Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 III 204



Urteilskopf

138 III 204

31. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Z.
und Z. gegen X. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_288/2011 / 4A_290/2011 vom 13. Februar 2012

Regeste

Kapitalschnitt auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung des Aktienkapitals
zum Zwecke der Sanierung ("Harmonika"; Art. 732a Abs. 1 OR).
Eine "Harmonika" muss dem Zwecke der Sanierung dienen (E. 3.2);
Voraussetzungen, unter denen ein Sanierungszweck vorliegt (E. 3.3);
Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit bei einem Verstoss gegen Art. 732a Abs. 1 OR
(E. 4)?

Sachverhalt ab Seite 204

BGE 138 III 204 S. 204

A.

A.a Am 5. November 2004 wurde die X. Holding AG (nunmehr X. AG, Beklagte) als
Auffanggesellschaft eines konkursiten Unternehmens gegründet. Das Aktienkapital
der X. Holding AG von Fr. 500'000.- wurde bei der Gründung von Z. (Kläger) und
zwei weiteren Aktionären im Umfang von jeweils 10 % und von Y. in der Höhe von
70 % aufgebracht. Seit der Gründung bildeten diese vier Aktionäre den
Verwaltungsrat der Beklagten. Y. amtete als Verwaltungsratspräsident.
Ende 2006 drohte der Beklagten wegen Überschuldung die Benachrichtigung des
Richters gemäss Art. 725 Abs. 2 OR. Dies konnte dank eines von Y. erklärten
Rangrücktritts für ein Aktionärsdarlehen in der Höhe von Fr. 4'900'000.-
vermieden werden.
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A.b Mit Schreiben vom 9. Januar 2008 erhielten die Aktionäre die Einladung zur
ausserordentlichen Generalversammlung vom 18. Februar 2008. Als Traktanden
genannt waren die Kapitalherabsetzung auf Fr. 0.- mit unmittelbarer
Wiedererhöhung auf Fr. 500'000.- sowie die Abberufung des Klägers aus dem
Verwaltungsrat.

A.c Mit Schreiben vom 1. Februar 2008 verlangte der Kläger vom
Verwaltungsratspräsidenten die Beantwortung diverser Fragen betreffend den
Bestand, die Ursachen und den Umfang des Sanierungsbedarfs sowie Einsicht in
Geschäftsdokumente der Beklagten. Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 antwortete
der Verwaltungsratspräsident auf die Fragen des Beschwerdeführers, indem er
mehrfach auf den Geschäftsbericht 2007 verwies und die Rechtmässigkeit des
Rangrücktritts, die Funktion des Klägers als Controller und dessen damit
einhergehende Kenntnisse über die Finanzlage der Holding betonte.

A.d Am 18. Februar 2008 fand die ausserordentliche Generalversammlung der
Beklagten statt. Gemäss Protokoll waren alle Aktienstimmen anwesend oder
vertreten. Der Generalversammlung lag der erst am 7. Januar 2008 erstellte
provisorische Abschluss des Geschäftsjahres 2007 vor. Gemäss den Ausführungen
der Beklagten ergab sich für das Geschäftsjahr 2007 vor Wertberichtigungen ein
negatives Ergebnis von rund Fr. 184'000.- sowie ein Kapitalverlust von Fr.
4'509'352.-. Ein Antrag des Klägers auf Beantwortung seiner im Schreiben vom 1.
Februar 2008 an den Verwaltungsrat gestellten Fragen wurde unter Hinweis auf
seine Position als Verantwortlicher für das Rechnungswesen und Controlling mit
450 gegen 50 Stimmen abgelehnt. Informationen über weitere beabsichtigte
Massnahmen, mit denen die Gesellschaft zusammen mit dem traktandierten
Kapitalschnitt saniert werden könnte, wurden der Generalversammlung nicht
präsentiert.
Gemäss dem vom 18. Februar 2008 datierenden notariellen Protokoll fasste die
ausserordentliche Generalversammlung schliesslich folgende Beschlüsse mit je
450 zu 50 Stimmen:
1. Herabsetzung des Aktienkapitals von bisher Fr. 500'000.-, eingeteilt in 500
Namenaktien zu nominal Fr. 1'000.-, um Fr. 500'000.- auf Fr. 0.- durch
Abschreibung und Vernichtung sämtlicher Aktien;
2. Wiedererhöhung des Aktienkapitals auf 500 neue Namenaktien zu nominal je Fr.
1'000.-, zu liberieren durch Verrechnung mit einem Aktionärsdarlehen im Betrag
von Fr. 500'000.-, wobei die neuen Aktien den bisherigen Aktionären im
Verhältnis ihres bisherigen
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Aktienbesitzes zur Zeichnung anzubieten sind und nicht ausgeübte Bezugsrechte
durch den Verwaltungsrat bisherigen Aktionären oder Dritten zugewiesen werden
können;
3. Ersatz des herabgesetzten Kapitals bis auf die bisherige Höhe durch voll
einbezahltes Aktienkapital;
4. Beauftragung des Verwaltungsrats mit der Durchführung der Kapitalerhöhung
und der entsprechenden Anmeldung beim Handelsregister innerhalb der
gesetzlichen Frist von drei Monaten;
5. Abwahl des Klägers aus dem Verwaltungsrat.
Der Kapitalerhöhungsbericht des Verwaltungsrates vom 18. Februar 2008 hielt die
Kapitalherabsetzung mit anschliessender Wiedererhöhung im vorerwähnten Umfang
fest, erwähnte das Bezugsrecht zugunsten der bisherigen Aktionäre und stellte
fest, dass ein Aktionär von seinem Bezugsrecht Gebrauch gemacht habe und die
übrigen Aktionäre darauf verzichtet hätten. Gemäss notariellem Protokoll vom
18. Februar 2008 beschloss der Verwaltungsrat im Anschluss an die
ausserordentliche Generalversammlung die Durchführung der Kapitalerhöhung. In
der Folge verzichtete der Verwaltungsratspräsident auf eine Forderung gegenüber
der Gesellschaft im Umfang von Fr. 3'750'000.-.

B.

B.a Mit Klage vom 17. April 2008 stellte der Kläger dem Bezirksgericht A.
folgende Anträge: Es sei festzustellen, dass alle an der ausserordentlichen
Generalversammlung der Beklagten vom 18. Februar 2008 gefassten Beschlüsse
gemäss Ziffern 1 (Kapitalherabsetzung), 2 (Wiedererhöhung des Aktienkapitals),
3 (Ersatz des herabgesetzten Kapitals) und 4 (Durchführung der Kapitalerhöhung)
des notariellen Protokolls vom 18. Februar 2008 nichtig sind. Eventualiter
seien die genannten Beschlüsse kraft Anfechtung im Sinne von Art. 706 OR für
ungültig zu erklären und rückwirkend per 18. Februar 2008 aufzuheben.
Schliesslich sei festzustellen, dass alle an der Verwaltungsratssitzung der
Beklagten vom 18. Februar 2008 gefassten Beschlüsse gemäss öffentlicher Urkunde
vom gleichen Tag nichtig sind.
Mit Urteil vom 3. März 2010 wies das Bezirksgericht A. die Klage vollumfänglich
ab, soweit es darauf eintrat.

B.b Gegen das Urteil des Bezirksgerichts legte der Kläger am 3. März 2010 beim
Kantonsgericht Basel-Landschaft Appellation ein. In der Appellationsbegründung
vom 27. August 2010 beantragte er, es sei das Urteil des Bezirksgerichts A. vom
3. März 2010 aufzuheben und die Klage gemäss Rechtsbegehren der Klagebegründung
vom
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12. Dezember 2008 gutzuheissen. Weiter seien sämtliche ordentlichen und
ausserordentlichen Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens der
Beklagten aufzuerlegen.
Mit Urteil vom 18. Januar 2011 hiess das Kantonsgericht die Appellation im
Kostenpunkt teilweise gut und bestätigte im Übrigen das erstinstanzliche
Urteil.

C.

C.a Beide Parteien haben gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
Beschwerde in Zivilsachen erhoben.
Der Kläger (Verfahren 4A_290/2011) beantragt dem Bundesgericht, es sei das
Urteil des Kantonsgerichts vom 18. Januar 2011 aufzuheben und die Klage
gutzuheissen, d.h. es sei festzustellen, dass die Beschlüsse der
ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten gemäss Ziffern 1
(Kapitalherabsetzung), 2 (Wiedererhöhung des Aktienkapitals), 3 (Ersatz des
herabgesetzten Kapitals) und 4 (Durchführung der Kapitalerhöhung) des
notariellen Protokolls vom 18. Februar 2008 sowie alle vom Verwaltungsrat der
Beklagten gefassten Beschlüsse gemäss notariellem Protokoll vom 18. Februar
2008 nichtig sind. Eventualiter seien die erwähnten Beschlüsse der
Generalversammlung im Sinne von Art. 706 OR für ungültig zu erklären und
rückwirkend per 18. Februar 2008 aufzuheben.
Die Beklagte (Verfahren 4A_288/2011) beantragt dem Bundesgericht, es sei das
Urteil des Kantonsgerichts vom 18. Januar 2011 aufzuheben, das Urteil des
Bezirksgerichts A. vom 3. März 2010 zu bestätigen und dem Kläger die
Gerichtskosten des kantonsgerichtlichen Verfahrens von Fr. 25'230.- sowie eine
Parteientschädigung zugunsten der Beklagten von Fr. 36'863.65 aufzuerlegen.
Eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

C.b Die Beklagte beantragt in ihrer Vernehmlassung zur Beschwerde des Klägers
deren Abweisung. Der Kläger beantragt die Vereinigung der Beschwerden sowie die
Abschreibung der Beschwerde der Beklagten wegen Gegenstandslosigkeit zufolge
Gutheissung der klägerischen Beschwerde. Eventualiter sei die Beschwerde der
Beklagten abzuweisen.
Die Vorinstanz beantragt die Abweisung beider Beschwerden. Die Parteien haben
im Verfahren 4A_290/2011 repliziert und dupliziert.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Klägers gut.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

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Aus den Erwägungen:

3. Der Kläger rügt in seiner Beschwerde (4A_290/2011), die Vorinstanz habe zu
Unrecht die Voraussetzungen eines Kapitalschnitts auf Null mit anschliessender
Wiedererhöhung gemäss Art. 732a Abs. 1 OR ("Harmonika") als erfüllt erachtet.
Die beschlossene "Harmonika" stelle eine "unnütze Bilanzkosmetik" dar und habe
als solche keinen Sanierungszweck aufgewiesen.

3.1 Gemäss Art. 621 OR beträgt das Aktienkapital mindestens Fr. 100'000.-. Es
darf im Rahmen einer Kapitalherabsetzung nur unter Fr. 100'000.- herabgesetzt
werden, sofern es gleichzeitig durch neues, voll einzubezahlendes Kapital in
der Höhe von mindestens Fr. 100'000.- ersetzt wird (Art. 732 Abs. 5 OR).
Wird das Aktienkapital im Rahmen einer Kapitalherabsetzung bis auf Null
herabgesetzt und anschliessend wieder um den gleichen Betrag erhöht, spricht
man von einem "Kapitalschnitt auf Null" (vgl. PETER BÖCKLI, Schweizer
Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 2 N. 381a, 385). Mit dem auf 1. Januar 2008 in
Kraft getretenen Art. 732a OR hat der Gesetzgeber die Zulässigkeit eines
solchen Kapitalschnitts auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung zum Zwecke
der Sanierung ausdrücklich anerkannt. Dabei gehen gemäss Art. 732a Abs. 1 OR
die bisherigen Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre unter und ausgegebene Aktien
müssen vernichtet werden. Mit dieser Norm hat der Gesetzgeber klargestellt,
dass die Gesellschafterstellung in der Kapitalgesellschaft zwingend mit einer
Beteiligung am Risikokapital verbunden ist. Geht dieses Risikokapital verloren,
muss auch die damit verbundene Beteiligung ein Ende finden (Botschaft vom 23.
April 2002 zur Revision des Obligationenrechts [GmbH-Recht sowie Anpassungen im
Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht], BBl 2002 3148,
3233; anders noch für das frühere Recht BGE 121 III 420 E. 4 S. 427 ff.). Der
grundsätzlich nicht entziehbaren Mitgliedschaftsstellung des Aktionärs im Falle
eines gänzlichen Kapitalverlusts trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass
dem Aktionär ein unbedingtes und unentziehbares Recht zugestanden wird, sich im
Ausmass seines bisherigen Aktienbesitzes am wieder erhöhten Aktienkapital zu
beteiligen (Art. 732a Abs. 2 OR; Botschaft, a.a.O., 3234).

3.2 Die Möglichkeit eines Kapitalschnitts auf Null ist gemäss Art. 732a Abs. 1
OR auf Fälle beschränkt, in denen die Kombination einer Kapitalherabsetzung mit
einer Kapitalerhöhung dem Zwecke der
BGE 138 III 204 S. 209
Sanierung dient (vgl. Botschaft, a.a.O., 3233 f.; LUKAS GLANZMANN, Fallstricke
bei Gründung und Kapitalerhöhung, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht, Bd.
VI, Kunz und andere [Hrsg.], Bern 2011, S. 30; für die Lage nach altem Recht
vgl. BGE 86 II 78 E. 3 und 4 S. 80-86; BGE 121 III 420 E. 4 S. 427). Saniert
werden kann nur eine sanierungsbedürftige Gesellschaft. Gemäss der Botschaft
darf ein Kapitalschnitt auf Null denn auch nur dann beschlossen werden, wenn
das Aktienkapital der Gesellschaft bei objektiver Beurteilung vollständig
verloren ist (Botschaft, a.a.O., 3233 f.). Vorausgesetzt ist mithin eine
Sanierungsbedürftigkeit, wie sie bei einer Überschuldung i.S. von Art. 725 Abs.
2 OR vorliegt.
Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz wies die Jahresrechnung 2006 der
Beklagten einen Bilanzverlust von Fr. 4'899'177.- und ein negatives
Eigenkapital von Fr. 4'399'177.- aus. Im Jahr 2007 erzielte die Beklagte zwar
einen Gewinn von Fr. 390'000.-, was aber nichts daran änderte, dass sie im
Februar 2008 nach wie vor eine Überschuldung i.S. von Art. 725 Abs. 2 OR
aufwies. Die Sanierungsbedürftigkeit der Beklagten war im Zeitpunkt der
ausserordentlichen Generalversammlung vom 18. Februar 2008 damit ausgewiesen.

3.3 Das Vorliegen einer Sanierungsbedürftigkeit allein macht einen
Kapitalschnitt auf Null indessen noch nicht per se zu einer Massnahme mit
Sanierungszweck. Der im vorliegenden Fall beschlossene Kapitalschnitt mit
anschliessender Wiedererhöhung auf das ursprüngliche Aktienkapital von Fr.
500'000.-vermochte die Überschuldung der Beklagten im Umfang von rund 4 Mio.
Fr. denn auch lediglich zu mildern, keineswegs aber zu beseitigen. Fraglich
ist, ob dennoch von einer Massnahme zum Zwecke der Sanierung die Rede sein
kann.

3.3.1 Der Begriff des Sanierungszwecks i.S. von Art. 732a Abs. 1 OR wird im
Gesetz nicht näher definiert. Die Lehre knüpft an den Sanierungsbegriff des
Art. 725 OR an und verlangt, dass eine "Harmonika" im Zuge einer echten
Sanierung im Sinne des Art. 725 OR durchgeführt wird (BÖCKLI, a.a.O., § 2 N.
388). Unter Sanierung werden sämtliche Massnahmen verstanden, die auf die
finanzielle Gesundung der Gesellschaft (BGE 121 III 420 E. 2b S. 424), d.h. auf
den Fortbestand der Gesellschaft und die Verhinderung der Liquidation abzielen
(CHRISTOPH B. BÜHLER, Sanierung der Aktiengesellschaft, in: Entwicklungen im
Gesellschaftsrecht, a.a.O., S. 39 f.). Im Falle einer Überschuldung ist das
kurzfristige Ziel von Sanierungsmassnahmen, die Gesellschaft mindestens in
einen Zustand zu versetzen, dass die
BGE 138 III 204 S. 210
Anrufung des Richters nach Art. 725 Abs. 2 OR unabhängig von allfälligen
Rangrücktrittserklärungen vermieden werden kann. Auf dieses Mindestziel muss
die "Harmonika" ausgerichtet sein, um einen Sanierungszweck aufzuweisen.

3.3.2 Führt die im Rahmen der "Harmonika" beschlossene Kapitalerhöhung dazu,
dass die Überschuldung gänzlich beseitigt wird, ist dieses Ziel ohne weiteres
erreicht. Die tatsächliche Beseitigung der Überschuldung ist aber nicht
zwingende Voraussetzung dafür, um von der Anrufung des Richters nach Art. 725
Abs. 2 OR absehen zu können. Gemäss der Rechtsprechung braucht der Richter auch
dann nicht angerufen zu werden, wenn die Leitungsorgane der Gesellschaft
unverzüglich Massnahmen ergreifen, welche vernünftige Aussichten auf eine
nachhaltige Sanierung begründen (BGE 132 III 564 E. 5.1 S. 573 mit Hinweisen).
Reicht die Kapitalerhöhung allein noch nicht aus, um die Überschuldung zu
beseitigen, kann eine "Harmonika" damit dennoch einen Sanierungszweck
aufweisen, falls sie zusammen mit weiteren Massnahmen die Überschuldung
beseitigt und zur Sanierung führt (vgl. auch FORSTMOSER/VOGT, Liberierung durch
Verrechnung mit einer nicht werthaltigen Forderung: eine zulässige Form der
Sanierung einer überschuldeten Gesellschaft?, in: ZSR 122/2003 S. 551). Der
Sanierungszweck der "Harmonika" entfaltet sich diesfalls im Verbund eines
Massnahmenpakets, das auf eine nachhaltige Sanierung ausgerichtet ist.

3.3.3 Will der Verwaltungsrat, dem die Vorbereitung erforderlicher
Sanierungsmassnahmen obliegt (WÜSTINER, in: Basler Kommentar,
Obligationenrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2008, N. 28 zu Art. 725 OR), eine
"Harmonika" zum Zwecke der Sanierung durchführen, muss diese folglich entweder
die Überschuldung direkt beseitigen oder es müssen gleichzeitig weitere
Sanierungsmassnahmen in Angriff genommen werden. Diese müssen zusammen mit der
Kapitalerhöhung vernünftige Aussichten auf eine nachhaltige Sanierung der
Gesellschaft geben. Der Verwaltungsrat muss über ein Sanierungskonzept
verfügen, das ihn unabhängig von allfälligen Rangrücktrittserklärungen von der
Pflicht zur Benachrichtigung des Richters gemäss Art. 725 Abs. 2 OR entbindet.
Für die Beschlussfassung über einen Kapitalschnitt auf Null mit anschliessender
Wiedererhöhung des Aktienkapitals ist die Generalversammlung zuständig (Art.
732 Abs. 1 OR). Soll eine "Harmonika" zum Zwecke der Sanierung durchgeführt
werden, die als isolierte Massnahme die Überschuldung nicht beseitigt, muss der
BGE 138 III 204 S. 211
Verwaltungsrat die Generalversammlung über die weiteren Massnahmen informieren,
mit denen zusammen der Sanierungszweck erreicht werden soll. Das entsprechende
Sanierungskonzept hat der Verwaltungsrat der Generalversammlung als dem für die
Beschlussfassung zuständigen Organ vorzulegen. Ohne Kenntnis dieses Konzepts
kann die Generalversammlung nicht beurteilen, ob die traktandierte "Harmonika"
einen Sanierungszweck aufweist. Zudem können auch die Aktionäre ohne Aufklärung
über das Sanierungskonzept keinen informierten Entscheid darüber fällen, ob sie
durch Ausübung ihres Bezugsrechts weiterhin an der Gesellschaft partizipieren
wollen. Darin läge eine unzulässige Beschränkung des Bezugsrechts nach Art.
732a Abs. 2 OR.

3.4 Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz wurden der ausserordentlichen
Generalversammlung keine Informationen über weitere Massnahmen präsentiert, mit
denen die Gesellschaft saniert werden sollte. Es wurde namentlich auch kein
Verzicht auf die Rückzahlung eines Aktionärsdarlehens in Aussicht gestellt,
geschweige denn ein eigentliches Sanierungskonzept vorgelegt. Die Einwände der
Beklagten gegen diese Feststellungen sind mangels hinreichend substanziierter
Sachverhaltsrügen unbeachtlich (vgl. nicht publ. E. 2.2).
Mangels Bekanntgabe von weiteren Massnahmen, welche zusammen mit der
Kapitalerhöhung vernünftige Aussichten auf eine nachhaltige Sanierung gaben,
konnte die ausserordentliche Generalversammlung vom 18. Februar 2008 nicht
beurteilen, ob die beantragte "Harmonika" einen Sanierungszweck aufweisen
sollte. Ohne Kenntnis eines Sanierungskonzepts konnten die Aktionäre
schliesslich auch keinen informierten Entscheid darüber fällen, ob sie durch
Ausübung des Bezugsrechts nach Art. 732a Abs. 2 OR weiterhin an der
Gesellschaft partizipieren wollten. Die Voraussetzungen eines Kapitalschnitts
auf Null gemäss Art. 732a Abs. 1 OR waren nicht gegeben, womit sich die
beschlossene "Harmonika" als rechtswidrig erweist.

4.

4.1 Gemäss Art. 706 OR können der Verwaltungsrat und jeder Aktionär Beschlüsse
der Generalversammlung, die gegen das Gesetz oder die Statuten verstossen, beim
Richter mit Klage gegen die Gesellschaft anfechten (Abs. 1). Anfechtbar sind
insbesondere Beschlüsse, die unter Verletzung von Gesetz oder Statuten oder in
unsachlicher Weise Rechte von Aktionären entziehen oder beschränken (Abs. 2
Ziff. 1 und 2). Das Urteil, das einen Beschluss der
BGE 138 III 204 S. 212
Generalversammlung aufhebt, wirkt für und gegen alle Aktionäre (Abs. 5). Es
handelt sich um ein auflösendes Gestaltungsurteil, das zu einer rückwirkenden
Aufhebung des angefochtenen Generalversammlungsbeschlusses führt (BGE 110 II
387 E. 2c S. 390). Das Anfechtungsrecht erlischt, wenn die Klage nicht
spätestens zwei Monate nach der Generalversammlung erhoben wird (Art. 706a Abs.
1 OR). Gemäss Art. 706b OR können sich Beschlüsse der Generalversammlung auch
als nichtig erweisen. Nichtig sind insbesondere Beschlüsse, die vom Gesetz
zwingend gewährte Rechte des Aktionärs entziehen oder beschränken,
Kontrollrechte von Aktionären über das gesetzlich zulässige Mass hinaus
beschränken oder die Grundstrukturen der Aktiengesellschaft missachten bzw. die
Bestimmungen zum Kapitalschutz verletzen (Art. 706b Ziff. 1-3 OR).
Die vorliegend angefochtene "Harmonika" erweist sich aufgrund des Verstosses
gegen Art. 732a Abs. 1 OR zwar nicht als nichtig i.S. von Art. 706b OR, wohl
aber als gesetzeswidrig i.S. von Art. 706 Abs. 1 OR. Die angefochtenen
Beschlüsse der ausserordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 18.
Februar 2008 gemäss Ziffern 1 (Kapitalherabsetzung), 2 (Wiedererhöhung des
Aktienkapitals), 3 (Ersatz des herabgesetzten Kapitals) und 4 (Durchführung der
Kapitalerhöhung) sind damit in Gutheissung der fristgerecht innert zwei Monaten
nach der Generalversammlung angehobenen Anfechtungsklage rückwirkend
aufzuheben.

4.2 Mit den Feststellungsbeschlüssen gemäss notariellem Protokoll vom 18.
Februar 2008 beschloss der Verwaltungsrat der Beklagten, die Wiedererhöhung des
Aktienkapitals gemäss Art. 650 Abs. 1 Satz 2 OR durchzuführen. Ein solcher
Durchführungsbeschluss muss sich auf einen entsprechenden
Kapitalerhöhungsbeschluss der Generalversammlung stützen; er darf davon nicht
abweichen (Art. 650 Abs. 1 Satz 1 OR; BÖCKLI, a.a.O., § 2 N. 164, 166a; vgl.
auch BGE 132 III 668 E. 3.3.1 S. 675 f.).
Gemäss Art. 714 OR gelten für Beschlüsse des Verwaltungsrats sinngemäss die
gleichen Nichtigkeitsgründe wie für Generalversammlungsbeschlüsse. Nichtig sind
namentlich Verwaltungsratsbeschlüsse, die in schwerwiegender Weise gegen
zwingende und grundlegende Normen des Aktienrechts verstossen (BGE 133 III 77
E. 5 S. 79; BGE 115 II 468 E. 3b S. 473 f.). Gegen einen nichtigen Beschluss
kann eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit erhoben werden. Das
Feststellungsurteil, das die Nichtigkeit feststellt, wirkt gegenüber jedermann
(WERNLI, in: Basler Kommentar,
BGE 138 III 204 S. 213
Obligationenrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2008, N. 7 zu Art. 714 OR; PETER/CAVADINI,
in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 9 zu Art. 714
OR).
Nachdem sich die von der Generalversammlung getroffenen Beschlüsse über die
"Harmonika" vorliegend als ungültig erweisen, ist dem Durchführungsbeschluss
des Verwaltungsrats vom 18. Februar 2008 die Grundlage entzogen. Mangels einer
entsprechenden Ermächtigung durch einen gültigen Erhöhungsbeschluss der GV
leidet der vorliegend angefochtene Durchführungsbeschluss des Verwaltungsrats
der Beklagten an einem schwerwiegenden Mangel und erweist sich als nichtig
gemäss Art. 714 OR.