Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 III 705



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Urteilskopf

138 III 705

107. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen
Schlichtungsbehörde für Mietverhältnisse (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_249/2012 vom 22. Juni 2012

Regeste

Sistierung des Verfahrens vor der Mietschlichtungsstelle über die Fristen nach
Art. 203 Abs. 1 und 4 ZPO hinaus. Anfechtungsobjekt der Rüge der
Rechtsverzögerung und Beschwerdefrist (Art. 319 lit. b Ziff. 1 und lit. c sowie
Art. 321 Abs. 1, 2 und 4 ZPO).
Anfechtungsobjekt der Rüge der Rechtsverzögerung (E. 2.1 und 2.2).
Berechnung der Frist nach Art. 203 Abs. 4 ZPO bei Rückweisung des Verfahrens an
die Schlichtungsstelle (E. 2.3.1).
Sistierung des Verfahrens ohne Rücksicht auf Art. 203 Abs. 4 ZPO bis zum
Entscheid des Bundesgerichts über ein Ausstandsbegehren (E. 2.3.2).

Erwägungen ab Seite 705

BGE 138 III 705 S. 705
Aus den Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer macht geltend, seine kantonale Beschwerde habe sich
entgegen der Annahme der Vorinstanz klarerweise nicht gegen den
Sistierungsbeschluss und damit gegen eine auf einem formellen Entscheid
beruhende Rechtsverzögerung gerichtet, sondern gegen das Verstreichenlassen der
Frist nach Art. 203 Abs. 1 und 4
BGE 138 III 705 S. 706
ZPO (SR 272). Hätte der Beschwerdeführer die Sistierungsverfügung angefochten,
wäre die Frist nach Art. 203 ZPO nicht abgelaufen gewesen, so dass er keine
entsprechende Rüge hätte erheben können.

2.1 Wird eine prozessleitende Verfügung angefochten, so beträgt die Frist zur
Einreichung einer Beschwerde im Sinne von Art. 319 ff. ZPO zehn Tage, sofern
das Gesetz nichts anderes bestimmt (Art. 321 Abs. 2 ZPO). Gegen
Rechtsverzögerung kann jederzeit Beschwerde eingereicht werden (Art. 321 Abs. 4
ZPO). Die Frist zur Anfechtung der Sistierungsverfügung vom 12. Januar 2012 war
am 3. April 2012 bereits abgelaufen, zumal die jederzeitige Anfechtbarkeit nach
Art. 321 Abs. 4 ZPO die Fälle vor Augen hat, in denen kein anfechtbarer
Entscheid erging (NICOLAS JEANDIN, in: CPC, Code de procédure civile commenté,
Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 12 zu Art. 321 ZPO; FREIBURGHAUS/AFHELDT,
in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und
andere [Hrsg.], 2010, N. 6. zu Art. 321 ZPO), und nicht zum Zuge kommt, sofern
die Verzögerung durch einen den Parteien selbständig eröffneten anfechtbaren
Entscheid bewirkt wird (SPÜHLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Zivilprozessordnung, 2010, N. 10 zu Art. 319 ZPO; IVO W. HUNGERBÜHLER, in:
Schweizerische Zivilprozessordnung ZPO, Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.],
2011, N. 14 zu Art. 321 ZPO).

2.2 Gemäss den Bestimmungen über das Schlichtungsverfahren hat die Verhandlung
innert zwei Monaten seit Eingang des Gesuchs oder nach Abschluss des
Schriftenwechsels stattzufinden (Art. 203 Abs. 1 ZPO). Mit Zustimmung der
Parteien kann die Schlichtungsbehörde weitere Verhandlungen durchführen. Das
Verfahren ist spätestens nach zwölf Monaten abzuschliessen (Art. 203 Abs. 4
ZPO). Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe sich in seiner Beschwerde
nicht gegen den Sistierungsentscheid gewandt, sondern gegen das
Verstreichenlassen der Fristen nach Art. 203 ZPO. Dem Sistierungsentscheid
konnte der Beschwerdeführer indessen entnehmen, dass das Verfahren bis zum
Entscheid des Bundesgerichts sistiert werden sollte. Wie lange das Verfahren
vor Bundesgericht dauern würde, war nicht abzusehen. Für den Beschwerdeführer
war daher erkennbar, dass beim Erlass des Sistierungsentscheides keine
Rücksicht auf die Fristen nach Art. 203 ZPO genommen wurde. Damit hätte bereits
die Sistierungsverfügung Anlass zu den vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen
gegeben. Bereits aus diesem Grund ist der angefochtene Entscheid nicht zu
beanstanden.
BGE 138 III 705 S. 707

2.3 Aber auch davon abgesehen erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Nach
Art. 126 Abs. 1 ZPO kann das Gericht das Verfahren sistieren, wenn die
Zweckmässigkeit dies verlangt, namentlich wenn der Entscheid vom Ausgang eines
anderen Verfahrens abhängig ist. Auch im Schlichtungsverfahren muss eine
Sistierung zulässig sein, wenn die sofortige Durchführung der Verhandlung
unzweckmässig erscheint. Die Botschaft erwähnt ausdrücklich die Möglichkeit,
das Verfahren während der Jahresfrist von Art. 203 Abs. 4 ZPO pendent zu
halten, um den Parteien Vergleichsverhandlungen zu ermöglichen, wobei das
Verfahren allerdings auch in diesem Fall binnen Jahresfrist abzuschliessen ist
(Botschaft zur ZPO, BBl 2006 7331 Ziff. 5.13 zu Art. 200 Abs. 4 E-ZPO). Eine
Sistierung, die zu einer längeren Hängigkeit des Verfahrens vor der
Schlichtungsstelle führen kann, ist daher nur mit Zurückhaltung anzuordnen.

2.3.1 Zu beachten ist allerdings, dass die in Art. 203 Abs. 4 ZPO vorgesehene
Jahresfrist die Verfahrensdauer vor der Schlichtungsbehörde regelt, nicht die
Dauer eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens. Der Beschwerdeführer wandte
sich am 31. Mai 2011 an die Schlichtungsbehörde. Bereits am 9. Juni 2011 fällte
diese ihren Nichteintretensentscheid. Erst mit dem Entscheid des Obergerichts
vom 9. Dezember 2011 gelangte das Verfahren erneut vor die Schlichtungsstelle.
Vor dieser dauert das Verfahren damit selbst zusammengerechnet noch keine 12
Monate.

2.3.2 Die Sistierung des Verfahrens ist aber auch davon abgesehen nicht zu
beanstanden. Sowohl die ZPO (Art. 50 Abs. 2 ZPO) als auch das BGG (Art. 92 BGG)
sehen die sofortige Anfechtbarkeit der Entscheide über Ausstandsbegehren vor,
im Bestreben diese Fragen rasch zu klären, damit das Verfahren, für welches ein
Ausstandsbegehren gestellt wurde, korrekt seinen Fortgang nehmen kann. Unter
diesem Gesichtspunkt erscheint die Sistierung zweckmässig. Der Beschwerdeführer
zeigt nicht auf, dass er im kantonalen Verfahren prozesskonform Umstände
angeführt hätte, die einen materiellen Entscheid über die Streitfrage als
dringlich erscheinen liessen. Führt die Schlichtungsbehörde die Verhandlung
durch, bevor das Bundesgericht über die bei ihm hängige Beschwerde betreffend
die korrekte Zusammensetzung und das Ausstandsbegehren (Verfahren 4A_3/2012)
entschieden hat, besteht kein Anlass, das vom Beschwerdeführer abgelehnte
Mitglied C. vom Verfahren auszuschliessen, da das Obergericht die
Zusammensetzung der Schlichtungsbehörde nicht beanstandet hat. Der
Beschwerdeführer beantragt aber vor Bundesgericht die
BGE 138 III 705 S. 708
Durchführung der Schlichtungsverhandlung ohne C., was er mit Hinweis auf die
von ihm als verletzt gerügten Fristen nach Art. 203 ZPO ohnehin nicht erreichen
kann.