Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 II 239



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Urteilskopf

138 II 239

19. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. Inc.
gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
2C_638/2010 vom 19. März 2012

Regeste

Art. 5, 19 Abs. 1 und 3, Art. 38 Abs. 3 MWSTG 1999; Mehrwertsteuer;
Steuerumgehung; Halten eines Privatflugzeugs durch eine Aktiengesellschaft.
Leistungsaustausche zwischen nahestehenden Personen: Leistungen gegenüber
nahestehenden Personen sind mit Bezug auf das Steuerobjekt nicht anders zu
behandeln als Leistungen gegenüber unabhängigen Dritten (E. 3).
Die von der Rechtsprechung zur Steuerumgehung entwickelten Grundsätze finden
auch bei der Mehrwertsteuer Anwendung (E. 4.1 und 4.2). Vorliegend ist eine
geschäftliche Nutzung des Flugzeugs nicht nachgewiesen und erfolgte die
Anmeldung der Aktiengesellschaft als Mehrwertsteuerpflichtige einzig in der
Absicht, bei minimaler steuerlicher Belastung sich den Vorsteuerabzug auszahlen
zu lassen. Steuerumgehung bejaht (E. 4.3 und 4.4).

Sachverhalt ab Seite 240

BGE 138 II 239 S. 240
Bei der X. Inc. handelt es sich um eine Gesellschaft nach der Gesetzgebung der
Cayman Islands mit exempted-Status (exempted company limited by shares) mit
Sitz in George Town, Grand Cayman. Sie verfügt über kein Personal. Einziger
Geschäftsführer der Gesellschaft ist M. von der N. AG, Steuer- und
Unternehmensberatung, in Zug. Die Gesellschaft wurde mit Wirkung ab 1. November
2000 als Mehrwertsteuerpflichtige bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung
registriert. Gemäss den Angaben auf dem Fragebogen zur Mehrwertsteuerpflicht
bezweckt die Gesellschaft die Vercharterung von Flugzeugen.
Am 24. April 2001 führte die X. Inc. ein Flugzeug der Marke und des Typs
Bombardier Learjet 31A in die Schweiz ein und bezahlte darauf die Einfuhrsteuer
von Fr. 800'579.95. In der Mehrwertsteuerabrechnung für das 2. Quartal 2001
machte sie die Einfuhrsteuer zum Vorsteuerabzug geltend. Bereits zuvor, am 7.
März 2001, hatte die X. Inc. mit der O. Ltd., Zürich, einen
Aircraft-Management-Vertrag ("Service Agreement") geschlossen. Darin
verpflichtete sich die O. Ltd. gegen ein entsprechendes Entgelt zur Erbringung
sämtlicher Leistungen, die mit dem Betrieb des Flugzeugs anfallen. Die X. Inc.
machte für die ihr von der O. Ltd. in Rechnung gestellten Leistungen wiederum
den Vorsteuerabzug geltend.
In der Folge verlangte die Eidgenössische Steuerverwaltung bei der X. Inc.
verschiedene Unterlagen ein und führte bei deren Geschäftsführer eine Kontrolle
durch. Mit Ergänzungsabrechnung vom 25. Februar 2004 belastete sie der X. Inc.
die gesamten geltend gemachten Vorsteuern im Betrag von Fr. 870'298.- zurück.
Diese Rückbelastung bestätigte die Eidgenössische Steuerverwaltung mit
Entscheid vom 9. Mai 2006 und Einspracheentscheid vom 6. August 2008. Sie
begründete das im Wesentlichen damit, dass das Flugzeug ausschliesslich durch
A. benutzt worden sei, aber jeglicher Nachweis fehle, dass dieser die
entsprechenden Rechnungen der X. Inc. auch beglichen habe. Die geltend
gemachten Vorsteuern seien offensichtlich nicht in steuerbare Ausgangsumsätze
geflossen; damit sei der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Sodann müsse auch von
einer Steuerumgehung ausgegangen werden.
BGE 138 II 239 S. 241
Eine Beschwerde der X. Inc. gegen den Einspracheentscheid wies das
Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 11. Juni 2010 im Ergebnis ab. Das
Bundesverwaltungsgericht begründete seinen Entscheid im Wesentlichen damit, es
liege eine Steuerumgehung vor. Der Durchgriff auf den wirtschaftlich
Berechtigten, A., bewirke, dass keine Mehrwertsteuer geschuldet sei und keine
Vorsteuer zurückverlangt werden könne, da dieser nicht mehrwertsteuerpflichtig
sei.
Die X. Inc. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Zu beurteilen ist hier die Mehrwertsteuer der Jahre 2001 bis 2003. Gemäss
Art. 112 Abs. 1 und 2 des am 1. Januar 2010 in Kraft getretenen Bundesgesetzes
vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG; SR 641.20) finden daher in
materieller Hinsicht noch das alte Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die
Mehrwertsteuer (aMWSTG; AS 2000 1300) und die zugehörigen
Ausführungsbestimmungen Anwendung.

3.2 Gemäss Art. 5 aMWSTG unterliegen - abgesehen von der Steuer auf dem
Eigenverbrauch - nur die gegen Entgelt erbrachten Lieferungen und
Dienstleistungen der Mehrwertsteuer. Damit ein steuerbarer Umsatz vorliegt, ist
ein Austausch von Leistungen notwendig. Die Leistung, welche der Unternehmer
erbringt, ist entweder eine Lieferung oder eine Dienstleistung. Die
Gegenleistung besteht im Entgelt. Nach Art. 33 Abs. 1 aMWSTG wird die Steuer
vom Entgelt berechnet. Zwischen Leistung und Gegenleistung muss zudem eine
innere wirtschaftliche Verknüpfung gegeben sein in dem Sinn, dass die Leistung
eine Gegenleistung auslöst (BGE 126 II 443 E. 6a S. 451; BGE 132 II 353 E. 4.1
S. 357; Urteil 2A.334/2003 vom 30. April 2004 E. 2.1, in: ASA 75 S. 234). Ein
Leistungsaustausch ist auch zwischen nahestehenden Personen möglich. Leistungen
gegenüber nahestehenden Personen sind mit Bezug auf das Steuerobjekt nicht
anders zu behandeln als Leistungen gegenüber unabhängigen Dritten. Das ergibt
sich aus dem Begriff des Leistungsaustausches bei Lieferungen und
Dienstleistungen im Sinne der Artikel 5 ff. aMWSTG, welche diesbezüglich keine
Ausnahme oder abweichende Behandlung vorsehen.
BGE 138 II 239 S. 242

3.3 Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid offengelassen, ob zwischen der
Beschwerdeführerin und A. tatsächlich ein mehrwertsteuerlicher
Leistungsaustausch stattgefunden habe. Es steht jedoch verbindlich (vgl. nicht
publ. E. 2) fest, dass die Beschwerdeführerin gegenüber A. Leistungen erbracht
hat, indem sie ihm das Flugzeug zur Verfügung stellte. Die für den Betrieb und
den Unterhalt des Flugzeuges notwendigen Dienstleistungen bezog sie dabei von
der O. Ltd. im Inland im Rahmen eines "Service Agreements". Es handelt sich bei
den von der Beschwerdeführerin ihrem Aktionär erbrachten Leistungen um Umsätze
im mehrwertsteuerrechtlichen Sinn (Art. 5 ff. aMWSTG). Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung wäre von einer Entgeltlichkeit
beziehungsweise von einem Austauschverhältnis selbst dann auszugehen, wenn zwar
überhaupt kein Entgelt bezeichnet und bezahlt wird, jedoch die Leistung, die
dem nahestehenden Dritten erbracht wird, üblicherweise nur gegen Entgelt
erhältlich ist (vgl. Urteil 2A.264/2006 vom 3. September 2008 E. 5.3, in: ASA
78 S. 600, mit weiteren Hinweisen). Vorliegend ist darüber hinaus erstellt,
dass die Beschwerdeführerin gegenüber A. die erbrachten Leistungen fakturierte.
Es kann daher grundsätzlich von einem Leistungsaustausch ausgegangen werden,
und zwar unabhängig davon, ob die Flüge zu geschäftlichen oder zu privaten
Zwecken des Leistungsempfängers erfolgten (vgl. Urteil 2C_632/2007 vom 7. April
2008 E. 2, in: ASA 77 S. 354).

3.4 Solche Leistungen unterliegen der Mehrwertsteuer aber nur, wenn sie im
Inland erbracht werden (Art. 5 lit. a und b aMWSTG).
Handelt es sich bei den von der Beschwerdeführerin erbrachten Leistungen um
Beförderungs(dienst)leistungen, ist Art. 14 Abs. 2 lit. b aMWSTG zu beachten.
Nach dieser Vorschrift gilt als Ort von Beförderungsleistungen das Land, in dem
eine zurückgelegte Strecke liegt. Steuerbar sind daher nur die auf das Inland
entfallenden Streckenteile. Die im Ausland zurückgelegten Streckenteile sind
der schweizerischen Mehrwertsteuer nicht unterworfen. Grenzüberschreitende
Beförderungen im Luftverkehr, d.h. solche, bei denen entweder der Ankunfts-
oder der Abflugsort im Inland liegt, sind indessen - auch was den inländischen
Streckenanteil betrifft - von der Steuer befreit (Art. 19 Abs. 3 aMWSTG in
Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 29. März 2000 zum aMWSTG
[aMWSTGV; AS 2000 1347]). Es handelt sich dabei um eine echte Steuerbefreiung,
weil die Vorsteuer abgezogen werden kann (Art. 19 Abs. 1 aMWSTG). Das Recht auf
Vorsteuerabzug besteht bei grenzüberschreitender Beförderung auch für den auf
das Ausland
BGE 138 II 239 S. 243
entfallenden, der hiesigen Mehrwertsteuer nicht unterliegenden Streckenteil.
Das ergibt sich aus Art. 38 Abs. 3 aMWSTG, wonach der Steuerpflichtige die
Vorsteuern auch abziehen kann, wenn er die Gegenstände oder Dienstleistungen
für Tätigkeiten verwendet, die steuerbar wären, wenn sie im Inland bewirkt
würden (vgl. zum Ganzen die Urteile 2C_632/2007 vom 7. April 2008 E. 2, in: ASA
77 S. 354, und 2A.55/1999 vom 23. Januar 2001 E. 4a, in: ASA 71 S. 564). Das
trifft bei den hier streitigen Leistungen zu. Der für den Vorsteuerabzug
erforderliche Konnex zwischen den Beförderungsleistungen und den
steuerbelasteten Vorleistungen wäre vorliegend somit gegeben.
Ginge es demgegenüber bei der Überlassung des Flugzeugs durch die
Beschwerdeführerin an A. um eine Vercharterung (oder Vermietung), so wäre die
Überlassung des in die Schweiz eingeführten und hier immatrikulierten Flugzeugs
zum Gebrauch oder zur Nutzung eine in der Schweiz steuerbare oder allenfalls
steuerbefreite Lieferung, Letzteres wenn das Flugzeug überwiegend für Flüge im
Ausland eingesetzt würde (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. b, Art. 13 lit. a, Art. 19
Abs. 2 Ziff. 2 aMWSTG; Urteil 2A.314/1998 vom 27. Februar 2001 E. 2b, in: ASA
73 S. 316). Auch unter dieser Hypothese bestünde aber ein Zusammenhang (Konnex)
zwischen den Vercharterungsleistungen und den von der Beschwerdeführerin
steuerbelastet bezogenen Vorleistungen und wäre der Vorsteuerabzug zulässig.

4. Es stellt sich jedoch die Frage einer Steuerumgehung.

4.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 131 II 627 E. 5.2 S.
635 f.; Urteile 2A.470/2002 vom 22. Oktober 2002 E. 4.1 und 5.1, in: StR 59/
2004 S. 127; 2A.580/2000 vom 12. Juli 2001 E. 2c, in: StE 2001 A 12 Nr. 10; je
mit Hinweisen) wird eine Steuerumgehung angenommen, wenn (1.) eine von den
Beteiligten gewählte Rechtsgestaltung als ungewöhnlich (insolite), sachwidrig
oder absonderlich, jedenfalls den wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig
unangemessen erscheint, (2.) anzunehmen ist, dass die gewählte Rechtsgestaltung
missbräuchlich lediglich deshalb getroffen wurde, um Steuern einzusparen, die
bei sachgemässer Ordnung der Verhältnisse geschuldet wären, und (3.) das
gewählte Vorgehen tatsächlich zu einer erheblichen Steuerersparnis führen
würde, sofern es von den Steuerbehörden hingenommen würde. Entgegen der in der
neuen Literatur geäusserten Ansicht (vgl. anstelle vieler, PETER LOCHER,
Rechtsmissbrauchsüberlegungen im Recht der direkten Steuern der Schweiz, ASA 75
S. 675 f., insb. 680; RENÉ MATTEOTTI, Der Durchgriff bei von Inländern
beherrschten
BGE 138 II 239 S. 244
Auslandgesellschaften im Gewinnsteuerrecht, 2003, S. 188 ff.) ist an diesen
Kriterien festzuhalten. Zwar ist mit der neueren Lehre festzustellen, dass
Steuerumgehung - im Sinne einer rechtsmissbräuchlichen Anrufung des als
massgeblich geltenden Sinnes einer Norm (vgl. dazu BGE 131 II 562 E. 3.5 S. 568
und BGE 129 III 656 E. 4.1 S. 657 f.) - nur in ganz ausserordentlichen
Situationen in Frage kommt, d.h. wenn trotz Heranziehung des Normsinnes als
Auslegungsschranke eine Besteuerung oder eine Steuerbefreiung nicht möglich
ist, das Gesetz also angewendet werden kann, das Ergebnis aber aufgrund der
konkreten Ausgestaltung des Sachverhalts in hohem Masse als stossend erscheint
bzw. einer Willkür gleichkäme (LOCHER, a.a.O., S. 694; MARKUS REICH,
Steuerrecht, 2. Aufl. 2012, § 6 N. 47 S. 149). Wird das Vorliegen einer
Steuerumgehung mit dieser Gewichtung geprüft, so stellen die genannten
Kriterien einen tauglichen Prüfraster für die Abgrenzung von der steuerlich zu
akzeptierenden Steuervermeidung dar. Was die Beurteilung der gewählten
Rechtsgestaltung, das sog. objektive Element, betrifft, ist daher das Gewicht
auf die völlige Unangemessenheit zu legen. Das heisst, für die Annahme einer
Steuerumgehung muss eine Sachverhaltsgestaltung vorliegen, die - wenn man von
den steuerlichen Aspekten absieht - jenseits des wirtschaftlich Vernünftigen
liegt (vgl. REICH, a.a.O., § 6 N. 20 S. 141). Das sog. subjektive Element
spielt insofern eine entscheidende Rolle, als die Annahme einer Steuerumgehung
ausgeschlossen bleibt, wenn andere als blosse Steuerersparnisgründe bei der
Rechtsgestaltung eine relevante Rolle spielen. Wird der Anwendung der
Steuerumgehung das rechtsmissbräuchliche Anrufen einer Norm zugrunde gelegt, so
kann die zweckwidrige, ohne schützenswertes Interesse erfolgende Rechtsausübung
nicht unbeachtet bleiben.
Was schliesslich das sog. effektive Element anbelangt, ist zu beachten, dass
der Steuerpflichtige grundsätzlich frei ist, wie er seine Rechtsverhältnisse
gestalten will, und dass bei rechtsmissbräuchlicher Gestaltung dann
eingegriffen werden soll, wenn diese andernfalls tatsächlich Wirkung entfalten
würde. Nicht zu prüfen ist im Kontext der Steuerumgehung, wie zu verfahren ist,
wenn die Anwendung einer Norm zu einer Steuerübertreibung führen würde, die als
krasser Verstoss gegen die Steuergerechtigkeit und damit als willkürlich
qualifiziert werden müsste (anders beispielsweise LOCHER, a.a.O., S. 694 und
MATTEOTTI, a.a.O., S. 189, welche bei ihren Überlegungen Rechtsmissbrauch und
Willkür gleichsetzen und darauf basierend von der Annahme einer unechten Lücke
sprechen,
BGE 138 II 239 S. 245
welche vom Rechtsanwender geschlossen werden darf [und dann wohl auch
geschlossen werden muss]).
Ob die Voraussetzungen für die Annahme einer Steuerumgehung erfüllt sind, ist
aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Wird eine
Steuerumgehung bejaht, ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung der
Besteuerung die Rechtsgestaltung zugrunde zu legen, die sachgemäss gewesen
wäre, um den erstrebten wirtschaftlichen Zweck zu erreichen. Entgegen in der
Literatur geäusserten Meinungen (vgl. beispielsweise LOCHER, a.a.O., S. 680 und
696) erscheint eine solche Sachverhaltsfiktion als unproblematisch, wird doch
lediglich die formale privatrechtliche Ausgestaltung des Sachverhalts negiert
bzw. fingiert, unverändert bleibt jedoch der Sachverhalt mit Bezug auf seine -
für die Beurteilung massgebenden - wirtschaftlichen Auswirkungen (vgl. REICH,
a.a.O., § 6 N. 24).

4.2 Entgegen der Auffassung von PIERRE-MARIE GLAUSER (Evasion fiscale et
interprétation économique en matière de TVA [nachfolgend: Evasion], ASA 75 S.
727 ff.) besteht kein hinreichender Grund, diese Regeln nicht auch bei der
Mehrwertsteuer anzuwenden (s. Urteile 2C_742/2008 vom 11. Februar 2009 E. 5.5
f., in: ASA 79 S. 260; 2C_632/2007 vom 7. April 2008 E. 4.2, in: ASA 77 S. 354;
2A.61/2006 vom 29. November 2006 E. 3.1 und 3.2, in: StR 62/2007 S. 586,
Zusammenfassung). In BGE 132 II 353 E. 10 S. 369 f. hat das Bundesgericht den
Fall der Steuerumgehung ausdrücklich vorbehalten, ebenso im Urteil 2A.748/2005
vom 25. Oktober 2006 E. 3.5 (in: StR 62/2007 S. 234, Zusammenfassung). Dieser
bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist Kritik erwachsen, wobei auf
grundsätzliche Überlegungen in der Literatur verwiesen wurde, wonach eine
Steuerumgehung nur dort in Frage komme, wo sich die Steuernorm auf das
Zivilrecht stütze, was im Bereich der Mehrwertsteuer nicht der Fall sei, da
diese hauptsächlich auf wirtschaftlichen Konzepten beruhe (vgl. BÉATRICE BLUM,
Steuerumgehung bei der Mehrwertsteuer - Halten eines Flugzeuges in einer
"Briefkastengesellschaft", in: Entwicklungen im Steuerrecht, 2009, S. 343 ff.,
bes. 347, und GRÜNINGER/OESTERHELT, Steuerrechtliche Entwicklungen
[insbesondere im Jahr 2008], SZW 2009 S. 51 ff., 65 ff., mit Hinweis auf
GLAUSER, Evasion, a.a.O., S. 728 ff.). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt
werden. Zwar hat das Bundesgericht konstant festgehalten, im Zusammenhang mit
einer Steuernorm mit wirtschaftlichen Anknüpfungspunkten hänge die Zulässigkeit
der sog. wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht davon ab, ob die
Voraussetzungen der
BGE 138 II 239 S. 246
Steuerumgehung erfüllt sind (statt vieler, vgl. Urteile 2A.537/2005 vom 21.
Dezember 2006 E. 2.1; 2A.648/2005 vom 11. April 2006 E. 3.1; 2A.234/2004 vom
17. Januar 2005 E. 3.3, in: StE 2005 B 24.4 Nr. 72). Daraus kann jedoch nicht
geschlossen werden, wenn eine Norm in wirtschaftlicher Betrachtungsweise
ausgelegt werde, sei kein Raum mehr für die Annahme einer Steuerumgehung: Der
Annahme einer Steuerumgehung liegt - wie bereits ausgeführt - der Gedanke
zugrunde, dass die missbräuchliche Geltendmachung eines Rechts bzw. die
missbräuchliche Berufung auf eine gesetzliche Norm keinen Schutz verdient.
Diese Grundüberlegung gilt jedoch unabhängig davon, ob eine Norm rein
zivilrechtlich auszulegen ist oder in wirtschaftlicher Betrachtungsweise.
Ergibt sich, dass eine gewählte Rechtsgestaltung den - letztlich - verfolgten
wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig unangemessen ist und dass die Akzeptanz
dieser Rechtsgestaltung aufgrund der Anwendung der hierfür vorgesehenen
Gesetzesnormen zu unbilligen Steuereinsparungen führen würde, so verdient die
missbräuchliche Berufung auf die letztlich wirtschaftlich nicht gewollte
Rechtsgestaltung keinen Schutz. Ob der Inhalt der missbräuchlich in Anspruch
genommenen Normen dabei in rein zivilrechtlicher Auslegung oder in
wirtschaftlicher Auslegung zu ermitteln ist, ist irrelevant (vgl. in diesem
Sinn auch das Zweistufenmodell von LOCHER, a.a.O., S. 693 f.; zu kurz greift
hier wohl PIERRE-MARIE GLAUSER, Notion d'évasion fiscale, in: Evasion fiscale,
2010, S. 18, wenn er ausführt, "il serait en effet tout à fait contradictoire
d'invoquer la réalité économique dans le cadre de l'évasion pour s'écarter
d'une disposition interprétée selon la même réalité économique"). Dies zeigt
sich beispielhaft bei den Sachverhaltskonstellationen, welche schliesslich zum
Durchgriff durch eine juristische Person führen. Selbst wenn die von der
juristischen Person ausgeübte Tätigkeit aufgrund einer Norm mit
wirtschaftlichen Anknüpfungspunkten bei dieser juristischen Person zu
Steuerfolgen führen würde, ist es in solchen Konstellationen so, dass die
Berufung auf das selbständige, vom Inhaber der Beteiligungsrechte unabhängige
Bestehen der juristischen Person als den wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig
unangemessen erscheint. Führt die Rechtsanwendung zu einem krass ungerechten,
völlig haltlosen Ergebnis, das von den Intentionen des Gesetzgebers in keiner
Weise abgedeckt ist, darf die Abschirmwirkung der juristischen Person
beeinträchtigt oder gänzlich beseitigt werden (vgl. REICH, a.a.O., § 18 N. 15
S. 441; so im Ergebnis wohl auch GLAUSER, Evasion fiscale et TVA [nachfolgend:
TVA], in: Evasion fiscale, 2010, S. 39; ders., Evasion,
BGE 138 II 239 S. 247
a.a.O., S. 762 f.). Daran vermag nichts zu ändern, dass unter Umständen bereits
aufgrund der Auslegung nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu schliessen
ist, es lägen gar keine mehrwertsteuerrechtlich relevanten Leistungen vor,
weshalb dann für die Annahme einer Steuerumgehung kein Raum mehr bleibt.

4.3 Es ist somit zu prüfen, ob die Vorinstanz im vorliegenden Fall zu Recht
eine Steuerumgehung angenommen hat.

4.3.1 Die Vorinstanz kommt im angefochtenen Urteil zum Schluss, die
Beschwerdeführerin verfolge offensichtlich den Zweck, ein einziges Flugzeug zu
halten und dieses ihrem Aktionär A. zur Verfügung zu halten, was wohl bereits
als missbräuchlich zu qualifizieren wäre. Relevant sei aber insbesondere, dass
die an A. erbrachten Leistungen von diesem nicht bezahlt, sondern ihm lediglich
fakturiert und von der Gesellschaft kreditiert worden seien. Dies führt die
Vorinstanz zur Feststellung, die von der Beschwerdeführerin bzw. von A.
gewählte Gestaltung sei als sachwidrig und absonderlich zu betrachten; sie
bringe dem eigentlichen Nutzer des Flugzeuges nur zusätzlichen Aufwand und
Kosten und - abgesehen von mehrwertsteuerlichen - keine Vorteile; es sei
anzunehmen, dass die gewählte Rechtsgestaltung lediglich deshalb getroffen
worden sei, um Steuern zu sparen.

4.3.2 Den Überlegungen der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Sie stützt
sich zwar im Wesentlichen auf das Bundesgerichtsurteil 2C_632/2007 vom 7. April
2008 (in: ASA 77 S. 354), in dem das Bundesgericht die Auffassung vertrat, die
Dazwischenschaltung einer juristischen Person als Halterin eines Flugzeuges
könne - angesichts des Umstands, dass diese juristische Person nicht über eine
eigene professionelle Organisation für den Betrieb des Flugzeuges verfüge -
nicht plausibel gemacht werden und daran ändere auch das Argument einer
angeblichen Haftungsbeschränkung nichts. Wenn der Private im zitierten Fall
sein Flugzeug pro forma von der juristischen Person halten liess, die keine
eigene Tätigkeit entfalte, sondern als blosse "Durchlaufgesellschaft" auftrete,
erscheine dies als ungewöhnlich (a.a.O. E. 4.5). Doch kann an diesen Erwägungen
so pauschal nicht festgehalten werden. Vorab ist festzustellen, dass es
allgemeiner Übung entspricht, Geschäftsflugzeuge nicht privat zu halten,
sondern über juristische Personen (vgl. OBERSON/PITTET, La jurisprudence du
Tribunal fédéral rendue en 2008 en matière de TVA, ASA 79 S. 163 ff., und
insbesondere deren Hinweis auf die Eintragungen im Luftfahrzeugregister der
Schweiz, wonach
BGE 138 II 239 S. 248
betreffend diverser Geschäftsflugzeugtypen keine natürlichen Personen als
Halter eingetragen sind; s. auch BEHNISCH/OPEL, Die steuerrechtliche
Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 2008, ZBJV 145/2009 S. 579; BLUM,
a.a.O., S. 350). Selbst privat genutzte Businessjets und andere im
grenzüberschreitenden Verkehr eingesetzte Flugzeuge würden häufig von
Gesellschaften und nicht von den dahinterstehenden Privatpersonen direkt
gehalten (GRÜNINGER/OESTERHELT, a.a.O., S. 66). Ausschlaggebend hiefür sind
wohl, wie diverse Autoren darlegen, unter anderem Überlegungen zur Finanzierung
der Flugzeuge wie auch zur Begrenzung des Haftungsrisikos (vgl. OBERSON/PITTET,
a.a.O.; GRÜNINGER/OESTERHELT, a.a.O.). Die aufgrund des Betriebs eines
Geschäftsflugzeugs denkbaren Schäden können zudem ein erhebliches Ausmass
annehmen, wobei zu beachten ist, dass einzelne Staaten Schadenersatzansprüche
kennen, welche die hierzulande üblichen um ein Vielfaches übersteigen (BLUM,
a.a.O.). Wenn daher das Bundesgericht im zitierten Urteil festgehalten hat,
Haftpflichtrisiken könnten mit dem Abschluss einer Haftpflichtversicherung
abgedeckt werden, so greift das zu kurz. Gerade die Begrenzung von
Haftungsrisiken ist denn auch in sehr vielen Fällen ein wirtschaftlich
sachgerechtes und allgemein anerkanntes Motiv, um - allenfalls risikobehaftete
- Tätigkeiten im Rahmen einer separaten juristischen Person auszuüben (vgl.
ebenfalls ANNIE ROCHAT PAUCHARD, Actualités en matière fiscale dans le champ de
l'aviation, Bulletin de l'Association Suisse de Droit aérien et spatial [ASDA/
SVLR] 1/2009 S. 38 f.). Diesem Aspekt wurde im genannten Urteil nicht Rechnung
getragen. Zusätzliche Gründe für das Halten eines Geschäftsflugzeugs über eine
juristische Person können zudem sein, dass aufgrund der Finanzierung via Banken
eine solche Konstruktion zur Absicherung des Fremdkapitalgebers verlangt wird,
oder auch der Umstand, dass dadurch die Transparenzwirkung des öffentlich
einsehbaren Luftfahrtregisters gemildert werden kann (vgl. GRÜNINGER/
OESTERHELT, a.a.O.; s. auch GLAUSER, TVA, a.a.O., S. 39).

4.3.3 Anders ist jedoch die Situation zu beurteilen, wenn die
Beschwerdeführerin hauptsächlich dazu verwendet wurde, private Bedürfnisse
ihres Alleinaktionärs zu befriedigen. Das Bundesgericht hat bereits früher - in
Bezug auf das Halten eines praktisch ausschliesslich dem Alleinaktionär zur
Verfügung stehenden Ferienhauses durch eine Aktiengesellschaft - festgehalten,
es liege in der Natur der Sache, dass ein solches Objekt vorwiegend den
persönlichen Bedürfnissen des Aktionärs zu dienen bestimmt sei und dass die
BGE 138 II 239 S. 249
Zwecke, die mit der Errichtung einer Immobiliengesellschaft normalerweise
erreicht werden sollten, vollständig in den Hintergrund treten würden. Eine
derartige zivilrechtliche Gestaltung erscheine - gesamthaft betrachtet - als
den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen vollständig unangemessen
(Urteil vom 12. November 1969, in: ASA 40 S. 210 ff.). Diesem Urteil lag
offensichtlich die Überlegung zugrunde, dass es absonderlich und den
wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig unangemessen ist, eine juristische Person
einzig zu dem Zwecke zu gründen und zu halten, private Lebensbedürfnisse des
Alleinaktionärs zu befriedigen. An dieser Feststellung ist festzuhalten; sie
gilt grundsätzlich in analoger Weise, wenn eine Gesellschaft in erster Linie
dazu da ist, dem Alleinaktionär für dessen private Belange ein Flugzeug zur
Verfügung zu stellen. Zwar liegt der Missbrauch nicht darin, dass für das
Halten eines privat verwendeten Flugzeugs eine juristische Person gegründet
wird. Missbräuchlich ist es jedoch, wenn mit einer solchen Gesellschaft
überdies versucht wird, Steuern zu sparen. Daher ist zu prüfen, ob sich der
Einsatz der Gesellschaft bloss rechnet, weil damit vom Vorsteuerabzug
profitiert werden kann. Wird das Flugzeug zu rein privaten Zwecken eingesetzt,
so kann die Anmeldung bei der Mehrwertsteuer offensichtlich nur das Motiv der
Steuerersparnis haben. Einer derartigen juristischen Person ist daher die
Anerkennung als eigenständiges Steuersubjekt abzusprechen.

4.4 Das Vorliegen einer Steuerumgehung ist durch die Steuerbehörde zu beweisen.
Diese kann sich aber darauf beschränken darzulegen, dass keine wirtschaftlichen
oder geschäftlichen Gründe für das Halten des Flugzeugs ersichtlich sind.
Daraus ergibt sich die natürliche Vermutung, dass das Flugzeug für private
Zwecke des Aktionärs und ihm Nahestehender verwendet wird. Das gilt namentlich
bei internationalen Sachverhalten, wo an den Nachweis strengere Anforderungen
zu stellen sind (s. auch Urteil 2A.79/2002 vom 27. Januar 2003 E. 5.2, in: StR
58/2003 S. 368; 2A.609/2003 vom 27. Oktober 2004 E. 2.4, in: StE 2005 A 23.2
Nr. 2). Die Steuerpflichtige kann diese Vermutung jedoch entkräften, indem sie
nachweist, dass das Flugzeug für geschäftliche Zwecke benötigt wird.
Vorliegend erschöpft sich der Zweck der Beschwerdeführerin nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz darin, für ihren Aktionär ein
einziges Flugzeug zu halten. Die Eidgenössische Steuerverwaltung wies bereits
im Begleitschreiben zum Entscheid vom
BGE 138 II 239 S. 250
9. Mai 2006 darauf hin, dass der Aktionär der Beschwerdeführerin, A., nicht im
Mehrwertsteuerregister eingetragen sei und dass kein Nachweis für eine
steuerpflichtige Verwendung des Flugzeugs geleistet worden sei. Dieser sei als
Privatperson zu betrachten und komme als alleiniger Benutzer des Flugzeugs in
Frage. Sie führte namentlich aus:
"Würde nämlich Herr A. das Flugzeug direkt als Privatperson erwerben und der O.
Ltd. ins Aircraft Management geben, müsste er als Endbezüger der Leistungen die
gesamte anfallende Mehrwertsteuer tragen. Diese Steuerbelastung wird im
vorliegenden Fall durch die Zwischenschaltung Ihrer Mandantin 'eliminiert'.
(...) Daher ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen einer
Steuerumgehung erfüllt sind."
Allein aus diesem Grund (Benutzung des Flugzeugs durch den Aktionär als
Privatperson) stellte die Eidgenössische Steuerverwaltung in Aussicht, die
Frage der Steuerumgehung näher zu prüfen. Diese Vermutung war begründet.
Dennoch hat die Beschwerdeführerin darauf nicht reagiert, um eine geschäftliche
Tätigkeit ihres Aktionärs - sofern eine solche Vorliegen sollte - offenzulegen.
Sie hatte hierzu wiederholt Gelegenheit, sowohl in der Einsprache wie auch in
der Beschwerde an die Vorinstanz. Im Einspracheentscheid wies die
Eidgenössische Steuerverwaltung auch darauf hin, dass der Hauptaktionär die
behauptete Vermögensanlage in das Flugzeug ebenso gut als Privatmann habe
treffen können.
Eine geschäftliche Nutzung des Flugzeugs ist damit nicht nachgewiesen. Unter
diesen Umständen erfolgte die Anmeldung der Beschwerdeführerin als
Mehrwertsteuerpflichtige einzig in der Absicht, bei minimaler steuerlicher
Belastung sich den Vorsteuerabzug auszahlen zu lassen.

5. Die Vorinstanz hat somit eine Steuerumgehung zu Recht bejaht. Der Durchgriff
auf den wirtschaftlich Berechtigten, A., bewirkt, dass von der
Beschwerdeführerin keine Mehrwertsteuer geschuldet ist und auch kein
Vorsteuerabzug geltend gemacht werden kann. Das hat die Vorinstanz zu Recht
erkannt und die Sache an die Eidgenössische Steuerverwaltung zur Rückabwicklung
von bereits erfolgten Zahlungen zurückgewiesen. Der angefochtene Entscheid
verletzt Bundesrecht nicht.