Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 V 369



Urteilskopf

137 V 369

37. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen
IV-Stelle Zug (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_226/2011 vom 15. Juli 2011

Regeste

Art. 31 IVG; Auslegung.
Nach dem Rechtssinn des Art. 31 IVG bezieht sich der lediglich zu zwei Dritteln
zu berücksichtigende Betrag auf die (um Fr. 1'500.- reduzierte)
Einkommensverbesserung und nicht auf das gesamte Erwerbseinkommen (Beantwortung
der in 9C_833/2009 offengelassenen Frage; E. 4.4.3).

Sachverhalt ab Seite 369

BGE 137 V 369 S. 369

A. Der 1956 geborene A. bezog seit 1. November 2000 bei einem Invaliditätsgrad
von 55 % eine halbe Rente der Invalidenversicherung (Verfügung vom 24. August
2001). Mit Mitteilungen vom 3. November 2004 und 21. Februar 2008 bestätigte
die IV-Stelle Zug (nachfolgend: IV-Stelle) dem Versicherten einen unveränderten
Invaliditätsgrad und Rentenanspruch. Im April 2009 leitete die Verwaltung
erneut ein Revisionsverfahren ein und traf entsprechende
BGE 137 V 369 S. 370
Abklärungen. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens setzte sie mit
Verfügung vom 17. März 2010 die bisherige Rente rückwirkend ab 1. April 2007
auf eine Viertelsrente herab und hob diese ab 1. April 2008 auf mit der
Begründung, er habe tatsächlich ein höheres als das berücksichtigte (auf einem
Tabellenlohn beruhende) Invalideneinkommen erzielt und diesbezüglich liege vom
1. April 2007 bis 17. April 2009 eine Verletzung der Meldepflicht vor. Mit
Verfügung vom 19. April 2010 verpflichtete die IV-Stelle den Versicherten zur
Rückerstattung unrechtmässig bezogener Leistungen im Betrag von Fr. 27'972.-.

B. Die Beschwerde des A. gegen die Verfügung vom 17. März 2010 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit Entscheid vom 27. Januar 2011 ab.

C. A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und
u.a. beantragen, es sei ihm rückwirkend per Einstellung der Leistung der
IV-Rente eine halbe IV-Rente, eventualiter eine Viertelsrente der IV vorläufig
auszurichten.
Die IV-Stelle, das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen
(BSV) schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4.

4.4

4.4.1 Mit der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen 5. IV-Revision wurden
folgende Bestimmungen neu ins Gesetz aufgenommen: Kann eine rentenberechtigte
Person neu ein Erwerbseinkommen erzielen oder ein bestehendes Erwerbseinkommen
erhöhen, so wird die Rente nur dann im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 ATSG (SR
830.1) revidiert, wenn die Einkommensverbesserung jährlich mehr als Fr. 1'500.-
beträgt (Art. 31 Abs. 1 IVG). Für die Revision der Rente werden vom Betrag, der
Fr. 1'500.- übersteigt, nur zwei Drittel berücksichtigt (Art. 31 Abs. 2 IVG).

4.4.2 Entsprechend den allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätzen kommt
Art. 31 IVG nicht auf den Sachverhalt 2007, sondern erst auf jenen ab 2008 zur
Anwendung (SVR 2010 IV Nr. 59 S. 180, 9C_833/2009 E. 3). Die vorinstanzliche
Festsetzung des
BGE 137 V 369 S. 371
Invalideneinkommens und Berechnung des Invaliditätsgrades für das Jahr 2007
verletzen Bundesrecht nicht. Unter Anwendung von Art. 88a Abs. 1 IVV (SR
831.201) hat das kantonale Gericht daher zu Recht die rückwirkende Herabsetzung
der bisherigen halben Invalidenrente auf eine Viertelsrente ab 1. April 2007
bestätigt.

4.4.3

4.4.3.1 Was das Jahr 2008 betrifft, bleibt im Rahmen der Auslegung von Art. 31
Abs. 2 IVG zu prüfen, in welchem Umfang das tatsächlich erzielte Einkommen -
welches gegenüber 2007 verbessert ist - als Invalideneinkommen anzurechnen ist
(vgl. SVR 2010 IV Nr. 59 S. 180, 9C_833/2009 E. 4, wo diese Frage offengelassen
wurde). Während Vorinstanz, Verwaltung und BSV (vgl. auch Rz. 5015.4 des
Kreisschreibens des BSV über Invalidität und Hilflosigkeit in der
Invalidenversicherung [KSIH]) die Auffassung teilen, es sei lediglich der
(bereits um Fr. 1'500.- reduzierte) Betrag der Einkommensverbesserung um einen
Drittel zu vermindern und anschliessend zum bisherigen Invalideneinkommen zu
addieren, hält der Beschwerdeführer dafür, vom gesamten tatsächlich erzielten
Einkommen (nach Subtraktion von Fr. 1'500.-) nur zwei Drittel als
Invalideneinkommen zu berücksichtigen.

4.4.3.2 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach
dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der
Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die
Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der
Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und
konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im
normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio
legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus
und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer
hierarchischen Ordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien können
beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben (
BGE 136 III 23 E. 6.6.2.1 S. 37; BGE 136 V 195 E. 7.1 S. 203; BGE 135 V 50 E.
5.1 S. 53; BGE 134 II 308 E. 5.2 S. 311).

4.4.3.3 Im Tatbestand von Art. 31 Abs. 1 IVG ist zwar von einem neu erzielten
resp. erhöhten Erwerbseinkommen die Rede, im Zentrum der Bestimmung steht
jedoch der Begriff der "Einkommensverbesserung" ("amélioration du revenu",
"miglioramento del reddito"). In Abs. 2 ist sodann die Rede vom "Betrag"
("montant", "importo"),
BGE 137 V 369 S. 372
von welchem "nur zwei Drittel berücksichtigt" werden ("seuls les deux tiers ...
sont pris en compte"; "solo i due terzi ... sono presi in considerazione").
Auch wenn der Wortlaut - in allen Amtssprachen - diesbezüglich nicht ganz
eindeutig ist, überzeugt mit Blick auf Abs. 1 die Annahme, dass sich der
Begriff "Betrag" in Abs. 2 auf die Einkommensverbesserung und nicht auf das
gesamte Erwerbseinkommen bezieht.
Aus den Erläuterungen zu Art. 31 IVG in der Botschaft vom 22. Juni 2005 zur
Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (5. Revision; BBl
2005 4569) ergibt sich keine Antwort auf die aufgeworfene Frage. Allgemein
formuliert sollten mit der Gesetzesrevision u.a. die langfristige (finanzielle)
Konsolidierung der Invalidenversicherung und die Korrektur negativer Anreize in
Bezug auf eine erhöhte Erwerbstätigkeit bezweckt werden (BBl 2005 4460 f.
[Übersicht]; 4539 Ziff. 1.6.2.2). Mit der Anrechnung von zwei Dritteln der
Einkommensverbesserung ist dem zweitgenannten Ziel Rechnung getragen. Wäre
hingegen das gesamte Erwerbseinkommen um einen Drittel zu reduzieren, würde
daraus nicht selten gar ein höherer Rentenanspruch als der bisherige
resultieren. Damit würde nicht nur ein negativer Anreiz vermieden, sondern ein
positiver neu geschaffen. Dies ist indessen mit dem Revisionsziel der
finanziellen Sanierung des Sozialwerks nicht vereinbar.
Nach dem Gesagten bezieht sich nach dem Rechtssinn des Art. 31 IVG der
lediglich zu zwei Dritteln zu berücksichtigende Betrag auf die (um Fr. 1'500.-
reduzierte) Einkommensverbesserung und nicht auf das gesamte Erwerbseinkommen.
Dazu hat die II. sozialrechtliche Abteilung die Zustimmung der I.
sozialrechtlichen Abteilung eingeholt (Art. 23 Abs. 2 BGG).

4.4.3.4 Die vorinstanzliche Festlegung des Invalideneinkommens 2008 entspricht
dieser Auslegung von Art. 31 IVG. Dass die Invaliditätsbemessung im Übrigen
unzutreffend wäre, ist nicht ersichtlich. Bei einem resultierenden
Invaliditätsgrad von 30 % hat das kantonale Gericht die Aufhebung der
Viertelsrente auf den 1. April 2008 zu Recht bestätigt (Art. 28 Abs. 2 IVG).

4.4.4 Mit Bezug auf das Jahr 2009 hat die Vorinstanz verbindlich festgestellt,
dass gegenüber 2008 eine Einkommensverminderung vorliege. Nach dem
diesbezüglich klaren Wortlaut von Art. 31 IVG fällt dessen Anwendung von
vornherein nicht in Betracht. Zwar
BGE 137 V 369 S. 373
ergibt die Differenz der Vergleichseinkommen einen (gerundeten)
Invaliditätsgrad von 32 %, was indessen ohne Auswirkungen auf den (fehlenden)
Rentenanspruch bleibt. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, unter
Berücksichtigung des Lohnes sowie der Invalidenrenten der Invalidenversicherung
und aus beruflicher Vorsorge liege gegenüber dem Valideneinkommen 2009 keine
Überentschädigung vor, kann er nichts für sich ableiten. Dieser Umstand ist für
die Invaliditätsbemessung nicht relevant (vgl. Art. 16 und 69 ATSG).