Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 V 373



Urteilskopf

137 V 373

38. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Pensionskasse Energie (PKE) gegen F. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_35/2011 vom 6. September 2011

Regeste

Art. 19 Abs. 3 BVG; Art. 20 Abs. 1 lit. b BVV 2; Auslegung/Tragweite des
Begriffs "Rente".
Auslegung von Art. 20 Abs. 1 lit. b BVV 2: Die für den Anspruch auf eine
Witwen-/Witwerrente vorausgesetzte zugesprochene Rente kann auch eine
befristete Rente sein (E. 2-6).

Sachverhalt ab Seite 373

BGE 137 V 373 S. 373

A. Mit Urteil vom 30. November 2006 wurde die am 14. Juni 1983 geschlossene Ehe
zwischen F. und H. geschieden und H. verpflichtet, F. bis und mit September
2017 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 2'700.- und ab Oktober 2017
bis September 2018
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einen solchen von Fr. 2'000.- zu bezahlen. Am 28. Januar 2009 verstarb H.,
welcher bei der Pensionskasse Energie (PKE; nachfolgend: Pensionskasse)
berufsvorsorgeversichert gewesen war.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2009 beantragte F. bei der Pensionskasse die
Ausrichtung einer Witwenrente. Die Vorsorgeeinrichtung wies das Begehren mit
Schreiben vom 15. Oktober und 26. November 2009 ab. Am 16. April 2010 liess F.
Klage am Versicherungsgericht des Kantons Solothurn erheben mit dem Antrag, es
sei festzustellen, dass die Beklagte mit Wirkung ab 1. Februar 2009 bis
mindestens Monat September 2018 eine Witwenrente nach Massgabe der gesetzlichen
Vorschriften über die berufliche Vorsorge schulde. Die Beklagte sei anzuweisen,
die ihr zustehende Witwenrente zu berechnen und ihr zu eröffnen.

B. Mit Entscheid vom 29. November 2010 hiess das Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn die Klage gut und verpflichtete die Pensionskasse, F.
rückwirkend ab 1. Februar 2009 bis und mit September 2018 monatlich eine - noch
zu berechnende - Witwenrente zu leisten, zuzüglich 5 % Zins auf den Rückständen
ab 1. Februar 2009.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
Pensionskasse, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei
festzustellen, dass F. kein Anrecht auf eine Witwenrente habe. Eventualiter sei
die Sache zwecks Abklärung des Sachverhalts und Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter seien F. Zinsen ab Klageerhebung vom
16. April 2010 zu gewähren.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und F. schliessen auf Abweisung
der Beschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) eine
Vernehmlassung einreicht, ohne einen Antrag zu stellen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Gestützt auf die Delegationsnorm von Art. 19 Abs. 3 BVG (SR 831.40) hat der
Bundesrat in Art. 20 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1)
Bestimmungen über den Anspruch der geschiedenen Ehegatten auf
Hinterlassenenleistungen erlassen. Danach ist der geschiedene Ehegatte nach dem
Tod seines früheren Ehegatten der Witwe oder dem Witwer gleichgestellt, sofern
die Ehe
BGE 137 V 373 S. 375
mindestens zehn Jahre gedauert hat (lit. a) und dem geschiedenen Ehegatten im
Scheidungsfall eine Rente oder eine Kapitalabfindung für eine lebenslängliche
Rente zugesprochen wurde (lit. b).

3. Streitig und zu prüfen ist der Anspruch der Beschwerdegegnerin auf eine
Witwenrente. Unbestritten ist, dass sie die Voraussetzung für einen
Witwenrentenanspruch nach lit. a der genannten Bestimmung erfüllt. Hingegen
steht in Frage, ob als Voraussetzung der zugesprochenen Rente nach lit. b
befristete Unterhaltszahlungen genügen, wie sie der Beschwerdegegnerin im
Scheidungsurteil bis September 2018 zugesprochen worden waren, oder ob eine
lebenslängliche Rente vorausgesetzt ist.

3.1 Die Vorinstanz hat einen Anspruch bejaht und Art. 20 Abs. 1 lit. b BVV 2
dahingehend ausgelegt, dass auch eine nicht lebenslänglich zugesprochene
Unterhaltsleistung als Voraussetzung genüge, dies unter Hinweis auf den
unzweideutigen Wortlaut der Bestimmung, wonach das Wort "lebenslänglich"
lediglich im Zusammenhang mit der "Kapitalauszahlung" zu verstehen sei, auf die
Mitteilungen des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 1 vom 24. Oktober 1986
und Nr. 75 vom 2. Juli 2004 und auf die überzeugenden Ausführungen von HANS
MICHAEL RIEMER (Familienrechtliche Beziehungen als Leistungsvoraussetzungen
gemäss AHVG/IVG, BVG-Obligatorium und freiwilliger beruflicher Vorsorge, SZS
1986 S. 169 ff.).

3.2 Die beschwerdeführende Pensionskasse rügt demgegenüber eine
bundesrechtswidrige Auslegung des Art. 20 Abs. 1 BVV 2. Sie macht geltend, die
Vorinstanz verkenne die korrekte Anwendung von Art. 19 Abs. 3 BVG in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 1 BVV 2. Sie habe die Unterscheidung zwischen dem Anspruch der
geschiedenen Witwe auf eine Rente und der Berechnung des Versorgerschadens
nicht vorgenommen. Zudem stütze sie sich auf veraltete Lehrmeinungen und ihre
Begründung, dass eine Unterscheidung von lebenslänglich und nicht
lebenslänglich nur bei Kapitalzahlungen Sinn mache, sei nicht stichhaltig. Die
grammatikalische, historische sowie teleologische Auslegung spreche eindeutig
dafür, dass ein Anspruch nur bei einer lebenslänglichen Rente bestehe.

3.3 Die Beschwerdegegnerin schliesst sich in ihrer Vernehmlassung im
Wesentlichen der Argumentation der Vorinstanz an.

4. Das Bundesgericht hat sich zur streitigen Frage bisher nicht explizit
geäussert. Zwar ging es in den bisherigen Urteilen betreffend den Anspruch auf
Geschiedenen-Witwenrenten von der jeweils
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unbestritten erfüllten Voraussetzung einer lebenslänglichen
Unterhaltsverpflichtung aus, ohne jedoch die Frage zu vertiefen, da diese
Urteile - im Unterschied zur vorliegenden Konstellation - alle Fälle mit
lebenslänglichen Scheidungsrenten betrafen (SVR 2011 BVG Nr. 10 S. 35, 9C_1079/
2009; SVR 2006 BVG Nr. 18 S. 63, B 85/04; SVR 2001 BVG Nr. 19 S. 73, B 6/99;
SZS 1995 S. 137, B 30/93; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 89/05 vom
13. Februar 2006) oder dann Kapitalauszahlungen (SZS 1999 S. 242, B 45/96; SVR
1994 BVG Nr. 8 S. 21, B 10/93; Urteil B 135/06 vom 9. November 2007).

5.

5.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut. Ist der Text nicht klar
und sind verschiedene Interpretationen möglich, muss nach seiner wahren
Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente.
Abzustellen ist dabei namentlich auf die Entstehungsgeschichte, auf den Zweck
der Norm, die ihr zugrunde liegenden Wertungen und ihre Bedeutung im Kontext
mit anderen Bestimmungen. Die Materialien sind zwar nicht unmittelbar
entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen.
Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem
Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann allein auf das grammatikalische
Element abgestellt, wenn sich daraus zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung
ergab (BGE 135 II 78 E. 2.2 S. 81; BGE 135 V 153 E. 4.1 S. 157, BGE 135 V 249
E. 4.1 S. 252; BGE 134 I 184 E. 5.1 S. 193; BGE 134 II 249 E. 2.3 S. 252).

5.2 Verordnungsrecht ist gesetzeskonform auszulegen. Es sind die
gesetzgeberischen Anordnungen, Wertungen und der in der Delegationsnorm
eröffnete Gestaltungsspielraum mit seinen Grenzen zu berücksichtigen (BGE 131 V
263 E. 5.1 S. 266 mit Hinweisen). Ebenfalls ist den Grundrechten und
verfassungsmässigen Grundsätzen Rechnung zu tragen und zwar in dem Sinne, dass
- sofern durch den Wortlaut (und die weiteren massgeblichen normunmittelbaren
Auslegungselemente) nicht klar ausgeschlossen - der Verordnungsbestimmung jener
Rechtssinn beizumessen ist, welcher im Rahmen des Gesetzes mit der Verfassung
(am besten) übereinstimmt (verfassungskonforme oder verfassungsbezogene
Interpretation; BGE 135 I 161 E. 2.3 S. 163 mit Hinweis).

6.

6.1 Zunächst ist der sprachliche Sinn des Passus "eine Rente oder eine
Kapitalabfindung für eine lebenslängliche Rente" in Art. 20
BGE 137 V 373 S. 377
Abs. 1 lit. b BVV 2 zu ermitteln. Aus dem Sprachsinn ergibt sich nicht, dass
der Begriff "lebenslänglich" auch für die Rente zu gelten hat. Nach der
Satzstellung und dem allgemeinen Sprachgebrauch ist vielmehr davon auszugehen,
dass "lebenslänglich" gerade nur für die Kapitalabfindung gilt und es sich bei
der Rente demzufolge nicht um eine lebenslängliche handeln muss, zumal
ansonsten der Passus anders hätte formuliert werden können ("eine
lebenslängliche Rente und eine Kapitalabfindung für eine solche ..." oder
Ähnliches). Das Gleiche gilt für die französische Fassung ("b. qu'il ait
bénéficié, en vertu du jugement de divorce, d'une rente ou d'une indemnité en
capital en lieu et place d'une rente viagère"). Die italienische Fassung ist
deshalb nicht zum Vergleich heranzuziehen, da darin auf Grund eines
redaktionellen Versehens die Rente neben der Kapitalleistung vergessen ging
("b. in virtù della sentenza di divorzio, gli sia stata assegnata un'indennità
in capitale invece di una rendita vitalizia").

6.2 Auch aus der Entstehungsgeschichte lässt sich nicht ableiten, dass entgegen
dem Wortlaut von einer lebenslänglichen Rente als Voraussetzung auszugehen
wäre. Vielmehr führt das BSV in der Mitteilung Nr. 1 über die berufliche
Vorsorge vom 24. Oktober 1986 aus, Art. 20 BVV 2 verfolge den Zweck, den sog.
Versorgerschaden auszugleichen, den die geschiedene Frau durch den Wegfall
dieser Unterhaltsbeiträge erlitten habe (vgl. dazu auch Urteil B 135/06 vom 9.
November 2007 und das darin zitierte Urteil SZS 1999 S. 242, B 45/96). Erhalte
sie gleichzeitig Leistungen von anderen Versicherungen, wie in- und
ausländische Sozialversicherungen (z.B. AHV, IV) und Vorsorgeeinrichtungen nach
Art. 24 Abs. 2 BVV 2, verringere sich der Versorgerschaden dementsprechend, so
dass die Vorsorgeeinrichtung dann nur noch den verbleibenden Versorgerschaden
auszugleichen habe. Diese Kürzungsregel von Art. 20 Abs. 2 BVV 2 wolle, wie die
übrigen Kürzungsbestimmungen des BVG, eine ungerechtfertigte Überentschädigung
vermeiden. Was die praktische Durchführung anbelange, könne Folgendes bemerkt
werden: Wenn die Unterhaltspflicht gemäss Scheidungsurteil zeitlich beschränkt
sei, bestehe der Leistungsanspruch der geschiedenen Frau ebenfalls nur bis zum
Ablauf dieser Frist. Wenn der geschiedene Mann erst nach diesem Zeitpunkt
gestorben sei, so sei sie folglich überhaupt nicht leistungspflichtig, weil
kein Versorgerschaden mehr bestehe. Wenn im Scheidungsurteil der
Unterhaltsbeitrag nicht in Form einer Rente, sondern als Kapitalabfindung
vorgesehen war,
BGE 137 V 373 S. 378
komme es entscheidend darauf an, was alles damit abgegolten werden solle.
Massgebend sei vor allem, ob auch die mit der Scheidung der Ehe verloren
gegangene Anwartschaft auf eine Witwenrente abgefunden worden sei. Sei dies der
Fall, so könne die geschiedene Frau später nicht mehr wie eine Witwe nochmals
eine Hinterlassenenleistung beanspruchen. Das BSV ging also auch davon aus, ein
befristeter Unterhaltsbeitrag könne auch einen Anspruch auf eine
Hinterlassenenrente auslösen, diese bestehe dann aber auch befristet. Es müsse
aber jedenfalls ein Versorgerschaden vorliegen.
Dass ein Versorgerschaden Voraussetzung sein soll für einen Anspruch auf
Hinterlassenenleistungen, hat das Bundesgericht in mehreren Urteilen
festgehalten (BGE 134 V 208 E. 4.3.4 S. 220 und E. 6 S. 222; Urteile des Eidg.
Versicherungsgerichts B 6/99 vom 11. Juni 2001 E. 3a und B 30/93 vom 21. April
1994 E. 3a). Diesen Grundgedanken hatte auch das BSV im Kommentar vom 9. August
1983 zum Entwurf der BVV 2, S. 27, zum Ausdruck gebracht (vgl. hiezu SVR 1994
BVG Nr. 8 S. 21, B 10/93). Im Rahmen der 1. BVG-Revision wurde auf Grund des in
Kraft getretenen neuen Scheidungsrechts (Vorsorgeausgleich) die Abschaffung der
Geschiedenen-Hinterlassenenrente resp. die Streichung der entsprechenden
Delegationsnorm in Art. 19 Abs. 3 BVG erwogen, schliesslich aber darauf
verzichtet. Letzteres geschah nicht zuletzt mit Rücksicht auf jene Fälle, in
denen die Scheidung im Rentenalter - und damit ohne Teilung der
Austrittsleistung gemäss Art. 122 ZGB - vollzogen wurde und der geschiedene
Ehegatte (allenfalls zu Unrecht) keine angemessene Entschädigung nach Art. 124
ZGB zugesprochen erhielt. In der vorberatenden ständerätlichen Kommission wurde
damals eingeräumt, dass die (neuen) scheidungsrechtlichen Vorsorgeregelungen
gemäss Art. 122 ff. ZGB in der Praxis (noch) nicht durchwegs konsequent
umgesetzt wurden; die Geschiedenen-Hinterlassenenrente sollte daher beibehalten
werden, um gewisse finanzielle Schwierigkeiten zu kompensieren; klar brachte
man indessen den Willen zum Ausdruck, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten
in der Verordnung - wie bisher - restriktiv umschrieben und der Leistungsumfang
jedenfalls auf den Versorgerschaden resp. den Anspruch aus dem Scheidungsurteil
begrenzt blieb (Protokolle der ständerätlichen Kommission für soziale
Sicherheit und Gesundheit vom 1.-3. Juli 2002, S. 24-26 und vom 14.-15. Oktober
2002, S. 32 f.). Dementsprechend beliess es der Verordnungsgeber im Rahmen der
Anpassung der BVV 2 an die 1. BVG-Revision denn auch bewusst
BGE 137 V 373 S. 379
bei der Kürzungsregelung des Art. 20 Abs. 2 BVV 2 (Mitteilungen des BSV über
die berufliche Vorsorge Nr. 75 vom 2. Juli 2004, Erläuterungen zu den
Änderungen in der BVV 2 zu Art. 20). Aus diesen gesetzgeberischen Überlegungen
wird deutlich, dass die Beibehaltung der Hinterlassenenrente für geschiedene
Ehegatten im Bereich des BVG-Minimums zwar als sozial sachgerecht und billig,
keineswegs aber als (verfassungs-)rechtlich zwingend erachtet wurde; sie sollte
allfällige scheidungsrechtliche Härten mindern, ohne aber Gewähr dafür bieten
zu können, dass diese durch die BVG-Leistung in jedem Fall vollständig
kompensiert werden resp. dass damit der effektive Versorgerschaden stets
vollumfänglich ausgeglichen wird.

6.3 Eine einhellige Lehrmeinung hinsichtlich der streitigen Frage besteht
nicht.
HANS-MICHAEL RIEMER (Familienrechtliche Beziehungen als
Leistungsvoraussetzungen gemäss AHVG/IVG, BVG-Obligatorium und freiwilliger
beruflicher Vorsorge, SZS 1986 S. 169 ff.) führte aus, entsprechend den
parlamentarischen Beratungen sei eine gegenüber der AHV abweichende Lösung
beabsichtigt gewesen; dabei sollten mit Art. 20 Abs. 2 BVV 2 - eine Rückkehr
zum Versorgerschadenprinzip einer früheren AHV-Regelung - bei der AHV
vorgekommene Missbräuche (kleinste und befristete Unterhaltsleistungen "einzig
mit dem Ziel, der geschiedenen Frau beim Tod ihres geschiedenen Mannes eine
AHV-Witwenrente zu sichern") verhindert werden (was aber wiederum dann zu einem
unbefriedigenden Ergebnis führe, wenn die Scheidungsrente wegen der
bescheidenen Einkommensverhältnisse des Mannes niedrig ist). Eine befristete
oder niedrige Unterhaltsleistung im Scheidungsfalle könne daher dazu führen,
dass eine Leistung nach Art. 20 BVV 2 gar nicht einsetze oder bald wieder ende,
während bei einer Kapitalabfindung ein Versorgerschaden der geschiedenen Frau
aus dem Tode ihres Ex-Ehemannes grundsätzlich von vornherein verneint werde.
Im von der Beschwerdeführerin zitierten neueren Werk (Das Recht der beruflichen
Vorsorge in der Schweiz, 2. Aufl. 2006) führte RIEMER zwar aus, entgegen dem
Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 lit. b BVV 2 scheine auch das Eidg.
Versicherungsgericht bei der "Rente" lebenslänglich vorauszusetzen. Er erwähnte
aber auch unter Hinweis auf den Kommentar des BSV zum Entwurf der BVV 2, dass
sich im Übrigen aus Art. 20 Abs. 2 BVV 2 ergebe, dass bei einer - relativ
BGE 137 V 373 S. 380
häufig aktuellen - richterlichen Befristung einer Scheidungsrente die
diesbezüglichen Leistungen der Vorsorgeeinrichtung auch nur bis zum Ablauf
dieser Frist ausgerichtet werden müssten, womit - entgegen der Darstellung der
Beschwerdeführerin - ebenfalls von der Möglichkeit auch befristeter Renten
auszugehen ist.
URS ENGLER (Unterhaltsbeitrag und BVG-Leistungen an geschiedene Frauen, BJM
1991 S. 169) ist der Auffassung, Unterhaltsrenten müssten nicht lebenslänglich
zugesprochen sein, beim Tode des Rentenschuldners aber noch laufen. Wenn die
Rente zeitlich begrenzt sei, so bestehe auch nur ein entsprechend begrenzter
Anspruch gegenüber der Vorsorgeeinrichtung.
ULRICH MEYER-BLASER führte in der Rechtsprechungsübersicht in der SZS 1995 S.
91 aus, wie im Bereich von Art. 23 Abs. 2 AHVG müsse sich der
Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau aus dem Scheidungsurteil oder der
Scheidungskonvention selbst ergeben. Freiwillig bezahlte höhere
Unterhaltsbeiträge seien unbeachtlich. Die Praxis zu Art. 23 Abs. 2 AHVG (BGE
110 V 245 f. E. 2) sei im Bereich von Art. 20 BVV 2 anwendbar (Urteil B 30/93
vom 21. April 1994). Unterschiede bestünden insofern, als Art. 20 Abs. 1 BVV 2,
unter stärkerer Berücksichtigung des Versorgerschadensgedankens, eine Rente
oder eine Kapitalabfindung für eine lebenslängliche Rente verlange, somit im
Gegensatz zu Art. 23 Abs. 2 AHVG nicht bloss zeitlich befristete
Unterhaltsbeiträge genügen lasse (Urteil B 10/93 vom 28. Februar 1994). Dabei
ist jedoch zu beachten, dass ab 1. Januar 1997 Art. 23 AHVG ebenfalls anders
lautete und die Anspruchsvoraussetzungen auch im AHVG geändert wurden.
HANS-ULRICH STAUFFER (Berufliche Vorsorge, 2005) führt in Rz. 692 f. aus,
bezüglich der Leistung aus Scheidungsurteil spreche die Verordnung von "Renten
oder Kapitalabfindung für eine lebenslängliche Rente". Beides bedürfe einer
weiteren Interpretation. Erfolge die Leistung als Kapitalabfindung, so müsse
diese anstelle einer lebenslänglichen Rente erfolgen. Da eine Rente jeweils mit
dem Tod des Berechtigten oder des Verpflichteten ende, entspreche die
Kapitalabfindung versicherungsmathematisch der jeweils kürzeren
Lebenserwartung. Dies sei von Bedeutung bei der allenfalls notwendigen
Berechnung des monatlichen Anspruchs aus Scheidungsurteil bezüglich einer
Leistungskürzung nach Art. 20 Abs. 2 BVV 2. Fraglich könne sein, ob an die Höhe
der Kapitalabfindung weitere Voraussetzungen zu stellen seien. Da im BVG der
Gedanke des
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Versorgerschadens stärkere Berücksichtigung finde, müsse im Einklang mit dem
Verordnungstext eine Kapitalabfindung für eine lebenslängliche
Unterhaltszahlung vorliegen, was durch die Rechtsprechung bestätigt worden sei
(MEYER-BLASER, SZS 1995 S.91, und SVR 1994 BVG Nr. 8 S. 21, B 10/93). Die
Kapitalabfindung dürfe zudem nicht bloss symbolisch sein. Diesbezüglich habe
das Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass eine einmalige
Kapitalabfindung von Fr. 1'000.- nicht einer Kapitalabfindung für eine
lebenslängliche Rente entspricht (SZS 1999 S. 244, B 45/96 E. 1c). Im von der
Beschwerdeführerin ins Feld geführten neueren Werk (HANS-ULRICH STAUFFER, Die
berufliche Vorsorge, in: Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht, Murer/Stauffer [Hrsg.], 2. Aufl. 2006) gibt der Autor
die Meinung von MEYER wieder, ohne dies jedoch weiter zu begründen und, wie die
Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, auch ohne sich zu seiner Meinungsänderung
gegenüber seinem früheren Werk zu äussern.
ALEXANDRA RUMO-JUNGO führt in "Die berufliche Vorsorge der geschiedenen Witwe:
oder wie Max und Moritz der Witwe Bolte die Hühner stehlen" (in: Soziale
Sicherheit - Soziale Unsicherheit, Riemer-Kafka/Rumo-Jungo [Hrsg.], 2010, S.
719 f.) aus, das Gesetz setze für die Ausrichtung einer Hinterlassenenrente
voraus, dass die Hinterlassene bis anhin von ihrem geschiedenen Ehegatten eine
Rente oder eine Kapitalabfindung für eine lebenslängliche Rente bezogen habe.
Es müsse sich nicht um eine lebenslängliche Rente handeln, doch müsse diese im
Zeitpunkt des Todes der versicherten Person noch laufen. Dagegen verlange der
Gesetzgeber eine Kapitalabfindung für eine lebenslängliche Rente. Das sei an
sich paradox, solle doch die Hinterlassenenrente gerade eine Versorgungslücke
füllen, die mit dem Tod der versicherten Person für deren Hinterlassenen
entstehe. Sei aber die geschiedene Witwe bereits lebenslänglich für den
nachehelichen Unterhalt abgefunden worden, liege an sich keine Versorgungslücke
vor. Aus diesem Grund müsste das Kapital an sich für eine Rente stehen, die
seinerzeit für eine über den nunmehr eingetretenen Tod hinaus laufende Dauer
kapitalisiert wurde. Nur so liege im Zeitpunkt des Todes eine Versorgungslücke
vor (ebenso: ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Berufliche Vorsorge bei Scheidung: alte
Probleme und neue Perspektiven, in: Berufliche und freiwillige Vorsorge in der
Scheidung, Rumo-Jungo/Pichonnaz [Hrsg.], 2010, S. 35).
BGE 137 V 373 S. 382

6.4 Wie bereits ausgeführt, bezweckt die (BVG-)Hinterlassenenrente für
geschiedene Ehegatten den Ersatz des Versorgerschadens. Dass gerade dies jedoch
dafür ausschlaggebend sein soll, dass eine lediglich befristet zugesprochene
Unterhaltsrente als Anspruchsvoraussetzung nicht genügt, wie von einigen
Autoren ausgeführt wird, ist nicht stichhaltig. Wie die Vorinstanz zutreffend
dargelegt hat, leuchtet es nicht ein, weshalb ein Versorgerschaden nur bei
einer lebenslänglichen Unterhaltsrente (und bei einer Kapitalabfindung für eine
lebenslängliche Rente) entstehen sollte. Dabei ist überdies zu beachten, dass
es früher üblicher war, unbefristete Renten zuzusprechen, im Gegensatz zu heute
(vgl. hiezu auch RIEMER, a.a.O., 2006, wonach die richterliche Befristung der
Scheidungsrente aktuell relativ häufig sei).
Wie das kantonale Gericht ebenfalls zutreffend erwogen hat, macht die
Differenzierung zwischen lebenslänglich und nicht lebenslänglich im
Zusammenhang mit dem Versorgerschaden nur bei der Kapitalabfindung wirklich
einen Sinn, da grundsätzlich derjenige, der eine Kapitalabfindung erhält, gar
keinen Versorgerschaden erleidet. Mit der Abfindung soll gerade das Risiko des
Todes des Leistungsverpflichteten ausgeschaltet werden.

6.5 Zusammenfassend ergibt damit die Auslegung von Art. 20 Abs. 1 BVV 2 unter
grammatikalischen, entstehungsgeschichtlichen und teleologischen
Gesichtspunkten, dass auch eine befristet zugesprochene Unterhaltsleistung als
Voraussetzung für den Anspruch auf Witwenrente der beruflichen Vorsorge genügt.
Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz einen grundsätzlichen
Anspruch der Beschwerdegegnerin bejaht hat, wobei - wie die Vorinstanz
ebenfalls richtig erwogen hat - der Anspruch in der Höhe noch zu berechnen sein
wird, unter Berücksichtigung der weiteren anspruchsrelevanten Fragen wie das
allfällige Vorliegen eines Konkubinats und der anrechenbaren Leistungen der
übrigen Versicherungen.

6.6 Soweit sich danach ein Anspruch der Beschwerdegegnerin ergibt, wird auf
diese Leistung entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht ab Anspruchsbeginn
ein Verzugszins geschuldet, sondern erst ab Klageerhebung (16. April 2010), wie
die Beschwerdeführerin zu Recht einwendet, da für BVG-Renten die
Verzugszinsregelung von Art. 105 Abs. 1 OR gilt, wonach Verzugszinsen für
Renten ab Betreibung oder Klageerhebung geschuldet sind (SZS 1997 S. 465 mit
Hinweis auf BGE 119 V 131 E. 4 S. 133). Die Beschwerde ist in diesem Punkt
gutzuheissen.