Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 III 675



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Urteilskopf

138 III 675

102. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Z.
Limited (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_84/2012 vom 19. September 2012

Regeste

Art. 91 ff. ZPO; Art. 250 SchKG; Streitwert der Kollokationsklage im Konkurs.
Grundsätze der Streitwertberechnung und Bedeutung der mutmasslichen
Konkursdividende (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 675

BGE 138 III 675 S. 675

A.

A.a Im Konkurs über die Y. AG in Liquidation legte das Konkursamt Enge-Zürich
vom 29. April bis 23. Mai 2011 den Kollokationsplan auf. Als
Drittklassgläubiger sind u.a. X. mit einer Forderung aus Auftrag von Fr.
11'098.- und die Z. Limited mit einer Forderung aus Darlehen von Fr.
9'682'357.81 (reduziert vom Konkursamt gemäss Schreiben der Gläubigerin vom 20.
Mai 2011) zugelassen.

A.b Am 19. Mai 2011 erhob X. beim Bezirksgericht Zürich Kol-lokationsklage
gegen die Z. Limited und beantragte, die Forderung der Mitgläubigerin sei zu
reduzieren und lediglich im Betrag von Fr. 8'031'060.- zu kollozieren.

A.c Mit Verfügung vom 26. September 2011 setzte das Bezirksgericht X. Frist zur
Leistung eines Kostenvorschusses von Fr. 34'075.- an.

B. Gegen diese Verfügung erhob X. Beschwerde und verlangte, dass der
Kostenvorschuss auf höchstens Fr. 1'903.85 festzulegen sei. Das
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Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, hiess die Beschwerde mit
Urteil vom 7. Dezember 2011 teilweise gut und reduzierte den Kostenvorschuss
auf Fr. 25'000.-. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen.

C. Mit Eingabe vom 27. Januar 2012 hat X. Beschwerde in Zivilsachen erhoben.
Der Beschwerdeführer beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den
Kostenvorschuss für die Kollokationsklage auf höchstens Fr. 1'903.85
festzulegen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Zivilsachen gut und weist die Sache
an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung zurück.
(Auszug)
Aus den Erwägungen:

Erwägungen

3. Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Festsetzung des Vorschusses für
Gerichtskosten im (negativen) Kollokationsprozess nach Art. 250 Abs. 2 SchKG
(Wegweisungsprozess). Zu Recht ist unbestritten, dass sich der Streitwert im
Kollokationsprozess im kantonalen Verfahren seit Inkrafttreten der ZPO (SR 272)
nach Bundesrecht bestimmt (Art. 1 lit. c, Art. 91 ff. ZPO). Die Rechtsprechung
des Bundesgerichts zum Streitwert im Kollokationsprozess im eidgenössischen
Rechtsmittelverfahren ist nunmehr auch im kantonalen Verfahren massgebend
(TAPPY, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 45 zu Art. 91 ZPO;
vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7221, 7291 Ziff. 5.7 a.E.).
Hingegen richtet sich die Festsetzung der Gerichtskosten bzw. des Vorschusses
weiterhin nach kantonalem Recht (Art. 96 und 98 ZPO). Der Beschwerdeführer
wendet sich gegen den Streitwert, nach welchem die Vorinstanz den Vorschuss für
die Gerichtskosten festgesetzt hat.

3.1 Der Streitwert bei der Kollokationsklage bemisst sich nach der Dividende,
die auf den bestrittenen Betrag entfallen würde, also nach dem möglichen
Prozessgewinn (BGE 65 III 28 E. 2 S. 31; BGE 81 II 473 S. 474; BGE 82 III 94 S.
95; BGE 135 III 127 E. 1.2 S. 129). Bei der Anfechtung der Kollokation eines
Konkurrenten (Art. 250 Abs. 2 SchKG) berechnet sich diese Differenz auf der dem
Beklagten zufallenden Dividende (BGE 114 III 114 S. 116; BGE 131 III 451 E. 1.2
S. 453; TAPPY, a.a.O., N. 82 zu Art. 91 ZPO; GILLIÉRON, Commentaire de la loi
fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. III, 2001, N. 124 und
125 zu Art. 250 SchKG). Somit ist bei der negativen Kollokationsklage nicht
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das Streitinteresse des Klägers allein massgebend, sondern vielmehr dasjenige
des Klägers und der Masse (BRUNNER/REUTTER, Kollokations- und
Widerspruchsklagen nach SchKG, 2. Aufl. 2002, S. 55). Grund dafür ist, dass -
je nach Umfang der bestrittenen Forderung und erwarteten Dividende - der
Prozessgewinn höher sein kann, als es zur Tilgung von Forderung und Kosten des
Klägers erforderlich ist, und dieser Überschuss nach Art. 250 Abs. 2 SchKG
zugunsten der übrigen Gläubiger in die Konkursmasse fällt (AMONN/WALTHER,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl. 2008, § 46 Rz.
57). Von diesen Grundsätzen ist das Obergericht zu Recht ausgegangen.

3.2 Die Berechnung der mutmasslichen Konkursdividende erfolgt durch die
Konkursverwaltung, welche hierfür die Aktiven gemäss Inventar den Passiven
gemäss Kollokationsplan gegenüberstellt und das zu erwartende Resultat im
Kollokationsplan angibt (BGE 65 III 28 E. 3 S. 32; BRUNNER/REUTTER, a.a.O., S.
54 f.). Vorliegend steht fest, dass das Konkursamt für alle Gläubigerklassen
eine mutmassliche Konkursdividende von 0 % ermittelt hat. Das Obergericht
erachtet diese als unrealistisch bzw. nicht verbindlich und ist zur neuen
Schätzung der Aktiven geschritten.

3.2.1 Das Bundesgericht hat in BGE 65 III 28 (E. 3 S. 32) festgehalten, dass
sich der Kollokationskläger bei Einleitung des Prozesses darauf verlassen kann,
was die Konkursverwaltung als mutmassliche Dividende ermittelt hat. Grund dafür
ist, dass sich (wie im Bundesgerichtsurteil ausgeführt) nicht bloss
Zuständigkeit und Verfahren nach dem Streitwert richten können, sondern
allgemein der Kollokationskläger nur auf diese Weise Prozessrisiko und
Prozessnutzen abschätzen kann (JEANDIN, Poursuite pour dettes et faillite: état
de collocation, FJS Nr. 990b, Stand: 1999, Ziff. I.A.7; BRUNNER/REUTTER,
a.a.O., S. 55).

3.2.2 Das Obergericht hat übergangen, dass die Schätzung, welche für jedes
Vermögensstück vorzunehmen und im Konkursinventar anzugeben ist (Art. 227
SchKG), eine zwangsvollstreckungsrechtliche Verfügung (Art. 17 SchKG)
darstellt, welche der Kontrolle der Aufsichtsbehörde nach Art. 18 SchKG
untersteht. Die Schätzung ist nicht nur für die Frage der Einstellung des
Konkursverfahrens mangels Aktiven durch das Konkursgericht erheblich (Art. 230
Abs. 1 SchKG). Die Angabe der mutmasslichen Dividende - gestützt auf die
Schätzung im Inventar - dient vielmehr auch dem Kollokationsrichter als
zuverlässige Streitwertangabe (BRUNNER/REUTTER, a.a.O., S. 55). Zu
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Recht wird in der Lehre bestätigt, dass die Schätzung der mutmasslichen
Konkursdividende für das Gericht verbindlich ist (HIERHOLZER, in: Basler
Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 49
zu Art. 250 SchKG; SPRECHER, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 30 zu Art. 250
SchKG). Es gibt keinen Grund, weshalb der Kollokationsrichter die Schätzung der
Konkursverwaltung frei überprüfen können soll (mit der Folge, dass sich wie
hier die Parteien vor dem Kollokationsrichter über den Schätzungswert von
Aktiven streiten). Ob eine veränderte Grundlage des Streitwertes - die Änderung
des Inventars (bzw. der enthaltenen Schätzungswerte) durch die
Konkursverwaltung bzw. Aufsichtsbehörden - im Verlauf des Kollokationsprozesses
vorbehalten ist, kann hier (wie bereits in BGE 65 III 28 E. 3 S. 32)
offenbleiben. Demnach findet die Neuschätzung der Aktiven durch die Vorinstanz
und die danach ermittelte Konkursdividende von 20,7 % im Bundesrecht keine
Grundlage. Es bleibt dabei, dass das Obergericht für die Festsetzung des
Streitwertes für die vom Beschwerdeführer erhobene Kollokationsklage von einer
mutmasslichen Konkursdividende von 0 % auszugehen hat.

3.3 Wenn die mutmasslich auf eine strittige Forderung entfallende
Konkursdividende 0 % beträgt, kann mit der Kollokationsklage im laufenden
Konkurs kein geldwerter Prozessgewinn erzielt werden (BGE 65 III 28 E. 1 S.
30). Nach der Rechtsprechung ist ein Kollokationsstreit wegen der Wirkungen des
Verlustscheines auch dann zulässig, wenn das auf den bestrittenen Anspruch
entfallende Konkursbetreffnis voraussichtlich Null sein wird (BGE 82 III 94 S.
96). Im Konkurs von juristischen Personen kann sich immerhin die Frage nach dem
erforderlichen rechtlich geschützten Interesse des Klägers an der Behandlung
der Kollokationsklage stellen (in diesem Sinn Urteil 5C.185/2002 vom 31.
Oktober 2002 E. 2.2; Urteil 5A_484/2010 vom 20. Dezember 2010 E. 4.2; BRUNNER/
REUTTER, a.a.O., S. 54; HIERHOLZER, a.a.O., N. 54 zu Art. 250 SchKG; vgl.
BRACONI, La collocation des créances en droit international de la faillite,
2005, S. 130 Fn. 100).

3.4 Vorliegend hat das Obergericht zum Rechtsschutzinteresse ausgeführt, der
Beschwerdeführer habe ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der
Kollokationsklage, zu welchem das Interesse der Masse hinzukomme. Nach der
Klageschrift will der Beschwerdeführer die Konkursforderung der
Beschwerdegegnerin reduzieren, um bei Abtretung von Ansprüchen nach Art. 260
SchKG zu verhindern, dass
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die Beschwerdegegnerin bei Verteilung des Ergebnisses (Art. 260 Abs. 2 SchKG)
zu viel bekomme. Entgegen der Auffassung des Obergerichts macht der
Beschwerdeführer damit kein unmittelbares Prozessinteresse geltend - weder für
sich, noch für die Masse. Grund dafür ist, dass bei einer mutmasslichen
Dividende von 0 % ein frei werdender Betrag für den Beschwerdeführer nicht zu
erwarten ist, ebenso wenig ein Überschuss (Art. 250 Abs. 2 SchKG) für die
Masse, was nach BGE 115 III 68 S. 71 ohne weiteres zur Klageführung genügt. Das
Streitinteresse des Beschwerdeführers und der Masse ist hier ein mittelbares,
denn es setzt vorab die erfolgreiche Geltendmachung eines gemäss Art. 260 SchKG
abgetretenen Anspruchs voraus, die zu einem Überschuss (Art. 260 Abs. 2 SchKG)
führt. Offenbar geht es vorliegend um die Geltendmachung (nach Art. 260 SchKG)
von Verantwortlichkeitsansprüchen gegen natürliche Personen in Millionenhöhe.
Dass hier das Obergericht dem Beschwerdeführer im Ergebnis ein hinreichendes
Rechtsschutzinteresse zugestanden hat, um die Kollokationsklage zu führen, ist
nicht zu beanstanden. Bleibt zu prüfen, was dies für den Streitwert bedeutet.

3.4.1 In der Lehre wird vorgeschlagen, im Fall der Nulldividende bei
hinreichendem Rechtsschutzinteresse für den Streitwert auf die nominell
eingeklagte Konkursforderung abzustellen (STÖCKLI, Komplizierter Streit,
Insolvenz- und Wirtschaftsrecht [IWIR] 1998 S. 148; gl.M. allgemein, d.h.
unabhängig von einer Dividendenprognose JAQUES, in: Commentaire romand,
Poursuite et faillite, 2005, N. 38 zu Art. 250 SchKG mit Hinweis auf GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 111 Fn. 22). Das
Bundesgericht hat ein entsprechendes Vorgehen, das sich noch auf kantonales
Recht stützte, nicht als Verstoss gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) erachtet
(Urteil 5A_484/2010 vom 20. Dezember 2010 E. 4.2.4). Bei dieser Sichtweise wäre
die anbegehrte nominelle Reduktion der kollozierten Forderung als Streitwert zu
nehmen.

3.4.2 In Anwendung von Bundesrecht (OG) hat das Bundesgericht indessen
klargestellt, was für den Streitwert gilt, wenn (wie hier mit Blick auf das
mögliche Ergebnis eines möglichen Abtretungsprozesses) nur ein mittelbares
Streitinteresse vorliegt. Nach BGE 82 III 94 (S. 96) ist in diesem Fall nur ein
minimaler Streitwert, entsprechend dem mehr nur symbolischen, jedenfalls
ausserhalb des unmittelbaren Prozesserfolgs liegenden Streitinteresse
anzunehmen. Die blosse Möglichkeit, dass der zu Verlust gekommene Betrag sich
später doch noch einbringen lasse, kann nur in solcher Weise
BGE 138 III 675 S. 680
berücksichtigt werden. Diese Rechtsprechung wird in der Lehre bestätigt (TAPPY,
a.a.O., N. 82 a.E. zu Art. 91 ZPO), und triftige Gründe, um davon abzurücken,
sind nicht ersichtlich. Mit dieser Rechtsprechung ist nicht vereinbar, wenn das
Obergericht den Streitwert nach der anbegehrten Reduktion (Fr. 1'652'297.81)
der Konkursforderung der Beschwerdegegnerin gerichtet hat, oder wenn der
Beschwerdeführer seine bzw. die Konkursforderung des Klägers heranziehen will.

3.5 Nach dem Dargelegten verstösst gegen Bundesrecht, wenn die Vorinstanz bei
der Festlegung des Kostenvorschusses von einem Streitwert ausgegangen ist, der
die mutmassliche Konkursdividende von 0 % übergeht und auf die umstrittene
Reduktion der Konkursforderung der Beschwerdegegnerin abstellt. Die Rüge des
Beschwerdeführers, dass die bundesrechtlichen Regeln bei der Festlegung des
Streitwertes übergangen worden seien, ist begründet, ohne dass über die
weiteren Rügen zu befinden ist.
Die Vorinstanz hat die Sache neu zu beurteilen und einen minimalen Streitwert,
entsprechend dem mehr nur symbolischen, jedenfalls ausserhalb des unmittelbaren
Prozesserfolgs liegenden Streitinteresse anzunehmen. Ob im konkreten Fall die
Grössenordnung von Fr. 10'000.- (wie der Beschwerdeführer im Ergebnis verlangt)
dem Kriterium eines minimalen Streitwertes entspricht, welcher für die
anbegehrte Reduktion der Konkursforderung angenommen werden kann, ist eine
Frage, welche im Ermessen des kantonalen Gerichts liegt. In Anwendung des
kantonalen Rechts hat das Obergericht schliesslich den Kostenvorschuss
festzusetzen.