Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 II 1



Urteilskopf

138 II 1

1. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Stadt
Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_269/2011 vom 18. Oktober 2011

Regeste

Art. 7 GlG; Art. 135 Ziff. 2 OR; Unterbrechung der Verjährung des Anspruchs auf
einen diskriminierungsfreien Lohn.
Das Anheben einer Verbandsklage nach Art. 7 GlG unterbricht die Verjährung des
Anspruchs der einzelnen Arbeitnehmenden auf einen diskriminierungsfreien Lohn
nicht. Das Gleichstellungsgesetz weist diesbezüglich keine echte Lücke auf,
welche vom Bundesgericht zu füllen wäre (E. 4.3).

Sachverhalt ab Seite 1

BGE 138 II 1 S. 1

A.

A.a Aufgrund des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 2A.97/2007 vom 20.
November 2007 betreffend Lohndiskriminierung
BGE 138 II 1 S. 2
anerkannte die Stadt Zürich im Grundsatz, dass sie dem in der Zeit zwischen dem
1. Januar 1997 und dem 30. Juni 2002 beschäftigten Pflegepersonal
Lohnnachzahlungen zu leisten hat.
A. hat mit Unterbrüchen zwischen Januar 1997 und Oktober 2001 im Spital X. als
Krankenschwester/Operationsschwester gearbeitet. Am 19. Mai 2003 betrieb sie
die Stadt Zürich auf einen Betrag von Fr. 60'000.-, um die Verjährung für
allfällige Lohnnachzahlungsansprüche zu unterbrechen. Mit Verfügung vom 22.
September 2008 und Einspracheentscheid vom 8. April 2009 anerkannte die Stadt
Zürich einen Nachzahlungsanspruch für die Zeit zwischen Mai 1998 und Oktober
2001, wohingegen der Anspruch für die Periode von Januar 1997 bis April 1998
verjährt sei.

A.b Den von A. hiegegen erhobenen Rekurs wies der Bezirksrat Zürich mit
Entscheid vom 28. Januar 2010 ab.

B. Mit Entscheid vom 4. März 2011 wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich die von A. hiegegen erhobene Beschwerde ab; gleichzeitig legte es den
Streitwert der Beschwerde auf unter Fr. 15'000.- fest.

C. Mit Beschwerde beantragt A., die Stadt Zürich sei unter Aufhebung des
kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, ihr auch für die Zeit zwischen
Januar 1997 und April 1998 Lohnnachzahlungen zu erbringen. Darüber hinaus sei
die Beschwerdegegnerin zur Bezahlung von Verzugszinsen zu verpflichten.
Die Stadt Zürich und das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau
und Mann beantragen die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Die Beschwerdegegnerin hat den auf das Gleichstellungsgesetz gestützten
Lohnnachzahlungsanspruch der Beschwerdeführerin grundsätzlich anerkannt.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die Verjährungsfrist für diesen
Nachzahlungsanspruch bereits mit dem Anheben der Verbandsklage im Sinne von
Art. 7 des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau
und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG; SR 151.1), oder erst mit der von der
Beschwerdeführerin eingeleiteten Betreibung unterbrochen wurde.

4.

4.1 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung handelt es sich beim Anspruch auf
einen diskriminierungsfreien Lohn um ein
BGE 138 II 1 S. 3
bundesrechtliches Individualrecht, auf welches mangels Spezialregelung im GlG
die fünfjährige Verjährungsfrist gemäss Art. 128 Ziff. 3 OR anwendbar ist. Dies
gilt sowohl für privatrechtliche als auch für öffentlich-rechtliche
Arbeitsverhältnisse (vgl. BGE 131 I 105 E. 3.3 S. 108). Die Vorinstanz hat
erwogen, diese Frist könne grundsätzlich unterbrochen werden, allerdings komme
dem Anheben einer Verbandsklage im Sinne von Art. 7 GlG in Bezug auf die
individuellen Forderungen keine entsprechende Wirkung zu. Eine solche
Verbandsklage entfalte grundsätzlich nur Wirkung zwischen den Parteien; zu
einer Verjährungsunterbrechung müsste die Klage vom Gläubiger oder einem
bevollmächtigten Vertreter, nicht aber von einem beliebigen Dritten erhoben
werden (vgl. BGE 111 II 358 E. 4a S. 364; bestätigt in Urteil 4A_576/2010 vom
7. Juni 2011 E. 3.1.1, nicht publ. in: BGE 137 III 352). Im
Gleichstellungsgesetz finde sich keine Spezialregelung, welche von diesem
Grundsatz abweichen würde. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend,
das Gleichstellungsgesetz sei diesbezüglich lückenhaft; diese Lücke sei in
analoger Anwendung von Art. 15 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über
Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (Bundesgesetz gegen die
Schwarzarbeit, BGSA; SR 822.41) zu füllen.

4.2 Eine Lücke im Gesetz besteht, wenn sich eine Regelung als unvollständig
erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig
bleibt oder eine Antwort gibt, die aber als sachlich unhaltbar angesehen werden
muss. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern
stillschweigend - im negativen Sinn - mitentschieden (qualifiziertes
Schweigen), bleibt kein Raum für richterliche Lückenfüllung (BGE 135 III 385 E.
2.1 S. 386; BGE 135 V 279 E. 5.1 S. 284).
Eine echte Gesetzeslücke liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann
vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln
sollen, und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem
durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann.
Von einer unechten oder rechtspolitischen Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn
dem Gesetz zwar eine Antwort, aber keine befriedigende, zu entnehmen ist. Echte
Lücken zu füllen, ist dem Gericht aufgegeben, unechte zu korrigieren, ist ihm
nach traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt, es sei denn, die
Berufung auf den
BGE 138 II 1 S. 4
als massgeblich erachteten Wortsinn der Norm stelle einen Rechtsmissbrauch dar
(BGE 136 III 96 E. 3.3 S. 99 f.).

4.3 Die vom kantonalen Gericht vertretene Auslegung, wonach mangels einer
Spezialregelung im Gleichstellungsgesetz die Anhebung einer Verbandsklage im
Sinne von Art. 7 GlG die Verjährungsfristen der individuellen Lohnansprüche
nicht unterbricht, entspricht den Stellungnahmen in der Lehre (ELISABETH
FREIVOGEL, in: Kommentar zum Gleichstellungsgesetz, Kaufmann/Steiger-Sackmann
[Hrsg.], 2. Aufl. 2009, N. 35 zu Art. 7 GlG; CHRISTIAN BRUCHEZ, in: Commentaire
de la loi fédérale sur l'égalité, Aubert/Lempen [Hrsg.], 2011, N. 31 zu Art. 7
GlG). Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin drängt sich keine
analoge Anwendung von Art. 15 Abs. 2 BGSA auf. Zwar wären die einzelnen
Arbeitnehmenden zweifellos bessergestellt, wenn auch das Gleichstellungsgesetz
eine entsprechende Regelung kennen würde. Die Verbandsklage im Sinne von Art. 7
GlG wird aber auch dann nicht ihres Sinnes beraubt, wenn man deren Anhebung
nicht als Unterbrechungsgrund für die individuellen Ansprüche der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anerkennt. Das Fehlen einer solchen Regelung
stellt demnach keine echte Lücke dar, welche vom Gericht geschlossen werden
könnte. Es ist vielmehr von einem qualifizierten Schweigen des Gesetzgebers
auszugehen. Wie die Vorinstanz zudem zutreffend ausgeführt hat, hätte die
Beschwerdeführerin leicht und ohne sich sehr zu exponieren eine Unterbrechung
der Verjährung erwirken können (vgl. auch BGE 133 V 579 E. 4.3.1 S. 583 mit
zahlreichen weiteren Hinweisen); anzufügen bleibt, dass sie dies
unbestrittenermassen am 19. Mai 2003 auch getan hat.

4.4 Führte die Anhebung der Verbandsklage im Sinne von Art. 7 GlG nicht zu
einer Unterbrechung der Verjährung für den Nachzahlungsanspruch der
Beschwerdeführerin, so besteht der kantonale Gerichtsentscheid zu Recht; ihre
Beschwerde ist somit abzuweisen.