Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 II 524



Zurück zur Einstiegsseite Drucken

Urteilskopf

138 II 524

36. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Eidgenössische Zollverwaltung, Oberzolldirektion gegen X. und Y. (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_743/2011 vom 19. September 2012

Regeste

Art. 5 Abs. 4 und Art. 190 BV; Abkommen vom 2. Juli 1953 zwischen der Schweiz
und Italien betreffend den Grenz- und Weideverkehr; Art. 43 ZG; Art. 23 ZV;
Art. 27 und 31 VRK; Auslegung völkerrechtlicher Verträge; Normenkollision
zwischen Völkerrecht und Landesrecht.
Zollvergünstigungen im Grenzbereich; Parallel- und Radialzone (E. 2); eine
einseitig erweiterte nationale Abgabenbefreiung für den Grenzverkehr nach Art.
43 Abs. 2 ZG und Art. 23 ZV widerspricht dem Sinn und Zweck des
schweizerisch-italienischen Grenzabkommens vom 2. Juli 1953 (E. 3 und 4);
Vorrang des Völkerrechts (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 525

BGE 138 II 524 S. 525

A. X. und Y. teilten der Zollkreisdirektion Schaffhausen am 17. Juni 2008 mit,
sie beabsichtigten, in der italienischen Gemeinde A. (Provinz Sondrio)
landwirtschaftliche Grundstücke zu kaufen, um diese selbst zu bewirtschaften.
Sie ersuchten um eine Bestätigung, dass diese Grundstücke in der sog.
Parallelzone liegen, d.h. in einem beiderseits entlang der Grenzlinie parallel
verlaufendem Streifen von etwa 10 Kilometern, innerhalb dessen für Waren des
landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsverkehrs (insbesondere rohe
Bodenerzeugnisse) die zollfreie Ein- und Ausfuhr gewährt ist (Art. 43 Abs. 2
des Zollgesetzes vom 18. März 2005 [ZG; SR 631.0] bzw. Art. 23 der
Zollverordnung vom 1. November 2006 [ZV; SR 631.01]).

B. Mit Schreiben vom 8. Januar 2009 beantwortete die Zollkreisdirektion
Schaffhausen das Gesuch dahingehend, dass die betroffenen Grundstücke zwar nach
nationalem Recht in der Parallelzone lägen, jedoch internationale Abkommen über
den Grenzverkehr bestünden. Im einschlägigen Abkommen mit Italien werde die
Grenzzone als Gebiet beidseitig der Grenze verstanden, welches - jeweils ab dem
nächsten Grenzübergang gemessen - im Umkreis von etwa zehn Kilometern als sog.
Radialzone die zollfreie Ein- und Ausfuhr für den Bewirtschaftungsverkehr
zulasse. Gestützt auf die von X. und Y. eingereichten Unterlagen stellte die
Zollkreisdirektion fest, dass die zum Erwerb beabsichtigten Grundstücke
ausserhalb des im Staatsvertrag vorgesehenen begünstigten Grenzgebiets lägen:
Zwar messe die Luftlinie zwischen der Landesgrenze und den betroffenen
Grundstücken weniger als 8,5 Kilometer, doch betrage die massgebende
Luftliniendistanz zwischen dem Grenzübergang B. und den Grundstücken mehr als
zehn Kilometer. Die Zollkreisdirektion Schaffhausen bestätigte diesen Bescheid
mit Verfügung vom 13. März 2009. Eine dagegen gerichtete Verwaltungsbeschwerde
wies die Oberzolldirektion am 3. Juni 2010 ab.

C. Mit Eingabe vom 1. Juli 2010 gelangten X. und Y. an das
Bundesverwaltungsgericht und verlangten, die Verfügung der Oberzolldirektion
aufzuheben. Sie beantragten, es sei festzustellen, dass sich die
streitbetroffenen Grundstücke in der Grenzzone im Sinne von der in Art. 43 Abs.
2 ZG bzw. Art. 23 ZV definierten Parallelzone befänden; entsprechend seien die
auf ihnen produzierten rohen Bodenerzeugnisse als zollbefreit anzusehen. Das
Bundesverwaltungsgericht hiess ihre Beschwerde am 15. Juli 2011 gut, soweit es
darauf eintrat; es hob den Entscheid der Oberzolldirektion auf und b
BGE 138 II 524 S. 526
egründete seinen Entscheid mit dem Vorrang des nationalen Rechts (Zollgesetz).

D. Die Oberzolldirektion (OZD) beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und ihren Beschwerdeentscheid vom 3. Juni
2010 zu bestätigen. Sie macht im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz habe
Bundes- resp. Völkerrecht verletzt, indem sie das Abkommen vom 2. Juli 1953
zwischen der Schweiz und Italien betreffend den Grenz- und Weideverkehr (SR
0.631.256.945.41; nachfolgend als Grenzabkommen bezeichnet) nicht
berücksichtigt bzw. zu Unrecht die nur subsidiär geltenden Art. 8 Abs. 2 lit. j
und Art. 43 ZG i.V.m. Art. 23 ZV angewendet habe.
X. und Y. beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht
hat darauf verzichtet, sich vernehmen zu lassen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt das angefochtene Urteil auf
und bestätigt den Entscheid der Oberzolldirektion vom 3. Juni 2010.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Streitig ist im vorliegenden Verfahren die Auslegung des Grenzabkommens
zwischen der Schweiz und Italien sowie die damit verbundene Frage des
anwendbaren Rechts. Die Beschwerdeführerin versteht das Abkommen in dem Sinn,
dass es für die zollbefreiten Grenzgebiete Radialzonen vorsieht, welche die
Zollvergünstigungen im Bereich von 10 Kilometern gemessen ab der nächsten
Zollstrasse (wobei darunter auch kleinere Wege fallen) gewähren; sie erachtet
eine gleichzeitige Anwendung des Zollgesetzes und der darin vorgesehenen
Zollbefreiung über den gesamten Grenzverlauf (Parallelzone; Art. 43 Abs. 2 ZG)
als ausgeschlossen. Demgegenüber machen die Beschwerdegegner, insbesondere
gestützt auf den Wortlaut des Grenzabkommens, geltend, dass dieses - in
ähnlicher Weise wie Art. 43 Abs. 2 ZG - Zollbefreiungen im Rahmen von
Parallelzonen 10 Kilometer entlang des gesamten Grenzverlaufs vorsehe. Bestehe
eventuell zwischen dem Staatsvertrag und dem nationalen Recht tatsächlich ein
die gleichzeitige Anwendung ausschliessender Normkonflikt, so gehe das
nationale Recht vor.

3.

3.1 Die Auslegung von Staatsverträgen richtet sich nach den allgemeinen
Grundsätzen des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der
Verträge (VRK; SR 0.111). Für die Schweiz ist
BGE 138 II 524 S. 527
die Wiener Vertragsrechtskonvention am 6. Juni 1990 in Kraft getreten; als
völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Interpretationshilfe entfalten die in ihr
festgehaltenen Auslegungsregeln (Art. 31 ff. VRK) jedoch auch für die
Zeitspanne vor ihrem Inkrafttreten gewohnheitsrechtliche Bindung (Art. 4 VRK;
BGE 122 II 234 E. 4c S. 238; FRÉDÉRIC DOPAGNE, in: Les Conventions de Vienne
sur le droit des traités, Commentaire article par article, Corten/Klein
[Hrsg.], 2006, N. 21 zu Art. 4 VRK; vgl. auch ANDREAS R. ZIEGLER, Einführung in
das Völkerrecht, 2. Aufl. 2011, N. 249; KÄLIN/EPINEY/CARONI/KÜNZLI,
Völkerrecht, 3. Aufl. 2010, S. 33).
Gemäss Art. 31 Abs. 1 VRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach dem
Vertragswortlaut auszulegen, d.h. nach Treu und Glauben, in Übereinstimmung mit
der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden
Bedeutung sowie im Lichte seines Ziels und Zwecks. Dieser für die
Sinnermittlung erforderliche Zusammenhang kann sich aus weiteren Übereinkünften
und Urkunden ergeben (Art. 31 Abs. 2 lit. a und b VRK); für die
Vertragsauslegung gleichermassen zu berücksichtigen ist die Übung, d.h. die
Praxis zur Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der
Vertragsparteien über die Auslegung hervorgeht (Art. 31 Abs. 3 lit. b VRK;
"authentische Interpretation"; vgl. ANNE PETERS, Völkerrecht, 2. Aufl. 2008,
Kap. 7 N. 20; ZIEGLER, a.a.O., N. 251).

3.2 Im Grenzabkommen mit Italien findet sich - ebenso wie in den Grenzabkommen
mit Deutschland und Frankreich - keine eindeutige Regelung des zollbefreiten
Grenzzonengebiets als Radialzone; auch der Botschaft zum Grenzabkommen mit
Italien lässt sich keine ausdrückliche Definition des Grenzgebiets als
Radialzone entnehmen (Botschaft vom 14. Oktober 1955 betreffend die Genehmigung
des zwischen Italien und der Schweiz vereinbarten Abkommens über den Grenz- und
Weideverkehr, BBl 1955 II 738 ff.). Unter Bezugnahme auf den Wortlaut von Art.
1 Abs. 1 des Grenzabkommens wenden die Beschwerdegegner daher ein, dieses sehe
keineswegs die Radialzone vor: Indem es von Gebietsstreifen beidseitig der
gemeinsamen Grenze spreche ("strisce di territorio situato ai due lati del
confine comune"), gehe es von einer über den Gesamtgrenzverlauf führenden
Parallelzone als zollbefreiten Grenzzone aus, welche auch die zu erwerbenden
Grundstücke erfasse.

3.3 Die von den Beschwerdegegnern angerufene Bestimmung könnte, isoliert
betrachtet, auf ein parallel zur Landesgrenze verlaufendes
BGE 138 II 524 S. 528
zollbefreites Grenzzonengebiet (Parallelzone) für den Bewirtschaftungsverkehr
hinweisen. Der (weitere) Wortlaut, der Bedeutungszusammenhang (vgl. dazu insb.
unten, E. 4.3) und die bisherige Übung stehen dieser Interpretation jedoch
entgegen: Das Grenzabkommen definiert die Grenzzone zwar als Gebietsstreifen
(Art. 1 Abs. 1), enthält jedoch gleichzeitig ein detailliertes Verzeichnis der
zollbefreiten Gemeinden und Gemeindefraktionen (Anhang I), welches die
allgemeinen Bestimmungen konkretisiert. Die dort berücksichtigten Gebiete
erstrecken sich nicht über den Gesamtgrenzverlauf im Sinne einer Parallelzone,
und die ausführliche Aufzählung im Anhang des Abkommens nimmt denn auch die
mehr als zehn Kilometer vom nächsten Grenzübergang entfernte Gemeinde A. nicht
in die zollbegünstigten Grenzgebiete der Provinz Sondrio auf. Hinweise darauf,
dass die aufgelisteten Gemeinden in den Verzeichnissen nicht als abschliessend
aufgezählt zu verstehen wären, finden sich in den von den Beschwerdegegnern
angerufenen Textstellen des Staatsvertrags nicht.

3.4 Auch die mittlerweile mehr als 50-jährige, ständige Praxis der
Vertragsparteien zur Auslegung der begünstigten Grenzgebiete, welche die
Grenzzone als Kreise von rund 10 Kilometern vom jeweiligen Grenzübergang
bemisst, steht dem Verständnis der Beschwerdegegner des begünstigten
Grenzgebiets als Parallelzone entgegen ("authentische Interpretation"; vgl.
oben E. 3.1); diese langjährige Übung wird von den von der Beschwerdeführerin
herangezogenen Materialien zur nationalen Zollgesetzgebung bestätigt: Sowohl
die Botschaft des Bundesrates zum Zollgesetz (BBl 2004 567 ff., 623 Ziff.
2.2.5) als auch die parlamentarischen Beratungen zur Zollgesetzgebung (dazu
unten E. 5.3) weisen darauf hin, dass die Grenzverträge mit Italien,
Deutschland und Frankreich als ein auf Radialzonen beschränktes zollbefreites
Grenzgebiet zu verstehen sind. Hiervon geht auch die Doktrin aus (vgl. ROLF
WÜTHRICH, in: Zollgesetz [ZG], Kocher/Clavadetscher [Hrsg.], 2009, N. 35 zu
Art. 43 ZG; REMO ARPAGAUS, Zollrecht, 2. Aufl. 2007, N. 435).
Aufgrund des Bedeutungszusammenhangs und der langjährigen unbestrittenen Praxis
zum Abkommen ist daher vom privilegierten Grenzgebiet als Radialzone
auszugehen. Diese ist gemäss dem Wortlaut auf die im Anhang angeführten Gebiete
beschränkt. Die Beschwerdegegner können sich demnach, wie dies auch zu Recht
das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, nicht auf Zollvergünstigungen
gestützt auf das Grenzabkommen berufen, da die relevanten Grundstücke von
BGE 138 II 524 S. 529
dessen räumlichem Anwendungsbereich nicht erfasst sind (Art. 1 Abs. 3 i.V.m.
Anhang 1 Grenzabkommen).

4.

4.1 Die Beschwerdegegner machen weiter geltend, das Bundesrecht könne - selbst
wenn das Abkommen die Zollbefreiung für Radialzonen vorsehe - ihnen die
gewünschte Zollbefreiung gleichwohl gewähren: Sie erkennen keinen Normkonflikt
zwischen dem Staatsvertrag und dem Bundesrecht, weil Art. 1 Abs. 2 des
Abkommens einen "Vorbehalt zugunsten des Landesrechts" einräume, sodass die
Vertragsparteien eine allgemeine Ausdehnung der Grenzzonen einseitig anordnen
und damit prinzipiell auch - d.h. zusätzlich - Parallelzonen, wie sie Art. 43
Abs. 2 ZG vorsieht, einführen dürften. Damit stellt sich die Frage, ob das
Grenzabkommen mit Italien tatsächlich eine grosszügigere Regelung nach
nationalem Recht ausschliesst. Diese Frage ist im Rahmen der weiteren Auslegung
zu prüfen:

4.2 Dem Vorbringen der Beschwerdegegner, gestützt auf den Wortlaut von Art. 1
Abs. 2 des Grenzabkommens eine einseitige allgemeine Ausdehnung des
Grenzzonengebiets auf die Parallelzone vorzunehmen, kann bereits insofern nicht
gefolgt werden, als diese Bestimmung nur aufgrund "örtlich bedingter
Verhältnisse" Abweichungen zulässt; der Ausnahmecharakter dieser Abweichungen
kommt im italienischen Originalwortlaut des Abkommens deutlich zum Ausdruck
("salvo casi eccezionali, giustificati da esigenze locali, in cui le due Parti
Contraenti potranno fissare l'estensione"). Es steht demnach dem Wortlaut der
von den Beschwerdegegnern angerufenen Bestimmung entgegen, in genereller Weise
einseitig, gestützt auf das nationale Recht (Art. 43 ZG), Parallelzonen
einzuführen.

4.3 Entgegen den Vorbringen der Beschwerdegegner widerspricht eine einseitige
Ausdehnung der Grenzzone nach nationalem Recht auch dem Sinn und Zweck des
Grenzabkommens: Das Zollgesetz regelt die Abgabebefreiung bei der Wareneinfuhr
in die Schweiz (Art. 43 Abs. 2 ZG; Art. 8 Abs. 2 lit. j ZG i.V.m. Art. 23 ZV)
und sieht vor, dass Personen mit Wohnsitz in der inländischen Grenzzone rohe
Bodenerzeugnisse von Grundstücken, die auf der ausländischen Grenzzone liegen,
zollfrei in die Schweiz einführen können (Art. 23 Abs. 1 lit. b ZV).
Entsprechende angestammte Gebiete sind zudem zu Direktzahlungen berechtigt
(Art. 177 Abs. 1 des Landwirtschaftgesetzes vom 29. April 1998 [LwG; SR 910.1]
i.V.m. Art. 17 Abs. 2 derVerordnung vom 7. Dezember 1998 über
landwirtschaftliche Begrife und die Anerkennung von Betriebsformen
[Landwirtschaftliche
BGE 138 II 524 S. 530
Begriffsverordnung, LBV; SR 910.91] und Art. 4 Abs. 2 der Verordnung vom 7.
Dezember 1998 über die Direktzahlungen an dieLandwirtschaft
[Direktzahlungsverordnung, DZV; SR 910.13]). Demgegenüber ist es Ziel des
Abkommens mit Italien, die wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung
beiderseits der Grenze zu sichern: Nach der Botschaft bezweckt das Abkommen,
den "Verkehr nach Möglichkeit zu erleichtern und die lokalen Bedürfnisse der
Grenzbewohner zu berücksichtigen" und so der "natürlichen wirtschaftlichen
Verbundenheit der Grenzgebiete Rechnung" zu tragen. Zum Ausdruck kommt damit
eine auf Reziprozität beruhende Grenzvereinbarung, welche - durch die
beiderseitig gewährte Zollbefreiung in den relevanten Grenzgebieten - frühere
Unstimmigkeiten in den grenznachbarlichen Beziehungen überwinden soll
(Botschaft zum Grenzabkommen, a.a.O., 738 f.).
Die einzelnen Bestimmungen sind denn auch im Lichte dieses Ziels und Zwecks
auszulegen: Die Beschwerdegegner verlangen Zollerleichterungen für den
Grenzverkehr, der in Art. 1 Abs. 5 des Grenzabkommens - in dieser Einschränkung
vom Weideverkehr abweichend - als der sich zwischen "zwei gegenüberliegenden
und anstossenden Zonen" abwickelnde Ein- und Ausfuhrverkehr zur Bewirtschaftung
der Grundstücke definiert wird. Aus Art. 2 Ziff. II. lit. a des Abkommens geht
hervor, dass die für entsprechende landwirtschaftliche Erzeugnisse vorgesehene
Zollbefreiung dann erfolgen kann, wenn diese von Grundstücken innerhalb der
Grenzzone (Art. 2 Ziff. I.) stammen und in die "andere Zone" verbracht werden
("trasportati nell'altra zona"). Zweck des Abkommens ist es entsprechend, dass
die Grenzbewohner ihre Bodenbewirtschaftung im Rahmen dieser Beschränkung auf
die übereingekommene Grenzzone beiderseitig ausüben können (Botschaft zum
Grenzabkommen, a.a.O., 738); ersichtlich wird der Wille der Vertragsparteien,
die Abgabebefreiung gegenseitig auf die so definierte gegenüberliegende und
angrenzende (Radial-)Zone (E. 3.3 f.), nicht jedoch parallel entlang der
gesamten Grenze, zuzulassen.
Mit dem allgemeinen Einführen einer zusätzlichen Parallelzone wäre nicht nur
ein Systemwechsel gegenüber der bisherigen Praxis verbunden, sondern es würde
auch der Kreis der zollbefreiten Gebiete merklich erweitert: Mit der
Parallelzone erfüllen sämtliche entlang der Grenze ansässige
Bodenbewirtschafter die Voraussetzungen einer entsprechenden Zollvergünstigung,
denn Voraussetzung ist einzig der Wohnsitz in der inländischen Grenzzone (vgl.
Art. 23 Abs. 1
BGE 138 II 524 S. 531
lit. b ZV); dagegen wird der Personenkreis durch die Radialzone nur schon
aufgrund der maximalen Ausdehnung auf 10 Kilometer von der
Grenzübertrittsstelle deutlich eingeschränkt. Indirekte Auswirkungen auf die
italienische Grenzbevölkerung könnte die einseitige Ausdehnung der
zollbefreiten Grenzzone für den Bewirtschaftungsverkehr insofern bewirken, als
die schweizerischen Bewirtschafter der Grenzgebiete ihre Produkte zu den
gegenüber dem italienischen Markt höheren Inlandpreisen absetzen könnten; die
einseitig erweiterte Zollbefreiung könnte sich zudem negativ auf die
Grundstück- und Pachtpreise auswirken und die italienische Grenzbevölkerung
diesbezüglich benachteiligen.
Aufgrund entsprechender Probleme im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet hatte
das Land Baden-Württemberg nach einem Ausführungsgesetz zum deutschen
Landpachtverkehrsgesetz (Gesetz vom 8. November 1985 über die Anzeige und
Beanstandung von Landpachtverträgen; BGBl. I S. 2075) Massnahmen gegen die
ungleichmässige Verteilung der Bodennutzung vorgesehen, indem die zuständige
Behörde die Genehmigung von Pachtverträgen verweigern konnte, wenn durch die
zollfreie Ausfuhr der landwirtschaftlichen Produkte in die Schweiz eine
Wettbewerbsverzerrung erfolgte. Eine hierauf gestützte Ablehnung eines
Pachtvertrags zugunsten eines Schweizer Bodenbewirtschafters durch das
Landwirtschaftsamt Landkreis Waldshut hat der EuGH in einem
Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig erklärt (vgl. das Urteil des EuGH vom
6. Oktober 2011 C-506/10 Graf und Engel ); Deutschland wurde angehalten, sich
an die Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens (Abkommen vom 21. Juni 1999
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [SR
0.142.112.681]) und das anwendbare Grenzabkommen (Schweizerisch-deutsches
Abkommen vom 5. Februar 1958 über den Grenz- und Durchgangsverkehr [SR
0.631.256.913.61]) zu halten. Es zeigt sich demnach ein empfindliches
wirtschaftliches Gleichgewicht in der Grenzzone, das weder durch einseitige
ausländische Massnahmen noch durch eine Ausdehnung des zollbefreiten
Grenzgebiets zugunsten der schweizerischen Bodenbewirtschafter beeinträchtigt
werden soll. Vor diesem Hintergrund überzeugen die Ausführungen der
Beschwerdegegner, wonach sich aus einer einseitigen Erweiterung der Grenzzone
keinerlei negative wirtschaftliche Folgen für den Vertragspartner ergeben
könnten, jedenfalls nicht.
BGE 138 II 524 S. 532
Obwohl der Zweck von bi- und multilateralen Abkommen im Zollbereich
üblicherweise darauf beschränkt ist, Zollschranken abzubauen (COTTIER/HERREN,
in: Zollgesetz, a.a.O., N. 44 der Einleitung zum ZG; ARPAGAUS, a.a.O., N. 44
ff.), ergibt sich für das Grenzabkommen demnach ein weiterer, darüber
hinausgehender Zweck, der darin besteht, grenznachbarliche Unstimmigkeiten zu
vermeiden (Art. 31 Abs. 1 VRK). Diesem Sinn widerspricht die einseitig
erweiterte nationale Abgabenbefreiung für den Grenzverkehr und das Abkommen
enthält auch keinerlei Bestimmungen, welche Vorbehalte zugunsten oder
Rückverweise auf eine nationale Regelung vorsehen würden. Entsprechend liegt
ein echter Normkonflikt vor zwischen einer älteren staatsvertraglichen
Verpflichtung der Schweiz und einer (einzelnen) Bestimmung des neueren
Bundesgesetzes (Art. 43 ZG); gestützt auf das Ziel und den Zweck des
Staatsvertrags können im vorliegenden Fall nicht gleichzeitig beide
Grenzzonenregelungen zur Anwendung gelangen.

4.4 Ergänzend bringen die Beschwerdegegner vor, ihnen stehe die Gewährung eines
"allgemeinen Günstigkeitsprinzips" zu: Wenn das schweizerische Zollrecht
weitergehende Vergünstigungen vorsehe als das Grenzabkommen, so stünden ihnen
diese gemäss den allgemeinen zollrechtlichen Grundsätzen zu; im Einzelfall sei
immer die am weitesten gehende Vergünstigung zu gewähren. Die Beschwerdegegner
verkennen, dass eine entsprechende Berücksichtigung nur dort denkbar ist, wo
sich eine gleichzeitige Anwendung mehrerer begünstigender Bestimmungen nicht
von vornherein ausschliesst. Steht die weitergehende Vergünstigung resp. die
nationale Regelung dem anzuwendenden Recht entgegen, so kann sie nicht in
allgemeiner Weise zusätzlich gewährt werden. Eine Begünstigung lässt sich
entgegen der Ansicht der Beschwerdegegner auch nicht analog aus der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Amtshilferecht, durch das einem
ausländischen Staat Hilfestellung bei der Durchführung seiner Aufgaben gewährt
werden soll, für die zollrechtliche Besserstellung von schweizerischen
Bodenbewirtschaftern (zum Nachteil der italienischen Grenzbevölkerung)
herleiten.

5.

5.1 Besteht ein echter Normkonflikt zwischen Bundes- und Völkerrecht, so geht
nach der Rechtsprechung grundsätzlich die völkerrechtliche Verpflichtung der
Schweiz vor (BGE 125 II 417 E. 4d S. 425; BGE 135 II 243 E. 3.1 S. 249); dies
gilt ebenso für den Fall von Abkommen, die - wie dies hier der Fall ist - nicht
Menschen- oder
BGE 138 II 524 S. 533
Grundrechte zum Gegenstand haben (BGE 136 II 241 E. 16.1 S. 255; BGE 122 II 485
E. 3a S. 487). Der dargelegte Vorrang besteht auch gegenüber späteren, d.h.
nach der völkerrechtlichen Norm in Kraft getretenen Bundesgesetzen; die lex
posterior-Regel kommt im Verhältnis zwischen Völker- und Landesrecht nicht zur
Anwendung (BGE 122 II 485 E. 3a S. 487). Die Schweiz kann sich insbesondere
nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines
Vertrags zu rechtfertigen (Art. 5 Abs. 4 BV; Art. 27 VRK; vgl. BGE 125 II 417
E. 4d S. 424 f.; BGE 122 II 234 E. 4e S. 239; ferner BGE 116 IV 262 E. 3b/cc S.
269; BGE 117 IV 124 E. 4b S. 128). Entsprechend bleibt das entgegenstehende
Bundesgesetz in solchen Konstellationen unanwendbar (BGE 125 II 417 E. 4d S.
425; BGE 128 IV 201 E. 1.3 S. 205).

5.2 Das Zollgesetz enthält in Art. 2 Abs. 1 ausdrücklich eine analoge
Konfliktlösungsregel: Völkerrechtliche Verträge bleiben gegenüber den
zollgesetzlichen Bestimmungen vorbehalten. Da die staatsvertragliche Regelung
vom Sinn und Zweck her eine gleichzeitige Anwendung der nationalen Bestimmungen
ausschliesst (vgl. oben E. 4.3), ist die Schweiz im Bereich des
landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsverkehrs weiterhin an Staatsverträge
gebunden, wenn diese die Anwendung der Radialzone verlangen, sodass trotz der
Einführung der Parallelzone in Art. 43 Abs. 2 ZG in diesen Fällen faktisch die
bisherige Praxis fortgesetzt wird (vgl. auch WÜTHRICH, a.a.O., N. 28 und 34 zu
Art. 43 ZG; Botschaft zum Zollgesetz, a.a.O., 590; ARPAGAUS, a.a.O., N. 310
ff., 435). Solange keine einvernehmliche Praxis- oder Vertragsänderung zwischen
den Parteien zustande gekommen ist, behält der in Kraft stehende Vertrag
demnach seine völkerrechtliche Verbindlichkeit und seine umfassende
landesrechtliche Wirkung, d.h. er ist für die rechtsanwendenden Behörden
verbindlich (vgl. BGE 122 II 234 E. 4e S. 240).

5.3

5.3.1 Unter Bezugnahme auf die Wortprotokolle der Beratungen zu Art. 43 ZG hat
die Vorinstanz die Bundesgesetzgebung daraufhin untersucht, ob sich
Anhaltspunkte finden, um für den zugrunde liegenden Sachverhalt vom Vorrang der
staatsvertraglichen Verpflichtung abzusehen. Sie begründet dies damit, dass das
Bundesgericht vom Vorrang des Völkerrechts ausnahmsweise dann abgewichen sei,
wenn die Bundesgesetzgebung die Völkerrechtsverletzung bewusst in Kauf genommen
habe; erforderlich sei hierfür ein bewusstes Abweichen der Bundesgesetzgebung
vom völkerrechtlichen Vertrag
BGE 138 II 524 S. 534
("con sapevole deroga"; sog. "Schubert-Praxis"; BGE 99 Ib 39 E. 3 S. 44; BGE
136 III 168 E. 3.3.4 S. 172 f.).
Die Vorinstanz führt aus, dass sowohl der Ständerat als Erstrat als auch der
Nationalrat sich mit den verschiedenen Reglementierungsmöglichkeiten der
Grenzzonen als Radial- oder Parallelzonen intensiv auseinandergesetzt haben und
dass die Gesetzgebung zu einer generellen Regelung der Grenzzone als
Parallelzone übergehen wollte. Aus den von ihr herangezogenen Protokollen zu
den Debatten in den Räten wird jedoch gleichermassen ersichtlich, dass sich die
Beratungen im Wesentlichen auf die Frage beschränkten, welche Vor- und
Nachteile, etwa hinsichtlich Transparenz und praktischer Handhabbarkeit, für
die entsprechenden Regelungen der Grenzgebiete als Parallel- oder Radialzone
aus nationaler Sicht bestehen würden; ebenso fokussierte sich die Diskussion
auf Unstimmigkeiten, was genau unter einer Radialzone zu verstehen sei.

5.3.2 Für eine allfällige Abweichung vom Vorrang der staatsvertraglichen
Verpflichtungen kann - in Abweichung zu den Ausführungen des
Bundesverwaltungsgerichts - jedoch nicht der Verweis auf eine allgemeine
Diskussion zu den Vor- und Nachteilen der nationalen Regelung bzw. von
Parallel- oder Radialzonen genügen; eine Kollision mit dem Staatsvertrag kann
von vornherein nur in jenen Fällen "bewusst" oder beabsichtigt sein, in denen
anlässlich der Beratung des Bundesgesetzes die völkerrechtlichen Aspekte und
Auswirkungen ("riflessi e implicazioni"; BGE 99 Ib 39 E. 4 S. 44) resp. der
mögliche Verstoss gegen Völkerrecht eingehend thematisiert wird (vgl. z.B. die
herangezogene parlamentarische Debatte zu Fragen des Namensrechts und den
diesbezüglichen völkerrechtlichen Auswirkungen in BGE 136 III 168 E. 3.3.3 S.
171 f.; vgl. YVO HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung,
Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 30 zu Art. 190 BV; ebenso PIERRE TSCHANNEN,
Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl. 2011, § 9 N. 33;
WALTER KÄLIN, Der Geltungsgrund des Grundsatzes "Völkerrecht bricht
Landesrecht", ZBJV 124^bis /1988 S. 45, dort S. 63).
Die parlamentarischen Beratungen zu Art. 43 ZG, welche die Vorinstanz ihrer
Gutheissung zugrunde gelegt hat, beinhalten nur am Rande und kaum vertiefte
Voten zu Fragen des Normkonflikts ("Wir brauchen keine Staatsvertragsänderung
in unseren Beziehungen zu Deutschland" [Gerold Bührer, AB 2004 N 1385]). Sie
erweisen sich hinsichtlich der Folgen des Normkonflikts zudem als
BGE 138 II 524 S. 535
widersprüchlich ("Wir wissen auch, dass diese Erweiterung zwar in den [...]
Nachbarländer[n] nicht gern gesehen wird, doch haben wir die Pflicht, die
Interessen unserer eigenen landwirtschaftlichen Bevölkerung [...] zu vertreten.
Es wird daher Aufgabe des Finanzministers sein, seinen Kollegen [...] unsere
Haltung entsprechend zu kommunizieren" [Lucrezia Meier-Schatz, AB 2004 N
1385]), indem die Äusserungen gleichzeitig auch wieder die Vorrangstellung des
Staatsvertrags bestätigen ("Die Regelung hat neben den Staatsverträgen
subsidiären Charakter"; "Die vorliegende Bestimmung soll Lücken schliessen,
weil Staatsverträge nicht alle Sachverhalte regeln" [Hans-Rudolf Merz, AB 2004
N 345]; "Die Parallelzone wird als Grundsatz nur insofern eingeführt - das muss
man betonen -, als der Staatsvertrag mit dem Nachbarstaat nichts anderes
vorsieht, und sie gilt daher für die ganze Grenzzone in der Schweiz" [Lucrezia
Meier-Schatz, AB 2004 N 1385]). Eine bewusst gewollte Abweichung der
Gesetzgebung von den völkerrechtlichen Verpflichtungen in klarer
Auseinandersetzung mit den Folgen des hervorgerufenen Normverstosses lässt sich
- entgegen der pauschalen Einschätzung der Vorinstanz - aus den Materialien
demnach nicht entnehmen. Ihre diesbezüglichen Ausführungen können für den
vorliegenden Fall nicht entscheidend sein; der Vorrang des Völkerrechts ergibt
sich aus der Ermittlung des Normsinns, der Rechtsprechung und dem Zollgesetz
selbst (vgl. oben E. 4, 5.1 und 5.2).