Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 IV 209



Zurück zur Einstiegsseite Drucken

Urteilskopf

138 IV 209

31. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft (Beschwerde in Strafsachen)
6B_130/2012 vom 22. Oktober 2012

Regeste

Art. 110 Abs. 4 und Art. 251 Ziff. 1 StGB; Urkundenqualität eines E-Mails.
E-Mails sind Computerurkunden. Verfälscht der Täter an ihn gerichtete E-Mails
und leitet sie anschliessend an Drittpersonen weiter, erfüllt er den Tatbestand
der Urkundenfälschung i.e.S. (E. 5.4).

Sachverhalt ab Seite 209

BGE 138 IV 209 S. 209

A. X. befand sich in den 90er-Jahren in einer schwierigen finanziellen
Situation, die sich stetig verschlechterte und desolate Ausmasse annahm. Es
wird ihm vorgeworfen, er habe ab Ende 1998 bis ins Jahr 2008 bei insgesamt 34
Geschädigten bzw. Geschädigten-Gruppen, namentlich bei Arbeitskollegen,
Militärkameraden, Verwandten und Bekannten, auf deliktische Weise Darlehen in
der Höhe von insgesamt Fr. 6'285'227.89 und USD 35'000.- erhältlich gemacht.
Dabei habe er den Geschädigten vorgespiegelt, er habe im Jahr 1995 die
Möglichkeit erhalten, eine Restforderung aus einem Kontrakt zwischen der
nationalen nigerianischen Ölgesellschaft und einem schottischen Konglomerat
namens A./S. zu erwerben. Der Vertrag hätte Arbeiten an nigerianischen
Ölpipelines und Raffinerien umfassen sollen und die Gesamtsumme habe sich auf
insgesamt USD 65 Mio. belaufen,
BGE 138 IV 209 S. 210
wobei USD 21,5 Mio. aufgrund des Konkurses des schottischen Konsortiums nicht
mehr hätten bezogen werden können. X. habe angegeben, den Vertrag und damit
auch die Restforderung von USD 21,5 Mio. für GBP 50'000.- von der englischen
Firma A. gekauft und zur Durchsetzung der Forderung Geld für die Bezahlung von
Anwälten, Treuhändern, Bankgebühren und Spesen etc. benötigt zu haben. In
Wirklichkeit habe der betreffende Vertrag nie existiert. X. habe einen Teil der
erlangten Gelder für angebliche Gebühren, Steuern und Bestechungen etc. mittels
Überweisung oder in bar an die nigerianischen Mittäter weitergeleitet, den
anderen Teil habe er zur Finanzierung seines aufwändigen Lebenswandels
verwendet.
X. hat während des gesamten Verfahrens den Sachverhalt bestritten und geltend
gemacht, er habe an die Existenz des betreffenden Geschäfts geglaubt.

B. Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft erklärte X. mit Urteil vom 5.
Februar 2010 des gewerbsmässigen Betruges, der Veruntreuung sowie der
mehrfachen Urkundenfälschung schuldig und verurteilte ihn zu einer
Freiheitsstrafe von 6 Jahren, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des
Bezirksgerichtsausschusses Maloja vom 6. Mai 2003 und zum Urteil des
Amtsstatthalteramtes Hochdorf vom 4. Februar 2004, unter Anrechnung der
ausgestandenen Untersuchungshaft. In verschiedenen Punkten sprach es X. von der
Anklage des gewerbsmässigen Betruges, des einfachen Betruges, der Veruntreuung,
der mehrfachen Urkundenfälschung sowie der ungetreuen Geschäftsführung frei. In
weiteren Punkten gab es dem Verfahren infolge Verletzung des Anklagegrundsatzes
keine Folge. Ferner erklärte es die mit Urteil des Bezirksgerichtsausschusses
Maloja vom 6. Mai 2003 bedingt ausgesprochene Strafe von 4 Monaten Gefängnis
als vollziehbar. Schliesslich entschied es über die Zivilforderungen und die
übrigen Nebenpunkte.
In teilweiser Gutheissung einer Appellation des Beurteilten und einer
Anschlussappellation der Staatsanwaltschaft erklärte das Obergericht des
Kantons Basel-Landschaft X. mit Urteil vom 21. Juni 2011 des gewerbsmässigen
Betruges, der Veruntreuung, der mehrfachen Urkundenfälschung sowie der
Zechprellerei schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½
Jahren, teilweise als Zusatzstrafe zu den Urteilen des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 6. Oktober 2009, des Bezirksgerichtsausschusses Maloja vom
6. Mai 2003 sowie des Amtsstatthalteramtes Hochdorf vom 4. Februar 2004, und
unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft. In einem Punkt
BGE 138 IV 209 S. 211
sprach es ihn von der Anklage des Betruges frei, in zwei weiteren Punkten gab
es dem Verfahren infolge Verletzung des Anklageprinzips keine Folge. Ferner
entschied es über die Nebenpunkte.

C. X. führt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht, mit der er beantragt,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner sei die mit Urteil vom 21. Juni 2011
ausgefällte Zusatzstrafe zu den Urteilen des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
vom 6. Oktober 2009, des Bezirksgerichtsausschusses Maloja vom 6. Mai 2003 und
des Amtsstatthalteramtes Hochdorf vom 4. Februar 2004 von 4 ½ Jahren
Freiheitsstrafe bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils aufzuschieben.
X. ersucht überdies um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

D. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

5.

5.1 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch wegen
Urkundenfälschung. Er stellt sich auf den Standpunkt, E-Mails ohne
elektronische Signatur stellten keine Urkunden dar. Selbst wenn diese als
Urkunden betrachtet würden, ginge deren Fälschung als Teil des Arglistelements
im Tatbestand des Betruges auf. Die Fälschung könne daher nicht als
selbstständiges Delikt angesehen werden.

5.2 Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer habe bei sich zu Hause
mehrfach an ihn gerichtete E-Mails von Drittpersonen inhaltlich abgeändert und
diese zu Beweiszwecken an verschiedene Geschädigte weitergeleitet. Er habe
somit Urkunden Dritter verfälscht, indem er diesen Aussagen unterschoben habe,
welche sie nie gemacht hätten, um sich einen unrechtmässigen Vorteil zu
verschaffen. E-Mails stellten Beweisurkunden dar, wobei es nicht darauf
ankommen könne, ob sie mit einer elektronischen Signatur versehen seien oder
nicht.
Die erste Instanz war demgegenüber zum Schluss gelangt, ein E-Mail, welches
nicht mit einer elektronischen Signatur versehen und damit beliebig veränderbar
sei, fehle sowohl der Beweiswert als auch die Beweiseignung und erfülle die
Voraussetzungen für eine Urkunde im Sinne von Art. 110 Abs. 4 StGB nicht. In
Bezug auf die in der Anklageschrift genannten E-Mails erachtete sie daher den
Tatbestand von Art. 251 Ziff. 1 StGB als nicht erfüllt.
BGE 138 IV 209 S. 212

5.3 Gemäss Art. 110 Abs. 4 StGB sind Urkunden u.a. Schriften, die bestimmt und
geeignet sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Die
Aufzeichnungen auf Bild- oder Datenträgern stehen der Schrifturkunde gleich,
sofern sie demselben Zweck dienen. Bei einem E-Mail handelt es sich um eine
elektronisch gespeicherte Information, welche als solche in codierter Form
vorliegt und nicht direkt lesbar ist.
Die Urkundenfälschung im engeren Sinne erfasst das Herstellen einer unechten
Urkunde, deren wirklicher Aussteller mit dem aus ihr ersichtlichen Urheber
nicht übereinstimmt. Demgegenüber betrifft die Falschbeurkundung die Errichtung
einer echten, aber unwahren Urkunde, bei der der wirkliche und der in der
Urkunde enthaltene Sachverhalt nicht übereinstimmen. Die Falschbeurkundung
erfordert eine qualifizierte schriftliche Lüge. Eine solche wird nur
angenommen, wenn dem Schriftstück eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt und der
Adressat ihm daher ein besonderes Vertrauen entgegenbringt, so wenn
allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gegenüber
Dritten gewährleisten, die gerade den Inhalt bestimmter Schriftstücke näher
festlegen (BGE 138 IV 130 E. 2.1 mit Hinweisen). Im zu beurteilenden Fall wird
dem Beschwerdeführer die Abänderung verschiedener von Drittpersonen verfasster
E-Mails vorgeworfen. Dies betrifft die Echtheit der Urkunden. Soweit die
Handlungen unter den Tatbestand der Urkundenfälschung im engeren Sinne fallen,
stellt sich die Frage, ob die E-Mails darüber hinaus inhaltlich unwahr waren,
nicht mehr (BGE 131 IV 125 E. 4.3).

5.4 Der Schuldspruch wegen Urkundenfälschung verletzt kein Bundesrecht. Ausser
Frage steht zunächst, dass E-Mails Urkunden darstellen, wenn sie beim Empfänger
ausgedruckt werden, d.h. wenn die Daten sichtbar gemacht werden, sofern der
Aussteller erkennbar ist (vgl. BGE 116 IV 343 E. 3; FRANK ZIESCHANG, in:
Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl., Berlin 2009, N. 130/133 zu §
267 D-StGB). Wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, kommt aber auch dem noch
nicht ausgedruckten E-Mail grundsätzlich der Charakter einer (Computer-)Urkunde
zu. Dabei erfüllt die Verfälschung eines E-Mails ohne weiteres den Tatbestand
der Urkundenfälschung, soweit dieses nach der Manipulation weiterversendet wird
und seinen Adressaten erreicht. Der Täter setzt dadurch einen Prozess in Gang,
der die Speicherung der Datenurkunde zur Folge hat (NILS HÖINGHAUS, Der
hypothetische Vergleich des § 269 unter Berücksichtigung der tatsächlichen und
normativen Vergleichbarkeit von Schrifturkunde
BGE 138 IV 209 S. 213
und moderner (Computer-)Datenurkunde, Diss. Hannover 2006, S. 135). Die
Erkennbarkeit des Ausstellers ergibt sich hier in der Regel, wenn nicht schon
aus der Absenderadresse (krit. hiezu HÖINGHAUS, a.a.O., S. 136 f.; HILGENDORF/
FRANK/VALERIUS, Computer- und Internetstrafrecht, Berlin 2005, N. 177),
jedenfalls aus dem Inhalt des E-Mails. Dieses wird dem Empfänger auf seinem
E-Mail-Account zugestellt und gespeichert, auf welchen nur mittels Passwort
zugegriffen werden kann. Hieraus folgen Beständigkeit und Beweisfunktion der
Erklärung. Beweiseignung und -bestimmung ergeben sich darüber hinaus auch aus
dem Umstand, dass E-Mails im regulären Geschäftsverkehr weit verbreitet sind
(DANIEL STUCKI, Die Strafbarkeit von "Phishing" nach StGB, Jusletter 9. Januar
2012 Rz 3.1.1 und 3.1.2; MATTHIAS AMMANN, Sind Phishing-Mails strafbar?, AJP
2006 S. 202; MARKUS GISIN, Phishing, Kriminalistik 2008 S. 199). Die
Auffassung, wonach nur eine elektronische Signatur die Authentizität des
Absenders zu bestätigen vermöge, beruht auf einem Missverständnis des
Kriteriums der Beweiseignung, welche nicht mit Beweiskraft oder
Beweisdienlichkeit gleichgesetzt werden darf (so CARL-FRIEDRICH STUCKENBERG,
Zur Strafbarkeit des "Phishing", Zeitschrift für die gesamte
Strafrechtswissenschaft [ZStW] 2006 S. 887 f.).

5.5 Kein Erfolg ist der Beschwerde auch beschieden, soweit der Beschwerdeführer
geltend macht, der Urkundenfälschung komme neben dem mittels falschen Urkunden
begangenen Betrug keine eigenständige Bedeutung zu. Nach der Rechtsprechung
besteht zwischen Betrug und Urkundenfälschung wegen der Verschiedenartigkeit
der Rechtsgüter echte Konkurrenz (BGE 129 IV 53 E. 3 und 3.6; Urteil des
Bundesgerichts 6B_772/2011 vom 26. März 2012 E. 1.3).