Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 III 532



Zurück zur Einstiegsseite Drucken

Urteilskopf

138 III 532

76. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y.
(Beschwerde in Zivilsachen)
5A_123/2012 vom 28. Juni 2012

Regeste

Vereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung; Einreichung der Vereinbarung
beim Bundesgericht im Beschwerdeverfahren nach Art. 72 ff. BGG.
Zur Genehmigung der Scheidungsvereinbarung durch das Bundesgericht (E. 1).
Durchführung im konkreten Fall (E. 3 und 5).

Sachverhalt ab Seite 532

BGE 138 III 532 S. 532

A. Das Bezirksgericht Schwyz (Einzelrichter) schied die Ehe von X.
(Beschwerdeführer) und Y. (Beschwerdegegnerin) und regelte die Nebenfolgen der
Scheidung. Auf Berufung des Beschwerdeführers bestätigte das Kantonsgericht
Schwyz das bezirksgerichtliche Urteil hinsichtlich der angefochtenen
güterrechtlichen Auseinandersetzung.

B. Der Beschwerdeführer gelangte mit Beschwerde in Zivilsachen an das
Bundesgericht und erneuerte seine Anträge bezüglich der güterrechtlichen
Auseinandersetzung. Nach Einreichung der Beschwerde beantragte er dem
Bundesgericht neu, die beigelegte
BGE 138 III 532 S. 533
Scheidungsvereinbarung der Parteien gerichtlich zu genehmigen und die
Beschwerde infolge Vergleichs als gegenstandslos von der Kontrolle
abzuschreiben, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten und von der
Zusprechung einer Parteientschädigung abzusehen. Die von den Parteien selbst
verfasste und unterzeichnete "Vereinbarung zwischen Y. und X." hat, soweit hier
wesentlich, folgenden Wortlaut:
"Y. und X. haben sich wie folgt geeinigt:
X. zieht die Beschwerde beim Bundesgericht innert 3 Tage, nach Unterzeichnung
dieses Vertrages zurück und trägt die Verfahrenskosten.
(...)
Y. überschreibt Ihre Hälfte des gemeinsamen Hauses an X. Der Verkaufspreis ist
derart anzusetzen, dass mit dem Verkaufspreis die Uebernahme der hälftigen auf
dem Haus lastenden Schulden (Fr. 305'000) und der WEF-Vorbezug von Fr.
94'770.45 bzw. deren Rückzahlung an die Pensionskasse (Ziff. 5 Urteil des
Einzelrichters Schwyz) gedeckt bzw. getilgt sind. Sämtliche mit der
Ueberschreibung verbundenen Kosten wie Grundbuch- und Notariatsgebühren,
Grundstückgewinnsteuern, usw. übernimmt X.
Gemäss dem Urteil des Bezirksgerichtes Schwyz ist das Totale BVG in der Höhe
von insgesamt Fr. 173'289.30 von der PK von X. an die PK von Y. zu überweisen.
X. übernimmt im internen Verhältnis die gesamte Schuld gegenüber der
Hypothekarbank und ist bemüht, dass die Bank Y. aus der Schuld entlässt. Bei
der Ueberschreibung hat X. eine entsprechende Bestätigung der Bank vorzuweisen.
X. übernimmt alle mit der Liegenschaft verbunden Kosten bzw. Forderungen.
Die Ueberschreibung erfolgt bis Ende April 2012."

C. Auf Anordnung des Instruktionsrichters der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Bundesgerichts reichte der Beschwerdeführer die Bestätigung seiner
Pensionskasse über die Durchführbarkeit der getroffenen Regelung und die
Teilbarkeit seiner während der Ehe erworbenen Austrittsleistung ein. Die
Beschwerdegegnerin beantragte, die Vereinbarung zu genehmigen, von einer
Auferlegung der Kosten abzusehen, eventuell die Kosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen, und auf die Zusprechung einer Parteientschädigung zu verzichten.

D. Die Angelegenheit wurde an der Sitzung der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Bundesgerichts vom 28. Juni 2012 öffentlich beraten und das Urteil
anschliessend an die Beratung und Abstimmung mündlich eröffnet.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

BGE 138 III 532 S. 534
Aus den Erwägungen:

1. Der Beschwerdeführer beantragt dem Bundesgericht neu, die
Scheidungskonvention der Parteien vom 29. März 2012 gerichtlich zu genehmigen
und die Beschwerde infolge Vergleichs als gegenstandslos von der Kontrolle
abzuschreiben. Die Beschwerdegegnerin schliesst sich dem Antrag an.

1.1 Unter Herrschaft des Bundesrechtspflegegesetzes vom 16. Dezember 1943 (OG;
BS 3 531) hat das Bundesgericht im Verfahren der eidgenössischen Berufung neu
eingereichte Vereinbarungen der Ehegatten über die Scheidungsfolgen geprüft und
gerichtlich genehmigt, und zwar unabhängig davon, ob eine Vereinbarung die der
freien Verfügung der Ehegatten unterliegenden vermögensrechtlichen Fragen
betraf (z.B. Beschlüsse 5C.28/2001 und 5C.34/2001 vom 28. Mai 2002
[Güterrecht]; Urteile 5C.41/1993 vom 13. April 1993 [Güterrecht]; 5C.165/1993
vom 26. Oktober 1993 [nachehelicher Unterhalt]; Beschluss 5C.252/1991 vom 20.
Mai 1992 [nachehelicher Unterhalt]) oder sich auch auf die von der
Offizialmaxime beherrschten Kinderbelange bezog (z.B. Urteile 5C.183/2002 vom
24. Februar 2003; 5C.112/1990 vom 7. September 1990). Wo die Ehegatten nach
Erhebung der eidgenössischen Berufung eine Vereinbarung über die
Scheidungsfolgen geschlossen, aber einem kantonalen Sachgericht zur Genehmigung
eingereicht haben, hat das Bundesgericht das Verfahren praxisgemäss sistiert
und nach Vorliegen der Genehmigung als erledigt abgeschrieben (z.B. Verfügung
5C.252/1995 vom 8. März 1996). Den jeweiligen Berufungsantrag, die neu
eingereichte Vereinbarung über die Scheidungsfolgen gerichtlich zu genehmigen
und das Verfahren abzuschreiben, hat das Bundesgericht als prozessualen Antrag
behandelt und nicht als neues, im Verfahren der eidgenössischen Berufung
unzulässiges Begehren (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG; allgemein: MESSMER/IMBODEN,
Die Eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, 1992, S. 152/153 bei/in Anm.
15 mit Hinweisen). Anträge, die das Rechtsmittelverfahren betreffen, müssen
notwendigerweise im Rechtsmittelverfahren gestellt werden können, auch wenn sie
neu sind (vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S.
489 in Anm. 45).

1.2 An der bisherigen Praxis ist nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173. 110) grundsätzlich
festzuhalten, so dass gerichtliche Vergleiche in der Regel weiterhin dem
Bundesgericht zur Genehmigung
BGE 138 III 532 S. 535
unterbreitet werden können, verbunden mit dem Antrag, das Verfahren durch
Vergleich erledigt abzuschreiben. Zum einen sind Nova, die das
Prozessrechtsverhältnis betreffen, weder neue Tatsachen und Beweismittel (Art.
99 Abs. 1 BGG) noch neue Begehren (Art. 99 Abs. 2 BGG) und vor Bundesgericht
deshalb voraussetzungslos zulässig (vgl. LORENZ MEYER, Wege zum Bundesgericht -
Übersicht und Stolpersteine, ZBJV 146/2010 S. 797 ff., S. 880 Ziff. 6.5.5 mit
Hinweisen). Zum anderen unterscheidet sich die Beschwerde in Zivilsachen in
diesem Punkt nicht von der bisherigen eidgenössischen Berufung, so dass sich
eine Änderung der Rechtsprechung auch deswegen nicht aufdrängt.

1.3 Allerdings ist bezüglich der Vereinbarungen über die Scheidungsfolgen eine
Präzisierung angebracht. Reichen die Parteien dem Bundesgericht einen
gerichtlichen Vergleich ein, kann das Bundesgericht das Verfahren zufolge
Vergleichs als gegenstandslos abschreiben, soweit der Vergleich das Verfahren
auch tatsächlich erledigt (Art. 73 BZP [SR 273] i.V.m. Art. 71 BGG; vgl. Art.
32 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht prüft den eingereichten Vergleich insoweit
auf Vollständigkeit und Klarheit (vgl. Urteil 5A_828/2010 vom 28. März 2011 E.
4.1). Diese Prüfung kann aufgrund der Akten und der Parteieingaben erfolgen.
Die Vereinbarung über die Scheidungsfolgen ist kein Vergleich in diesem Sinn.
Sie bedarf zu ihrer Gültigkeit der gerichtlichen Genehmigung. Die erteilte
Genehmigung bewirkt, dass die Vereinbarung über die Scheidungsfolgen ihren
vertraglichen Charakter verliert und vollständiger Bestandteil des Urteils wird
(vgl. BGE 105 II 166 E. 1 S. 168 f.; BGE 119 II 297 E. 3b S. 301). Die
Vereinbarung über die Scheidungsfolgen ist nicht nur auf ihre Vollständigkeit
und Klarheit zu prüfen, sondern zusätzlich auf ihre rechtliche Zulässigkeit und
ihre sachliche Angemessenheit, wobei die Prüfung der Angemessenheit beschränkt
ist, soweit lediglich die vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen zwischen den
Ehegatten infrage stehen (vgl. BGE 102 II 65 E. 2 S. 68; BGE 99 II 359 E. 3c S.
362). In der Regel kann das Bundesgericht die Genehmigungsvoraussetzungen
aufgrund der Akten und der Parteieingaben selbstständig prüfen. In diesem Fall
rechtfertigt es sich, das Verfahren wie bisher unmittelbar vor Bundesgericht
abzuschliessen. Wie es sich verhält, wenn die Prüfung der Vereinbarung über die
Scheidungsfolgen erschwert oder ausgeschlossen ist, was namentlich in
Kinderbelangen der Fall sein kann, braucht hier nicht geklärt zu werden.
(...)
BGE 138 III 532 S. 536

3. Mit der güterrechtlichen Auseinandersetzung verbunden ist die Regelung der
Ansprüche aus beruflicher Vorsorge. Der Anspruch der Beschwerdegegnerin beläuft
sich gemäss den bezirksgerichtlichen Feststellungen auf Fr. 173'289.30. Eine
Überweisung der Austrittsleistung in dieser Höhe war nicht durchführbar, weil
der Beschwerdeführer am 30. April 2002 einen Vorbezug für den Erwerb von selbst
genutztem Wohneigentum im Betrag von Fr. 194'885.- getätigt hatte und weil sich
die Parteien im Rahmen der Scheidung nicht auf einen Verkauf der in ihrem
hälftigen Miteigentum stehenden Liegenschaft einigen konnten. Die Parteien
haben sich vor Bundesgericht darauf geeinigt, dass der Beschwerdeführer die
Miteigentumshälfte der Beschwerdegegnerin übernimmt und deren Anspruch aus
beruflicher Vorsorge im Betrag von Fr. 173'289.30 durch Überweisung der
Austrittsleistung in dieser Höhe erfüllt (vgl. Art. 280 Abs. 1 lit. a ZPO). Die
Vorsorgeeinrichtung des Beschwerdeführers hat die Durchführbarkeit der
vereinbarten Regelung bestätigt (vgl. Art. 280 Abs. 1 lit. b ZPO). Die
Vereinbarung kann in diesem Punkt genehmigt werden (vgl. Art. 280 Abs. 1 lit. c
ZPO). Sie ist von Amtes wegen mit den entsprechenden Anweisungen an die
Vorsorgeeinrichtung des Beschwerdeführers zu ergänzen und den betroffenen
Vorsorgeeinrichtungen beider Parteien mitzuteilen (vgl. Art. 280 Abs. 2 ZPO).
Da die erwähnte Übernahme der Miteigentumshälfte mit der vereinbarten Regelung
der beruflichen Vorsorge ein Ganzes bildet, ist sie förmlich im
Urteilsdispositiv aufzuführen, obgleich sie gemäss Abtretungsvertrag vom 2. Mai
2012 bereits erfolgt ist.
(...)

5. Die Scheidungsvereinbarung kann mit den erwähnten Ergänzungen genehmigt und
in das Urteilsdispositiv aufgenommen werden. Die übereinstimmenden Anträge der
Parteien sind deshalb gutzuheissen und die kantonal geregelten Scheidungsfolgen
abzuändern. Das Beschwerdeverfahren ist damit in formeller Hinsicht durch den
Vergleich und dessen Genehmigung erledigt. Der Beschwerdeführer hat sich bereit
erklärt, die Verfahrenskosten zu übernehmen. Die Voraussetzungen für einen
Verzicht auf die Erhebung von Gerichtskosten sind nicht erfüllt (vgl. Art. 66
Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist vereinbarungsgemäss nicht
zuzusprechen.