab Seite 219

BGE 138 V 218 S. 219

A. Dem seit 10. Januar 1995 verwitweten M. wurde ab Januar 1997 eine
ordentliche Witwerrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung
ausgerichtet, nachdem diese Leistung im Rahmen der 10. AHV-Revision neu
eingeführt worden war (Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 13.
Juni 1997 [nachfolgend: Ausgleichskasse]). Im Februar 2009 teilte die
Gemeindeverwaltung X. den
BGE 138 V 218 S. 220
AHV-Behörden mit, dass sich der Versicherte bereits am 15. Juni 2001 wieder
verheiratet hatte. Daraufhin verfügte die Ausgleichskasse am 14. April 2009 die
rückwirkende Aufhebung der Witwerrente ab Juli 2001 und forderte gleichzeitig
die unrechtmässig bezogenen Rentenbetreffnisse ab Mai 2004 im Gesamtbetrag von
Fr. 20'192.- von M. zurück. Dieser stellte am 19. April 2009 ein Gesuch um
Erlass der Rückforderung. Er verwies auf die Kopie eines vom 7. Februar 2002
datierten Schreibens an die Ausgleichskasse, worin die Wiederverheiratung
angezeigt wird. Mit Verfügung vom 25. Januar 2010 und Einspracheentscheid vom
28. Juni 2010 lehnte die Kasse das Erlassgesuch mangels guten Glaubens beim
Bezug der zu Unrecht ausgerichteten Witwerrente ab. Weder sei das geltend
gemachte Schreiben vom 7. Februar 2002 bei der Ausgleichskasse aktenkundig,
noch habe M. einen diesbezüglichen Versandnachweis vorgelegt, weshalb von einer
(zumindest) grobfahrlässigen Verletzung der Meldepflicht auszugehen sei.

B. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 2. November 2011 gut,
bejahte den guten Glauben und wies die Sache zur Prüfung der weiteren
Erlassvoraussetzung der grossen Härte an die Ausgleichskasse zurück.

C. Die Ausgleichskasse führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.
M. schliesst sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde. Kantonales Gericht und
Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. Wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, muss sie nicht
zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt (Art. 25 Abs. 1 zweiter Satz
ATSG [SR 830.1]; vgl. auch Art. 4 Abs. 1 der Verordnung vom 11. September 2002
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSV; SR 830.11]). Wie
das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat, ist der gute Glaube als
Erlassvoraussetzung nicht schon mit der Unkenntnis des Rechtsmangels gegeben.
Der Leistungsempfänger darf sich vielmehr nicht nur keiner böswilligen Absicht,
sondern auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig
BGE 138 V 218 S. 221
gemacht haben. Der gute Glaube entfällt somit einerseits von vornherein, wenn
die zu Unrecht erfolgte Leistungsausrichtung auf eine arglistige oder
grobfahrlässige Melde- oder Auskunftspflichtverletzung zurückzuführen ist.
Anderseits kann sich die rückerstattungspflichtige Person auf den guten Glauben
berufen, wenn ihr fehlerhaftes Verhalten nur leicht fahrlässig war (BGE 112 V
97 E. 2c S. 103). Wie in anderen Bereichen beurteilt sich das Mass der
erforderlichen Sorgfalt nach einem objektiven Massstab, wobei aber das den
Betroffenen in ihrer Subjektivität Mögliche und Zumutbare (Urteilsfähigkeit,
Gesundheitszustand, Bildungsgrad usw.) nicht ausgeblendet werden darf (SVR 2008
AHV Nr. 13 S. 41, 9C_14/2007 E. 4.1 mit Hinweis).

5. Dass der Beschwerdegegner nach Art. 31 Abs. 1 ATSG und Art. 70^bis Abs. 1
der Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und
Hinterlassenenversicherung (AHVV; SR 831.101) verpflichtet war, die Änderung im
Zivilstand vom 15. Juni 2001 zu melden, steht ausser Frage (vgl. auch den
diesbezüglichen Hinweis in der Rentenverfügung vom 13. Juni 1997). Er macht
denn auch geltend, er sei - auf Veranlassung seines Steuerberaters - der ihm
obliegenden Meldepflicht mit Schreiben an die Ausgleichskasse vom 7. Februar
2002 nachgekommen. Eine entsprechende Mitteilung findet sich indessen im von
der Kasse geführten Aktendossier des Versicherten nicht. Ebenso wenig vermag
der Beschwerdegegner einen Versandnachweis für die geltend gemachte
uneingeschriebene Postsendung vorzulegen.

6. Der Sozialversicherungsprozess ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht.
Danach hat das Gericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen. Die Verwaltung als
verfügende Instanz und - im Beschwerdefall - das Gericht dürfen eine Tatsache
nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind. Im
Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz
nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten
Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Der Richter und die
Richterin haben vielmehr jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die sie von
allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigen (BGE 126
V 353 E. 5b S. 360; BGE 125 V 193 E. 2 S. 195; je mit Hinweisen;
BGE 138 V 218 S. 222
vgl. BGE 130 III 321 E. 3.2 und 3.3 S. 324 f.; SVR 2011 UV Nr. 11 S. 39, 8C_693
/2010 E. 10).
Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne der
Beweisführungslast begriffsnotwendig aus, da es Sache des
Sozialversicherungsgerichts (oder der verfügenden Verwaltungsstelle) ist, für
die Zusammentragung des Beweismaterials besorgt zu sein. Im
Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in der Regel eine
Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu
Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt
Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es
sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund
einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die
Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 261
E. 3b S. 264 mit Hinweisen; Urteil 8C_663/2009 vom 27. April 2010 E. 2.2).

7. Angesichts der geschilderten Aktenlage (vorstehende E. 5 in fine) hat die
Vorinstanz festgestellt, es sei einerseits möglich, dass der Beschwerdegegner
mittels geltend gemachtem (in Kopie vorgelegtem) Schreiben vom 7. Februar 2002
seiner Meldepflicht tatsächlich nachgekommen sei. Anderseits sei es jedoch
ebenso möglich, dass das genannte Schreiben nicht zum Zeitpunkt des angegebenen
Datums erstellt, nie versandt, bei der Ausgleichskasse nicht angekommen oder
aber bei ihr in Verstoss geraten sei. Keiner dieser möglichen Tatbestände sei
zum heutigen Zeitpunkt mit geeigneten Beweismitteln rechtsgenüglich zu erhärten
oder könne für sich beanspruchen, überwiegend wahrscheinlich zu sein. Diese
vorinstanzliche Schlussfolgerung, wonach hinsichtlich einer Meldung der
erneuten Eheschliessung Beweislosigkeit herrsche, ist für das Bundesgericht
verbindlich (nicht publ. E. 2). Gemäss dargelegter Rechtsprechung müsste mithin
der Entscheid zu Ungunsten des Beschwerdegegners ausfallen, weil dieser seine
Gutgläubigkeit beim unrechtmässigen Weiterbezug der Witwerrente auf die
streitige, unbewiesen gebliebene Meldung an die Ausgleichskasse stützt. Das
kantonale Gericht gelangt indessen zu einem andern Ergebnis: Aufgrund
verschiedener, im angefochtenen Entscheid dargelegter Umstände schliesst es auf
eine unvollständige Aktenführung durch die Ausgleichskasse und leitet daraus
letztlich eine Umkehr der Beweislast ab. Im Folgenden ist deshalb zu prüfen,
was es mit dieser vorinstanzlichen Betrachtungsweise auf sich hat.
BGE 138 V 218 S. 223

8.

8.1

8.1.1 Das Bundesgericht hat verschiedentlich festgehalten, dass eine Umkehr der
Beweislast ausnahmsweise dann eintritt, wenn eine Partei einen Beweis aus
Gründen nicht erbringen kann, welche nicht von ihr, sondern von der Behörde zu
verantworten sind (BGE 92 I 253 E. 3 S. 257; SVR 2011 UV Nr. 11 S. 39, 8C_693/
2010 E. 12; Pra 1999 Nr. 170 S. 886, 2A.635/1998 E. 3b/bb; Urteil 4P.197/2003
vom 16. Januar 2004 E. 3.2). Einen derartigen Fall von Beweislastumkehr
erblickt die Rechtsprechung etwa bei der Beweislosigkeit der Rechtzeitigkeit
eines Rechtsmittels, welche darauf zurückzuführen ist, dass die Verwaltung oder
Behörde den Briefumschlag, in welchem das an sie gerichtete Rechtsmittel
(uneingeschrieben) verschickt wurde, in Verletzung ihrer Aktenführungspflicht
nicht zu den Akten genommen und damit die Beweiserbringung für die
Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels verunmöglicht hat (BGE 124 V 372 E. 3b S.
375; SVR 2011 UV Nr. 11 S. 39, 8C_693/2010 E. 12; 2007 AHV Nr. 8 S. 22, H 131/
06 E. 3.2; Pra 1999 Nr. 170 S. 886, 2A.635/1998 E. 4; RKUV 1999 S. 416, U 344/
98 E. 2 und 3).

8.1.2 Die erwähnte Aktenführungspflicht von Verwaltung und Behörden bildet das
Gegenstück zum (aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessenden) Akteneinsichts- und
Beweisführungsrecht, indem die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts durch die
versicherte Person eine Aktenführungspflicht der Verwaltung voraussetzt (BGE
130 II 473 E. 4.1 S. 477; BGE 124 V 372 E. 3b S. 375 f., BGE 124 V 389 E. 3a S.
390). Die Behörde ist verpflichtet, ein vollständiges Aktendossier über das
Verfahren zu führen, um gegebenenfalls ordnungsgemäss Akteneinsicht gewähren
und bei einem Weiterzug diese Unterlagen an die Rechtsmittelinstanz
weiterleiten zu können. Die Behörde hat alles in den Akten festzuhalten, was
zur Sache gehört (BGE 124 V 372 E. 3b S. 376; BGE 115 Ia 97 E. 4c S. 99; Pra
1999 Nr. 170 S. 886, 2A.635/1998 E. 4a). Der verfassungsmässige Anspruch auf
eine geordnete und übersichtliche Aktenführung verpflichtet die Behörden und
Gerichte, die Vollständigkeit der im Verfahren eingebrachten und erstellten
Akten sicherzustellen (SVR 2011 IV Nr. 44 S. 131, 8C_319/2010 E. 2.2.1; Urteil
5A_341/2009 vom 30. Juni 2009 E. 5.2). Für die dem Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts unterstellten Versicherer wurde in Art. 46 ATSG die
Aktenführungspflicht auf Gesetzesstufe konkretisiert. Danach sind für jedes
Sozialversicherungsverfahren alle Unterlagen, die massgeblich sein können, vom
Versicherungsträger systematisch zu erfassen.
BGE 138 V 218 S. 224

8.2 Nach vorinstanzlicher Auffassung kann die Ausgleichskasse "keinen Anspruch
auf vollständige Aktenführung erheben", weil bei Durchsicht der Kassenakten
aufgefallen sei, dass die sog. Rentensteuerausweise betreffend die Waisenrente
für den 1992 geborenen Sohn des Beschwerdegegners bis auf diejenigen für die
Jahre 2001 und 2009 fehlten. Ebenso wenig seien Belege für die periodischen
Erhöhungen der Waisenrente vorhanden, während hinsichtlich der Witwerrente
lediglich die Erhöhungsblätter für 2005 und 2007 in den Akten lägen. Auffallend
sei schliesslich, dass das Aktendossier des Beschwerdegegners unter der
Bezeichnung "Firma Y." geführt werde.
Die Ausgleichskasse wehrt sich in ihrer Beschwerde ans Bundesgericht gegen den
vorinstanzlichen Vorwurf nicht ordnungsgemässer Aktenführung. Ihre Einwendungen
sind zu hören, weil erst der angefochtene Entscheid dazu Anlass gab (Art. 99
Abs. 1 BGG). Zuvor wurde nämlich von keiner Seite geltend gemacht, die Art der
Aktenführung durch die Kasse habe dem Beschwerdegegner die Beweisführung
verunmöglicht.
Die Beschwerdeführerin trägt vor, dass die Rentensteuerausweise für die
Waisenrente keineswegs fehlten, sondern grundsätzlich im Aktendossier des
Sohnes des Beschwerdegegners gespeichert würden, wobei nicht mehr eruiert
werden könne, weshalb sich dennoch zwei dieser Ausweise (für die Jahre 2001 und
2009) im Dossier des Vaters befänden. Weiter führt die Kasse aus, dass sich die
Beträge der in der Regel alle zwei Jahre der Lohn- und Preisentwicklung
angepassten Renten den jeweiligen (für den Beschwerdegegner und dessen Sohn
getrennt angelegten) sog. Historienblättern entnehmen liessen, welche vom
elektronischen System automatisch per Ende Jahr oder bei einer manuellen
Änderung erstellt würden (und alle lückenlos vorlägen). Weshalb die
entsprechenden Rentenerhöhungsblätter nicht ebenfalls vollständig im
elektronischen Archiv abgespeichert worden seien, lasse sich nicht
nachvollziehen. Zur Aktenführung unter der Bezeichnung "Firma Y." wendet die
Ausgleichskasse ein, dass der Beschwerdegegner sowohl unter seiner neuen als
auch unter der alten AHV-Nummer sowie zusätzlich unter der Abrechnungsnummer
seiner Arbeitgeberin erfasst sei. Aus systemimmanenten Gründen übersteuere die
letztgenannte Nummer die beiden andern, weshalb das Dossierdeckblatt mit der
Kundenbezeichnung "Firma Y." überschrieben werde, was sich jeweils nur manuell
korrigieren lasse.
BGE 138 V 218 S. 225

8.3 Im Lichte vorstehender, von keiner Seite in Zweifel gezogenen Darlegung der
Ausgleichskasse ist die vorinstanzliche Annahme, in den elektronisch
verwalteten Unterlagen des Beschwerdegegners und seines Sohnes würden bestimmte
massgebende, von der Kasse selbst zu verfertigende Belege gänzlich fehlen,
offensichtlich unrichtig und ist demzufolge vom Bundesgericht zu korrigieren.
Wohl sind zwei Kopien der dem Beschwerdegegner zuhanden der Steuerbehörden
ausgestellten Rentensteuerausweise fälschlicherweise nicht im zutreffenden
Dossier des Sohnes als Waisenrentenberechtigtem, sondern in demjenigen des
Vaters abgelegt worden. Ferner werden die periodischen Anpassungen der
Hinterlassenenrenten an die Lohn- und Preisentwicklung nur (aber immerhin)
durch die jeweiligen Historienblätter lückenlos belegt, wogegen zusätzliche
Rentenerhöhungsblätter im elektronischen Archiv nur zum Teil abgespeichert
wurden. Diese geringfügigen Unzulänglichkeiten bei der Dossierverwaltung und
das erwähnte Programmierungsproblem im Zusammenhang mit der Dossieranschrift
rechtfertigen indessen keineswegs die vorinstanzliche - als Rechtsfrage frei
überprüfbare - Schlussfolgerung, wonach die Ausgleichskasse der ihr obliegenden
Aktenführungspflicht im Falle des Beschwerdegegners nicht ordnungsgemäss und
vollständig nachgekommen sei und deshalb mit Bezug auf die in den Unterlagen
fehlende Anzeige der Wiederverheiratung eine Umkehr der Beweislast eintrete.
Bei den vorliegenden Gegebenheiten anders zu entscheiden hiesse, weit überhöhte
Anforderungen an die Aktenführungspflicht der Versicherungsträger zu stellen.

9. Trägt nach dem Gesagten der Beschwerdegegner die Beweislast, wirkt sich die
Beweislosigkeit der von ihm geltend gemachten Mitteilung vom 7. Februar 2002 zu
seinen Ungunsten aus: Es ist davon auszugehen, dass er seiner Meldepflicht
hinsichtlich der neuerlichen Heirat nicht nachgekommen ist, obwohl ihn sein
Steuerberater zur Mitteilung an die AHV-Behörden aufgefordert hat (vgl. E. 5
hievor). Unter diesen Umständen muss eine zumindest grobfahrlässige
Meldepflichtverletzung angenommen werden, welche den guten Glauben als
Erlassvoraussetzung von vornherein ausschliesst (in vorstehender E. 4
wiedergegebene Rechtsprechung). Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts
könnte auch nicht als bloss leichte Fahrlässigkeit gewertet werden, wenn der
Beschwerdegegner das geltend gemachte Schreiben vom 7. Februar 2002 zwar
verfasst, versehentlich aber gar nicht der Post übergeben oder an eine falsche
Adresse versandt hätte (obwohl die eingereichte Kopie des fraglichen Schreibens
selber die zutreffende Anschrift der Ausgleichskasse trägt).
BGE 138 V 218 S. 226

10. Im Übrigen änderte sich an diesem Ergebnis selbst dann nichts, wenn der
Brief vom 7. Februar 2002 seine bestimmungsgemässe Empfängerin gefunden haben
sollte, d.h. wenn der Meldepflicht hinsichtlich der Zivilstandsänderung
seinerzeit nachgelebt worden wäre: Man kann als wiederum Verheirateter nicht
gutgläubig über Jahre hinweg weiterhin eine Witwerrente beziehen, ohne bei der
Ausgleichskasse je nachgefragt zu haben, ob die Anzeige der neuerlichen
Eheschliessung eingegangen und die Weiterausrichtung der Rente tatsächlich
rechtens sei. Für jedermann ist nämlich einsichtig, dass der neue Zivilstand
den alten ersetzt, an welchen der Bezug der Witwerrente, allein schon dem Namen
nach, gebunden war (vgl. RDAT 1999 I Nr. 70 S. 275, H 183/98 E. 4a). Es verhält
sich nicht wesentlich anders als bei der auch nach dem Tod des Ehemannes (und
der damit verbundenen Erhöhung des AHV-Rentenanspruchs) unverändert
ausgerichteten Ergänzungsleistung (EL). In diesem Zusammenhang hat die
Rechtsprechung den guten Glauben der nunmehr verwitweten Ehefrau beim
unrechtmässigen Bezug der zu hohen EL-Betreffnisse ebenfalls verneint (Urteil
des Eidg. Versicherungsgerichts P 18/75 vom 30. August 1976 E. 3, nicht publ.
in: BGE 102 V 245).