Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 III 322



Zurück zur Einstiegsseite Drucken

Urteilskopf

138 III 322

47. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Francelino da
Silva Matuzalem gegen Fédération Internationale de Football Association (FIFA)
(Beschwerde in Zivilsachen)
4A_558/2011 vom 27. März 2012

Regeste

Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG; materieller Ordre public.
Begriff und Anwendungsfälle des materiellen Ordre public (E. 4.1). Eine im
Sinne von Art. 27 Abs. 2 ZGB übermässige Bindung kann gegen den Ordre public
verstossen, wenn sie eine offensichtliche und schwerwiegende
Persönlichkeitsverletzung darstellt (E. 4.3.1 und 4.3.2). Fall einer auf das
FIFA-Disziplinarreglement gestützten Vereinsstrafe, mit der einem
Fussballspieler bei Ausbleiben einer auferlegten Zahlung ein unbegrenztes
Berufsverbot angedroht wurde (E. 4.3.3-4.3.5).

Sachverhalt ab Seite 323

BGE 138 III 322 S. 323

A.

A.a Francelino da Silva Matuzalem (Beschwerdeführer), Rom, geboren am 10. Juni
1980, ist ein professioneller Fussballspieler brasilianischer Nationalität. Er
spielt derzeit beim Fussballclub SS Lazio Spa in Rom.
Die Fédération Internationale de Football Association (FIFA;
Beschwerdegegnerin) ist ein Verein schweizerischen Rechts (Art. 60 ff. ZGB) mit
Sitz in Zürich.
Real Saragossa SAD ist ein spanischer Fussballclub. Er ist Mitglied des
spanischen Fussballverbands, der wiederum der FIFA angehört.

A.b Am 2. Juli 2007 löste der Beschwerdeführer seinen Arbeitsvertrag mit dem
ukrainischen Fussballclub FC Shakhtar Donetsk zwei Jahre vor Ablauf der
vereinbarten Vertragsdauer fristlos und weder aus wichtigem Grund ("just
cause") noch aus sportlich triftigen Gründen ("sporting just cause") auf.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2007 verpflichtete sich Real Saragossa SAD dem
Beschwerdeführer gegenüber, ihn für allfällige Ersatzansprüche infolge der
vorzeitigen Vertragsauflösung schadlos zu halten.
Am 19. Juli 2007 unterzeichnete der Beschwerdeführer einen neuen Arbeitsvertrag
mit Real Saragossa SAD und verpflichtete sich für die nächsten drei
Spielsaisons bis 30. Juni 2010.
BGE 138 III 322 S. 324
Mit Vereinbarung vom 17. Juli 2008 transferierte Real Saragossa SAD den
Beschwerdeführer für die Spielsaison 2008/2009 vorübergehend an den
Fussballclub SS Lazio Spa in Rom. Am 23. Juli 2009 stimmte Real Saragossa SAD
dem endgültigen Transfer zum italienischen Club zu.

A.c Mit Entscheid vom 2. November 2007 sprach die Kammer zur Beilegung von
Streitigkeiten der FIFA ("Dispute Resolution Chamber") dem Fussballclub FC
Shakhtar Donetsk infolge der vertragswidrigen Kündigung Schadenersatz im Betrag
von 6,8 Mio. Euro zu, zuzüglich Verzugszins zu 5 % nach Ablauf von 30 Tagen ab
Entscheidfällung.
Mit Schiedsentscheid vom 19. Mai 2009 hob das Tribunal Arbitral du Sport (TAS)
den Entscheid vom 2. November 2007 teilweise auf und verpflichtete den
Beschwerdeführer sowie den Fussballclub Real Saragossa SAD solidarisch zur
Zahlung von 11'858'934 Euro zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 5. Juli 2007.
Eine vom Beschwerdeführer und Real Saragossa SAD gegen den Schiedsentscheid des
TAS vom 19. Mai 2009 erhobene Beschwerde in Zivilsachen wies das Bundesgericht
mit Urteil vom 2. Juni 2010 ab, soweit es darauf eintrat.

B.

B.a Am 14. Juli 2010 informierte der stellvertretende Sekretär der
Disziplinarkommission ("Disciplinary Committee") der FIFA den Beschwerdeführer
und Real Saragossa SAD darüber, (a) dass gegen sie ein Disziplinarverfahren
eingeleitet werde, weil sie dem Entscheid des TAS vom 19. Mai 2009 keine Folge
geleistet hätten, (b) dass entsprechend Sanktionen nach Art. 64 des
FIFA-Disziplinarreglements ("Disciplinary Code" [Ausgabe 2009]) verhängt
würden, und (c) dass der Fall anlässlich der nächsten Sitzung der
Disziplinarkommission beurteilt werde.
Das damals anwendbare FIFA-Disziplinarreglement (Ausgabe 2009) sah unter
anderem Folgendes vor:
" Article 22 Ban on taking part in any football-related activity
A person may be banned from taking part in any kind of football-related
activity (administrative, sports or any other).
(...)
Section 8. Failure to respect decisions
BGE 138 III 322 S. 325
Article 64 [only]
1. Anyone who fails to pay another person (such as a player, a coach or a club)
or FIFA a sum of money in full or part, even though instructed to do so by a
body, a committee or an instance of FIFA or CAS (financial decision), or anyone
who fails to comply with another decision (non-financial decision) passed by a
body, a committee or an instance of FIFA or CAS:
a) will be fined at least CHF 5,000 for failing to comply with a decision;
b) will be granted a final deadline by the judicial bodies of FIFA in which to
pay the amount due or to comply with the (non-financial) decision;
c) (only for clubs:) will be warned and notified that, in the case of default
or failure to comply with a decision within the period stipulated, points will
be deducted or demotion to a lower division ordered. A transfer ban may also be
pronounced.
2. If the club disregards the final time limit, the relevant association shall
be requested to implement the sanctions threatened.
3. If points are deducted, they shall be proportionate to the amount owed.
4. A ban on any football-related activity may also be imposed against natural
persons. (...)"
Am 26. Juli 2010 teilte Real Saragossa SAD der Disziplinarkommission mit, er
befinde sich in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten, die zur Insolvenz
bzw. zum Konkurs führen könnten; die Voraussetzungen für eine Sanktion nach
Art. 64 des FIFA-Disziplinarreglements seien nicht erfüllt, da sich der Club um
eine Begleichung der Schuld bemühe.
Am 20. August 2010 schickte der Beschwerdeführer der Disziplinarkommission je
eine Kopie seines Schreibens vom 19. August 2010, mit dem er Real Saragossa SAD
zur Zahlung des ausstehenden Betrags an FC Shakhtar Donetsk aufgefordert hatte,
und der bereits erwähnten Schadloshaltungserklärung von Real Saragossa SAD vom
16. Juli 2007.
Mit Entscheid vom 31. August 2010 sprach die Disziplinarkommission den
Beschwerdeführer und den Fussballclub Real Saragossa SAD schuldig, ihre
Verpflichtungen gemäss dem Schiedsentscheid des TAS vom 19. Mai 2009 nicht
erfüllt zu haben. Im Weiteren verurteilte sie den Beschwerdeführer gestützt auf
Art. 64 des FIFA-Disziplinarreglements solidarisch mit dem Club zu einer Busse
von Fr. 30'000.- und räumte ihm eine letzte Frist von 90 Tagen zur
BGE 138 III 322 S. 326
Bezahlung der Forderung ein, verbunden mit der Androhung, im Falle des
Ausbleibens der Zahlung werde dem Beschwerdeführer auf einfache Aufforderung
des Gläubigers FC Shakhtar Donetsk hin jegliche in Zusammenhang mit dem
Fussball stehende Tätigkeit verboten, ohne dass ein weiterer Entscheid der
Disziplinarkommission erforderlich wäre:
"If payment is not made by this deadline, the creditor may demand in writing
from FIFA that a ban on taking part in any football related activity be imposed
on the player Matuzalem Francelino da Silva and/or six (6) points be deducted
from the first team of the club Real Zaragoza SAD in the domestic league
championship. Once the creditor has filed this/these requests, the ban on
taking part in any football-related activity will be imposed on the player
Matuzalem Francelino da Silva and/or the points will be deducted automatically
from the first team of the club Real Zaragoza SAD without further formal
decisions having to be taken by the FIFA Disciplinary Committee. The
association(s) concerned will be informed of the ban on taking part in any
football-related activity. Such ban will apply until the total outstanding
amount has been fully paid. ..."
Am 1. September 2010 überwies Real Saragossa SAD 500'000 Euro auf ein im Namen
des FC Shakhtar Donetsk eröffnetes Bankkonto. Weitere Zahlungen seitens Real
Saragossa SAD oder des Beschwerdeführers blieben aus.

B.b Sowohl der Beschwerdeführer als auch Real Saragossa SAD erhoben gegen den
Entscheid der FIFA-Disziplinarkommission vom 31. August 2010 Berufung beim
Tribunal Arbitral du Sport (TAS). Mit Schiedsurteil vom 29. Juni 2011 wies das
TAS die Berufungen von Real Saragossa SAD (Dispositiv-Ziffer 1) und des
Beschwerdeführers (Dispositiv-Ziffer 2) ab und bestätigte den Entscheid der
Disziplinarkommission der FIFA vom 31. August 2010 (Dispositiv-Ziffer 3). Es
wies zudem alle weiteren Anträge ab (Dispositiv-Ziffer 4) und regelte die
Kosten des Verfahrens (Dispositiv-Ziffern 5 und 6).

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer dem
Bundesgericht, es sei der Schiedsentscheid des TAS vom 29. Juni 2011
aufzuheben.
Das Bundesgericht hebt Dispositiv-Ziffern 2-6 des Schiedsentscheids des TAS vom
29. Juni 2011 in Gutheissung der Beschwerde auf, soweit darauf eingetreten
werden kann.
(Zusammenfassung)
BGE 138 III 322 S. 327

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Ordre public im Sinne von Art.
190 Abs. 2 lit. e IPRG (SR 291).

4.1 Der Ordre public (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG) hat sowohl einen materiellen
als auch einen verfahrensrechtlichen Gehalt (BGE 132 III 389 E. 2.2.1 S. 392;
BGE 128 III 191 E. 4a S. 194; BGE 126 III 249 E. 3b S. 253 mit Hinweisen).
Gegen den Ordre public verstösst die materielle Beurteilung eines streitigen
Anspruchs nur, wenn sie fundamentale Rechtsgrundsätze verkennt und daher mit
der wesentlichen, weitgehend anerkannten Wertordnung schlechthin unvereinbar
ist, die nach in der Schweiz herrschender Auffassung Grundlage jeder
Rechtsordnung bilden sollte. Zu diesen Grundsätzen gehören die Vertragstreue
(pacta sunt servanda), das Rechtsmissbrauchsverbot, der Grundsatz von Treu und
Glauben, das Verbot der entschädigungslosen Enteignung, das
Diskriminierungsverbot und der Schutz von Handlungsunfähigen (BGE 132 III 389
E. 2.2.1; BGE 128 III 191 E. 6b S. 198 mit Hinweis).
Diese Aufzählung ist jedoch nicht abschliessend (Urteil 4A_458/2009 vom 10.
Juni 2010 E. 4.1, in: SJ 2010 I S. 417). Auch die Versprechen von
Schmiergeldzahlungen verstossen gegen den Ordre public, sofern sie nachgewiesen
sind (BGE 119 II 380 E. 4b S. 384 f.; Urteil 4P.208/2004 vom 14. Dezember 2004
E. 6.1). Im Weiteren hat das Bundesgericht erwogen, dass ein Entscheid, der -
auch nur mittelbar - einen derart fundamentalen Rechtsgrundsatz wie das Verbot
der Zwangsarbeit missachtet, gegen den materiellen Ordre public verstösst
(Urteil 4A_370/2007 vom 21. Februar 2008 E. 5.3.2). Ein Verstoss gegen den
Ordre public ist sodann bei einer Verletzung von Art. 27 ZGB denkbar (vgl.
Urteile 4A_458/2009 vom 10. Juni 2010 E. 4.4.3.2, in: SJ 2010 I S. 417; 4A_320/
2009 vom 2. Juni 2010 E. 4.4; 4P.12/2000 vom 14. Juni 2000 E. 5b/aa mit
Hinweisen). Der angefochtene Schiedsentscheid wird im Übrigen nur aufgehoben,
wenn er nicht allein in der Begründung, sondern auch im Ergebnis dem Ordre
public widerspricht (BGE 120 II 155 E. 6a S. 167).

4.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, da er seinem früheren Arbeitgeber FC
Shakhtar Donetsk den Schadenersatz von 11'858'934 Euro nebst Zins zu 5 % seit
dem 5. Juli 2007 nicht zahlen könne, werde ihm als professionellem
Fussballspieler faktisch ein unbefristetes und weltweites Berufsverbot
auferlegt, sofern der Gläubiger dies
BGE 138 III 322 S. 328
verlange. Er sieht darin einen schwerwiegenden Verstoss gegen die in Art. 27
Abs. 2 der Bundesverfassung (BV) und in internationalen Konventionen
garantierte Berufsfreiheit sowie eine übermässige Beschränkung der persönlichen
Freiheit, wie sie in Art. 27 des schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB)
konkretisiert ist.
Entgegen der im angefochtenen Schiedsentscheid vertretenen Ansicht hat das
Bundesgericht die Frage, ob es sich bei den verhängten bzw. angedrohten
Disziplinarmassnahmen um eine schwere Persönlichkeitsverletzung handelt, die
gegebenenfalls zur Ordre public-Widrigkeit des angefochtenen Entscheids führt,
mit seinem Urteil vom 2. Juni 2010 nicht vorweggenommen. Das Bundesgericht
erwog lediglich, dass die fünfjährige arbeitsvertragliche Bindung des
Beschwerdeführers unter dem Gesichtswinkel des Persönlichkeitsschutzes nicht
unzulässig sei und sich eine übermässige Bindung auch nicht damit begründen
lasse, dass der Beschwerdeführer infolge Vertragsverletzung für den
eingetretenen Schaden aufzukommen habe (Urteil 4A_320/2009 vom 2. Juni 2010 E.
4.4). Zur Vereinbarkeit von vereinsrechtlichen Disziplinarmassnahmen im Falle
des Ausbleibens der Schadenersatzzahlung mit dem Ordre public äussert sich der
erwähnte Entscheid nicht (vgl. zudem den vergleichbaren Fall eines
vertraglichen Schadenersatzanspruchs im Urteil 4A_458/2009 vom 10. Juni 2010 E.
4.4.8, in: SJ 2010 I S. 417, in dem das Bundesgericht die Frage der Ordre
public-Widrigkeit einer Sanktion durch das zuständige FIFA-Organ infolge
Ausbleibens der Zahlung ausdrücklich offengelassen hat).

4.3

4.3.1 Die Persönlichkeit des Menschen bedarf als fundamentales Rechtsgut des
Schutzes der Rechtsordnung. Sie wird in der Schweiz etwa verfassungsrechtlich
durch die Grundgarantie des Rechts auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV)
geschützt, die neben dem Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit
sowie der Bewegungsfreiheit all jene Freiheiten verbrieft, die elementare
Erscheinungsformen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen (BGE 134 I 209 E.
2.3.1 S. 211; BGE 133 I 110 E. 5.2 119; je mit Hinweisen). Die freie
persönliche Entfaltung wird unter anderem auch durch das Grundrecht der
Wirtschaftsfreiheit gewährleistet, das insbesondere die freie Wahl des Berufes
sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und
deren freie Ausübung umfasst (Art. 27 Abs. 2 BV; vgl. BGE 136 I 1 E. 5.1 S. 12;
BGE 128 I 19 E. 4c/aa S. 29).
BGE 138 III 322 S. 329
Ein Schutz der freien persönlichen Entfaltung besteht jedoch nicht nur
gegenüber Beeinträchtigungen von Seiten des Staates, sondern auch gegenüber
Eingriffen Privater (vgl. Art. 27 f. ZGB, die in der Schweiz die persönliche
Freiheit im Privatrecht konkretisieren). Dabei ist allgemein anerkannt, dass
sich eine Person durch rechtsgeschäftliche Bindung nicht gänzlich ihrer
Freiheit entäussern kann und einer Beschränkung ihrer Freiheit Grenzen gesetzt
sind. Der in Art. 27 Abs. 2 ZGB niedergelegte Rechtsgrundsatz gehört zur
wesentlichen, weitgehend anerkannten Wertordnung, die nach in der Schweiz
herrschender Auffassung Grundlage jeder Rechtsordnung bilden sollte.

4.3.2 Eine vertragliche Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit wird nach
schweizerischem Verständnis als übermässig im Sinne von Art. 27 Abs. 2 ZGB
betrachtet, wenn sie den Verpflichteten der Willkür eines anderen ausliefert,
seine wirtschaftliche Freiheit aufhebt oder in einem Masse einschränkt, dass
die Grundlagen seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sind (BGE 123 III 337
E. 5 S. 345 f. mit Hinweisen; vgl. auch Urteil 4P.167/1997 vom 25. November
1997 E. 2a). Auch wenn der Ordre public mit der blossen Rechtswidrigkeit nicht
gleichzusetzen ist (BERNARD DUTOIT, Droit international privé suisse, 4. Aufl.
2005, N. 8 zu Art. 190 IPRG S. 678) und seine Verletzung wesentlich
eingeschränkter zu würdigen ist als ein Verstoss gegen das Willkürverbot (BGE
132 III 389 E. 2.2.2 S. 393), kann eine derart übermässige Bindung Ordre
public-widrig sein, wenn sie eine offensichtliche und schwerwiegende
Persönlichkeitsverletzung darstellt (vgl. Urteile 4A_458/2009 vom 10. Juni 2010
E. 4.4.3.2, in: SJ 2010 I S. 417; 4A_320/2009 vom 2. Juni 2010 E. 4.4; 4P.12/
2000 vom 14. Juni 2000 E. 5b/aa mit Hinweisen; vgl. auch EUGEN BUCHER, Berner
Kommentar, 3. Aufl. 1993, N. 26 zu Art. 27 ZGB; WALTER/BOSCH/BRÖNNIMANN,
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, 1991, S. 236; ANTON
HEINI, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 45 zu Art. 190 IPRG;
WOLFGANG PORTMANN, Einseitige Optionsklauseln in Arbeitsverträgen von
Fussballspielern, Causa Sport 2006 S. 209).

4.3.3 Die Schranken rechtsgeschäftlicher Bindung aufgrund des
Persönlichkeitsschutzes gelten nicht nur für vertragliche Vereinbarungen,
sondern auch für Statuten und Beschlüsse von Körperschaften (BUCHER, a.a.O., N.
18 zu Art. 27 ZGB; vgl. bereits BGE 104 II 6 E. 2 S. 8 f.). Vereinsstrafen,
welche nicht bloss den korrekten Ablauf der Spiele sichern, sondern eigentlich
in die rechtlichen
BGE 138 III 322 S. 330
Interessen der Betroffenen eingreifen, werden nach der Rechtsprechung der
gerichtlichen Kontrolle unterworfen (BGE 120 II 369 E. 2 S. 370; BGE 119 II 271
E. 3c; BGE 118 II 12 E. 2 S. 15 ff.; vgl. schon BGE 108 II 15 E. 3 S. 19 ff.).
Dies gilt insbesondere, wenn Vereinsstrafen das Persönlichkeitsrecht auf
wirtschaftliche Entfaltung schwerwiegend beeinträchtigen; für diesen Fall hat
das Bundesgericht erkannt, dass die Ausschlussautonomie eines Vereins durch das
Persönlichkeitsrecht seiner Mitglieder beschränkt ist, wenn er als massgebende
Organisation des betreffenden Berufsstandes oder Wirtschaftszweiges in der
Öffentlichkeit auftritt (BGE 123 III 193 E. 2c/bb und cc S. 197 ff.). Dies
entspricht dem Standpunkt, der insbesondere für Sportvereine eingenommen worden
ist (BGE 123 III 193 E. 2c/bb S. 198 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 134 III 193
E. 4.5 S. 200). In diesen Fällen wird das Recht des Vereins auf Ausschliessung
seines Mitglieds nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs
überprüft, sondern es wird unter Berücksichtigung des Eingriffs in die
Persönlichkeit eine Interessenabwägung vorgenommen und abgeklärt, ob ein
wichtiger Grund vorliegt (BGE 123 III 193 E. 2c/cc S. 198 f.; vgl. auch BGE 134
III 193 E. 4.4).
Diese Grundsätze gelten auch für nach dem schweizerischen Recht verfasste
Vereine mit Sitz in der Schweiz, die - wie die FIFA - den internationalen Sport
ordnen. Massnahmen solcher Sportverbände, welche die wirtschaftliche Entfaltung
der natürlichen Personen schwerwiegend beeinträchtigen, die den Sport als Beruf
betreiben, sind nur zulässig, wenn das Gewicht der Verbandsinteressen den
Eingriff in die Persönlichkeit überwiegt.

4.3.4 Der Beschwerdeführer hat als professioneller Fussballspieler seine
arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber dem ukrainischen Verein FC Shakhtar
Donetsk verletzt und ist aus diesem Grund zu Schadenersatz verurteilt worden -
in solidarischer Haftung mit dem Fussballclub, der ihn während der noch
laufenden Vertragsdauer angestellt hatte (vgl. Urteil 4A_320/2009 vom 2. Juni
2010). Die umstrittene Vereinsstrafe, die das TAS auf eine rechtsgeschäftliche
Bindung des Beschwerdeführers an die in Art. 64 FIFA-Disziplinarreglement
niedergelegten Sanktionen stützt, dient der privaten Vollstreckung des Urteils
auf Schadenersatz, nachdem die Forderung nicht bezahlt worden ist. Der
Beschwerdeführer soll auf einfache Aufforderung des Gläubigers mit einer
Berufssperre für alle mit Fussball zusammenhängenden Tätigkeiten belegt werden,
bis die Forderung von mehr als 11 Mio. Euro, nebst 5 % Zins seit Mitte 2007
(d.h. 550'000 Euro
BGE 138 III 322 S. 331
jährlich), bezahlt ist. Es soll damit unmittelbar das Interesse eines Mitglieds
der FIFA an der Bezahlung der Schadenersatzforderung durch den
vertragsbrüchigen Arbeitnehmer und mittelbar das Interesse des Sportverbands an
der Vertragstreue der Fussballspieler durchgesetzt werden.
Der Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit des Beschwerdeführers mag geeignet
sein, die Bereitschaft zur Zahlung und Bemühungen zur Aufbringung des
geschuldeten Betrags zu fördern; wenn allerdings die Behauptung des
Beschwerdeführers zutrifft, dass er jedenfalls den ganzen Betrag nicht zahlen
kann, ist schon die Eignung der Massnahme zur Erreichung des unmittelbaren
Zieles - nämlich der Bezahlung der Schadenersatzforderung - fraglich. Denn mit
dem Verbot der bisher ausgeübten wirtschaftlichen und verwandter Tätigkeiten
wird dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen, durch Betätigung in seinem
angestammten Beruf ein Einkommen zu erzielen, um seiner Verpflichtung
nachzukommen. Die Vereinsstrafe ist aber jedenfalls zur Durchsetzung der
verfügten Schadenersatzforderung nicht erforderlich: Dem ehemaligen Arbeitgeber
des Beschwerdeführers steht die Vollstreckung des Urteils des TAS vom 19. Mai
2009 auf dem Weg des New Yorker Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (SR 0.277.12) offen,
dem die meisten Staaten beigetreten sind und das insbesondere auch für den
aktuellen Wohnsitzstaat des Beschwerdeführers Italien gilt.
Die Vereinsstrafe ist aber insbesondere auch insoweit unzulässig, als die
Interessen, welche der Weltfussballverband damit durchsetzen will, den
schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeit des Beschwerdeführers nicht zu
rechtfertigen vermögen. Das abstrakte Ziel der Durchsetzung der Vertragstreue
der Fussballspieler gegenüber ihren Arbeitgebern ist eindeutig weniger
gewichtig als das faktisch in zeitlicher und örtlicher Hinsicht unbegrenzte
Berufsverbot des Beschwerdeführers für alle im Zusammenhang mit dem
Fussballsport stehenden Betätigungen.

4.3.5 Die auf Art. 64 Abs. 4 des FIFA-Disziplinarreglements gestützte Androhung
eines unbegrenzten Berufsverbots stellt einen ofensichtlichen und
schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Beschwerdeführers dar
und missachtet die in Art. 27 Abs. 2 ZGB verankerten grundlegenden Schranken
rechtsgeschäftlicher Bindung. Der angefochtene Schiedsentscheid führt bei
Ausbleiben der
BGE 138 III 322 S. 332
auferlegten Zahlung nicht nur dazu, dass der Beschwerdeführer der Willkür
seines ehemaligen Arbeitgebers ausgesetzt, sondern insbesondere seine
wirtschaftliche Freiheit in einem Masse eingeschränkt wird, dass die Grundlagen
seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sind, ohne dass dies durch ein
überwiegendes Interesse des Weltfussballverbands bzw. seiner Mitglieder
gerechtfertigt wäre. Aufgrund der entsprechenden Androhung stellt der
Schiedsentscheid des TAS vom 29. Juni 2011 eine offensichtliche und
schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung dar und ist mit dem Ordre public (Art.
190 Abs. 2 lit. e IPRG) unvereinbar.