Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 138 III 111



Urteilskopf

138 III 111

17. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. GesmbH
gegen Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_391/2011 vom 23. Dezember 2011

Regeste

Art. 1 Abs. 2 PatG; Nichtnaheliegen bzw. erfinderische Tätigkeit.
Grundsätze der Beurteilung des Erfinderischen (E. 2.1). "Aufgabe-Lösungs-
Ansatz" als eine der möglichen Vorgehensweisen zur Beurteilung des
Nichtnaheliegens (E. 2.2). Unterschied zwischen (nicht erfinderischer)
Aggregation und (erfinderischer) Kombination von Merkmalen; Beurteilung des
Erfinderischen im konkreten Fall (E. 2.3 und 2.4).

Sachverhalt ab Seite 112

BGE 138 III 111 S. 112

A.

A.a Die Y. AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) war zunächst Lizenznehmerin von A.
(Beklagter 1 im kantonalen Verfahren), der das CH-Patent Nr. 1 hielt. Sie ist
Inhaberin dieses Patents, das ihr während des kantonalen Verfahrens übertragen
worden ist. Das Patent betrifft eine induktive Heizvorrichtung in einem
Kochgerät.

A.b Die X. GesmbH (Klägerin und Beschwerdeführerin) mit Sitz in Österreich
befasst sich mit dem Vertrieb von Induktions-Kochherden. Sie gelangte mit
Eingabe vom 8. März 2005 an das Handelsgericht des Kantons St. Gallen mit dem
Rechtsbegehren, es sei gegenüber den Beklagten festzustellen, dass das
schweizerische Patent Nr. 1 nichtig sei.

A.c Im Laufe des Verfahrens vor dem Handelsgericht schränkte der Beklagte 1,
damals Patentinhaber, in einem Eventualbegehren die Patentansprüche ein. Die
Klägerin beantragte darauf in ihrer nachträglichen Eingabe vom 30. Januar 2006,
die Nichtigkeit des Patents sei auch hinsichtlich der je acht neuen
Patentansprüche gemäss den beiden neuen Eventualbegehren der Duplik
festzustellen.

A.d Mit Entscheid vom 21. April 2008 wies das Handelsgericht die Klage auf
Nichtigkeit des schweizerischen Patents 1 in der Fassung gemäss Eventualantrag
ab. Da die Beklagten die Nichtigkeit in der Fassung gemäss ursprünglicher
Patentschrift anerkannten, schrieb das Handelsgericht die Klage in diesem Punkt
als erledigt ab. Die Klage gegen die Beschwerdegegnerin, die damals
Lizenznehmerin war, wies das Gericht wegen fehlender Passivlegitimation ab.

A.e Mit Urteil vom 18. November 2008 hob das Kassationsgericht des Kantons St.
Gallen den Entscheid des Handelsgerichts auf und wies die Sache zur neuen
Beurteilung an das Handelsgericht zurück mit der Vorgabe, dass die
nachträgliche Eingabe der Klägerin vom 6. Juli 2007 zuzulassen sei. Das
Kassationsgericht hielt die Rüge der Verletzung von Art. 164 ZPO/SG für
begründet und nahm an, dass der Prozess in Kenntnis der US-Patentschrift 2
einen anderen Verlauf genommen hätte. Das Handelsgericht nahm danach den
Prozess wieder auf.
BGE 138 III 111 S. 113

B. Mit Entscheid vom 10. Mai 2011 schrieb das Handelsgericht des Kantons St.
Gallen die Klage mit Bezug auf die Frage der Rechtsbeständigkeit von CH 1 in
der Fassung gemäss Patentschrift zufolge Anerkennung der Nichtigkeit als
erledigt ab (Dispositiv-Ziffer 1), es wies die Klage gegen den Beklagten 1 ab
(Dispositiv-Ziffer 2) und wies die Klage mit dem sinngemässen Antrag, es sei
festzustellen, dass CH 1 auch in den eingeschränkten Fassungen nichtig sei,
ebenfalls ab (Dispositiv-Ziffer 3). Der Gegenstand des Anspruchs 1 des
Eventualantrags der Beklagten stelle eine patentfähige Erfindung dar, dessen
Wortlaut in Dispositiv-Ziffer 3 wie folgt wiedergegeben wird:
1. Kochgerät mit einer induktiven Heizvorrichtung (2), welche sich unter einer
viereckigen Kochplatte (1) befindet, dadurch gekennzeichnet, dass die
Heizvorrichtung (2) zumindest zwei Heizelemente (6 bis 9) aufweist, dass diese
Heizelemente derart ausgeführt und angeordnet sind, dass auch der zwischen
diesen benachbarten Heizelementen (6, 7) befindliche Bereich der Kochplatte (1)
für Kochzwecke verwendbar ist, dass eine Abschirmvorrichtung (3) sich zwischen
der Kochplatte und der Heizvorrichtung (2) befindet, dass diese
Abschirmvorrichtung (3) einen geerdeten Leiter (32) aufweist, welcher in bzw.
auf einer Trägerplatte (31) derart verlegt ist, dass möglichst die ganze Fläche
der Trägerplatte (31) durch den Leiter bedeckt ist und dass dieser Leiter keine
geschlossene Schleife bildet.
2. Kochgerät nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Heizelement (6
bis 9) einen Flächeninduktor (10) mit im wesentlichen spiralförmigen Windungen
umfasst, dass die jeweilige Windung (13 bis 19) eines solchen Induktors (10)
praktisch geradlinig verlaufende und hintereinander geschaltete Abschnitte (21
bis 24) aufweist und dass der jeweilige geradlinig verlaufende
Windungsabschnitt parallel zu einer der Seiten (101 bzw. 102) der Kochplatte
(1) verläuft.
3. Kochgerät nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass die geradlinig
verlaufenden Abschnitte (21 bzw. 24) der aussen liegenden Windungen (19) der
benachbarten Heizelemente parallel zueinander verlaufen und dass der Abstand A2
zwischen den äusseren geradlinig verlaufenden Abschnitten (21 bzw. 24) der
benachbarten Wicklungen (6 bzw. 7 bzw. 8 bzw. 9) zweimal so gross ist wie der
Abstand zwischen den benachbarten Windungen (z.B. 18 und 19) eines der
Heizelemente.
4. Kochgerät nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Induktoren (10)
der Heizelemente (6 bis 9) in Serie geschaltet und an eine Stromquelle (60)
angeschlossen sind und dass der Wicklungssinn der Induktoren (10) derart ist,
dass der Strom in den geradlinigen und parallel zueinander verlaufenden
Abschnitten (21 bzw. 24) der äusseren Windungen (19) der benachbarten
Heizelemente (6 bis 9) in gleicher Richtung fliesst.
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5. Kochgerät nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass ein erster
Anschlussleiter (11) an die aussen am Rande liegende Windung (19) des Induktors
(10) eines ersten Heizelementes (6) angeschlossen ist, dass ein zweiter
Anschlussleiter (12) an die mittig liegende Windung (13) des Induktors (10)
eines zweiten Heizelementes (7) angeschlossen ist, dass der spiralförmige
Induktor (10) des ersten Heizelementes (6) sich im Gegenuhrzeigersinn und der
Induktor (10) des zweiten Heizelementes (7) sich im Uhrzeigersinn öffnet.
6. Kochgerät nach Anspruch 5, welches zwei Heizelemente (6, 7) aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass die mittige Windung (13) des ersten Heizelementes
(6) mit Hilfe eines ersten Verbindungsleiters (20) mit der äusseren Windung
(19) des zweiten Heizelementes (9) verbunden ist.
7. Kochgerät nach Anspruch 5, welches vier in einem Viereck angeordnete
Heizelemente (6 bis 9) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass die mittige
Induktorwindung (13) des ersten Heizelementes (6) mit Hilfe eines ersten
Verbindungsleiters (20) mit der äusseren Induktorwindung (19) des vierten
Heizelementes (9) verbunden ist, dass die mittige Windung (13) dieses vierten
Heizelementes (9) mit Hilfe eines weiteren Verbindungsleiters (20) an die
äussere Induktorwindung (19) des dritten Heizelementes (8) verbunden ist, dass
die mittige Induktorwindung (13) dieses dritten Heizelementes (8) mit Hilfe
eines noch weiteren Verbindungsleiters (20) an die äussere Windung (19) des
zweiten Heizelementes (7) angeschlossen ist, dass die Spirale des Induktors
(10) des dritten Heizelementes (8) sich im Gegenuhrzeigersinn öffnet und dass
der Induktor (10) des vierten Heizelementes (9) sich im Uhrzeigersinn öffnet.
8. Kochgerät nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass eine Stromquelle
(60) vorgesehen ist, an welche die Heizvorrichtung (2) angeschlossen ist, dass
diese Stromquelle (60) einen Generator (61) von Stromimpulsen aufweist, welcher
über Leiter (62, 63) an die Heizvorrichtung (2) angeschlossen ist, dass dieser
Generator (61) derart ist, dass sich sowohl die erzeugte Frequenz als auch die
Leistung der Impulse steuern lässt, dass einem der Zuführleiter (63) ein
Stromwandler (64) zugeordnet ist, welcher an erste Eingänge einer
Phasenmessvorrichtung (65) angeschlossen ist, dass ein weiterer Eingang dieser
Phasenmessvorrichtung (65) über eine Leitung (67) an den Stromgenerator (61)
direkt angeschlossen ist, dass ein Einstellelement (66) zur Steuerung der
Arbeitsweise der Phasenmessvorrichtung (65) an diese angeschlossen ist, dass
der Ausgang der Phasenvorrichtung (65) über Leitungen (68, 69) an eine
Ansteuerungsvorrichtung (70) für den Generator (61) angeschlossen ist, dass
diese Vorrichtung (70) über weitere Leiter (71, 72) mit dem Generator (61)
verbunden ist, dass eine weitere Leitung (73) vom Generator (61) zur
Ansteuerungsvorrichtung (70) zurückführt, dass die Ansteuerungsvorrichtung (70)
BGE 138 III 111 S. 115
an die Phasenmessvorrichtung (65) über eine weitere Leitung (74)
zurückgekoppelt ist und dass zur Einstellung der gewünschten Leistung die
Ansteuerungsvorrichtung (70) mit einem zweiten Einstellelement (75) versehen
ist.
9. Kochgerät nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Leiter (32) auf
der Trägerplatte (31) mäanderförmig verlegt ist."
Das Handelsgericht, das bereits im ersten Verfahren ein Gutachten eingeholt
hatte, beauftragte den Experten B. mit Schreiben vom 27. August 2009, die von
ihm erstattete Expertise unter Berücksichtigung der US-Patentschrift 2 zu
ergänzen. Der Experte gelangte zum Schluss, dass das Patent der Beklagten in
der eingeschränkten Fassung auch unter Berücksichtigung der US-Patentschrift 2
gültig sei. Das Handelsgericht folgte dieser Auffassung.

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Klägerin, das Urteil des
Handelsgerichts des Kantons St. Gallen vom 10. Mai 2011 sei bezüglich der
Dispositiv-Ziffer 3 sowie der Kosten aufzuheben (Ziffer 1), die Klage sei
vollständig gutzuheissen und es sei gegenüber der Beklagten und
Beschwerdegegnerin die Nichtigkeit des schweizerischen Patents 1 festzustellen
(Ziffer 2), eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen und diese anzuweisen, ein Obergutachten über die Frage des
Naheliegens der beanspruchten Erfindung einzuholen, und zwar ausgehend von der
Europäischen Patentanmeldung 3 (D2) als nächstliegendem Stand der Technik
(Ziffer 2.1).
Die Klägerin rügt, die Vorinstanz habe Art. 1 Abs. 2 PatG verletzt, indem sie
mit dem Gutachter als nächstliegenden Stand der Technik die US-Patentschrift 2
statt wie im ursprünglichen Gutachten die EP Patentanmeldung 3 als
Ausgangspunkt gewählt habe, indem sie eine blosse Aggregation von technischen
Merkmalen als nicht naheliegend qualifiziert und indem sie allgemeines
Fachwissen der hypothetischen Fachperson unberücksichtigt gelassen habe.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Nach Art. 1 Abs. 2 PatG (SR 232.14) ist keine patentierbare Erfindung, was
sich in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 7 Abs. 2 PatG)
ergibt (vgl. entsprechend Art. 56 des
BGE 138 III 111 S. 116
Europäischen Patentübereinkommens vom 5. Oktober 1973, revidiert in München am
29. November 2000 [EPÜ 2000; SR 0.232.142.2]). Den Stand der Technik bildet
insofern alles, was vor dem Anmelde- oder dem Prioritätsdatum der
Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benützung
oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist (Art. 7 Abs. 2 PatG, vgl.
Art. 54 Abs. 2 EPÜ 2000). Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, der
umstrittene Anspruch sei neuheitsschädlich vorweggenommen worden. Sie rügt, die
Vorinstanz habe Art. 1 Abs. 2 PatG verletzt mit dem Schluss, der selbständige
Anspruch 1 des umstrittenen Patents habe sich für die Fachperson nicht in
naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben.

2.1 Zur Beurteilung des Erfinderischen ist nach der Rechtsprechung
entscheidend, ob ein Fachmann nach all dem, was an Teillösungen und
Einzelbeiträgen den Stand der Technik ausmacht, schon mit geringer geistiger
Anstrengung auf die Lösung des Streitpatents kommen kann oder ob es dazu
zusätzlichen schöpferischen Aufwandes bedarf. Denn der Bereich des
Erfinderischen beginnt nach konstanter Praxis nicht bereits unmittelbar
jenseits des vorbekannten Stands der Technik, sondern erst jenseits dessen, was
ein durchschnittlich gut ausgebildeter Fachmann des einschlägigen Gebietes
gestützt darauf mit seinem Wissen und seinen Fähigkeiten weiterentwickeln und
finden kann (BGE 123 III 485 E. 2a S. 488; BGE 121 III 125 E. 5b S. 137; BGE
120 II 312 E. 4b S. 317).
Die erfinderische Tätigkeit ist von der Ausgangslage her zu beurteilen, wie sie
im massgebenden Zeitpunkt objektiv gegeben war. Es sollen keine Lehren
patentiert werden, die der Fachmann in Kenntnis des Standes der Technik und
gestützt auf seine durchschnittlichen Fähigkeiten folgerichtig aus dem Stand
der Technik entwickeln kann; es bedarf vielmehr einer qualitativen
Weiterentwicklung, einer intuitiv-assoziativen Tätigkeit (vgl. CHRISTOPH
BERTSCHINGER, Patentfähige Erfindung, in: Schweizerisches und europäisches
Patentrecht, 2002, Rz. 4.113). Der Stand der Technik im massgebenden Zeitpunkt
ist in seiner Gesamtheit, gewissermassen als "Mosaik", zu betrachten (JÜRGEN
KROHER, in: Europäisches Patentübereinkommen, Singer/Stauder [Hrsg.], 5. Aufl.
2010, N. 16 zu Art. 56 EPÜ; RAINER MOUFANG, in: Patentgesetz mit EPÜ, Rainer
Schulte [Hrsg.], 8. Aufl. 2008, N. 19 zu § 4 DPatG/Art. 56 EPÜ; BERTSCHINGER,
a.a.O., Rz. 4.118). Alle der Öffentlichkeit zugänglichen Lehren, alle
Entgegenhaltungen sind miteinander als der technische Erfahrungsschatz
BGE 138 III 111 S. 117
anzusehen, der dem mit normaler Kombinationsgabe ausgestatteten Fachmann bzw.
Fachteam für die Lösung der Aufgabe zur freien Auswertung zur Verfügung
gestanden hat. Die Kombination von Einzelelementen aus dem Stand der Technik
findet aber dort ihre Grenze, wo sie zu einer künstlichen ex-post-Betrachtung
in Kenntnis der neuen Lösung führen würde (vgl. BGE 120 II 312 E. 4b S. 318;
Urteile 4C.52/2005 vom 18. Mai 2005 E. 2.1, in: sic! 11/2005 S. 826; 4C.10/2003
vom 18. März 2003 E. 3, in: sic! 7-8/2003 S. 604).

2.2 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Patentamtes wird gemäss dem
sogenannten "Aufgabe-Lösungs-Ansatz" zunächst der "nächstliegende Stand der
Technik" ermittelt, um das technische Problem festzustellen, das durch die
Erfindung gelöst wird, wobei von den Angaben in der Anmeldung ausgegangen wird,
sofern der Anmeldung nicht ein unzutreffender Stand der Technik zugrunde gelegt
wird. Dieses Vorgehen bildet jedoch nur den Ausgangspunkt zur Beurteilung, ob
dem Fachmann die Erfindung aus der Gesamtschau des Standes der Technik
nahegelegen hat (vgl. dazu BERNHARD JESTAEDT, in: Benkard, Europäisches
Patentübereinkommen, 2002, N. 16 f. zu Art. 56 EPÜ; ASENDORF/SCHMIDT, in:
Benkard, Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, 10. Aufl. 2006, N. 13 zu § 4
DPatG; MOUFANG, a.a.O., N. 28 zu § 4 DPatG/Art. 56 EPÜ; KROHER, a.a.O., N. 38
zu Art. 56 EPÜ; BERTSCHINGER, a.a.O., Rz. 4.126). Der "Aufgabe-Lösungs-Ansatz"
wurde in der Praxis als ein Werkzeug ermittelt, um die Beurteilung der
erfinderischen Tätigkeit zu objektivieren und eine rückschauende
Betrachtungsweise soweit möglich zu vermeiden (BERTSCHINGER, a.a.O., Rz. 4.126;
PEDRAZZINI/HILTI, Europäisches und schweizerisches Patent- und
Patentprozessrecht, 3. Aufl. 2008, S. 132; KROHER, a.a.O., N. 40 zu Art. 56
EPÜ; MOUFANG, a.a.O., N. 26 zu § 4 DPatG/Art. 56 EPÜ). Dieses Vorgehen ist
nicht das einzig mögliche. In der Praxis der deutschen Gerichte wird etwa
gefragt, welche Schritte der Fachmann vollziehen muss, um zu der Lösung des
Streitpatents zu gelangen, ob er Anlass hatte, Überlegungen in diese Richtung
anzustellen, und was im Einzelnen dafür oder dagegen spricht, dass der Fachmann
aufgrund solcher Überlegungen zur Lösung des Streitpatents gelangt. Dabei wird
darauf abgestellt, was die beanspruchte Lösung gegenüber dem Stand der Technik
tatsächlich leistet (vgl. ASENDORF/SCHMIDT, a.a.O., N. 10/12 zu § 4 DPatG;
JESTAEDT, a.a.O., N. 18 zu Art. 56 EPÜ).
Wenn die Beschwerdeführerin rügt, der Gutachter sei von einer falschen
Veröffentlichung als nächstliegendem Stand der Technik
BGE 138 III 111 S. 118
ausgegangen und habe statt der EP-Patentanmeldung 3 (D2 nach Gutachten) die
US-Patentschrift 2 (D9 nach Ergänzungsgutachten) gewählt, so verkennt sie
zunächst die Bedeutung des "Aufgabe-Lösungs-Ansatzes". Es handelt sich dabei
entgegen ihrer Ansicht nicht um die ausschliesslich vorgeschriebene Methode,
sondern um eine der möglichen Arten des Vorgehens, um auf nachvollziehbare
Weise die Schritte zu ermitteln, welche die Fachperson aufgrund des
massgebenden Standes der Technik machen musste, um zur technischen Lösung zu
gelangen, welche im Patent beansprucht wird. In jedem Fall ist der
(qualitative) Abstand der beanspruchten Lösung vom entgegengehaltenen Stand der
Technik insgesamt massgebend zur Beurteilung, ob diese der Fachperson
nahegelegen hatte oder nicht. Da auch ausgehend vom nächstliegenden Stand der
Technik die übrigen Entgegenhaltungen darauf zu prüfen sind, ob sie für die
massgebende Fachperson Anregungen zu vermitteln vermögen, die ihr die
beanspruchte Lösung nahelegen, sollte bei korrektem Vorgehen nicht wesentlich
sein, welches von regelmässig mehreren naheliegenden Elementen im Stande der
Technik zum Ausgangspunkt der allein entscheidenden Frage genommen wird, ob die
Fachperson schon mit geringer geistiger Anstrengung auf die Lösung des
Streitpatents kommen kann oder ob es dazu eines schöpferischen Aufwandes
bedarf. Die Beschwerdeführerin behauptet zu Recht nicht, die objektiv vom
Streitpatent gelöste Aufgabe sei von der Vorinstanz gestützt auf die Expertise
falsch definiert worden. Die Rüge, die Vorinstanz habe die Tragweite von Art. 1
Abs. 2 PatG verkannt, indem sie gestützt auf die Ergänzung der Expertise einen
falschen "nächstliegenden Stand der Technik" zum Ausgangspunkt der Beurteilung
des Naheliegens der beanspruchten Lösung gewählt habe, ist unbegründet.

2.3 Als naheliegend gilt die blosse Aneinanderreihung oder Kombination
bekannter Vorrichtungen oder Verfahren, die jeweils auf übliche Art und Weise
funktionieren, ohne funktionelle Wechselwirkung; demgegenüber gilt als nicht
naheliegend eine Kombination von Merkmalen, die sich gegenseitig wirkungsmässig
derart unterstützen, dass ein neuer technischer Erfolg erzielt wird
(BERTSCHINGER, a.a.O., Rz. 4.136 S. 148; vgl. KROHER, a.a.O., N. 59 zu Art. 56
EPÜ). Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Expertise und gestützt darauf
die Vorinstanz hätten den Unterschied zwischen (nicht erfinderischer)
Aggregation und (erfinderischer) Kombination nicht beachtet. Sie bringt
insofern vor, die Abschirmung zwischen der
BGE 138 III 111 S. 119
Kochplatte und der Heizvorrichtung eines Induktionskochherds mit einem
geerdeten Leiter gehöre nun nach der US-Patentschrift schon zum Stand der
Technik, weshalb eine Induktionskochplatte mit einer geerdeten
Abschirmvorrichtung zwischen der Kochplatte und der Heizvorrichtung nicht mehr
als Erfindung betrachtet werden könne. Dies schliesse auch eine Abschirmung mit
elektrischen Leitern ein, die keine geschlossene Schleife bildeten, da dies zum
allgemeinen Fachwissen der massgeblichen Fachperson gehöre.

2.3.1 Nach dem Gutachten - das insoweit von der Beschwerdeführerin nicht in
Frage gestellt wird - besitzt die hypothetische Fachperson, ausgebildet als
Ingenieur auf dem Gebiet der Elektrotechnik (Fachhochschule oder Hochschule),
grundlegende Kenntnisse über elektromagnetische Felder und gute Kenntnisse in
der Konzeption und Entwicklung von elektronischen Schaltungen. Sie hat
Berufserfahrung in der Ausgestaltung, Anordnung und Ansteuerung von induktiven
Heizvorrichtungen und in der zugehörigen Messtechnik elektromagnetischer
Felder. Den selbständigen Patentanspruch 1 des eingeschränkten Patents in der
hier umstrittenen Fassung gliedert der Gutachter sodann in die (mit einer
Ziffer 2 versehenen) Merkmale A bis I wie folgt:
"A Kochgerät mit einer induktiven Heizvorrichtung (2)
B welche sich unter einer viereckigen Kochplatte (1) befindet, dadurch
gekennzeichnet, dass
C die Heizvorrichtung (2) zumindest zwei Heizelemente (6 bis 9) aufweist,
D welche derart ausgeführt sind, dass nicht nur die Randbereiche (55) der
Kochplatte (1), sondern auch die Bereiche zwischen den Heizelementen (7, 8) für
Kochzwecke ausgenützt werden können,
E dass eine Abschirmvorrichtung (3) sich zwischen der Kochplatte und der
Heizvorrichtung (2) befindet,
F dass diese Abschirmvorrichtung (3) einen geerdeten Leiter (32) aufweist,
G welcher in bzw. auf einer Trägerplatte (31) derart verlegt ist, dass
möglichst die ganze Fläche der Trägerplatte (31) durch den Leiter bedeckt ist,
H dass dieser Leiter keine geschlossene Schleife bildet ..."
(unberücksichtigt lässt der Experte sodann das Merkmal I, wonach der Leiter
[32] auf der Trägerplatte mäanderförmig verlegt sein kann).
BGE 138 III 111 S. 120
Im Gutachten vom 19. Dezember 2006 gelangt der Gerichtsexperte zum Schluss, die
entgegengehaltenen Dokumente D1 und D4 zeigten gerade das Gegenteil der
beanspruchten Abschirmung mit einem Leiter und beschränkten sich auf eine rein
elektrische und thermische Isolation. Die Dokumente D2, D3 und D5 bis D7 sodann
zeigten keine Zwischenlage zwischen den Heizelementen und der Kochplatte.
Aufgabe der beanspruchten Abschirmung mit geerdetem Leiter zwischen Heizelement
und Kochplatte solle sein, elektrische Entladungen zwischen auf der Kochplatte
nahe aneinander aufgestellten Kochtöpfen zu verhindern. Diese Aufgabe sei in
keinem Dokument des Standes der Technik erwähnt und es schlage auch keines der
Dokumente einen geerdeten, auf oder in einer Trägerplatte verlegten Leiter vor.
In der am 20. Januar 2010 erstellten Ergänzung zur Expertise erläutert der
Gutachter sodann, dass das Dokument D9 (US-Patentschrift 2) ein Kochgerät mit
einer induktiven Heizvorrichtung zeigt. Er legt dar, dass die Merkmale A bis E
sowie G des Streitpatents beim entgegengehaltenen Dokument D9 vorhanden sind.
Nach den Merkmalen D und H, welche in der Entgegenhaltung D9 fehlen, formuliert
der Experte die objektiv durch das Streitpatent gelöste Aufgabe so, dass ein
induktives Kochgerät mit einer Abschirmung geschaffen werden soll, bei dem die
Kochgeschirre auf der Kochplatte frei für Kochzwecke platzierbar sind, wobei
elektrische Potentialdifferenzen zwischen den Kochgeschirren möglichst
vermieden werden sollen. Diese Aufgabe löst das Streitpatent nach den
Feststellungen des Gutachters mit der speziellen Ausgestaltung und Anordnung
der Heizelemente in Kombination mit der Abschirmvorrichtung, die einen
geerdeten Leiter - im Unterschied zu D9 ohne Bildung einer Schleife - umfasst.
Der Gutachter verneint, dass die Fachperson durch den Stand der Technik
veranlasst werden könnte, das Kochgerät D9 so zu ändern, dass sie zu den
Merkmalen D und H des Streitpatents gelangt. Die Fachperson kann danach zwar
aus der Entgegenhaltung D2 entnehmen, dass die Heizelemente bzw. die
Induktionsspulen so ausgestaltet und angeordnet werden können, dass eine
metallene Kochfläche gleichmässig erhitzt werden kann, und sie würde daher eine
solche Ausführung und Anordnung der Heizmittel auch für ein Kochgerät nach D9
verwenden. Die Fachperson findet aber nach dem Ergänzungsgutachten im Stand der
Technik keine Anregung dafür, die Abschirmung dabei mit einem geerdeten Leiter
auszuführen, der keine geschlossene Schleife bildet. D9 weist danach von der
Lösung mit dem geerdeten Leiter weg, indem er die
BGE 138 III 111 S. 121
flächige Beschichtung mit einem Material empfiehlt, das einen bestimmten
elektrischen Widerstand nicht unterschreiten sollte. Bei der Variante mit
geerdetem Leiter aus Kupfer setzt D9 anderseits gerade einen Leiter mit einer
geschlossenen Schleife ein. Aus den weiteren Dokumenten D1 und D3 bis D8 kann
die Fachperson nach den Ausführungen des Gerichtsexperten ebenfalls keine
Anregung entnehmen, das Kochgerät von D9 wie im Streitpatent beansprucht zu
ändern.

2.3.2 Die Beschwerdeführerin kritisiert den Schluss der Vorinstanz, die
gestützt auf das Gerichtsgutachten die erfinderische Tätigkeit bejahte. Sie
bringt vor, die Abschirmung zwischen der Kochplatte und der Heizvorrichtung
eines Induktionskochherdes mit einem geerdeten Leiter (Merkmale E-G des
Streitpatents) gehörten nach Berücksichtigung der US-Patentschrift 2 zum Stand
der Technik. Sie vertritt die Ansicht, dies schliesse auch eine Abschirmung mit
elektrischen Leitern ein, die keine geschlossene Schleife bildeten, da dies das
"unvermeidliche und aktenmässig erstellte Resultat" des allgemeinen Fachwissens
bilde. Die Beschwerdeführerin vertritt die Ansicht, die von ihr so genannte
Merkmalsgruppe 1 - d.h. die Merkmale A bis D, die sich nach dem
Gerichtsgutachten auch in der Entgegenhaltung D9 finden - einerseits und die
Abschirmung nach den Merkmalen E bis H des Streitpatents anderseits wirkten
entgegen der Ansicht des Gutachters nicht zusammen. Sie hält dafür, wenn
Induktionskochfelder mit den Merkmalen A-D bekannt waren und wenn bei
Induktionskochfeldern geerdete Abschirmungen mit den Merkmalen E-H bekannt
waren, so sei offensichtlich nichts entgegengestanden, auch bei einem
Induktionskochfeld mit den Merkmalen A-D eine solche geerdete Abschirmung
einzusetzen.

2.3.3 Die Beschwerdeführerin verfällt mit ihrer dem Gerichtsgutachten
widersprechenden Ansicht in eine (verpönte) nachträgliche Betrachtung. Sie
verkennt, dass in der Regel die einzelnen Merkmale einer beanspruchten
Erfindung für sich bekannt sind und je einzeln oder in bestimmter Gruppierung
im Stand der Technik nachgewiesen werden können. Es geht jedoch gerade um die
Beurteilung, ob die - regelmässig aus dem Zusammenwirken bisher bekannter
Elemente gewonnene - als Erfindung beanspruchte technische Anleitung der
Fachperson nahegelegt war oder ob sie überraschend erscheint. Insofern kann der
Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden, wenn sie annimmt, die Abschirmung der
Heizfläche (zwischen den tradierten Kochfeldern) einerseits und die zusätzliche
Nutzung des
BGE 138 III 111 S. 122
Bereichs zwischen den Kochfeldern anderseits seien zwei voneinander unabhängige
Aufgaben, welche je separat und ohne Zusammenwirken der technischen Merkmale zu
sehen seien. Wie der Experte im Ergänzungsgutachten überzeugend darlegt, wird
mit dem Streitpatent gerade die Aufgabe gelöst, die Kochgeschirre auf der
Kochplatte frei für Kochzwecke zu platzieren, ohne zwischen den Kochgeschirren
elektrische Potentialdifferenzen hervorzurufen. Diese technische Aufgabe wird
mit geerdeten Leitern gelöst, welche Lösung im massgebenden Stand der Technik
nicht nahegelegt ist.

2.4 Der Beschwerdeführerin kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie die Ansicht
vertritt, die Vorinstanz habe mit dem Gutachter die allgemeinen Kenntnisse der
Fachperson unberücksichtigt gelassen. Dass die Abschirmung bei einem
Induktionskochherd für die einzelnen, voneinander getrennten Kochfelder je
durch Leiter erfolgte, bei denen nach allgemeinem Fachwissen geschlossene
Schleifen zu vermeiden waren, bedeutet nicht, dass diese Technik nach
allgemeinem Fachwissen auch geeignet sei für die Abschirmung zusammenhängender
Kochflächen bzw. für Flächen, auf denen Kochtöpfe nahe beieinander beheizt
werden. Der Gutachter hat im Ergänzungsgutachten nachvollziehbar erklärt, dass
das Dokument in Entgegenhaltung D9 von einer solchen Lösung wegweist, indem es
Leiter mit geschlossenen Schleifen vorsieht. Die Vorinstanz hat Bundesrecht
nicht verletzt, indem sie mit dem Gerichtsgutachter die beanspruchte Erfindung
in der während des Verfahrens eingeschränkten Fassung als vom Stand der Technik
nicht nahegelegt ansah und damit als gültig anerkannte.