Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 V 106



Urteilskopf

138 V 106

14. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen R. (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_312/2010 vom 15. Dezember 2011

Regeste

Art. 82 ff., 90, 93 und 107 BGG; Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten.
Erhebt eine im kantonalen (End-)Entscheid teilweise unterlegene Partei
innerhalb der gesetzlichen Beschwerdefrist nicht selbst Beschwerde beim
Bundesgericht, ist es ihr angesichts der im BGG nicht vorgesehenen
Anschlussbeschwerde verwehrt, im Rahmen der Vernehmlassung zur fristgerecht
erhobenen Beschwerde der Gegenpartei jene Anträge zu erneuern, bezüglich
welcher sie vorinstanzlich unterlegen ist (E. 2.1).
Anders verhält es sich indessen in Bezug auf einen nach Art. 93 BGG
anfechtbaren kantonalen Rückweisungsentscheid, welcher beiden Parteien
teilweise Recht gibt und anschliessend nur von einer Partei fristgerecht
angefochten wird (E. 2.2 und 2.3).

Regeste

Art. 15 UVG; Art. 22 Abs. 4 UVV; Bestimmung des versicherten Verdienstes zur
Bemessung der Rente eines Temporärarbeitnehmers.
Bestimmung des versicherten Verdienstes zur Bemessung der Rente (E. 5).
Die vorgesehene Dauer der befristeten Beschäftigung, auf welche gemäss Art. 22
Abs. 4 Satz 3 UVV die Umrechnung des erzielten Verdienstes nach Art. 22 Abs. 4
Satz 2 UVV zu beschränken ist, muss bei Temporärarbeitnehmern nicht mit der
Dauer des befristeten Arbeitsvertrages bei einem Einsatzbetrieb übereinstimmen
(E. 7.1 und 7.2).
Grundsätze, wie die vorgesehene Dauer der Beschäftigung im Sinne der genannten
Norm im Einzelfall bestimmt werden kann (E. 7.3).

Sachverhalt ab Seite 108

BGE 138 V 106 S. 108

A. Der 1962 geborene R., deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in X., war
als Mitarbeiter der S. AG, bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert, als er am 2. Dezember 2004 auf
einer Baustelle der B. AG, von einem Dach fiel. Die SUVA anerkannte ihre
Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und erbrachte die
gesetzlichen Leistungen. Mit Verfügung vom 21. November 2008 und
Einspracheentscheid vom 21. April 2009 sprach die Anstalt dem Versicherten für
die Restfolgen des Unfalles eine (Komplementär-) Invalidenrente bei einem
Invaliditätsgrad von 100 % und einem versicherten Jahresverdienst von Fr.
3'420.- und eine Integritätsentschädigung - vorerst für die Hörstörung -
aufgrund einer Integritätseinbusse von 10 % zu. Bei der Berechnung des
versicherten Verdienstes ging die SUVA davon aus, der Einsatzvertrag des
Versicherten sei auf drei Wochen befristet gewesen.

B. Die von R. hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt mit Entscheid vom 10. Februar 2010 in dem Sinne teilweise gut, als
es den Einspracheentscheid der SUVA aufhob und die Sache zur Neuberechnung des
versicherten Verdienstes im Sinne der Erwägungen an die Versicherung
zurückwies. Dabei erwog das kantonale Gericht, der Einsatzvertrag des
Versicherten sei auf drei Monate befristet gewesen.

C. Mit Beschwerde beantragt die SUVA die Aufhebung des kantonalen
Gerichtsentscheides.
Während das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung verzichtet,
beantragt R. die Abweisung der Beschwerde; die SUVA sei zu verpflichten, die
Leistungen unter Zugrundelegung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses
auszurichten. Gleichzeitig stellt R. ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.

D. Im Rahmen des ihnen vom Bundesgericht gewährten rechtlichen Gehörs haben
sowohl die SUVA als auch R. Stellung genommen. Das BAG verzichtet weiterhin auf
eine Vernehmlassung.

E. Das Bundesgericht hat am 15. Dezember 2011 eine publikumsöffentliche
Beratung durchgeführt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 138 V 106 S. 109

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Das BGG unterscheidet in Art. 90 bis 93 zwischen End-, Teil- sowie Vor- und
Zwischenentscheiden und schafft damit eine für alle Verfahren einheitliche
Terminologie. Ein Endentscheid ist ein Entscheid, der das Verfahren prozessual
abschliesst (Art. 90 BGG), sei dies mit einem materiellen Entscheid oder
Nichteintreten, z.B. mangels Zuständigkeit. Der Teilentscheid ist eine Variante
des Endentscheids. Mit ihm wird über eines oder einige von mehreren
Rechtsbegehren (objektive und subjektive Klagehäufung) abschliessend befunden.
Es handelt sich dabei nicht um verschiedene materiellrechtliche Teilfragen
eines Rechtsbegehrens, sondern um verschiedene Rechtsbegehren. Vor- und
Zwischenentscheide sind alle Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen
und daher weder End- noch Teilentscheid sind; sie können formell- und
materiellrechtlicher Natur sein. Voraussetzung für die selbstständige
Anfechtbarkeit materiellrechtlicher Zwischenentscheide ist gemäss Art. 93 Abs.
1 BGG zunächst, dass sie selbstständig eröffnet worden sind. Erforderlich ist
sodann alternativ, dass der angefochtene Entscheid einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder dass die Gutheissung der
Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden
Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde
(lit. b).

1.2 Beim kantonalen Entscheid vom 10. Februar 2010 handelt es sich um einen
Zwischenentscheid: Die Vorinstanz hob den Einspracheentscheid der SUVA vom 21.
April 2009 auf und wies die Sache zur Neuberechnung des versicherten
Verdienstes im Sinne der Erwägungen an die Versicherung zurück. Dabei stellte
das kantonale Gericht für die Beschwerdeführerin verbindlich fest, dass der
Einsatzvertrag des Versicherten auf drei Monate befristet war. Könnte die
Beschwerdeführerin diesen Entscheid nicht vor Bundesgericht anfechten, so hätte
dies zur Folge, dass sie unter Umständen gezwungen wäre, eine ihres Erachtens
rechtswidrige, leistungszusprechende Verfügung zu erlassen. Diese könnte sie in
der Folge nicht selber anfechten; da die Gegenpartei in der Regel kein
Interesse haben wird, den allenfalls zu ihren Gunsten rechtswidrigen
Endentscheid anzufechten, könnte der kantonale Vorentscheid nicht mehr
korrigiert werden und würde zu einem nicht wieder gutzumachenden
BGE 138 V 106 S. 110
Nachteil für die Verwaltung führen (vgl. BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.). Auf
die Beschwerde der SUVA ist demnach einzutreten.

2. Der Beschwerdegegner hat selber keine Beschwerde erhoben. In seiner
Beschwerdeantwort beantragt er jedoch, die SUVA sei zu verpflichten, den
versicherten Jahresverdienst unter Annahme eines unbefristeten Arbeitsvertrages
zu bestimmen.

2.1 Im Verfahren vor Bundesgericht gibt es keine Anschlussbeschwerde (BGE 134
III 332 E. 2.5). Wer mit dem angefochtenen Entscheid nicht einverstanden ist,
muss diesen selbst innert der Beschwerdefrist (Art. 100 BGG) anfechten. Sodann
kann das Bundesgericht nicht über die fristgerecht gestellten Rechtsbegehren
der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG). Gibt die Vorinstanz beiden
Parteien teilweise Recht und erhebt nur eine Partei Beschwerde ans
Bundesgericht mit dem Antrag, es sei ihr vollumfänglich Recht zu geben, so kann
deshalb die andere Partei nicht im Rahmen der Vernehmlassung zu dieser
Beschwerde wieder diejenigen Anträge stellen, bezüglich welcher die Vorinstanz
ihr Unrecht gegeben hat. Auf den vom Beschwerdegegner gestellten Antrag wäre
deshalb nicht einzutreten, soweit dieser über den Antrag auf Abweisung der
Beschwerde hinausgeht.

2.2 Anders verhält es sich mit Bezug auf Rückweisungsentscheide der Vorinstanz,
welche nur nach Massgabe von Art. 93 BGG anfechtbar sind (vgl. auch Urteil
9C_756/2009 vom 8. Februar 2010 E. 4). Denn nach der gesetzlichen Konzeption
ist die Anfechtung in diesem Fall fakultativ; die vor der Vorinstanz
unterlegene Partei kann auf eine selbstständige Anfechtung des
Rückweisungsentscheids verzichten und sich gegen das darin Entschiedene noch im
Rahmen der Beschwerde gegen den Endentscheid wenden, soweit es sich auf dessen
Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG). Erhebt nun gegen einen
Rückweisungsentscheid, der beiden Parteien teilweise Recht gibt, nur die eine
Partei Beschwerde und erlässt daraufhin das Bundesgericht einen Endentscheid,
so wird dadurch der anderen Partei die Möglichkeit genommen, das im
vorinstanzlichen Rückweisungsentscheid zu ihrem Nachteil Entschiedene
anzufechten. Es ist ihr auch nicht möglich, eine bedingte Beschwerde für den
Fall zu erheben, dass die Gegenpartei den Rechtsmittelweg einschlägt (BGE 134
III 332). In dieser Konstellation muss demnach derjenigen Partei, welche den
Rückweisungsentscheid nicht selbst angefochten hat, die Möglichkeit eingeräumt
werden, in der
BGE 138 V 106 S. 111
Beschwerdevernehmlassung auch diejenigen Punkte zu thematisieren, bezüglich
welcher sie vor der Vorinstanz unterlegen ist (vgl. HANSJÖRG SEILER,
Rückweisungsentscheide in der neueren Sozialversicherungspraxis des
Bundesgerichts, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2008, S. 9 ff., 38 f.).
Dies muss umso mehr gelten, wenn die vor Vorinstanz teilweise unterlegene
Partei mangels nicht wieder gutzumachenden Nachteils oder mangels
Aufwandersparnis zur selbstständigen Anfechtung des Rückweisungsentscheides gar
nicht berechtigt wäre.

2.3 Somit ist auch auf den Antrag des Beschwerdegegners, der versicherte
Verdienst sei aufgrund eines unbefristeten Arbeitsvertrages zu ermitteln,
einzutreten.
(...)

5.

5.1 Nach Art. 15 UVG (SR 832.20) werden Renten nach dem versicherten Verdienst
bemessen (Abs. 1).

5.1.1 In zeitlicher Hinsicht ist in der Regel der innerhalb eines Jahres vor
dem Unfall bezogene Lohn massgebend (Art. 15 Abs. 2 UVG; Art. 22 Abs. 4 Satz 1
UVV [SR 832.202]). Dauerte "das Arbeitsverhältnis" ("les rapports de travail";
"il rapporto di lavoro") nicht das ganze Jahr, so wird der in dieser Zeit
bezogene Lohn auf ein volles Jahr umgerechnet (Art. 22 Abs. 4 Satz 2 UVV). Art.
22 Abs. 4 Satz 3 UVV sah in dem bis Ende 1997 gültig gewesenen Wortlaut vor,
dass bei einem Versicherten, der eine Saisonbeschäftigung ausübt, die
Umrechnung auf die normale Dauer dieser Beschäftigung beschränkt ist. Diese
Bestimmung war auch auf Kurzaufenthalter anwendbar, wo von einer normalen
Beschäftigungsdauer oft nicht gesprochen werden konnte (SVR 1994 UV Nr. 16 S.
46, U 40/94 E. 3a und 3b). Mit der auf den 1. Januar 1998 in Kraft getretenen
Verordnungsänderung vom 15. Dezember 1997 (AS 1998 151) wurde der letzte Satz
wie folgt neu gefasst: "Bei einer zum Voraus befristeten Beschäftigung bleibt
die Umrechnung auf die vorgesehene Dauer beschränkt." ("En cas d'activité de
durée déterminée, la conversion se limite à la durée prévue."; "Nel caso di
un'attività temporanea la conversione è limitata alla durata prevista."). Die
Neuformulierung übernahm die zur früheren Fassung von Satz 3 ergangene
Rechtsprechung, wonach bei unterjährigen Arbeitsverhältnissen bei zum Voraus
befristeter Tätigkeit keine Umrechnung auf ein volles Jahr erfolgte (RKUV 1998
S. 90; 2005 S. 299, U 307/04 E. 3.1; Urteile des
BGE 138 V 106 S. 112
Eidg. Versicherungsgerichts U 421/05 vom 25. Oktober 2006 E. 2.3 und U 16/01
vom 24. Juli 2001 E. 1b). Die frühere Praxis ist daher weiterhin beachtlich
(RKUV 2005 S. 51, U 155/04 E. 4.2).

5.1.2 In sachlicher Hinsicht wird der massgebende Lohn grundsätzlich in Art. 22
Abs. 2 UVV definiert, welcher den versicherten Verdienst "im Allgemeinen"
regelt. Danach gilt als versicherter Verdienst der nach der Bundesgesetzgebung
über die AHV massgebende Lohn, einschliesslich Kinderzulagen (lit. b) und
weiteren hier nicht relevanten Abweichungen (Abs. 2).

5.2 Bei den Tatbeständen gemäss Art. 22 Abs. 4 Satz 2 und 3 UVV handelt es sich
um Abweichungen vom Grundsatz, dass der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall
bezogene Lohn für die Rentenberechnung massgebend ist (Art. 15 Abs. 2 UVG und
Art. 22 Abs. 4 Satz 1 UVV). Damit auch unregelmässig beschäftigte
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Genuss eines angemessenen
Versicherungsschutzes gelangen, beauftragte der Gesetzgeber in Art. 15 Abs. 3
lit. d UVG den Bundesrat, für solche Personen Sonderbestimmungen zu erlassen
(vgl. auch ANDRÉ OTTIGER, Der prekäre Schutz der Frühinvaliden [junge
Arbeitskräfte, Lehrlinge, Schnupperlehrlinge und Studenten] in der sozialen
Unfallversicherung, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2002, S. 65 ff., 71 f.
mit Hinweis auf den Bericht vom 14. September 1973 der Expertenkommission für
die Revision der Unfallversicherung, S. 80). Von dieser Kompetenz hat der
Bundesrat in den Art. 22 bis 24 UVV Gebrauch gemacht. Diese Sonderregeln
verlangen einerseits, dass - bei unterjährigem Arbeitsverhältnis - der nicht
während eines ganzen Jahres geflossene Lohn auf ein Jahreseinkommen umgerechnet
wird (Satz 2), beschränken aber anderseits bei zum Voraus befristeten
Beschäftigungen (bzw. bei Saisonniers in der früheren Fassung) die Umrechnung
auf die Dauer der befristeten Beschäftigung (bzw. der normalen Dauer der
Saisonbeschäftigung). Sie regeln die Frage, ob der Verdienst auf ein volles
Jahr umzurechnen oder der effektiv erzielte Verdienst während der
beabsichtigten Beschäftigungsdauer anzurechnen ist (RKUV 1992 S. 117, U 19/90
E. 5c). Art. 22 Abs. 4 Satz 3 UVV bildet eine Sonderregel sowohl im Verhältnis
zu Satz 1 als auch zu Satz 2 des Absatzes, indem bei einer befristeten
Beschäftigung weder der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn
massgebend (Satz 1) noch der bis zum Unfall bezogene Lohn auf ein Jahr
umzurechnen ist (Satz 2). Als Sonderregel zu Satz 2 hat Satz 3
BGE 138 V 106 S. 113
lediglich den für die Umrechnung massgebenden Zeitraum zum Gegenstand. Art. 22
Abs. 4 Satz 2 UVV knüpft an ein unterjähriges Arbeitsverhältnis an und legt als
Rechtsfolge fest, dass der bislang bezogene Lohn auf ein Jahr umgerechnet wird.
Wenn der folgende Satz 3 bloss noch ausführt, dass bei einer zum Voraus
befristeten Beschäftigung die Umrechnung auf die vorgesehene Dauer dieser
Beschäftigung beschränkt bleibt und die Rechtsfolge in dieser Form umschreibt,
so wird damit an das Verhältnis angeknüpft, wie es zu Beginn von Satz 2
formuliert ist, nämlich an ein im Zeitpunkt des Unfalls bestehendes, noch nicht
ein Jahr dauerndes Arbeitsverhältnis (Urteil U 421/05 E. 2.2 mit Hinweisen).

5.3 Bei unbefristeten unterjährigen Arbeitsverhältnissen wird vermutet, dass
die versicherte Person ganzjährig zu den gleichen Bedingungen gearbeitet hätte,
weshalb die Umrechnung nach Art. 22 Abs. 4 Satz 2 UVV auf zwölf Monate zu
erfolgen hat. Diese Bestimmung ist anwendbar etwa bei Stellenwechsel, Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit und Wechsel von selbstständiger zu unselbstständiger
Erwerbstätigkeit. Bei versicherten Personen, die nur einen zeitlich begrenzten
Teil des Jahres erwerbstätig sind, erfolgt keine Umrechnung auf ein ganzes
Jahr, sondern es gilt als Verdienst derjenige während der vereinbarten Dauer.
Dieser ist etwa massgeblich bei Studierenden und Schülern, die nur ferienhalber
arbeiten, und bei Selbstständigerwerbenden (z.B. Landwirte, Holzer usw.), die
sporadisch unselbstständige Arbeit leisten (RKUV 1992 S. 117, U 19/90 E. 4c/aa;
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 89/86 vom 10. Dezember 1987 E. 3).
Entscheidendes Kriterium für eine von Art. 15 Abs. 2 UVG abweichende Ermittlung
des versicherten Verdienstes bildet die infolge zeitlich reduzierter
Erwerbstätigkeit eingetretene Verdiensteinbusse, indem die versicherte Person
während einer gewissen Zeitspanne innerhalb der für die Bestimmung des
versicherten Verdienstes massgebenden Periode keine Einkünfte hatte (RKUV 1990
S. 387, U 90/89 E. 3c und 3d).

5.4

5.4.1 Zur Frage des versicherten Verdienstes im Fall eines überjährigen
Arbeitsverhältnisses wurde in BGE 114 V 113 E. 3a und 3d ausgeführt, dass die
Festlegung des Verdienstes auf dem Hintergrund einer möglichst angemessenen
Entschädigung der berechtigten Person zu erfolgen hat. Es ist im Wesentlichen
von der Natur des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Eine entscheidende Rolle
spielt
BGE 138 V 106 S. 114
die normale Dauer der Beschäftigung, welche sich nach der bisherigen oder
beabsichtigten künftigen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses in zeitlicher
Hinsicht richtet. Als unregelmässig beschäftigt hat eine versicherte Person zu
gelten, die über eine gewisse Zeitspanne keine gleichbleibende
durchschnittliche Arbeitszeit aufweist. Nicht dazu zählen jedoch diejenigen
Beschäftigten, die lediglich ausnahmsweise während einer beschränkten
Zeitspanne nicht die für sie übliche Arbeitszeit ausweisen. So macht ein im
Jahr vor dem Unfall bezogener unbezahlter Urlaub die Beschäftigung nicht zu
einer unregelmässigen. Vielmehr komme, so der angeführte Grundsatzentscheid,
wie bei den Saisonbeschäftigten oder denjenigen Arbeitnehmern, deren
Anstellungsverhältnis noch nicht das ganze Jahr gedauert hat, der Grundsatz zum
Tragen, dass auf die normale Dauer der Beschäftigung oder die Natur des
Arbeitsverhältnisses abzustellen ist. Das Kriterium der normalen
Beschäftigungsdauer, die aufgrund der bisherigen oder beabsichtigten künftigen
Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses in zeitlicher Hinsicht festgestellt
werden kann, ist geeignet, eine sachgerechte und rechtsgleiche Festsetzung des
für die Rentenberechnung massgebenden Lohnes zu gewährleisten. Insbesondere ist
es bei dieser Lösung unerheblich, ob nach einem Arbeitsunterbruch ein neues
Arbeitsverhältnis begründet oder das bestehende weitergeführt wird.

5.4.2 Ohne Aufrechnung von Einkommenslücken im Jahr vor dem Unfall wurde
dagegen im Fall eines Versicherten entschieden, der keine Berufslehre
absolviert, schon früher in den verschiedensten Berufen und während mehr als
einem Jahr vor dem Unfall ausschliesslich - mit längeren Unterbrüchen - als
Temporärmitarbeiter tätig gewesen war. Aufgrund seiner Arbeitsbiographie konnte
nicht angenommen werden, dass er lediglich deshalb temporär arbeitete, weil er
keine geeignete Dauerstelle finden konnte. Deshalb wurde der versicherte
Verdienst aufgrund des innerhalb eines Jahres vor dem Unfall effektiv bezogenen
Lohnes und nicht durch Umrechnung des zur Zeit des Unfalles erzielten Lohnes
auf ein Jahr festgesetzt (Urteil U 209/99 vom 9. November 2011 E. 2).

5.4.3 Diese Überlegungen sind auch wegleitend in Fällen, in denen die Bemessung
aufgrund des innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogenen Lohnes nicht in
Betracht fällt. So wurde bei einem zur Zeit des Unfalles in einem unterjährigen
befristeten Arbeitsverhältnis stehenden Versicherten deutlich festgehalten,
dass eine zum
BGE 138 V 106 S. 115
Voraus befristete Beschäftigung (activité de durée déterminée, attività
temporanea) nicht gleichzusetzen ist mit einem zum Voraus beschränkten
Arbeitsverhältnis. Dieser Versicherte hatte seit Beginn der Lehre, teilweise in
Temporärstellen, voll im Erwerbsleben als unselbstständig Erwerbender
gestanden, unterbrochen lediglich wegen Militärdienst und Sprachaufenthalt. Da
jegliche Anhaltspunkte dafür fehlten, dass er sich künftig entgegen seinem
gesamten beruflichen Werdegang mit dem Abschluss des befristeten
Saison-Arbeitsvertrages auf eine befristete Beschäftigung beschränken wollte,
hätte die Umrechnung des erzielten Lohnes lediglich auf die Zeit des
befristeten Einsatzes zu einem stossenden, mit der Regelung in Art. 22 Abs. 4
Satz 3 UVV (in der früheren und der geltenden Fassung) nicht beabsichtigten
Ergebnis geführt. Die Umrechnung hatte demnach gestützt auf Satz 2 auf ein
ganzes Jahr zu erfolgen (Urteil U 421/05 vom 10. Februar 2006 E. 3.1).

5.4.4 Bei der Prüfung der normalen Dauer der Beschäftigung sind die
einschlägigen Bestimmungen des Ausländerrechts zu berücksichtigen (RKUV 1994 S.
82, U 88/93 E. 3d).

5.4.5 Damit ist für die Rentenbemessung sowohl von Versicherten, die im
Zeitpunkt des Unfalles in einem überjährigen, wie auch für solche, die in einem
unterjährigen Arbeitsverhältnis stehen, die - im Rahmen eines oder mehrerer
Arbeitsverhältnisse ausgeübte - normale Dauer der Beschäftigung massgeblich.
Diese richtet sich nach der bisherigen oder beabsichtigten künftigen
Ausgestaltung der Erwerbsarbeitsbiographie.

6.

6.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte seine Tätigkeit
bei der S. AG am 29. November 2004, mithin lediglich vier Tage vor dem Unfall
vom 2. Dezember 2004, aufgenommen hat. Unbestritten ist auch der Umstand, dass
der Versicherte in der Zeit zwischen dem 3. Dezember 2003 und dem 28. November
2004 in der Schweiz keine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat. Eine
Rentenbemessung gestützt auf Art. 15 Abs. 2 UVG und Art. 22 Abs. 4 Satz 1 UVV
fällt deshalb nicht in Betracht.
Während die SUVA von einer auf drei Wochen befristeten Anstellung des
Versicherten ausgeht, schloss das kantonale Gericht auf eine Befristung des
Vertrages auf drei Monate; der Versicherte ist seinerseits der Ansicht, der
Arbeitsvertrag sei nicht gültig befristet gewesen und daher als unbefristet zu
betrachten.
BGE 138 V 106 S. 116

6.2 Am 25. November 2004 schloss der Versicherte mit der S. AG einen
Arbeitsvertrag ab. Gemäss diesem war ab dem 29. November 2004 ein Einsatz von
ca. drei Wochen bei der B. AG verabredet. Der Vertrag weist darüber hinaus noch
folgende (kleiner gedruckte) Klausel auf:
"Dieser Vertrag ist auf maximal 3 Monate befristet. Dauert das
Arbeitsverhältnis widererwarten länger, so wandelt sich dieser stillschweigend
in einen unbefristeten Vertrag um."
Entgegen den Erwägungen der Vorinstanz kann aus dieser Klausel nicht
geschlossen werden, gemäss dem wirklichen Willen der Parteien sei eine
dreimonatige Anstellung vorgesehen gewesen. Der Sinn dieser Klausel besteht
darin, dem Arbeitnehmer - sollte der Vertrag wider Erwarten über die
ursprünglich vorgesehene Einsatzdauer hinaus verlängert werden - nach drei
Monaten den besseren sozialen Schutz eines unbefristeten Vertrages zukommen zu
lassen. Gegen die Annahme einer dreimonatigen Befristung spricht auch die
Angabe der Arbeitgeberin in der Unfallmeldung vom 6. Dezember 2004; gemäss
dieser war der Vertrag bis zum 17. Dezember 2004 befristet. Es erscheint wenig
wahrscheinlich, dass die Arbeitgeberin der SUVA absichtlich eine zu kurze
Befristung des Vertrages mitteilen wollte. Wie bereits das kantonale Gericht
zutreffend erwogen hat, sind die über vier Jahre nach dem Unfall ausgestellten
Bescheinigungen verschiedener Mitarbeiter der ehemaligen Arbeitgeberin wenig
glaubwürdig. Somit ist mit der Beschwerdeführerin davon auszugehen, dass der am
25. November 2004 abgeschlossene Vertrag auf drei Wochen befristet war.

7. Vorinstanz und Verwaltung gingen davon aus, diese Befristung des Vertrages
führe ohne weiteres zu einer Anwendung von Art. 22 Abs. 4 Satz 3 UVV. Nach der
in E. 5.4 hievor erwähnten Rechtsprechung ist jedoch ein befristeter
Arbeitsvertrag nicht in jedem Fall mit einer befristeten Beschäftigung im Sinne
der erwähnten Norm gleichzusetzen.

7.1 Art. 15 Abs. 1 UVG geht von einem traditionellen Beschäftigungsmodell aus.
Kennzeichnend für ein solches ist eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung bei
arbeitsrechtlich geregelten Beschäftigungsverhältnissen mit einem
Arbeitsvertrag als Dreh- und Angelpunkt und dem Vorhandensein eines einzigen
Arbeitgebers, der für alle dem Arbeitgeber obliegenden Pflichten zuständig ist.
In den letzten Jahrzehnten etablierten sich indessen nicht nur auf dem
BGE 138 V 106 S. 117
europäischen (vgl. etwa das Grünbuch der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften "Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21.
Jahrhunderts" vom 22. November 2006), sondern auch auf dem schweizerischen
Arbeitsmarkt zunehmend Nichtstandard-Arbeitsverträge, wie Teilzeitverträge,
Abrufverträge, befristete Arbeitsverträge, Null-Stunden-Verträge, Verträge für
Arbeitnehmer, die über Zeitarbeitsfirmen eingestellt werden, Freelance-
Verträge u.a.m. So sind etwa Temporärarbeitsverträge, wie ihn der
Beschwerdegegner abgeschlossen hat, in der Schweiz mehr als nur ein
Randphänomen. Ein wichtiger Grund dafür sind der verstärkte globale
Wettbewerbsdruck und das damit einhergehende wachsende Bedürfnis der
Unternehmen nach flexibler Arbeit (vgl. etwa ROSINGER/DJURDJEVIC,
Temporärarbeit in der Schweiz, Motive und Arbeitsmarktperspektiven, in: Die
Volkswirtschaft 12/2007 S. 47 ff.). Gemäss einem von swissstaffing, dem Verband
der Personaldienstleister in der Schweiz, im Februar 2008 herausgegebenen
Bericht "Temporärarbeit in der Schweiz" (verfügbar unter http://
www.swissstaffing.ch/documents/Publikation_de_00128_00.pdf) setzen Firmen
temporär Arbeitende hauptsächlich ein, um Spitzen auszugleichen, um abwesendes
Personal zu ersetzen, um keine neuen Festanstellungen tätigen zu müssen und um
von der Suche nach geeignetem Personal entlastet zu sein (S. 16). Diesen
Bedürfnissen der Wirtschaft steht auf Seiten der temporär Beschäftigten nur
bedingt der Wunsch nach flexibler Beschäftigung gegenüber. Im Vordergrund steht
die Absicht, die Chance auf eine Festanstellung zu steigern und den
Einkommensausfall zwischen zwei verschiedenen Tätigkeiten zu überbrücken;
berufliche Erfahrungen zu sammeln steht für ganz Junge im Vordergrund (S. 15).
Der Grossteil der temporär Arbeitenden wechselt in ein stabiles
Berufsverhältnis (ein Jahr nach der Befragung 74 %; S. 24). Im Bericht vom 9.
Juni 2006 über die Situation im Bereich des Personalverleihs weist der
Bundesrat denn auch auf die Brückenfunktion zwischen Erwerbslosigkeit und
Erwerbstätigkeit hin (S. 11).

7.2 Unter Berücksichtigung dieser tatsächlichen Verhältnisse kann es nicht
angehen, die Invalidenrente einer versicherten Person, die im Zeitpunkt des
Unfalls von einem Personalverleiher temporär bei einem anderen Unternehmen
eingesetzt war, grundsätzlich auf der Grundlage des während des vereinbarten
befristeten Einsatzes erzielten Verdienstes zu bemessen. Eine solche Sichtweise
würde diesen Personenkreis von einem angemessenen Versicherungsschutz
BGE 138 V 106 S. 118
ausschliessen. Sie verstösst auch insofern gegen das Äquivalenzprinzip (vgl.
dazu etwa BGE 127 V 165 E. 2b S. 169), als ein Arbeitgeber, welcher
aneinandergereiht befristet Arbeitnehmer beschäftigt, für die
Berufsunfallversicherung Prämien in derselben Höhe zu entrichten hat wie ein
Arbeitgeber, welcher bei gleicher Lohnsumme nur festangestellte
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Verunfallt nun ein
Arbeitnehmer, so löste dies im ersten Fall weitaus geringere
Versicherungsleistungen aus als im zweiten. Ebenfalls ist es für die Summe der
bezahlten Prämien unerheblich, ob der Lohn aus einem Arbeitseinsatz oder aus
mehreren Einsätzen in verschiedenen Einsatzbetrieben stammt. Da jedoch die
verunfallte Person auch nicht überentschädigt werden soll, ist beim genannten
Personenkreis im Einzelfall zu untersuchen, ob das befristete Arbeitsverhältnis
bei einem Einsatzbetrieb im Sinne des in E. 5.4 Gesagten der normalen
Beschäftigung der versicherten Person entspricht. Ist dies der Fall, so ist der
versicherte Verdienst einzig aufgrund des befristeten Einsatzes zu bestimmen.
Ist demgegenüber davon auszugehen, die versicherte Person würde normalerweise
länger als die Einsatzdauer erwerbstätig sein, so entspricht diese längere
Spanne der Dauer der "befristeten Beschäftigung" im Sinne von Art. 22 Abs. 4
Satz 3 UVV und der im Einsatzbetrieb erzielte Lohn ist demgemäss auf diese
längere Dauer umzurechnen. Ergibt sich, dass die versicherte Person das ganze
Jahr über arbeiten würde, so ist die Sonderregelung von Art. 22 Abs. 4 Satz 3
UVV nicht anwendbar; die Umrechnung des erzielten Verdienstes auf ein
Jahreseinkommen wird in diesen Fällen gemäss Satz 2 von Art. 22 Abs. 4 UVV
nicht eingeschränkt.

7.3 Es stellt sich die Frage, wie die normale Dauer der Beschäftigung im Sinne
vorstehender Erwägung nachgewiesen werden kann. Blosse Absichtserklärungen der
versicherten Person oder nach dem Unfall erstellte Bestätigungen potenzieller
Arbeitgeber werden im Regelfall für den Nachweis nicht genügen. Demgegenüber
lassen sich wichtige Indizien aus einer vollständigen - allenfalls auch im
Ausland absolvierten - Erwerbsbiographie gewinnen. Ist aus dieser ersichtlich,
dass die versicherte Person längere Zeiten keiner Erwerbstätigkeit nachging, so
ist nicht davon auszugehen, dass die normale Beschäftigungsdauer dieser Person
einer unbefristeten Tätigkeit entspricht. Arbeitete eine verunfallte Person vor
dem Unfall durchschnittlich etwa vier Monate pro Jahr, so ist der während der
BGE 138 V 106 S. 119
befristeten Tätigkeit erzielte Lohn auf vier Monate umzurechnen. War
demgegenüber die versicherte Person - wenn auch bei verschiedenen und
allenfalls auch ausländischen Arbeitgebern - in den Jahren vor dem Unfall mehr
oder weniger lückenlos erwerbstätig, so ist von einer unbefristeten
Beschäftigung auszugehen. Bei ausländischen versicherten Personen ist zudem die
Periode, auf die umgerechnet wird, stets auf jene Zeitspanne zu beschränken,
während der diese ausländerrechtlich betrachtet in der Schweiz überhaupt
erwerbstätig sein durfte.