Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 II 267



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Urteilskopf

138 II 267

21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. upc
cablecom GmbH gegen Joiz AG und Bundesamt für Kommunikation (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_790/2011 vom 22. März 2012

Regeste

Art. 93 Abs. 2 BV; Art. 59 und 60 Abs. 1 lit. a und b RTVG; Zugang zu
Verbreitungsinfrastruktur von Fernsehprogrammen ("Must-Carry"-Verpflichtungen);
Aufschaltpflicht für das Jugendprogramm "joiz".
Ausnahmsweise kann auch ein Sparten- oder Zielpublikumsprogramm in den Genuss
einer Aufschaltverfügung nach Art. 60 Abs. 1 RTVG kommen, wenn es ein
originelles und finanziell realisierbares Gesamtprogramm offeriert, das über
die bestehenden Angebote hinaus in qualitativ und quantitativ relevanter Weise
zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags für Radio und
Fernsehen beiträgt und die bestehende audiovisuelle Medienlandschaft thematisch
sinnvoll ergänzt (E. 2 und 3). Beurteilung des Jugendprogramms "joiz" (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 268

BGE 138 II 267 S. 268
Am 10. November 2010 verpflichtete das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) die
upc cablecom GmbH (früher: Cablecom GmbH), das TV-Jugendprogramm "joiz" ab dem
1. Februar 2011 "für eine Dauer von drei Jahren unentgeltlich in ihrem analogen
und digitalen Kabelnetz der Deutschschweiz zu verbreiten". Das BAKOM ging davon
aus, dass das geplante Programm "einen besonderen kulturellen Beitrag" im Sinne
des radio- und fernsehrechtlichen Leistungsauftrags erbringe und das bestehende
Angebot sinnvoll ergänze; "joiz" wolle die Zielgruppe der Jugendlichen von 15
bis 25 Jahren umfassend ansprechen. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte
diese Verfügung auf Beschwerde hin am 23. August 2011.
Das Bundesgericht weist die von der upc cablecom GmbH hiergegen eingereichte
Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio und
Fernsehen (RTVG; SR 784.40) auf den 1. April 2007 unterstehen die
Kabelnetzbetreiber bezüglich ihrer Übertragungsleistungen den
fernmelderechtlichen Bestimmungen; es gilt das Prinzip der
Technologieneutralität und der Einheitsbehandlung aller Anbieter von
Übermittlungsdiensten (vgl. MATTHIAS RAMSAUER, Die Verbreitung von
Rundfunkprogrammen nach dem revidierten Radio- und Fernsehgesetz, Jusletter 11.
Mai 2009, S. 5, 12). Sind Veranstalter und Verteiler eines Programms nicht
identisch, stellt sich die Frage nach dem Zugang zu den - trotz
Breitbandangeboten - limitierten Verbreitungskapazitäten. Dabei geht das Gesetz
davon aus, dass die Programmveranstalter und die Fernmeldedienstanbieterinnen
die Programmverbreitung in erster Linie vertraglich regeln sollen
("Verhandlungsprimat"; dazu Botschaft vom 18. Dezember 2002 zur Totalrevision
des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen, BBl 2003 1630 ff. Ziff. 1.3.8 und
2.1.3.1).

2.2 Im öffentlichen Interesse bestehen aus medienpolitischen Gründen jedoch
rundfunkrechtliche Vorgaben, welche die
BGE 138 II 267 S. 269
Wahlmöglichkeit der Fernmeldedienstanbieterinnen beschränken. Die
entsprechenden Aufschaltverpflichtungen (sog. "Must-Carry"-Rules oder
"Must-Carry"-Verpflichtungen) bezwecken, den Pluralismus und die
Meinungsfreiheit zu sichern und die Bereitstellung von als wertvoll erachteten
Programminhalten ausserhalb ökonomischer Überlegungen zu gewährleisten (vgl.
GORINI/VAN EIJK, Workshop Weiterverbreitungspflicht, in: Haben oder nicht haben
- Must-Carry-Regeln, Strassburg 2005, S. 1 ff.). Sie legen fest, welche
Programmveranstalter von einer Fernmeldedienstanbieterin von Gesetzes wegen
berücksichtigt werden müssen und zu welchen Bedingungen dies zu geschehen hat.
Programme, die in besonderem Masse zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen
Leistungsauftrags beitragen, werden dadurch in ihrer Verbreitung gesetzlich
privilegiert (vgl. RAMSAUER, a.a.O., S. 14 ff.).

2.3 Die rundfunkrechtlichen Verbreitungspflichten greifen in die
Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie der Netzbetreiber ein. Sie müssen
deshalb den Anforderungen von Art. 36 BV genügen, d.h. sie haben auf einer
gesetzlichen Grundlage zu beruhen, im öffentlichen Interesse zu liegen und
verhältnismässig zu sein; zudem dürfen sie den Kerngehalt der Grundrechte nicht
tangieren. Im Spannungsfeld der Radio- und Fernsehfreiheit der Veranstalter
(vgl. Art. 16 und 17 BV), der Erfordernisse der verfassungsrechtlichen Vorgaben
an das audiovisuelle Mediensystem (Art. 93 BV) und der Eigentumsgarantie (Art.
26 BV) bzw. der Wirtschafts- (Art. 27 BV) und Netzwerkfreiheit der
Fernmeldedienstanbieterinnen ist über die Aufschaltregeln ein möglichst
grundrechtskonformer Interessenausgleich im Einzelfall zu schaffen (so BGE 135
II 296 E. 2.1 mit Hinweisen auf die Doktrin).

2.4 Konzessionierten Veranstaltern steht eine privilegierte Zugangsberechtigung
zu Verbreitungsinfrastrukturen (Art. 59 Abs. 1 und 3 RTVG) zu. Neben der SRG,
die einen gesetzlichen Anspruch auf eine Konzession hat (Art. 25 RTVG),
betrifft dies seit dem Inkrafttreten des neuen Radio- und Fernsehgesetzes nur
noch die Veranstalter mit Leistungsauftrag (mit oder ohne Gebührenanteil [Art.
38 und 43 RTVG]). Andere private Anbieter bedürfen keiner Konzession mehr (vgl.
MARTIN DUMERMUTH, Die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes und das duale
System [nachfolgend: Revision], ZSR 125/2006 I S. 229 ff., dort 255 ff.). Für
sie besteht lediglich noch eine allgemeine Meldepflicht (Art. 3 lit. a RTVG).
Sie sind von der Bezahlung der Konzessionsabgabe befreit und können ihre
BGE 138 II 267 S. 270
Tätigkeit auf dem Markt unter vereinfachten Bedingungen aufnehmen, profitieren
umgekehrt jedoch nicht vom Zugangsrecht nach Art. 59 RTVG. Demnach sind die
Programme der SRG im Rahmen der Konzession (Abs. 1 lit. a) sowie die übrigen
Programme, "für die eine Konzession mit Leistungsauftrag besteht" (Abs. 1 lit.
a und b RTVG), im jeweiligen Versorgungsgebiet zwingend und regelmässig
unentgeltlich (vgl. Art. 59 Abs. 3 2. Satz und Abs. 5 RTVG) über Leitungen zu
verbreiten. Zudem kann der Bundesrat Programme ausländischer Veranstalter
bezeichnen, welche wegen ihres "besonderen Beitrages zur Bildung, zur
kulturellen Entfaltung oder zur freien Meinungsbildung" über ein entsprechendes
Zugangsrecht verfügen sollen (Art. 59 Abs. 2 RTVG). Er legt die Höchstzahl der
zugangsberechtigten Programme im Rahmen der technischen Möglichkeiten der
Fernmeldedienstanbieterinnen fest (Art. 59 Abs. 3 RTVG). Zur Verbreitung ist in
erster Linie diejenige Anbieterin gehalten, die im Versorgungsgebiet bereits
Programme verteilt und dabei am meisten Haushalte erreicht (Art. 59 Abs. 4
RTVG).

3.

3.1 Neben dem Zugangsrecht nach Art. 59 RTVG besteht als "Must- Carry"-Regelung
zugunsten der privaten Veranstalter ohne Leistungsauftrag die
Aufschaltverpflichtung nach Art. 60 RTVG (vgl. DUMERMUTH, Revision, a.a.O., S.
257). Danach kann das Bundesamt auf Gesuch eines Programmveranstalters hin eine
Fernmeldedienstanbieterin für eine bestimmte Dauer zur unentgeltlichen
leitungsgebundenen Verbreitung eines Programms in einem bestimmten Gebiet
anhalten, sofern (1) "das Programm in besonderem Mass zur Erfüllung des
verfassungsrechtlichen Auftrags beiträgt" (Art. 60 Abs. 1 lit. a RTVG) und (2)
"der Fernmeldedienstanbieterin die Verbreitung unter Berücksichtigung der
verfügbaren Übertragungskapazitäten sowie der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit zumutbar" erscheint (Art. 60 Abs. 1 lit. b RTVG). Der
Bundesrat legt die Höchstzahl der Programme fest (Art. 60 Abs. 2 RTVG). Zurzeit
beträgt diese für die analoge Verbreitung von Fernsehprogrammen 25 und für die
digitale Verbreitung 30 (Art. 53 lit. c und d der Radio- und Fernsehverordnung
vom 9. März 2007 [RTVV; SR 784.401]). Erbringt der Programmveranstalter die in
der Verfügung festgehaltenen Leistungen nicht mehr, kann ihm das Zugangsrecht
zum Leitungsnetz vor Ablauf der verfügten Dauer vom Bundesamt entzogen werden
(Art. 60 Abs. 3 RTVG).
BGE 138 II 267 S. 271

3.2

3.2.1 Will ein privater (nur meldepflichtiger) Programmveranstalter eine
Aufschaltung im Sinne von Art. 60 RTVG erwirken, muss er in seinem Gesuch
überzeugend darlegen, dass und inwiefern sein Angebot geeignet erscheint, einen
"besonderen" Beitrag zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags
im Sinne von Art. 93 Abs. 2 BV zu erbringen ("Outputorientierung"; vgl. zum
verfassungsrechtlichen Leistungsauftrag von Radio und Fernsehen: MARTIN
DUMERMUTH, Subjektive und objektive Elemente der Radio- und Fernsehfreiheit,
in: Kommunikation, Festschrift für Rolf H. Weber, Sethe und andere [Hrsg.],
2011, S. 667 ff., dort 693 ff.; derselbe, Revision, a.a.O., S. 230 ff.). Seine
publizistische Leistung hat eine Lücke im Programmangebot der verschiedenen
Veranstalter, d.h. des radio- und fernsehrechtlichen Mediensystems hinsichtlich
der kulturellen Entfaltung (inklusive Information und Bildung), der
meinungsvermittelnden bzw. -formenden Kommunikation und der sozialrelevanten
Unterhaltung zu schliessen bzw. zumindest derart zu ergänzen, dass ein
hinreichendes öffentliches Interesse es gesamthaft rechtfertigt, zugunsten des
Informationsaustauschs in der demokratisch-pluralistischen Gesellschaft in die
verfassungsrechtlich geschützten Positionen der belasteten
Fernmeldedienstanbieterinnen einzugreifen. Zudem muss der Veranstalter über die
hierfür erforderlichen strukturell-organisatorischen Voraussetzungen verfügen
("Inputorientierung"). Die "Input"-Faktoren der Programmproduktion - d.h. diese
finanzieren und dem Gesuch entsprechend herstellen zu können - gelten im Rahmen
von Art. 60 Abs. 1 RTVG analog (vgl. Art. 44 Abs. 1 lit. b RTVG; Verfügung des
BAKOM vom 25. Mai 2010 i.S. Rouge TV SA E. 2.2.3 und 2.2.4.1; SIMON
OSTERWALDER, Die Must Carry-Regel für die Verbreitung von Fernsehprogrammen
gemäss Art. 60 RTVG, in: Kommunikation, Festschrift für Rolf H. Weber, Sethe
und andere [Hrsg.], 2011, S. 719 ff., dort 737).

3.2.2 Nur inhaltlich als zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags
"besonders wertvoll" einzustufende Programme sollen - so der Bundesrat in
seiner Botschaft - in den Genuss einer Aufschaltverfügung nach Art. 60 RTVG
kommen und vom Status eines "Must-Carry"-Programms profitieren können (BBl 2003
1803 [zu Art. 69 E-RTVG]). Dabei dienen die programmrechtlichen Anforderungen
als "Orientierungshilfe", denen die konzessionierten Veranstalter bzw.
ausländischen Sender für ihr Zugangsrecht nach
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Art. 59 Abs. 1 und 2 RTVG zu genügen haben (BGE 135 II 296 E. 4.2.2 S. 304):
Nach Art. 38 RTVG können Konzessionen mit Leistungsauftrag und Gebührenanteil
an Veranstalter lokal-regionaler Programme erteilt werden, die ein Gebiet ohne
ausreichende Finanzierungsmöglichkeit mit Radio- und Fernsehprogrammen
versorgen, welche die lokalen oder regionalen Eigenheiten durch umfassende
Information insbesondere über politische, wirtschaftliche und soziale
Zusammenhänge berücksichtigen sowie zur Entfaltung des kulturellen Lebens im
Versorgungsgebiet beitragen. Anderen Programmveranstaltern mit
Leistungsauftrag, aber ohne Gebührenanteil, kann eine Konzession erteilt
werden, wenn (a) ihr Programm in einem Gebiet die lokalen oder regionalen
Eigenheiten durch umfassende Information insbesondere über politische,
wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge berücksichtigt sowie zur Entfaltung
des kulturellen Lebens im Versorgungsgebiet oder (b) "in einer Sprachregion"
anderweitig "in besonderem Mass zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen
Leistungsauftrags" beiträgt (Art. 43 Abs. 1 RTVG). Als ausländische Programme,
die nach Art. 59 Abs. 2 RTVG über Leitungen zu verbreiten sind, fallen nach
Art. 52 RTVV Angebote in Betracht, die einen "besonderen Beitrag zur Erfüllung
des verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags namentlich dadurch erbringen, dass
sie (a) im Rahmen aufwändiger redaktioneller Formate vertieft über
gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche oder kulturelle Phänomene
berichten; (b) künstlerischen Filmproduktionen breiten Raum gewähren; (c)
besondere redaktionelle Beiträge zur Bildung des Publikums liefern; (d)
besondere redaktionelle Beiträge für jugendliche, alte oder sinnesbehinderte
Menschen ausstrahlen oder (e) regelmässig schweizerische Beiträge ausstrahlen
bzw. sich regelmässig mit schweizerischen Themen befassen".

3.2.3 Hieraus ergibt sich, dass die Aufschaltpflicht nach Art. 60 Abs. 1 lit. a
RTVG nicht nur einzelne Sendungen voraussetzt, die geeignet sind, im normalen
Rahmen (auch) einen Beitrag zur Information der Zuschauer oder zur kulturellen
Entfaltung (etwa Musik[werbe]sendungen) zu erbringen (BGE 135 II 296 E. 4.3 S.
306), sondern ein originelles und finanziell realisierbares Gesamtprogramm
erforderlich ist, das über die bestehenden Angebote hinaus in qualitativ und
quantitativ relevanter Weise zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags
beiträgt und die bestehende audiovisuelle Medienlandschaft thematisch sinnvoll
ergänzt und bereichert ("Mehrwert"-Erfordernis; BGE 135 II 296 E. 4.3 S. 306).
Dabei muss
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es sich beim aufschaltberechtigten Angebot nicht um ein "Vollprogramm" handeln:
Auch ein Sparten- (bspw. Nachrichtenkanal) oder ein Zielpublikumsprogramm kann,
wie die Vorinstanzen zu Recht festgestellt haben, die entsprechenden
Voraussetzungen erfüllen und einen wesentlichen, einen Mehrwert darstellenden
Beitrag an die Realisierung des verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags durch
das elektronische Mediensystem erbringen. Zwar weist die Parallelität zu Art.
38 bzw. 43 RTVG, die jeweils sachbedingt eine umfassende Information über die
lokalen oder regionalen Zusammenhänge voraussetzen, eher auf die Natur eines
(lokalen) Vollprogramms hin; die Kriterien für ausländische
"Must-Carry"-Programme unterstreichen jedoch, dass die dort genannten Mehrwerte
- namentlich spezifische redaktionelle Programme für Jugendliche (vgl. Art. 52
Abs. 1 lit. d RTVV) - für sich selber und losgelöst von einem solchen unter
Umständen ebenfalls eine Aufschaltpflicht im Rahmen von Art. 60 Abs. 1 RTVG zu
rechtfertigen vermögen.

3.2.4 Der besondere Beitrag an den verfassungsmässigen Leistungsauftrag kann
jedoch nur ausnahmsweise anerkannt werden, da andernfalls - wie die
Beschwerdeführerin zu Recht einwendet - in der heutigen heterogenen
Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen praktisch
keine sinnvollen Abgrenzungen mehr definiert werden können. In diesem Sinn sind
die an sich richtigen, aber zu weitgehenden Überlegungen des Bundesamts zu
relativieren, wonach für den Erlass einer Aufschaltverfügung jeweils nicht die
Art des Programms (Voll-, Zielgruppen- oder Spartenprogramm), sondern
ausschliesslich der Umfang und die Qualität des Beitrags an den
verfassungsrechtlichen Auftrag entscheidend seien. Der Umfang und die Qualität
des Beitrags an den Leistungsauftrag definieren sich auch aufgrund der Art des
Programms: Die Aufschaltung eines Zielgruppenprogramms - vor allem im analogen
Bereich - kann dazu führen, dass weiteren Aufschaltgesuchen für Programme,
welche die gleiche Zielgruppe ansprechen, nicht mehr stattgegeben werden kann,
weil das entsprechende Bedürfnis durch die bestehenden Programme hinreichend
abgedeckt erscheint. Die Möglichkeiten einer analogen Programmverbreitung sind
beschränkter als jene einer digitalen, weshalb typische Spartenprogramme,
welche ein spezifisches Publikum ansprechen und keine gesellschaftlichen
Querschnittsprobleme behandeln (bspw. Jäger und Fischer usw.), nicht ohne Not
im Rahmen von Art. 60 RTVG mittels eines Eingriffs in die
verfassungsrechtlichen Positionen der
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Fernmeldedienstanbieterinnen zwangsweise auf Kosten eines (ein breiteres
Publikum ansprechenden) Vollprogramms verbreitet werden sollen. Für sie eignet
sich die digitale Ausstrahlung; in der Regel dürfte das entsprechende
Zielpublikum denn auch bereit sein, den sich aus dem Spartenprogramm für seine
Bedürfnisse ergebenden publizistischen Mehrwert durch höhere Kosten für den
digitalen Empfang abzugelten. Die Aufschaltverpflichtung von Art. 60 RTVG ruft
im Rahmen des Leistungsauftrags nach einem medialen Interesse am entsprechenden
Programmangebot seitens der Öffentlichkeit bzw. der Allgemeinheit ; es geht
darum, nicht konzessionierten Programmen von einer gewissen redaktionellen
Qualität Zugang zu analogen oder digitalen Verbreitungsinfrastrukturen zu
verschaffen, damit ihr im allgemeinen, öffentlichen Interesse liegender
besonderer Beitrag zum Leistungsauftrag den Weg zu einer genügenden Anzahl
Endkunden findet (vgl. OSTERWALDER, a.a.O., S. 731).

4.

4.1

4.1.1 Wenn die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, dass der Jugendsender
"joiz" in diesem Sinn allgemein in besonderem Mass zur Erfüllung des
verfassungsrechtlichen Auftrags beiträgt, weshalb es sich rechtfertigt, ihn
zwangsweise aufschalten zu lassen, haben sie sich im Rahmen des ihnen
diesbezüglich zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten (vgl. hierzu BGE 135
II 296 E. 4.4.3 mit Hinweisen) und kein Bundesrecht verletzt: Im Programm
"joiz" wenden sich junge Fernsehmacher und Präsentatorinnen bzw. Präsentatoren
im nicht-fiktionalen Bereich mit "jungen" Themen an ein "junges" Publikum. Von
Montag bis Freitag werden täglich dreieinhalb Stunden "neues" Programm (davon
zwei Stunden "live") produziert. Neben einem musikalischen Schwerpunkt
behandelt "joiz" im Rahmen verschiedener Sendegefässe querschnittsweise in
einer unkonventionellen Art zahlreiche Themen, welche ein spezifisch
jugendliches Publikum bewegen. Zwar decken auch andere Veranstalter solche
Bedürfnisse ab, jedoch nicht in der gleichen umfassenden Weise. Das Programm
von "joiz" zeichnet sich im Vergleich zu ähnlichen Angeboten (etwa MTV oder
StarTV) durch zahlreiche Eigenformate aus, wobei Inhalt und Machart des
Programms dank der Zusammenarbeit mit Jugendverbänden und -beratungsstellen
eine für das Mediensystem interessante Originalität (und Provokation)
aufweisen. "joiz" strahlt tägliche Livesendungen mit Talkgästen, Konzert-Jams
mit Musikern und Lifestyle-Formaten aus, wobei
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das Publikum per Webcam, Facebook, Twitter oder Skype unmittelbar in die
Programmgestaltung eingreifen kann. Es kommt seinem Programm mit Blick auf die
künftige Art von Fernsehkonsum (interaktives Fernsehen), Kommunikation und
Mediengebrauch auch ein gewisser experimenteller Charakter zu, der beim
besonderen Beitrag an den verfassungsrechtlichen Leistungsauftrag
mitberücksichtigt werden darf. Für ein weiteres Publikum illustriert das
Programm generationenübergreifend ein Abbild der Interessen, Sorgen und
Anliegen der jungen Generation.

4.1.2 Das Programm unterscheidet sich damit klar von Angeboten, die sich
schwerpunktmässig auf Call-in-Sendungen mit kostenpflichtigen Anrufen oder
Erotik-Werbeblöcken konzentrieren (vgl. BGE 135 II 296 E. 4.1 S. 303). Es
beschränkt sich - entgegen der Einschätzung der Beschwerdeführerin - auch nicht
auf das Abspielen von vorfabrizierten (Musik-)Videos, Trailern oder anderen
eingekauften Produktionen ohne eigenen Mehrwert, was im Rahmen von Art. 60 RTVG
nicht spezifisch schutzwürdig wäre und nicht als "qualitative Ergänzung zu
massenattraktiven Unterhaltungsprogrammen" gelten könnte (vgl. BBl 2003 1637):
In der Sendung "noiz" (Montag bis Freitag 17.00-17.30 Uhr) werden die
Schlagzeilen des Tages aufgegriffen und von den Moderatoren und dem Publikum
per Social-Media-Plattformen kommentiert. "My joiz" (Montag-Freitag 18.30-19.00
Uhr) ist seinerseits ein interaktives Musikclip- Wunsch-Format. Beim
Sendegefäss "JoiZone" (Montag-Freitag; 19.00-19.30 Uhr) handelt es sich um eine
interaktive Ratgebersendung rund um die Themen "Liebe und Sexualität",
"Digitale Welt", "Beruf, Aus- und Weiterbildung", "Umwelt, Politik und soziale
Themen" bzw. "Ernährung, Gesundheit und Fitness". Im Rahmen der Sendung "Living
Room" (Montag/Dienstag bzw. Donnerstag/Freitag 17.30-18.30 Uhr) ist jeweils ein
bekannter Musiker, eine Band, ein Schauspieler usw. zu Gast im Studio, wobei
das Publikum die entsprechenden Personen näher kennenlernt und ihnen per
Videoeinspielung (live oder vorproduziert) Fragen stellen und die Richtung des
Gesprächs mitprägen kann. In der Sendung "Home Run" (Mittwoch 17.30-18.30 Uhr)
wird das heimische Musikschaffen thematisiert: Schweizer Musiker sprechen über
ihr Arbeiten und musizieren direkt "unplugged". Im Rahmen von "KnackAttack"
(Montag 17.30-18.30 und 19.30-20.30 Uhr) führt "Knackboul" durch Live-Talk und
Musik-Jam-Sessions mit Show-Gästen. Bei "Kochen mit Shibby" (Mittwoch
19.30-20.00 Uhr) erfährt das Publikum etwa,
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wie mit wenig Geld bzw. dem was im Kühlschrank einer Wohngemeinschaft (WG)
greifbar ist, ein gesundes Essen gekocht werden kann.

4.1.3 Gestützt auf dieses Programmangebot, welches inhaltlich weitgehend den
Angaben der Veranstalterin im Verfahren vor dem BAKOM entspricht, auch wenn die
einzelnen Sendungen inzwischen anders bezeichnet werden, kann mit dem
Bundesverwaltungsgericht gesagt werden, dass "joiz", welches ein Schwergewicht
beim einheimischen Musikschaffen und bei jugendspezifisch umgesetzten
allgemeinen Themen setzt, ein originelles, neuartiges Gesamtprogramm für eine
in diesem Medium bisher eher wenig berücksichtigte Bevölkerungsgruppe bietet
und damit die TV-Landschaft bereichert. Das Programm der Beschwerdeführerin ist
geeignet, einen massgeblichen Aspekt des Leistungsauftrags umfassender
abzudecken, als dies bisher der Fall war. "joiz" trägt somit - gesamthaft
betrachtet - sowohl in kultureller Hinsicht wie bezüglich der informierenden
Inhalte in "besonderem Mass" zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen
Leistungsauftrags bei, zumal wenn bei der entsprechenden Einschätzung Art. 67
BV mitberücksichtigt wird, welcher vorsieht, dass der Bund und die Kantone bei
der Erfüllung ihrer Aufgaben (und damit auch bei gestaltenden Entscheiden
hinsichtlich der Medienlandschaft) "den besonderen Förderungs- und
Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen" Rechnung tragen. Dieser
Feststellung tut - entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin - der Umstand
kein Abbruch, dass die einzelnen Sendungen (auch mehrmals) wiederholt werden;
selbst bei konzessionierten Veranstaltern wird dies hingenommen. Schon aus
finanziellen Gründen ist es nicht möglich, über Stunden hinweg eigene
Programminhalte zu produzieren und auf Wiederholungen zu verzichten. Soweit die
Beschwerdeführerin darauf hinweist, dass auch für ein jugendliches Publikum das
(schweizerische) Musikschaffen durch das Radio hinreichend abgedeckt sei (etwa
DRS 3, Radio "Virus" oder "Radio 105"), verkennt sie, dass der akustische
Genuss von Musik deren optische (künstlerische) Umsetzung als audiovisuelles
Werk nicht zu ersetzen vermag; dieser kommt medienspezifisch eigenständige
Bedeutung zu. Ein im Radio bestehendes Angebot schliesst nicht aus, dass ein
ähnlich ausgerichtetes Fernsehprogramm in den Genuss eines Aufschaltprivilegs
kommt, insbesondere wenn das entsprechende Programm - wie hier - stark
crossmedial ausgerichtet ist, was sich beim Fernsehen aufgrund der visuellen
Elemente wesentlich effizienter umsetzen lässt als im Radio.
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4.2

4.2.1 Zu Unrecht kritisiert die Beschwerdeführerin, dass die ihr auferlegte
Aufschaltverpflichtung unverhältnismässig sei bzw. unter der Berücksichtigung
der verfügbaren Übertragungskapazitäten sowie ihrer wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit unzumutbar erscheine: Mit der Aufschaltverpflichtung soll
sichergestellt werden, dass ein im öffentlichen Interesse aufschaltwürdiges
Programm sein Publikum möglichst umfassend erreicht. Die Beschwerdeführerin
versorgt nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz insgesamt rund
1,5 Mio. TV-Haushalte, wovon Ende 2010 bloss ein Drittel (rund 465'000) vom
digitalen Angebot Gebrauch machte. Zwar nimmt die Bedeutung des digitalen
Fernsehens je länger je mehr zu und ist die Reichweite von "joiz" tatsächlich
höher, da dieses auch über Swisscom TV und andere Verbreitungskanäle digital
empfangen werden kann; nach wie vor ist ein wesentlicher Teil der Haushalte
aber nur über das analoge Kabelfernsehen erreichbar, weshalb es weiterhin
notwendig erscheint, dass ein grundsätzlich die Voraussetzungen von Art. 60
Abs. 1 lit. a RTVG erfüllendes Programm auch analog verbreitet wird (zum
versorgungspolitischen Charakter des analogen Programmangebots: RAMSAUER,
a.a.O., S. 17). Das digitale Programmangebot ist für die Konsumenten mit
zusätzlichen Kosten verbunden, was beim hier anvisierten Zielpublikum nicht
ohne Bedeutung ist, da die Jugendlichen die Art des Fernsehkonsums im
elterlichen Haushalt nur beschränkt beeinflussen können. Schliesslich fällt es
erfahrungsgemäss nicht immer leicht, Analogkunden zum Wechsel auf die
Digitaltechnik zu motivieren (vgl. THOMAS ROUKENS, Weiterverbreitung in der EU
heute, in: Haben oder nicht haben - Must-Carry-Regeln, Strassburg 2005, S. 7
ff., dort S. 20).

4.2.2 Der Beschwerdeführerin ist zuzugestehen, dass mit der Aufschaltpflicht in
ihre verfassungsmässig geschützten Positionen eingegriffen wird. Ihr
wirtschaftliches Interesse, nicht ein seit den Anfängen des Kabelfernsehens in
der Deutschschweiz verbreitetes Programm aus dem analogen Programm entfernen zu
müssen und dieses weiterhin nach Einschaltquoten und Beliebtheitsreichweiten
zusammenstellen zu können, hat indessen hinter das medienpolitische Interesse
an einer möglichst flächendeckenden Verbreitung des Programms der
Beschwerdegegnerin zurückzutreten: Der von ihr zur Abschaltung im analogen Netz
vorgesehene Sender BR 3 kommt auf einen Marktanteil von etwa einem Prozent,
womit sich
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seine Bedeutung in Grenzen hält und kaum davon auszugehen ist, dass die
entsprechende Massnahme dazu führen wird, dass zahlreiche Kunden ihren
Anschluss auflösen werden. Im Übrigen weist die Vorinstanz zu Recht darauf hin,
dass auch die Zielgruppe des Programms der Beschwerdegegnerin Kunden der
Beschwerdeführerin sind bzw. bei der Gründung eines eigenen Haushalts noch
werden dürften.

4.2.3 Die Beschwerdeführerin kritisiert, die vom Bundesrat festgelegte
Höchstzahl von bis zu 25 zu verbreitenden Fernsehprogrammen (bei 35
verfügbaren) im analogen Netz sei zu hoch und verfassungswidrig. Wie es sich
damit verhält, braucht hier nicht abschliessend geprüft zu werden: Vorliegend
geht es erst um den achtzehnten "Must-Carry"-Sender; die hiermit im
öffentlichen Interesse verbundene Beschränkung ihrer verfassungsmässigen Rechte
hält sich - auch bei Berücksichtigung der von ihr hinzunehmenden
Gesamtbelastung - noch im Rahmen des verfassungsrechtlich Vertretbaren. Die
Beschwerdeführerin übersieht, dass sich unter den "Must-Carry"-Programmen auch
solche befinden, die sie aufgrund der Einschaltquoten selbst ohne die
entsprechende öffentlich-rechtliche Verpflichtung im Rahmen ihrer
unternehmerischen Freiheit analog verbreiten würde (SF 1, SF 2, ARD, ORF usw.),
sodass die von ihr angerufenen absoluten Zahlen nur beschränkt aussagekräftig
sind. Ergänzend ist schliesslich darauf hinzuweisen, dass zurzeit eine Änderung
der Radio- und Fernsehverordnung diskutiert wird, welche künftig eine Reduktion
der analogen Verbreitungspflichten nach sich ziehen würde. Das Departement für
Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) schlägt vor, dass eine
Fernmeldedienstanbieterin, welche für die Verbreitung von Programmen
verschiedene Technologien einsetzt, in jener Technologie teilweise oder ganz
auf die Verbreitung verzichten kann, die vom Publikum nur in geringem Ausmass
genutzt wird; dabei wird es den massgeblichen Grenzwert, die Programme, für
welche die Verbreitungspflicht aufgehoben wird, sowie die Übergangsfristen
festsetzen (Entwurf zu Art. 54 Abs. 1 bis RTVV; vgl. die Medienmitteilung des
BAKOM "Anhörung zur Teilrevision der Radio- und Fernsehverordnung vom 16.
Februar 2012" und den erläuternden Bericht des UVEK dazu vom gleichen Tag). Die
Regelung bezweckt, die Digitalisierung zu fördern (vgl. auch BGE 135 II 296 E.
4.4.2 S. 307) und die aus der Aufschaltpflicht im analogen Bereich erwachsende
Wettbewerbsverzerrung zwischen Fernmeldedienstanbieterinnen,
BGE 138 II 267 S. 279
die - wie die Beschwerdeführerin - seit jeher analog verbreitet haben, und
deren Konkurrentinnen aus dem Telecombereich (z.B. Swisscom TV) abzubauen bzw.
zu beseitigen (Erläuternder Bericht S. 2 f.). Der entsprechenden politischen
Diskussion ist hier nicht vorzugreifen. Es rechtfertigt sich deshalb mit Blick
auf die technische Entwicklung auch nicht, die angeordnete Aufschaltpflicht auf
zwei Jahre zu beschränken, wie dies die Beschwerdeführerin subsidiär beantragt.