Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 II 217



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Urteilskopf

138 II 217

17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Bundesamt für Migration (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_555/2011 vom 18. Juni 2012

Regeste

Art. 8 Abs. 3 BV, Art. 58a BüG; Verwirklichung der Geschlechtergleichheit bei
der Anwendung einer Übergangsbestimmung zur erleichterten Einbürgerung.
Eintretensvoraussetzungen (E. 1).
Prozessuale Behandlung eines verspätet nachgereichten Rechtsgutachtens (E. 2).
Seit Einführung der Geschlechtergleichheit im Jahre 1981 bzw. deren daran
anschliessenden Umsetzung im Bürgerrechtsgesetz wird das Bürgerrecht von beiden
Geschlechtern gleichermassen weitergegeben. Auch bei der Anwendung der
Übergangsregelung, die den früheren Verlust des Bürgerrechts auf Seiten der
Frauen kompensiert, ist die Gleichbehandlung der Geschlechter zu verwirklichen.
Dem 1982 geborenen Urenkel einer Schweizerin, die 1920 wegen Heirat das
Schweizer Bürgerrecht verloren und dieses gleich wie in der Folge ihre Tochter
und deren Sohn (Grossmutter und Vater des Gesuchstellers) Jahre später nach
jeweils entsprechenden Gesetzesanpassungen wieder angenommen hatte, steht daher
die erleichterte Einbürgerung offen (E. 3 und 4).

Sachverhalt ab Seite 218

BGE 138 II 217 S. 218

A.

A.a X. wurde am 7. Februar 1982 in Finnland geboren. Er besitzt die deutsche
Staatsangehörigkeit seines Vaters und die finnische seiner Mutter. Vorwiegend
lebte er in Finnland, in jüngerer Zeit teilweise auch in Deutschland.

A.b X.s Urgrossmutter war Schweizer Bürgerin. Sie verlor diese
Staatsangehörigkeit nach damaligem Recht durch ihre Heirat mit einem deutschen
Staatsangehörigen im Jahre 1920. Am 13. April 1954 erhielt sie das Schweizer
Bürgerrecht in einem Verfahren der damals so genannten Wiederannahme (heute:
Wiedereinbürgerung). Ihre Tochter, X.s Grossmutter, wurde am 9. November 2005
im Alter von 83 Jahren gestützt auf die Übergangsbestimmung von Art. 58a des
Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer
Bürgerrechts (Bürgerrechtsgesetz, BüG; SR 141.0) in der Schweiz erleichtert
eingebürgert. Der Vater von X. wurde am 29. Dezember 2006 ebenfalls in
Anwendung von Art. 58a BüG (nunmehr in einer neuen Fassung der Bestimmung)
erleichtert eingebürgert. Mit Entscheid vom 9. März 2007 bezog das Bundesamt
für Migration den im Jahre 1988 geborenen, im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung
noch unmündigen Bruder von X. in die Einbürgerung des Vaters ein.
BGE 138 II 217 S. 219

B.

B.a Am 4. Juni 2007 ersuchte X. das Bundesamt für Migration ebenfalls um
erleichterte Einbürgerung nach Art. 58a BüG. Nachdem das Bundesamt das Gesuch
zunächst als gegenstandslos abgeschrieben hatte, wies es dieses schliesslich
mit Verfügung vom 20. November 2008 ab. (...)

B.b Mit Urteil vom 4. November 2011 wies das Bundesverwaltungsgericht eine
dagegen gerichtete Beschwerde von X. ab. (...)

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 12. Dezember
2011 an das Bundesgericht beantragt X., das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und sein Gesuch um erleichterte
Einbürgerung gutzuheissen. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, Art.
58a BüG sei so auszulegen, dass sämtliche geschlechtsspezifischen Unterschiede
bei der Einbürgerung von Nachkommen beseitigt würden. In der Beschwerdeschrift
wird die Nachreichung eines Rechtsgutachtens angekündigt.

D. Das Bundesamt für Migration schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

E. Mit Eingabe vom 18. Januar 2012 reichte X. das angekündigte Rechtsgutachten
nach.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zurück an das
Bundesamt für Migration zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen Endentscheid des
Bundesverwaltungsgerichts im Bereich des Bürgerrechts, gegen den grundsätzlich
die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG
offensteht. Nach Art. 83 lit. b BGG ist die Beschwerde ausgeschlossen gegen
Entscheide über die ordentliche Einbürgerung, woraus e contrario folgt, dass
sie gegen Entscheide über die erleichterte Einbürgerung zulässig ist. Der
Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist als
direkter Adressat vom angefochtenen Entscheid, der die Verweigerung der
Einbürgerung durch das Bundesamt bestätigte, zur Beschwerde legitimiert (Art.
89 Abs. 1 BGG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist
einzutreten.
BGE 138 II 217 S. 220

2.

2.1 Der Beschwerdeführer kündigte in seiner Rechtsschrift die Nachreichung
eines Rechtsgutachtens an. Am 18. Januar 2012 kam er dieser Ankündigung nach
und stellte dem Bundesgericht ein auf den 10. Januar 2012 datiertes
Kurzgutachten zu.

2.2 Nach Art. 99 Abs. 1 BGG dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Der
Beschwerdeführer ist der Ansicht, bei ihm sei diese gesetzliche Voraussetzung
erfüllt, habe doch erst das angefochtene Urteil Anlass zu weiteren
Rechtsabklärungen gegeben.

2.3 Gutachten sind Beweismittel, die grundsätzlich dem Novenverbot von Art. 99
BGG unterstehen. Das ist offensichtlich bei Expertisen über tatsächliche
Zusammenhänge. Rechtsgutachten sind freilich davon zu unterscheiden. Gemäss der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Einreichung eines Rechtsgutachtens
zulässig, solange dies während der Beschwerdefrist geschieht (Urteil 5A_261/
2009 vom 1. September 2009 E. 1.3, nicht publ. in: BGE 135 III 608; Urteil
4A_190/2007 vom 10. Oktober 2007 E. 5.1; zum alten Verfahrensrecht gemäss dem
Bundesrechtspflegegesetz vgl. BGE 126 I 95 sowie das Urteil 4P.137/2002 vom 4.
Juli 2003 E. 5.2). Diese Rechtsprechung erging allerdings in Fällen, in denen
ausländisches Recht anzuwenden war und sich die eingereichten Rechtsgutachten
auf das ausländische Recht bezogen. Unter der Geltung des
Bundesgerichtsgesetzes ist das Recht von Amtes wegen anzuwenden (Art. 106 Abs.
1 BGG). Obwohl dies grundsätzlich auch für das einschlägige ausländische Recht
gilt, kann das Gericht für die Feststellung des Inhalts des ausländischen
Rechts die Mitwirkung der Parteien verlangen und ihnen bei vermögensrechtlichen
Ansprüchen den entsprechenden Nachweis sogar ganz überbinden (Art. 16 Abs. 1
IPRG [SR 291]; MEYER/DORMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz,
Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 9 zu Art. 106 BGG;
MARKUS SCHOTT, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Niggli/Uebersax/
Wiprächtiger [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 12 zu Art. 96 BGG). Unterliegen die
Parteien insoweit einer gewissen Beweisführungspflicht, kommt Rechtsgutachten
über ausländisches Recht jedenfalls teilweise der Charakter von Beweismitteln
zu.

2.4 Bei Rechtsgutachten zum anwendbaren schweizerischen Recht trifft ein
solcher Zusammenhang nicht zu. Beim schweizerischen Recht gilt der Grundsatz
der Rechtsanwendung von Amtes wegen nach Art. 106 Abs. 1 BGG uneingeschränkt.
Dem Rechtsgutachten
BGE 138 II 217 S. 221
einer Verfahrenspartei kommt in diesem Sinne kein eigentlicher Beweiswert zu.
Es handelt sich mithin nicht um ein Beweismittel gemäss Art. 99 BGG, sondern
einzig um die Untermauerung der Rechtsauffassung der entsprechenden Partei.
Damit untersteht ein solches Rechtsgutachten von vornherein nicht dem
Novenverbot, und es ist unmassgeblich, ob der angefochtene Entscheid Anlass zur
Einholung eines Gutachtens gegeben hat oder nicht.

2.5 Die Verfahrensbeteiligten haben für die Unterbreitung ihrer
Rechtsauffassung freilich die gesetzlichen oder richterlichen Fristen zu
wahren. Für die Einreichung der Beschwerde zusammen mit einer gemäss Art. 42
Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG rechtsgenüglichen Begründung galt dabei im
vorliegenden Fall eine Frist von 30 Tagen (Art. 100 BGG). Diese lief hier
unbestrittenermassen am 12. Dezember 2011 ab. Der Beschwerdeführer erhob seine
Beschwerde fristgerecht und mit einer genügenden Begründung und legte dabei
seine Rechtsauffassung dar. Das Rechtsgutachten wurde am 10. Januar 2012
erstellt und am 18. Januar 2012 und damit verspätet an das Bundesgericht
versandt. Daran vermag nichts zu ändern, dass der Beschwerdeführer die
Nachreichung in der Beschwerdefrist angekündigt hatte. Dadurch lässt sich keine
Fristverlängerung bewirken. Die Nachreichung des Rechtsgutachtens erweist sich
damit genauso als unzulässig wie die verspätete Einreichung einer weiteren
Rechtsschrift, in welcher der Beschwerdeführer selbst seinen rechtlichen
Standpunkt zusätzlich erläutert hätte. Dem eingereichten Gutachten kommt im
vorliegenden Fall auch nicht der Charakter einer Replik (im Sinne von Art. 102
Abs. 3 BGG) zu, haben die Behörden doch in ihren Vernehmlassungen an das
Bundesgericht auf sachverhaltsmässige oder rechtliche Ausführungen verzichtet,
zu denen sich der Beschwerdeführer allenfalls noch hätte äussern dürfen.

3.

3.1 Nach Art. 57 BüG richten sich Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts
unter Vorbehalt besonderer Übergangsbestimmungen nach dem Recht, das bei
Eintritt des massgeblichen Sachverhalts in Kraft steht (HARTMANN/MERZ, § 12
Einbürgerung: Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts, in:
Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, Rz.
12.67). Zu solchen Sonderbestimmungen zählt Art. 58a Abs. 1 BüG, wonach das
ausländische Kind, das vor dem 1. Juli 1985 geboren wurde und dessen Mutter vor
oder bei der Geburt des Kindes das Schweizer Bürgerrecht besass, ein Gesuch um
erleichterte Einbürgerung stellen kann, wenn es mit der Schweiz eng verbunden
ist. Gemäss Abs. 3 derselben
BGE 138 II 217 S. 222
Bestimmung können die eigenen Kinder dieses Kindes ebenfalls ein Gesuch um
erleichterte Einbürgerung stellen, wenn sie eng mit der Schweiz verbunden sind.

3.2 Das Bundesverwaltungsgericht zeichnet im angefochtenen Entscheid die
Geschichte des Gesetzes und der Einbürgerungen der Familienangehörigen des
Beschwerdeführers ausführlich nach. Massgeblich ist dabei, dass die
Urgrossmutter des Beschwerdeführers, die ihr Schweizer Bürgerrecht durch Heirat
eines Ausländers im Jahre 1920 verloren hatte (dazu ROLAND SCHÄRER, Das
Bürgerrecht der mit einem Ausländer verheirateten Schweizerin und ihrer Kinder
[Übersicht über die Rechtsentwicklung; nachfolgend: 1986], ZZW 54/1986 S. 34
f.), erst mit Inkrafttreten des Bürgerrechtsgesetzes vom 29. September 1952 (AS
1952 1087) am 1. Januar 1953 die Möglichkeit zur Wiedereinbürgerung (durch so
genannte Wiederaufnahme in das Schweizer Bürgerrecht; vgl. SCHÄRER, 1986,
a.a.O., S. 36) erhielt. Am 13. April 1954 wurde sie denn auch eingebürgert. Der
Grossmutter des Beschwerdeführers stand damals hingegen die Einbürgerung nicht
offen. In der Volksabstimmung vom 14. Juni 1981 wurde die verfassungsrechtliche
Gleichstellung von Mann und Frau angenommen (Art. 4 Abs. 2 aBV; AS 1981 1243).
Gestützt darauf regelte der Gesetzgeber mit der am 1. Juli 1985 in Kraft
getretenen Änderung des Bürgerrechtsgesetzes vom 14. Dezember 1984 (AS 1985
420; BBl 1984 II 211) das Bürgerrecht der Kinder eines schweizerischen
Elternteils mit dem Ziel der Gleichbehandlung der Geschlechter ein erstes Mal
neu und führte eine entsprechende Übergangsordnung ein. Die Regelung wurde in
der Folge mehrmals revidiert. Für die Grossmutter des Beschwerdeführers
entstand die Möglichkeit zur Einbürgerung erst mit den Gesetzesrevisionen vom
23. März 1990 (AS 1991 1034; BBl 1987 III 293), als Art. 58a BüG erlassen
wurde, bzw. vom 20. Juni 1997 (in Kraft seit dem 1. Dezember 1997; AS 1997
2370; BBl 1993 III 1388 und 1995 II 493; vgl. zu dieser Fassung der Bestimmung
MINH SON NGUYEN, Droit public des étrangers, 2003, S. 735 f.). Das erklärt,
weshalb sich die Grossmutter erst relativ spät zur Einbürgerung in der Schweiz
entschloss, die am 9. November 2005 erfolgte. Am 1. Januar 2006 trat eine
weitere Gesetzesnovelle vom 3. Oktober 2003 in Kraft (AS 2005 5233; BBl 2002
1911), welche die heute noch gültige Fassung von Art. 58a BüG einführte. Kurz
darauf, nämlich am 29. Dezember 2006, wurde auch der Vater des
Beschwerdeführers eingebürgert. Nach Auffassung des Bundesamtes geschah dies
gestützt auf eine entsprechende Praxis der Bundesbehörden zum insofern
angeblich nicht eindeutigen Gesetzestext. Gemäss
BGE 138 II 217 S. 223
dem angefochtenen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts ist unklar, ob die
Einbürgerung des Vaters des Beschwerdeführers auf Art. 58a BüG in der Fassung
vom 20. Juni 1997 oder in derjenigen vom 3. Oktober 2003 beruhte, was aber
offenbleiben könne. Mit Verfügung des Bundesamtes vom 9. März 2007 konnte der
im Jahre 1988 geborene, im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung noch unmündige,
jüngere Bruder des damals bereits volljährigen Beschwerdeführers im Unterschied
zu diesem gemäss Art. 33 BüG in die Einbürgerung des Vaters einbezogen werden.

3.3 Für die Frage der Einbürgerung des Beschwerdeführers ist entscheidend, wie
Art. 58a BüG auszulegen ist. Das Bundesamt für Migration begründete seine
ablehnende Verfügung im Wesentlichen damit, bei der erleichterten Einbürgerung
nach Art. 58a BüG könne höchstens eine nachfolgende Generation übersprungen
werden. Im Fall des Beschwerdeführers hätten nach der Wiedereinbürgerung der
Urgrossmutter mit der Grossmutter und dem Vater aber bereits zwei nachfolgende
Generationen von einer erleichterten Einbürgerung profitiert. Für weitere
Generationen sei ein Bürgerrechtserwerb ausdrücklich nicht mehr vorgesehen.

3.4 Nach der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts im angefochtenen
Entscheid stützte sich die Einbürgerung der Grossmutter des Beschwerdeführers
auf Art. 58a Abs. 1 BüG. Der Vater habe gemäss dem damaligen Gesetzestext
eigentlich gar nicht erleichtert eingebürgert werden können, die Schweizer
Staatsangehörigkeit aber im Sinne einer Lückenfüllung gemäss der damaligen
Praxis erhalten. Es komme nicht darauf an, ob eine Generation übersprungen
worden sei. Art. 58a Abs. 3 BüG besage lediglich, dass die betroffenen
Nachkommen (eigene Kinder des ausländischen Kindes gemäss Abs. 1 der
Bestimmung) einen selbständigen Anspruch auf erleichterte Einbürgerung hätten,
und zwar unabhängig davon, ob der Elternteil vorher selbst aufgrund von Art.
58a Abs. 1 BüG eingebürgert worden sei. Unter Auslegung von Art. 58a BüG kommt
das Gericht zum Schluss, der Beschwerdeführer könne sich nicht auf diese
Bestimmung berufen. Der Wortlaut spreche nur von der Mutter und nicht vom Vater
und erfasse nur eigene Kinder, schliesse mithin weitere Generationen aus. Der
Gesetzgeber habe zwar Mann und Frau im Bürgerrecht gleich behandeln wollen,
aber nicht beabsichtigt, dass es im Sinne eines Automatismus für die Erlangung
des Schweizer Bürgerrechts für alle weiteren Generationen keine Rolle mehr
spielen solle, ob der betreffende Schweizer Vorfahre ein Mann oder eine Frau
gewesen sei. Eine Gesetzeslücke liege nicht vor. Das
BGE 138 II 217 S. 224
Gesetz sei weder unvollständig noch ergänzungsbedürftig und daher einer
verfassungskonformen Auslegung gemäss dem Anliegen des Beschwerdeführers nicht
zugänglich.

3.5 Der Beschwerdeführer steht auf dem Standpunkt, es könne nicht Sinn von Art.
58a BüG sein, die Weitergabe des Bürgerrechts nach zwei Generationen wieder zu
unterbrechen. Dies widerspreche dem Zweck der Bestimmung, durch
verfassungsmässiges Unrecht entstandene Unterschiede zwischen Mann und Frau bei
der Einbürgerung von deren Nachkommen zu beseitigen. Art. 58a BüG habe nur
einen Sinn, wenn sich alle künftigen Generationen darauf berufen könnten. Eine
Beschränkung lasse sich allenfalls einzig dann aus dem Gesetzeswortlaut und den
Materialien ableiten, wenn nacheinander zwei Generationen auf die Einbürgerung
verzichteten. Hingegen sei nicht nachvollziehbar, weshalb die erleichterte
Einbürgerung allgemein nur zwei Generationen und den minderjährigen Kindern der
zweiten Generation, deren volljährigen Kindern hingegen nicht mehr offenstehen
sollte. Eine verfassungskonforme Auslegung führe daher zum Schluss, dass der
Beschwerdeführer erleichtert einzubürgern sei.

4.

4.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut. Ist der Text nicht klar
und sind verschiedene Interpretationen möglich, muss nach seiner wahren
Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente.
Abzustellen ist dabei namentlich auf die Entstehungsgeschichte, auf den Zweck
der Norm, die ihr zugrunde liegenden Wertungen und ihre Bedeutung im Kontext
mit anderen Bestimmungen. Die Materialien sind zwar nicht unmittelbar
entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen.
Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem
Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann allein auf das grammatische
Element abgestellt, wenn sich daraus zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung
ergab (BGE 138 V 17 E. 4.2 S. 20; BGE 135 II 78 E. 2.2 S. 81; je mit
Hinweisen). Sind mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die den
verfassungsrechtlichen Vorgaben am besten entspricht. Eine verfassungskonforme
Auslegung findet dabei im klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung
ihre Schranken (BGE 138 V 17 E. 4.2 S. 20; BGE 136 II 149 E. 3 S. 154; je mit
Hinweisen).

4.2 Gemäss dem Wortlaut von Art. 58a Abs. 1 BüG steht dem ausländischen Kind,
das vor dem 1. Juli 1985 geboren wurde und dessen Mutter vor oder bei der
Geburt des Kindes das Schweizer
BGE 138 II 217 S. 225
Bürgerrecht besass, die erleichterte Einbürgerung offen. Im vorliegenden Fall
betrifft dies einzig die Grossmutter des Beschwerdeführers, denn nur seine
Urgrossmutter besass vor der Geburt ihres Kindes das Schweizer Bürgerrecht.
Art. 58 Abs. 1 BüG spricht sodann nur von der Mutter und nicht vom Vater,
weshalb der Beschwerdeführer sich nicht wegen der späteren Einbürgerung seines
Vaters auf den Wortlaut der Bestimmung berufen kann. Nach Art. 58 Abs. 3 BüG
können die eigenen Kinder des Kindes ebenfalls ein Gesuch um erleichterte
Einbürgerung stellen. Der Wortlaut legt nahe, dass damit das Kind des
ausländischen Kindes gemäss Art. 58 Abs. 1 BüG bzw. das Enkelkind der darin
genannten Mutter gemeint ist. Die Bestimmung sagt direkt nichts aus zu den
weiteren Generationen. Sie scheint eine Einbürgerung nicht unmittelbar
vorzusehen, schliesst sie entgegen der Auffassung des Bundesamtes aber auch
nicht ausdrücklich aus. Der Wortlaut ist damit nicht klar, und es sind
verschiedene Interpretationen desselben möglich. Selbst wenn davon ausgegangen
würde, dass die Nichterwähnung der weiteren Generationen eindeutig sei, würde
sich insofern die Frage einer Lücke stellen, nämlich die Frage danach, ob der
Gesetzgeber absichtlich auf die Nennung der weiteren Generationen verzichtet
hat oder ihm gar nicht bewusst war, dass sich eine solche Problematik ergeben
könnte.

4.3 Auf diese Umstände bei der Entstehung der Norm zielt das historische
Auslegungselement. Die Idee des Gesetzgebers war es, die diskriminierende
Wirkung zu beseitigen, die sich unter dem vorbestandenen Recht ergeben hatte.
Diese bestand darin, dass früher Kinder aus der Ehe eines Ausländers mit einer
Schweizerin im Unterschied zur umgekehrten Ausgangslage das Schweizer
Bürgerrecht nicht automatisch mit der Geburt erwarben. Die bundesrätliche
Botschaft hielt dazu fest, dass es "in der Regel für den Erwerb des Schweizer
Bürgerrechts keine Rolle spielen soll, ob der Vater oder die Mutter das
Schweizer Bürgerrecht besitzt, wenn die Eltern miteinander verheiratet sind.
Beide Eltern können es in gleicher Weise ihren Kindern vermitteln" (BBl 1984 II
219). Bis und mit dem Erlass der heutigen Fassung von Art. 58a BüG scheint der
Gesetzgeber, abgesehen von den in Abs. 3 der Bestimmung geregelten
Grosskindern, an die weiteren Generationen nicht gedacht zu haben. Jedenfalls
werden sie in den Materialien genauso wenig wie im Gesetzestext ausdrücklich
erwähnt. Daraus lässt sich entgegen den Vorinstanzen nicht zwingend schliessen,
von einer weiteren Wirkung über die ersten zwei Generationen hinaus sei
explizit abgesehen worden. Die Vorinstanzen vermögen denn auch ihre
entsprechenden Standpunkte mit
BGE 138 II 217 S. 226
keinerlei überzeugenden Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien zu belegen. Zwar
trifft es zu, dass das Gesetz noch weitere Bedingungen für die Einbürgerung
vorsah, die mit der Zeit zunehmend gelockert wurden und sich heute auf das
Erfordernis der engen Verbundenheit mit der Schweiz beschränken. Diese
Regelungen sind jedoch im Gesamtkontext zu sehen, dass auch eine erleichterte
Einbürgerung nicht einfach automatisch erfolgen soll bzw. sollte, sondern an
bestimmte Voraussetzungen gebunden war und ist (vgl. BRIGITTE STUDER, Von einer
exklusiven zu einer integrativen Bürgerrechtspolitik? 1934-2004, in: Das
Schweizer Bürgerrecht, 2008, S. 141 f.). Dass damit von der
Geschlechterneutralität hätte abgewichen werden sollen, ist nicht
nachvollziehbar. Im Gegenteil wurde es bereits 1984 als undenkbar erachtet,
Gesetzestexte vorzuschlagen, die nicht mit der Geschlechtergleichheit vereinbar
gewesen wären (ROLAND SCHÄRER, La révision de la loi sur la nationalité, ZZW 52
/1984 S. 333), bzw. war schon damals nachgerade bezweckt, "die völlige
Gleichheit zwischen Mann und Frau im Bereich des Bürgerrechts herzustellen"
(SCHÄRER, 1986, a.a.O., S. 39). Bei Art. 58a BüG kann das daher im Hinblick auf
weitere Generationen einzig bedeuten, dass für diese allenfalls dieselben
Voraussetzungen der Einbürgerung gelten sollten wie für die ersten zwei
Generationen; es kann hingegen nicht daraus abgeleitet werden, ihre
Einbürgerung sei vom Gesetzgeber von vornherein und absolut ausgeschlossen
worden. Selbst wenn Art. 58a Abs. 3 BüG so verstanden würde, dass die
Bestimmung einen solchen Ausschluss vorsieht, so legt das diesbezügliche
Schweigen der Materialien gegebenenfalls das Vorliegen einer entsprechenden
Lücke nahe.

4.4 Was den Gesetzeszweck betrifft, so ist die heutige Ordnung des
Bürgerrechtsgesetzes unter anderem gekennzeichnet vom Prinzip der
Gleichstellung von Mann und Frau (RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches
Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, Rz. 300). Dieses inzwischen in Art. 8 Abs. 3
BV als weitgehende Spezialbestimmung zu Art. 8 Abs. 2 BV geregelte Grundrecht
(vgl. RHINOW/SCHEFER, a.a.O., Rz. 1933; RAINER J. SCHWEIZER, in: Die
Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 63 zu Art. 8 BV)
wurde mit der Volksabstimmung vom 14. Juni 1981 in die damals gültige
Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (AS I 1) eingeführt (Art. 4 Abs. 2 aBV; AS
1981 1243). Die Revisionen des Bürgerrechtsgesetzes vom 14. Dezember 1984 und
vom 23. März 1990 waren die direkte Folge dieser Verfassungsrevision und
bezweckten deren Umsetzung im
BGE 138 II 217 S. 227
Bürgerrechtsgesetz und insbesondere beim Erwerb des Bürgerrechts. Der Grundsatz
der Gleichstellung der Geschlechter führte namentlich zur heutigen Regelung des
Erwerbs des Bürgerrechts durch Abstammung in Art. 1 BüG (zur unwesentlich
anders lautenden ursprünglichen Fassung vom 14. Dezember 1984 vgl. BBl 1984 II
218 f. und 228). Mit der Übergangsordnung sollte die Ungerechtigkeit beseitigt
werden, die sich beim Erwerb des Schweizer Bürgerrechts für die Kinder von
Müttern ergab, die vor Inkrafttreten der Gleichstellung von Mann und Frau im
Bürgerrechtsgesetz bestanden hatte. Zweck von Art. 58a BüG ist in diesem Sinne
die Korrektur von Unterschieden, die wegen der vorbestandenen
Ungleichbehandlung der Geschlechter bei der Weitergabe des Schweizer
Bürgerrechts ohne intertemporalrechtliche Auffangbestimmung weiterbestanden
hätten bzw. weiterhin gelten würden. Da die Übergangsordnung demnach gerade die
Verwirklichung des Verfassungsrechts bezweckt, drängt sich eine
verfassungskonforme Auslegung erst recht auf bzw. rechtfertigt es sich, eine
gegebenenfalls als Lücke erkannte unvollständige Gesetzesregelung im Sinne des
Verfassungsrechts zu füllen. Im Übrigen ergibt sich auch unter teleologischen
Gesichtspunkten keine Rechtfertigung für eine Privilegierung von lediglich zwei
und den Ausschluss der weiteren Generationen von der erleichterten
Einbürgerung.

4.5 In systematischer Hinsicht fällt auf, dass das Bürgerrechtsgesetz in
verschiedenen Bestimmungen Auswirkungen von Einbürgerungen auf nachfolgende
Generationen vorsieht (vgl. etwa Art. 1 Abs. 3 oder Art. 31a BüG). Der
Gesetzgeber war also bemüht, entsprechende Lücken möglichst weitgehend zu
schliessen. Auch insofern spricht nichts dafür, dass er solche Wirkungen in
Art. 58a BüG bewusst ausschliessen wollte oder den entsprechenden Bedarf im
Übergangsrecht einfach übersah. Auffällig ist im vorliegenden Fall sodann, dass
der Bruder des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 33 BüG aufgrund des
Umstandes, dass er im Zeitpunkt der Einbürgerung des Vaters noch minderjährig
war, darin einbezogen werden konnte, was dem Beschwerdeführer selbst aufgrund
der bereits eingetretenen Volljährigkeit vorenthalten blieb. Gewiss mögen sich
analoge Konstellationen auch in anderen Fällen der ordentlichen oder
erleichterten Einbürgerung ergeben, weshalb insofern nicht zwingend ein
Verstoss gegen das allgemeine Rechtsgleichheitsgebot von Art. 8 Abs. 1 BV
vorliegt. Dennoch spricht auch dies im Rahmen des bestehenden
Interpretationsspielraumes für eine Gesetzesauslegung, die solche
unterschiedlichen Folgen möglichst reduziert.
BGE 138 II 217 S. 228

4.6 Unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente ergibt sich mithin, dass
sich Art. 58a BüG auf verschiedene Weise auslegen lässt. Damit rechtfertigt
sich eine verfassungskonforme Anwendung des Gesetzes. Das bedingt eine
unmittelbar durch verfassungsgemässe und damit beide Geschlechter bei der
Weitergabe des Schweizer Bürgerrechts gleich behandelnde Auslegung bei der
Weitergabe des Schweizer Bürgerrechts bzw. spezifischer bei der Zulassung zur
erleichterten Einbürgerung für weitere Generationen im Anwendungsbereich von
Art. 58a BüG. Hätte im Jahre 1920 der Urgrossvater des Beschwerdeführers eine
Ausländerin und nicht die Urgrossmutter einen Ausländer geheiratet, hätte der
Urgrossvater das Schweizer Bürgerrecht behalten und die männlichen Nachkommen
der nachfolgenden Generationen hätten diese Staatsangehörigkeit an ihre
Nachkommen weitergegeben. Dem Beschwerdeführer blieb die gleiche Rechtsfolge
verwehrt, weil seine Urgrossmutter das Schweizer Bürgerrecht durch Heirat
verloren hatte. Es handelt sich mithin um eine durch das Geschlecht der
Vorfahren bedingte Benachteiligung, die durch eine entsprechende
Gesetzesinterpretation verfassungskonform zu beheben ist. Selbst wenn Art. 58a
BüG der Sinn beigemessen würde, dass die Bestimmung nur zwei
Nachkommensgenerationen die erleichterte Einbürgerung ermöglichen und weitere
Generationen davon ausschliessen würde, wäre jedenfalls von einer
entsprechenden Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des
Gesetzes (vgl. BGE 129 II 438 E. 4.1.2 S. 446) auszugehen, denn es ist nicht
ersichtlich, dass dies die gesetzgeberische Absicht war. Da eine solche Lücke
verfassungskonform zu füllen wäre, würde das zu demselben Ergebnis führen wie
die verfassungsgemässe Gesetzesauslegung.

4.7 Zu prüfen bleibt, wieweit die Gleichstellung der Geschlechter zurückreichen
soll. Denkbar wäre eine unbegrenzte Wirkung, wofür spricht, dass mit der
Verfassungsrevision von 1981 die Gleichstellung der Geschlechter definitiv
beseitigt werden sollte, womit es sich nicht rechtfertigt, alte Unterschiede
mit rechtlichen Auswirkungen über 1981 hinaus bestehen zu lassen. Fraglich wäre
bei dieser Lösung, ob die Folgen überschaubar bleiben würden und es sich
tatsächlich lediglich um Einzelfälle handeln würde, wie der Beschwerdeführer
behauptet, oder ob nicht unzählige neue Fallkonstellationen möglich wären, was
im vorliegenden Verfahren von keiner Seite abgeklärt wurde. Mit Blick auf eine
überschaubare und der Verfassungsentwicklung auch in zeitlicher Hinsicht
angepasste Rechtslage könnte es sich allenfalls auch rechtfertigen, für die
Wirkung einer
BGE 138 II 217 S. 229
verfassungskonformen Gesetzesinterpretation an den Zeitpunkt der
verfassungsrechtlichen Einführung der Geschlechtergleichheit am 14. Juni 1981
anzuknüpfen und diese nur auf später eingetretene Sachverhalte anzuwenden (vgl.
BERNHARD WALDMANN, Das Diskriminierungsverbot von Art. 8 Abs. 2 BV als
besonderer Gleichheitssatz, 2003, S. 555 ff.). Wie es sich damit verhält, kann
im vorliegenden Fall jedoch offenbleiben. Der Beschwerdeführer ist am 7.
Februar 1982 und damit nach Inkrafttreten des verfassungsrechtlichen
Grundsatzes der Gleichbehandlung der Geschlechter geboren. Damit ist in seinem
Fall die verfassungskonforme Anwendung von Art. 58a BüG so oder so geboten.

4.8 Nach der Gesetzesbestimmung setzt die erleichterte Einbürgerung des
Beschwerdeführers eine enge Verbundenheit mit der Schweiz voraus. Obwohl das
Vorliegen dieser Voraussetzung wahrscheinlich erscheint, so wurde sie von den
Vorinstanzen bisher nicht geprüft, was aufgrund von deren Rechtsauffassungen
auch nicht erforderlich war. Der Sachverhalt ist insoweit unvollständig. Die
Angelegenheit ist daher an die erste Instanz zurückzuweisen zu ergänzenden
Abklärungen und neuem Entscheid gestützt auf die entsprechenden Feststellungen.