Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 V 394



Urteilskopf

137 V 394

40. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen
Helsana Unfall AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_927/2010 vom 13. September 2011

Regeste

Art. 6 Abs. 1 UVG; Art. 2 Abs. 2 ZGB; Art. 5 Abs. 3 BV; rechtsmissbräuchliches
Verhalten.
Das Verhalten einer UVG-versicherten Person, welche den bereits aus
Haftpflichtrecht vergüteten Schaden aus einem Unfallereignis ein zweites Mal
beim Unfallversicherer geltend macht und gleichzeitig mit ihrem
Prozessverhalten die Verjährung von dessen Regressanspruch bewirkt hat, wird
als rechtsmissbräuchlich beurteilt (E. 6-8).

Sachverhalt ab Seite 394

BGE 137 V 394 S. 394

A.

A.a S. wurde am 24. Januar 1997 im Kantonsspital Basel-Stadt bei der operativen
Behebung eines Hydrozephalus verletzt und erlitt eine Schädigung des Gehirns.
Sie bezieht bei einem Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Rente der
Eidgenössischen Invalidenversicherung und der Beruflichen Vorsorge.
BGE 137 V 394 S. 395

A.b Mit Schreiben vom 29. April 1998 liess S. ihre Arbeitgeberin bitten, der
Unfallversicherung das Ereignis vom 24. Januar 1997 als Unfall zu melden. Das
Schreiben lautet wie folgt:
"Nach Prüfung der Rechtslage habe ich die Überzeugung gewonnen, dass es sich
bei der Operation vom 24.1.1997 um einen Unfall im Rechtssinne handelt. Dürfte
ich Sie höflich bitten, die entsprechende Anmeldung an die obligatorische
Unfallversicherung vorzunehmen und mir davon eine Kopie zuzustellen. Sollte
ihre Gesellschaft selbst die obligatorische Unfallversicherung sein, so bitte
ich Sie höflich, mir allfällige Zusatzleistungen bekannt zu geben. Bezüglich
der Begründung der Tatsache, dass es sich bei der Operation am 24.1.1997 um
einen Unfall handelt, werde ich Sie näher informieren bzw. diesen Standpunkt
begründen, wenn Ihre Gesellschaft selbst die Unfallversicherung sein sollte.
Mit bestem Dank ..."
Die Arbeitgeberin leitete das Schreiben an die Helsana Unfall AG (nachfolgend:
Helsana) weiter, bei der es am 6. Mai 1998 einging. In der Folge kamen die
Parteien darauf nicht mehr zurück.

A.c In der Auseinandersetzung mit dem Kanton Basel-Stadt bestritt dieser mit
Schreiben vom 29. Mai 1998 mangels Arztfehler beziehungsweise
Widerrechtlichkeit seine Haftpflicht. Am 14. Oktober 1999 klagte daraufhin S.
direkt beim Bundesgericht gegen den Kanton Basel-Stadt auf Schadenersatz für
Erwerbsausfall, Rentenschaden, Pflege- und Betreuungskosten, Haushaltschaden
und vorprozessuale Anwaltskosten sowie Genugtuung. Das Verfahren wurde zunächst
auf die Frage der grundsätzlichen Haftung des Beklagten beschränkt und diese
mit Urteil 4C.378/1999 des Bundesgerichts vom 23. November 2004 bejaht. Am 5.
Juli 2005 wurde das bundesgerichtliche Verfahren fortgesetzt. Mit Replik vom
30. August 2005 zum Quantitativen forderte S. einen Betrag von insgesamt über
Fr. 15'000'000.-. In der Folge kam es zu einem Vergleich, mit dem sich der
Haftpflichtige verpflichtete, S. über die bereits bezahlten Beträge hinaus
einen Betrag von Fr. 3'000'000.- (Anwaltskosten eingeschlossen) zu bezahlen,
und das Verfahren wurde mit Verfügung des Bundesgerichts vom 1. Juni 2006
abgeschrieben.

A.d Mit undatiertem Schreiben, eingegangen bei der ehemaligen Arbeitgeberin am
18. Januar 2007 , verwies S. auf das Urteil des Bundesgerichts vom 23. November
2004, wonach ein Unfall vorliege, und beantragte Leistungen aus Unfall. Am 22.
Januar 2007, eingegangen bei der Helsana am 30. Januar 2007, zeigte die
ehemalige Arbeitgeberin das Schadenereignis an. Die Helsana verneinte einen
Leistungsanspruch mit Verfügung vom 31. Juli 2008. Zur Begründung führte sie
an, die Versicherte habe den Leistungsanspruch
BGE 137 V 394 S. 396
verwirkt und überdies durch den Vergleich mit dem Haftpflichtversicherer auch
über die Regressforderung des Unfallversicherers gegenüber dem
Unfallverursacher verfügt. Die dagegen gerichtete Einsprache der Versicherten
vom 2. September 2008 wies die Helsana mit Entscheid vom 10. November 2008 ab.

B. S. erhob Beschwerde mit dem Hauptbegehren auf Aufhebung des
Einspracheentscheids vom 10. November 2008 und Zusprechung der gesetzlichen
Leistungen im Rahmen einer Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100 %,
einer maximalen Integritätsentschädigung, einer Hilflosenentschädigung für
Hilflosigkeit schweren Grades und Heilungskosten, alles rückwirkend ab 24.
Januar 1997 nebst 5 % Zins. Im Eventualbegehren beantragte sie Rückweisung zu
weiterer Abklärung und Neubeurteilung. Das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich wies die Beschwerde mit Entscheid vom 29. September 2010 ab.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt S. unter
Aufrechterhaltung ihrer vorinstanzlichen Begehren die Aufhebung dieses
Entscheids beantragen. Die Helsana trägt auf Abweisung an und verlangt mit
Eventualantrag, es sei ein Zeuge zu befragen und die vollständigen Akten des
Haftpflichtprozesses seien zu edieren.

D. Das Bundesgericht gewährt den Parteien das rechtliche Gehör zur Frage, ob
die Leistungsansprüche durch die Zahlung des Haftpflichtigen bereits getilgt
seien, resp. ob deren Geltendmachung gegenüber der Helsana rechtsmissbräuchlich
ist. Davon haben beide Seiten mit Eingaben vom 20. Juli und 25. August 2011
Gebrauch gemacht.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin für die Folgen des
Eingriffs vom 24. Januar 1997 Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung
geltend machen kann. Die Helsana hat ihre Leistungspflicht mit der Begründung
verneint, die Beschwerdeführerin habe auf den Leistungsanspruch verzichtet und
überdies durch den Vergleich mit dem Haftpflichtigen über die Regressforderung
des Unfallversicherers verfügt. Das kantonale Gericht hat dies bestätigt.

3. Am 1. Januar 2003 sind das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG;
BGE 137 V 394 S. 397
SR 830.1) und die Verordnung vom 11. September 2002 über den Allgemeinen Teil
des Sozialversicherungsrechts (ATSV; SR 830.11) in Kraft getreten. In
materiellrechtlicher Hinsicht gilt jedoch der allgemeine übergangsrechtliche
Grundsatz, dass für die Beurteilung diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die
bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE
136 V 24 E. 4.3 S. 27; BGE 130 V 445 E. 1.2.1 S. 447; Urteil 8C_979/2009 vom 1.
November 2010 E. 3 mit Hinweisen). Das Ereignis, aus dem Leistungsansprüche
abgeleitet werden, hat sich vor Inkrafttreten des ATSG ereignet. Da die
Regelung des Rückgriffs - sowohl gemäss dem bis 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen aArt. 41 UVG (SR 832.20) wie auch gemäss dem am 1. Januar 2003 in
Kraft getretenen Art. 72 Abs. 1 ATSG - vom Prinzip der Subrogation im Zeitpunkt
des Ereignisses ausgeht, ist massgebender Zeitpunkt für die Verwirklichung der
sich aus der Subrogation ergebenden Rechtsfolgen der Zeitpunkt des
Unfallereignisses (erwähntes Urteil 8C_979/2009 E. 4.1 mit Hinweisen; BGE 129 V
396 E. 1.1 S. 398; vgl. auch BGE 134 III 489 E. 4.3 S. 492). Die Helsana ist
somit gestützt auf aArt. 41 UVG am 24. Januar 1997 bis auf die Höhe der
gesetzlichen Leistungen in die Ansprüche der Beschwerdeführerin gegenüber dem
Haftpflichtigen eingetreten, obwohl in diesem Zeitpunkt noch nicht feststand,
welche Leistungen sie erbringen muss (Urteil 4A_307/2008 vom 27. November 2008
E. 3.1.3 mit Hinweisen). Vorliegend sind demzufolge für die Subrogation die
gesetzlichen Grundlagen vor Inkrafttreten des ATSG massgebend.

4.

4.1 Das kantonale Gericht nahm an, die Beschwerdeführerin habe stillschweigend
auf die Unfallversicherungsleistungen verzichtet, weil sie nach ihrem Schreiben
vom 29. April 1998 während fast neun Jahren nichts mehr unternommen, den
Haftpflichtprozess beendet und damit bekundet habe, dass sie die
Beschwerdegegnerin nicht in Anspruch nehmen werde. Es beruft sich hiefür auf
BGE 108 V 84 E. 3a S. 88.

4.2 Der von der Vorinstanz angenommene Verzicht knüpft an ein konkludentes
Verhalten an, das über den 1. Januar 2003 hinaus andauerte. Es erscheint daher
fraglich, ob mit der Vorinstanz und der Beschwerdeführerin diesbezüglich
intertemporalrechtlich auf aArt. 65 UVV (SR 832.202) abgestellt werden kann,
oder ob nicht vielmehr Art. 23 ATSG zur Anwendung gelangt. Die Frage kann
offenbleiben, denn sowohl aArt. 65 UVV als auch Art. 23 ATSG setzen
BGE 137 V 394 S. 398
ausdrücklich voraus, dass ein Verzicht schriftlich erklärt werden muss. Ein
konkludenter Verzicht, wie er unter dem noch früheren Recht von der
Rechtsprechung akzeptiert wurde (BGE 116 V 273 E. 4 S. 279 f.; BGE 108 V 84 E.
3a S. 88), ist nicht mehr möglich (BGE 135 V 106 E. 6.2.3 S. 111; GHISLAINE
FRÉSARD-FELLAY, De la renonciation aux prestations d'assurance sociale [art. 23
LPGA/ATSG], HAVE 2002 S. 335 ff., 336 f.; FRÉSARD/MOSER-SZELESS,
L'assurance-accidents obligatoire, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2.
Aufl. 2007, S. 976 Rz. 481 und Fn. 712; GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung,
in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 811 Rz. 1197; ANDRÉ
PIERRE HOLZER, Verjährung und Verwirkung der Leistungsansprüche im
Sozialversicherungsrecht, 2005, S. 77). Für einen Verzicht hätte es im Übrigen
im Geltungsbereich von aArt. 65 UVV des Einverständnisses aller Beteiligten
bedurft, und der Verzicht hätte vom Sozialversicherer in einer Verfügung
festgehalten werden müssen (BGE 124 V 174 E. 3c S. 178; erwähntes Urteil 8C_979
/2009; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Subrogation im Zeitpunkt des schädigenden
Ereignisses, in: Festschrift des Nationalen Versicherungsbüros Schweiz und des
Nationalen Garantiefonds Schweiz, 2000, S. 413 f.). Diese Formvorschriften sind
hier offensichtlich nicht eingehalten. Ein Verzicht liegt daher nicht vor.

5.

5.1 Das kantonale Gericht hielt fest, wegen der im Zeitpunkt des Unfalls
eingetretenen Subrogation sei es der Beschwerdeführerin grundsätzlich verwehrt
gewesen, auf die Leistungen der Beschwerdegegnerin zu verzichten. Es ist
unklar, welche Schlüsse es daraus ziehen will. Die Beschwerdeführerin
ihrerseits leitet daraus ab, der Vergleich mit dem Haftpflichtigen habe keine
UVG-Ansprüche beinhalten können, da sie zufolge Subrogation über diese
Ansprüche nicht mehr habe verfügen können.

5.2 Dem ist nicht zu folgen. Zwar trifft es zu, dass die Subrogation im
Zeitpunkt des Unfalls eintritt (vgl. oben E. 3) und die Forderung des
Geschädigten gegenüber dem Haftpflichtigen schon dann auf den Versicherer
übergeht. Der Sozialversicherer allein ist somit Gläubiger (GHISLAINE
FRÉSARD-FELLAY, Le recours subrogatoire de l'assurance-accidents sociale contre
le tiers responsable ou son assureur, 2007, S. 105 Rz. 343 f.; ALEXANDRA
RUMO-JUNGO, Haftpflicht und Sozialversicherung, 1998, S. 431 Rz. 971). Das
bedeutet im Haftpflichtprozess, dass der grundsätzlich für den ganzen Schaden
Haftpflichtige
BGE 137 V 394 S. 399
dem Geschädigten gegenüber die erbrachten Sozialversicherungsleistungen als den
Schaden reduzierende Positionen, für die er beweispflichtig ist, entgegenhalten
kann (erwähntes Urteil 4A_307/2008 E. 3.1.4). Ging der Haftpflichtige nicht
davon aus, dass Leistungen aus UVG erbracht worden sind bzw. noch erbracht
werden, bestand auch kein Anlass für einen entsprechenden Abzug. Im Übrigen
bewirkt der Forderungsübergang nur, dass der Geschädigte mangels Berechtigung
nicht mehr verfügen darf, nicht dass er nicht verfügen kann. Verfügt er
trotzdem, beispielsweise durch Abschluss eines Vergleichs mit dem
Haftpflichtigen, bedeutet dies einzig, dass Letzterer durch Zahlung an den
nicht mehr berechtigten Geschädigten von seiner Leistungspflicht gegenüber dem
Sozialversicherer nicht befreit wird und die Gefahr der Doppelzahlung läuft
(Urteil 4P.322/1994 vom 28. August 1995 E. 2d; FRÉSARD-FELLAY, Le recours
subrogatoire, a.a.O., S. 106 Rz. 345).

6. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Vergleich mit dem haftpflichtigen
Kanton auch UVG-Leistungen umfasste. Die Beschwerdegegnerin macht geltend, die
Beschwerdeführerin sei ungerechtfertigt bereichert, falls sie ihrerseits
Leistungen nach UVG erbringen müsse.

6.1 Nach einem UVG-versicherten Ereignis mit Drittbeteiligung sind in der Regel
und auch hier nebst den Ansprüchen aus UVG solche aus Haftpflichtrecht zu
berücksichtigen. Wie bereits erwähnt, tritt der UVG-Versicherer dabei im
Zeitpunkt des bei ihm versicherten Ereignisses bis auf die Höhe der
gesetzlichen Leistungen in die Ansprüche der verunfallten Person gegenüber dem
Haftpflichtigen ein (aArt. 41 UVG; E. 3 hievor).

6.2 Der Vergleich zwischen der Beschwerdeführerin und dem Haftpflichtigen
lautet wie folgt:
"1. Der Beklagte bezahlt der Klägerin über die bereits bezahlten Beträge hinaus
Fr. 3'000'000.- (drei Millionen Franken), Anwaltskosten eingeschlossen.
2. Dabei gehen die Parteien insbesondere von folgenden Gegebenheiten aus:
a) Entsprechend der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts (4C.277/2005 vom
17. Januar 2006, zur Publikation bestimmt), steht den Pensionskassen auch nach
der vor dem 1. Januar 2005 geltenden Regelung (Einführung von Art. 34b BVG) ein
Rückgriffsrecht auf den haftpflichtigen Dritten zu, unabhängig davon, ob eine
Abtretung der Ansprüche des Geschädigten erfolgt ist.
BGE 137 V 394 S. 400
b) Die Klägerin erhält keine Hilflosenentschädigung. Sollte sie in Zukunft
entsprechende Leistungen beziehen, hält sie den Beklagten schadlos, soweit
dieser dafür aus Regress zahlungspflichtig wird.
3. Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind die Parteien per Saldo aller
Ansprüche auseinander gesetzt."
Aus der Bestätigung des damaligen Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin vom
1. Februar 2007 geht sodann hervor, dass der Haftpflichtige gesamthaft,
einschliesslich der im Vergleich genannten Summe und vorangegangener
Akontozahlungen Fr. 5'000'000.- ausbezahlt hat. Davon flossen nach Abzug des
Anwaltshonorars und von Barauslagen an eine Drittperson Fr. 4'250'000.- an die
Beschwerdeführerin.
Es fragt sich nun, ob die Beschwerdeführerin über diese Summe hinaus Anspruch
auf die geltend gemachten UVG-Leistungen (Invalidenrente,
Integritätsentschädigung, Hilflosenentschädigung, Heilbehandlung) erheben kann.

6.3 An Leistungen aus Haftpflichtrecht mit jeweils vergleichbarem Zweck kommen
bei der Invalidenrente (nach Art. 18 ff. UVG) die Leistungskategorie
Erwerbsausfallsentschädigung/Rentenschaden, bei der Integritätsentschädigung
(Art. 24 f. UVG) die Genugtuung, bei der Hilflosenentschädigung (Art. 26 f.
UVG) die Entschädigung für den Betreuungs- sowie Pflegeaufwand und bei der
Heilbehandlung (Art. 10 UVG) die Übernahme von Heilungs- sowie
Behandlungskosten (Begriffsverwendungen jeweils wie im durchgeführten
Haftpflichtprozess [siehe: Urteil 4C_378/1999 vom 23. November 2004]; vgl. auch
RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 436 ff.) in Betracht. Dabei ist davon auszugehen, dass
die Leistungen des Haftpflichtigen resp. Haftpflichtversicherers, welcher den
vollen Schaden und eine Genugtuung zu bezahlen hat, die Leistungen des
UVG-Versicherers in der Regel übertreffen. So hat Letzterer etwa nur eine
Invalidenrente im Umfang von höchstens 80 % des versicherten Verdienstes (Art.
20 Abs. 1 UVG) und eine Integritätsentschädigung, die maximal dem Höchstbetrag
des versicherten Jahresverdienstes entspricht (Art. 25 Abs. 1 UVG),
auszurichten.
Im vorliegenden Fall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich
diesbezüglich anders verhalten könnte. Namentlich liegen keine Hinweise auf
erfolgte Kürzungen der haftpflichtrechtlichen Leistungen vor, welche allenfalls
bei UV-Leistungen nicht vorzunehmen wären.
BGE 137 V 394 S. 401

6.4 Zu beurteilen bleibt, ob durch den Haftpflichtigen auch tatsächlich der
volle Schaden gedeckt worden ist.
Vorerst ergibt sich aus dem Wortlaut des Vergleiches selber, dass die Parteien
per saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt seien. Dies lässt darauf
schliessen, dass nicht noch weitere Ansprüche zur Beurteilung standen, soweit
im Vergleich nicht Vorbehalte formuliert wurden (dazu nachstehend E. 6.5).
Weiter ist zu beachten, dass die Ansprüche gegenüber dem Haftpflichtigen
erhoben wurden, bevor die Frage allfälliger Leistungsansprüche nach dem UVG
geprüft und beantwortet worden war. Bei dieser Konstellation ist gestützt auf
die allgemeine Lebenserfahrung davon auszugehen, dass eine geschädigte Person
vom Haftpflichtigen den vollen Schadensausgleich fordert. Das gilt erst recht,
wenn sie - wie hier der Fall - durch einen erfahrenen Schaden- und
Versicherungsrechtsanwalt vertreten ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen,
dass der Rechtsvertreter bei Unterlassen gebotener Leistungsbegehren selber
Gefahr läuft, haftpflichtrechtlich belangt zu werden. Im Lichte dieser
Ausführungen besteht eine natürliche Vermutung dafür, dass die geschädigte
Person bei der gegebenen Konstellation den gesamten Schaden vom Haftpflichtigen
verlangt.
Konkret hat die Beschwerdeführerin im Direktprozess vor Bundesgericht denn auch
alle möglichen Schadenspositionen ausführlich geltend gemacht. Dies betrifft
insbesondere die Positionen der Heilungskosten, des Erwerbsausfalls und der
Genugtuung, welche im Haftpflichtrecht bei der Gliederung der Ansprüche
denjenigen nach UVG gleichgesetzt sind (Art. 74 ATSG bzw. aArt. 43 UVG).
Für die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe nur den Direktschaden
verlangt, ergeben sich aus den Akten keinerlei Anhaltspunkte. Das Gegenteil ist
der Fall: In den formatierten Berechnungen zur Schadenshöhe (Berechnungssystem
Leonardo) findet sich zwar ein Abzug für die laufende Rente der
Invalidenversicherung. Die entsprechende Rubrik für Leistungen der
Unfallversicherung ist indessen leer gelassen worden. Das bedeutet, dass die
Beschwerdeführerin bei der Begründung ihrer Ansprüche selber davon ausging, sie
erhalte keinerlei Leistungen der Unfallversicherung, andernfalls sie sich diese
- analog zu denjenigen der Invalidenversicherung - hätte anrechnen lassen
müssen. Die Beschwerdeführerin hat denn auch zusätzliche Leistungen der
Unfallversicherung im Direktprozess vor Bundesgericht gar nie erwähnt. Offenbar
ging sie selber in
BGE 137 V 394 S. 402
jener Prozessphase davon aus, das Ereignis stelle keinen Unfall im Rechtssinne
dar bzw. der Nachweis eines solchen sei wenig erfolgversprechend.
Es kann mithin mit Sicherheit angenommen werden, die Einigung zwischen der
Beschwerdeführerin und dem Haftpflichtigen habe alle Schadenpositionen erfasst
und damit den Gesamtschaden abgedeckt.

6.5 Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich im Vergleich ein Vorbehalt
zu möglichen späteren Hilflosenentschädigungen der Invalidenversicherung
findet. Die Beschwerdeführerin will daraus ableiten, ein solcher hätte auch für
Leistungen der Unfallversicherung angebracht werden müssen, falls diese in der
durch Vergleich vereinbarten Summe enthalten gewesen wären. Dem kann nicht
gefolgt werden. Der Vorbehalt im Vergleich ging offensichtlich auf eine
Intervention des Haftpflichtigen zurück, da die Beschwerdeführerin trotz
100%iger Invalidität auf die Hilflosenentschädigung verzichtete. Diese Frage
wurde im Prozess ausführlich diskutiert. Leistungen der Unfallversicherung
waren aber nie Gegenstand der Verhandlungen, da alle Verfahrensbeteiligten
davon ausgingen, solche seien nicht geschuldet.

6.6 Der Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe im Zivilprozess gegen den
Haftpflichtigen nur den Direktschaden geltend gemacht, kann aber auch aus
(verfahrens)rechtlichen Gründen nicht gefolgt werden. Einmal wäre es unmöglich
gewesen, (nur) den Direktschaden geltend zu machen, ohne die Leistungen des
Unfallversicherers überhaupt zu kennen; insbesondere diese Leistungen sind ja
vom Gesamtschaden in Abzug zu bringen, um überhaupt den Direktschaden berechnen
zu können. Überdies hätte das Bundesgericht den Prozess nicht zum Abschluss
bringen können, falls Leistungen aus Unfallversicherung vorbehalten gewesen
wären; vielmehr hätte es wohl den Prozess bis zum Abschluss des UVG-Verfahrens
sistiert.

6.7 Die Beschwerdeführerin bringt auch vergeblich vor, sie habe im
Haftpflichtverfahren nicht alles zugesprochen resp. vergleichsweise zuerkannt
erhalten, was sie ursprünglich eingeklagt hatte. Massgebend ist, dass bei der
Bestimmung der vom Haftpflichtigen zu erbringenden Zahlungen keine
UV-Leistungen vorbehalten und abgezogen wurden. Dies lässt sich unter den
gegebenen Umständen vernünftigerweise nur so erklären, dass die
Beschwerdeführerin vom Haftpflichtigen den gesamten Schaden vergütet erhielt,
was denn
BGE 137 V 394 S. 403
auch mit Blick auf die erfolgten Zahlungen realistisch erscheint. Daran vermag
der Einwand der Beschwerdeführerin nichts zu ändern. Gleiches gilt, soweit sie
auf einzelne Positionen der damaligen zivilrechtlichen Schadensbestimmung und
auf verschiedene Leistungsarten der Unfallversicherung Bezug nimmt.

6.8 Grundsätzlich kann ein Geschädigter nur einmal die Wiedergutmachung seines
Schadens erlangen (BGE 133 III 6 E. 5.3.2 S. 22). Steht daher zweifellos fest,
dass einem Versicherten im Rahmen eines Haftpflichtprozesses der volle Schaden
(und damit auch allfällige Leistungen der Unfallversicherung) gedeckt worden
ist, kann er solche Leistungen nicht ein zweites Mal geltend machen.
Zwar besteht im Sozialversicherungsrecht kein extrasystemisches
Überentschädigungsverbot, weshalb der Unfallversicherer dem Versicherten
gegenüber nicht die Einrede der Erfüllung durch den Haftpflichtigen
entgegenhalten kann. Indem die Versicherte aber eine Leistung verlangt, für die
sie im Zivilprozess schon voll entschädigt worden ist, handelt sie
rechtsmissbräuchlich (vgl. E. 7.1 nachfolgend).

7. Die Prüfung der geltend gemachten Ansprüche kann überdies unterbleiben, weil
das Prozessverhalten der Beschwerdeführerin ebenfalls rechtsmissbräuchlich
erscheint.

7.1 Auch der Private ist im Verkehr mit den Behörden an Treu und Glauben
gebunden (Art. 5 Abs. 3 BV; SVR 2011 EL Nr. 7 S. 21, 9C_999/2009 E. 6.2 mit
Hinweisen). Ein auch im öffentlichen Recht anerkannter Ausfluss davon ist das
Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Da jedoch die Berufung auf das Verbot
widersprüchlichen Verhaltens gegenüber dem Bürger stets auf eine Verkürzung von
dessen gesetzlichen Rechtspositionen hinausläuft, ist - insbesondere wenn es
aus passivem Verhalten abgeleitet wird - Zurückhaltung angebracht (THOMAS
GÄCHTER, Rechtsmissbrauch im öffentlichen Recht, 2005, S. 194 ff., 197). In
Anlehnung an die privatrechtliche Doktrin zu Art. 2 Abs. 2 ZGB kann
Widersprüchlichkeit einerseits auf der Unvereinbarkeit zweier Verhaltensweisen
und andererseits auf dem Verbot, begründete Erwartungen eines anderen zu
enttäuschen, beruhen. Zentral ist die Abwägung der Interessen und dabei eine
allfällige Vertrauensbetätigung der Behörden (GÄCHTER, a.a.O., S. 199 f., 208
und 556 f.).

7.2 Mit undatiertem Schreiben an ihre ehemalige Arbeitgeberin, das bei dieser
am 18. Januar 2007 einging, verwies die
BGE 137 V 394 S. 404
Beschwerdeführerin auf das Urteil des Bundesgerichts vom 23. November 2004.
Daraus ergebe sich, dass ein Unfall vorliege und nicht eine Krankheit. Sie
beantrage daher Leistungen aus Unfall. Die Arbeitgeberin meldete der
Beschwerdegegnerin mit offiziellem Formular, datierend vom 22. Januar 2007,
einen Unfall "gemäss Berichte des Bundesgerichts". Diese Meldung ging bei der
Beschwerdegegnerin zusammen mit den Akten am 30. Januar 2007 ein, mithin nach
Eintritt der absoluten Verjährung des Regressanspruchs.

7.3 Im Hinblick auf die Beurteilung des Verhaltens der Parteien ist von
Bedeutung, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Unfall um eine
Sorgfaltspflichtverletzung bei einer Operation handelte. Nicht jede
Sorgfaltspflichtverletzung stellt einen Unfall dar. Im Rahmen einer
Krankheitsbehandlung, für welche der Unfallversicherer nicht leistungspflichtig
ist, kann ein Behandlungsfehler ausnahmsweise den Unfallbegriff erfüllen,
nämlich dann, wenn es sich um grobe und ausserordentliche Verwechslungen und
Ungeschicklichkeiten oder sogar um absichtliche Schädigungen handelt, mit denen
niemand rechnete, noch zu rechnen brauchte (FRÉSARD/MOSER-SZELESS, a.a.O., S.
860 Rz. 72; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Bundesgesetz über die Unfallversicherung,
2003, S. 24).
In ihrem Schreiben vom 29. April 1998 stellte die Beschwerdeführerin in
Aussicht, näher darüber zu informieren, wieso es sich bei der Operation um
einen Unfall gehandelt habe. Nachdem der Kanton Basel-Stadt die Haftpflicht mit
Schreiben vom 29. Mai 1998 bestritten hatte, leitete sie Klage ein. Vor diesem
Hintergrund durfte die Beschwerdegegnerin das Schreiben vom 29. April 1998 so
verstehen, dass sie von der Beschwerdeführerin informiert würde, sobald diese
in der Lage sei, die Voraussetzungen des Unfallbegriffs zu begründen. Die
Beschwerdeführerin macht denn auch selbst geltend, erst mit dem Urteil des
Bundesgerichts vom 23. November 2004 sei festgestanden, dass eine
Sorgfaltspflichtverletzung gegeben und damit der Unfallbegriff erfüllt sei.
Solange die Beschwerdeführerin somit nicht gemäss ihrem Schreiben mitteilte,
weshalb die Operation als Unfall anzuerkennen sei, musste die
Beschwerdegegnerin nicht damit rechnen, dass sie das am 29. April 1998
gemeldete Ereignis als Unfall weiterverfolgen wolle. Dies war erst mit
Schreiben vom 18. Januar 2007 (Eingang) an die Arbeitgeberin der Fall. Die
Beschwerdeführerin wusste jedoch bereits nach dem Urteil vom 23. November 2004,
dass eine Sorgfaltspflichtverletzung vorlag und hätte
BGE 137 V 394 S. 405
in diesem Zeitpunkt die Beschwerdegegnerin darüber informieren müssen.

7.4 Indem die Beschwerdeführerin gegenüber dem Haftpflichtigen und dem
Unfallversicherer kongruente Leistungen geltend macht, verhält sie sich
widersprüchlich. Sie will damit die vom Gesetz verpönte Überentschädigung
erreichen. Die Beschwerdeführerin wäre aufgrund ihres Schreibens vom 29. April
1998 gehalten gewesen, die Beschwerdegegnerin über den Ausgang des
Haftpflichtverfahrens zu informieren. Ihre Unterlassung verschlechterte
grundlos die Position des Sozialversicherers (vgl. auch BGE 127 III 257 E. 6c
S. 266 f.), indem dessen Regressanspruch verjährte. Auch dieses Verhalten ist
als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren.