Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 III 483



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Urteilskopf

138 III 483

70. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen
Z. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_209/2012 vom 28. Juni 2012

Regeste

Art. 219, 223 und 253 ZPO; Art. 84 Abs. 2 SchKG; Stellungnahme zum
Rechtsöffnungsbegehren, Säumnis.
Bei versäumter Stellungnahme zum Rechtsöffnungsbegehren wird dem Betriebenen
keine Nachfrist im Sinne von Art. 223 ZPO angesetzt (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 484

BGE 138 III 483 S. 484

A.

A.a In der gegen die X. AG angehobenen Betreibung (Nr. x., Betreibungsamt Zug)
stellte Z. am 13. Juli 2011 beim Kantonsgericht Zug das Gesuch um provisorische
Rechtsöffnung.

A.b Am 15. Juli 2011 forderte der Einzelrichter am Kantonsgericht die X. AG per
Einschreiben auf, binnen sieben Tagen ab Empfang eine schriftliche Antwort zum
Rechtsöffnungsgesuch einzureichen. Er teilte mit, dass (mit Hinweis auf Art.
145 Abs. 2 lit. b ZPO [SR 272]) die Frist während der Gerichtsferien nicht
stillstehe, hingegen seien die Betreibungsferien (15. bis 31. Juli) gemäss Art.
56 Ziff. 2 SchKG zu berücksichtigen. Ohne fristgerechte Eingabe werde das
Verfahren nach Art. 147 Abs. 2 ZPO ohne die versäumte Handlung fortgeführt.

A.c Mit Eingabe vom 17. August 2011 reichte die X. AG die Stellungnahme zum
Rechtsöffnungsgesuch ein.

A.d Am 18. August 2011 wies der Einzelrichter die Stellungnahme der X. AG aus
dem Recht. Zur Begründung hielt er fest, dass die Frist von sieben Tagen zur
Einreichung der Stellungnahme am ersten Werktag nach Ablauf der
Betreibungsferien (Sonntag, 31. Juli 2011) begonnen habe und die Eingabe vom
17. August 2011 (Poststempel) verspätet sei.

B.

B.a Am 23. August 2011 ersuchte die X. AG den Rechtsöffnungsrichter (mit
Hinweis auf Art. 223 Abs. 1 i.V.m. Art. 219 ZPO) um eine kurze Nachfrist zur
Einreichung der Stellungnahme zum Rechtsöffnungsgesuch. Mit Entscheid vom 26.
August 2011 wies der Einzelrichter das Gesuch um eine Nachfrist ab, weil dies
im summarischen Verfahren nicht möglich sei, und erteilte die provisorische
Rechtsöffnung.

B.b Hiergegen gelangte die X. AG an das Obergericht des Kantons Zug und
verlangte die Aufhebung des Rechtsöffnungsentscheides sowie die Rückweisung der
Sache an die Vorinstanz zur neuen Beurteilung. Mit Urteil vom 2. Februar 2012
wies das Obergericht die Beschwerde ab.
BGE 138 III 483 S. 485

C. Die X. AG hat am 8. März 2012 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Weigerung des
Rechtsöffnungsrichters, der Beschwerdeführerin nach versäumter Frist zur
Stellungnahme zum Rechtsöffnungsgesuch eine kurze Nachfrist anzusetzen. Die
Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen eine Verletzung von Bundesrecht, weil
ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme innert Nachfrist nicht gewährt worden
sei.

3.1 Der Entscheid über die Rechtsöffnung (Art. 80 ff. SchKG) wird im
summarischen Verfahren getroffen (Art. 251 lit. a ZPO). In diesem Verfahren
sieht die ZPO keine Gerichtsferien vor (Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO). Die
Bestimmungen des SchKG über die Betreibungsferien und den Rechtsstillstand
bleiben vorbehalten (Art. 145 Abs. 4 ZPO).

3.1.1 Der Rechtsöffnungsentscheid wird vom Begriff der Betreibungshandlung
gemäss Art. 56 SchKG erfasst (BGE 115 III 91 E. 3a S. 93; BGE 121 III 88 E. 6c/
aa S. 91; u.a. HOHL, Procédure civile, Bd. II, 2. Aufl. 2010, S. 186 Rz. 1010;
STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 60 zu Art. 84 SchKG). Dies hat das
Bundesgericht im Urteil 5A_120/2012 vom 21. Juni 2012 E. 3.2 bestätigt. Die
Frage, ob das Ansetzen von Fristen im Rechtsöffnungsverfahren ebenfalls als
Betreibungshandlung gilt, wird im erwähnten Urteil (a.a.O.) offengelassen und
in der Lehre unterschiedlich beantwortet (bejahend BAUER, in: Basler Kommentar,
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 29a zu
Art. 56 SchKG; STÜCHELI, Die Rechtsöffnung, 2000, S. 133/134, mit Hinweisen;
kritisch GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes
et faillite, Bd. I, 1999, N. 31 zu Art. 56 SchKG; TAPPY, in: Code de procédure
civile commenté, 2011, N. 18 zu Art. 146 ZPO).

3.1.2 Die Frage ist vorliegend nicht weiter zu erörtern. Selbst wenn die
Wirkung der Verfügung, mit welcher der Rechtsöffnungsrichter der Schuldnerin
nach Art. 84 Abs. 2 SchKG und Art. 253 ZPO am 15. Juli 2011 eine Frist von
sieben Tagen zur schriftlichen Stellungnahme angesetzt hat, wegen der vom 15.
bis 31. Juli 2011
BGE 138 III 483 S. 486
dauernden Betreibungsferien auf den nächstfolgenden Werktag aufgeschoben wäre
(vgl. BAUER, a.a.O., N. 7a, 54 zu Art. 56 SchKG), bliebe die Stellungnahme vom
17. August 2011 unbestrittenermassen verspätet. Streitpunkt ist denn auch
einzig, ob die Regel über die "versäumte Klageantwort" auf die von der
Beschwerdeführerin versäumte Stellungnahme anwendbar ist oder ob der
Rechtsöffnungsrichter das summarische Verfahren bei versäumter Stellungnahme
ohne Ansetzung einer Nachfrist weiterführen durfte.

3.2 Im ordentlichen Verfahren bestimmt Art. 223 Abs. 1 ZPO, dass das Gericht
bei versäumter Klageantwort der beklagten Partei eine kurze Nachfrist ansetzt.
Gemäss Art. 219 ZPO gelten die Bestimmungen des ordentlichen Verfahrens
sinngemäss für sämtliche Verfahren, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt.
Zu prüfen ist, ob Art. 223 Abs. 1 ZPO im summarischen Verfahren über den
Rechtsöffnungsentscheid zur Anwendung kommt, m.a.W. bei versäumter
Stellungnahme zum Rechtsöffnungsgesuch (Art. 84 Abs. 2 SchKG und Art. 253 ZPO)
eine kurze Nachfrist anzusetzen ist.

3.2.1 In der Literatur ist umstritten, ob im summarischen Verfahren bei Säumnis
der Gegenpartei eine Nachfrist zu gewähren ist. Ein Teil der Lehre befürwortet
die analoge Anwendbarkeit von Art. 223 ZPO, u.a. mit dem Hinweis, dass nicht
nur die Frist zur Stellungnahme, sondern auch die Nachfrist unter Umständen
sehr kurz ausfallen können (vgl. PAHUD, in: Schweizerische Zivilprozessordnung,
Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2011, N. 9 zu Art. 223 ZPO; MAZAN, in: Basler
Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N. 16 zu Art. 253 ZPO; im
gleichen Sinn TREZZINI, in: Commentario al Codice di diretto processuale civile
svizzero [CPC], Cocchi/ Trezzini/Bernasconi [Hrsg.], 2011, S. 1123 zu Art. 253
ZPO). Nach anderer Auffassung verträgt sich das Einräumen einer Nachfrist nicht
mit dem Grundsatz der Prozessbeschleunigung im summarischen Verfahren, zumal
anders als im ordentlichen Verfahren kein eigentlicher Schriftenwechsel
durchzuführen ist (vgl. KAUFMANN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung,
Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2011, N. 21 zu Art. 253 ZPO; FREI/
WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2010, N.
17 zu Art. 223 ZPO; TAPPY, a.a.O., N. 26 zu Art. 223 ZPO). Eine weitere Meinung
setzt zur analogen Anwendung von Art. 223 ZPO voraus, dass die Dringlichkeit
des Summarverfahrens der Ansetzung der Nachfrist nicht entgegensteht (MEIER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 413). Die kantonale Praxis zur
Frage, ob Art. 219 ZPO die
BGE 138 III 483 S. 487
Bestimmung über die "versäumte Klageantwort" im summarischen Verfahren
anwendbar macht, scheint ebenfalls in eine differenzierende Richtung zu gehen,
wenn in familienrechtlichen Summarsachen die Nachfrist gemäss Art. 223 ZPO
angesetzt wird, nicht aber bei den übrigen Summarsachen (vgl. Hinweis auf die
Berner Praxis bei GASSER/MÜLLER/PIETSCH-KOJAN, Ein Jahr Schweizerische ZPO -
ein Erfahrungsbericht, Anwaltsrevue 2012 S. 11 Fn. 13).

3.2.2 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 219 ZPO, weil die
Bestimmung keinen Raum lasse, um Art. 223 ZPO im summarischen Verfahren nicht
anzuwenden. Damit geht sie fehl. Was den Geltungsbereich der Bestimmungen des
ordentlichen Verfahrens anbelangt, so werden diese für andere Verfahren
lediglich "sinngemäss" anwendbar erklärt, d.h. "die Abweichungen können sich
direkt aus dem Gesetz ergeben oder aber durch die Natur eines besonderen
Verfahrens bedingt sein" (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen
Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7221, 7338 Ziff. 5.15). Wenn das
Obergericht die Anwendbarkeit von Art. 223 ZPO im summarischen Verfahren mit
Blick auf das Rechtsöffnungsverfahren geprüft hat, ist dies nicht zu
beanstanden.

3.2.3 Das Obergericht hat die Nichtanwendung von Art. 223 ZPO im summarischen
Verfahren für das Rechtsöffnungsverfahren damit begründet, dass der
Rechtsöffnungsentscheid nicht in materielle Rechtskraft trete und es bei der
provisorischen Rechtsöffnung im Wesentlichen um die Parteirollenverteilung mit
Blick auf ein nachfolgendes ordentliches Verfahren gehe. Es ist richtig, dass
der Rechtsöffnungsentscheid über den materiellen Bestand der
Betreibungsforderung nichts aussagt (vgl. BGE 136 III 566 E. 3.3 S. 569;
GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 4. Aufl. 2005, S. 146
Rz. 742). Die Beschwerdeführerin wendet jedoch ein, dass die Folgen des
Rechtsöffnungsentscheides nicht unerheblich seien. Dies trifft auf den Fall zu,
in dem nach der provisorischen Rechtsöffnung keine Aberkennungsklage
eingereicht wird, denn die Betreibung kann wie gestützt auf ein Zivilurteil
fortgesetzt werden (vgl. Art. 88 SchKG). Dies spricht für die Auffassung, dass
im Verfahren der provisorischen Rechtsöffnung dieselben Verfahrensgarantien wie
im ordentlichen Zivilverfahren gelten sollen (SCHWANDER, Zu den verschiedenen
Funktionen der Rechtsöffnung, in: Schuldbetreibung und Konkurs im Wandel, Angst
/Cometta/Gasser [Hrsg.], 2000, S. 382 f.), d.h. Art. 223 ZPO bei versäumter
Stellungnahme anzuwenden ist.
BGE 138 III 483 S. 488

3.2.4 Sodann hat die Vorinstanz die Nichtanwendung von Art. 223 ZPO im
summarischen Verfahren für die Rechtsöffnung mit der gesetzlich gebotenen
Prozessbeschleunigung begründet. Diese Überlegung ist ausschlaggebend. Gemäss
Art. 84 Abs. 2 SchKG gibt der Rechtsöffnungsrichter dem Betriebenen sofort nach
Eingang des Gesuchs Gelegenheit zur schriftlichen oder mündlichen Stellungnahme
und eröffnet danach innert fünf Tagen den Entscheid. Die Zeitvorgaben gründen
auf der Überlegung, dass es der Schuldner nicht in der Hand haben sollte, durch
Unterlassen oder Erheben des Rechtsvorschlages gleichzeitig betreibende
Gläubiger zu bevorzugen bzw. zu benachteiligen. Dem Gläubiger sollte die
Möglichkeit gegeben werden, innerhalb der dreissigtägigen Anschlussfrist (Art.
110 SchKG) den Rechtsvorschlag beseitigen zu lassen und zumindest provisorisch
(Art. 83 Abs. 1 SchKG) an der Pfändung der anderen Gläubiger teilnehmen zu
können (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 7. Dezember 1888 betreffend den
[...] definitiven Entwurf des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs,
BBl 1888 IV 1137, 1145 ff.; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la
poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 11, 33 zu Art. 84 SchKG).
Diesen Schutz zu gewähren, ist der Zweck des summarischen
Rechtsöffnungsverfahrens (Botschaft SchKG, a.a.O., BBl 1888 IV 1146). Daran
ändert nichts, dass die in Art. 84 Abs. 2 SchKG genannten Zeitvorgaben
lediglich Ordnungsfristen darstellen (STAEHELIN, a.a.O., N. 45 zu Art. 84
SchKG). Eine Möglichkeit des Schuldners, die Frist zur Stellungnahme zum
Rechtsöffnungsgesuch zu versäumen und Nachfrist zu erhalten, widerstrebt dem
Zweck, dem Gläubiger die Anschlussfrist gewährleisten zu wollen. Die im Gesetz
vorgesehene Beschleunigung des Rechtsöffnungsverfahrens bedingt, die Rechte des
Gesuchsgegners bei versäumter Stellungnahme enger zu fassen als im ordentlichen
Zivilverfahren und daher Art. 223 ZPO in diesem summarischen Verfahren nicht
anzuwenden.

3.2.5 Schliesslich steht zu Recht nicht in Frage, dass der
Rechtsöffnungsrichter analog zu Art. 147 Abs. 3 ZPO bereits bei der
Aufforderung zur Stellungnahme auf die Säumnisfolgen hinzuweisen (KAUFMANN,
a.a.O.) und hier am 15. Juli 2011 hingewiesen hat. Anzufügen bleibt, dass einem
Gesuchsgegner im Rechtsöffnungsverfahren offensteht, die Wiederherstellung der
Frist zur Einreichung der Stellungnahme nach Art. 148 ZPO zu verlangen.

3.3 Nach dem Dargelegten stellt keine Rechtsverletzung dar, wenn das
Obergericht angenommen hat, dass im summarischen Verfahren
BGE 138 III 483 S. 489
zur Rechtsöffnung keine Nachfrist (nach Art. 223 ZPO) anzusetzen ist, und
bestätigt hat, dass die Erstinstanz nach versäumter Stellungnahme zum
Rechtsöffnungsgesuch den Entscheid in der Sache treffen durfte. Andere Rügen
gegen den Rechtsöffnungsentscheid sind nicht erhoben worden.