Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 V 295



Urteilskopf

137 V 295

31. Auszug aus der Verfügung der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. P. AG
gegen Bundesamt für Gesundheit BAG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_69/2011 vom 11. Juli 2011

Regeste

Art. 52 Abs. 1 lit. b, Art. 1a Abs. 2 lit. a und Art. 25 Abs. 1 und 2 lit. b
KVG; Art. 3 ATSG; Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste
(Champix).
Gesichtspunkte für die Beurteilung der Rechtsfrage, wann Nikotinsucht
behandlungsbedürftig ist und eine Krankheit im Sinne der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung darstellt (E. 2-6).

Sachverhalt ab Seite 295

BGE 137 V 295 S. 295

A. Im September 2006 ersuchte die Firma P. AG um Aufnahme des Präparates
Champix mit dem Wirkstoff Vareniclin in der
BGE 137 V 295 S. 296
galenischen Form und Dosierung Filmtabletten/0,5 mg und 1 mg in verschiedenen
Packungsgrössen, mit der Indikation "Raucherentwöhnung bei Erwachsenen" in die
Spezialitätenliste (nachfolgend: SL). Nachdem das Schweizerische
Heilmittelinstitut (Swissmedic) die Zulassung von Champix in Tablettenform als
Arzneimittel für dieselbe Indikation unter Auflagen erteilt hatte (Verfügung
vom 21. Dezember 2006), teilte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit Schreiben
vom 15. Januar 2008 mit, mangels Beleg der Wirksamkeit in Bezug auf langjährige
Nikotinabstinenz und damit einer nur sehr bedingt möglichen Kosten-/
Nutzenanalyse für eine Vergütung durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung müsse das Gesuch abgelehnt werden. Nach einer
Unterredung mit der Gesuchstellerin am 3. März 2008 erliess das BAG am 3. April
2008 eine Verfügung, mit welcher es die Aufnahme von Champix in die SL mangels
Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistung abwies.

B. Die Beschwerde der P. AG wies das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom
1. Dezember 2010 mit der Begründung ab, die Nikotinabhängigkeit sei nicht als
eigenständige, behandlungsbedürftige gesundheitliche Störung mit Krankheitswert
einzustufen und es bestehe dafür auch keine Vergütungspflicht im Rahmen der
Präventionsleistungen.

C. Die P. AG lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 1. Dezember 2010 sei aufzuheben und
Champix Filmtabletten 0,5/1 mg in verschiedenen Packungsgrössen zu
entsprechenden (Fabrikabgabe- und Publikumshöchst-)Preisen in die SL
aufzunehmen, allenfalls unter Limitationen; eventualiter sei die Sache zu neuer
Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuweisen.
Das BAG beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht
hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Die P. AG hat eine Stellungnahme zur Vernehmlassung des Bundesamtes
eingereicht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Das BAG lehnte die Aufnahme von Champix in die SL (Art. 52 Abs. 1 lit. b
KVG) mangels nachgewiesener Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit
der Leistung ab (Art. 32 Abs. 1
BGE 137 V 295 S. 297
KVG; Art. 65 Abs. 3 KVV [SR 832.102]; Art. 30 Abs. 1 lit. a sowie Art. 32 ff.
KLV [SR 832.112.31], je in den bis 30. September 2009 gültig gewesenen
Fassungen). Die Vorinstanz hat offengelassen, ob eine Behandlung mit Champix
wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich ist. Sie hat die Nichtaufnahme dieses
von Swissmedic als Arzneimittel zugelassenen Präparates in die SL mit der
Begründung bestätigt, bei der Nikotinabhängigkeit handle es sich nicht um eine
selbständige Krankheit im Sinne von Art. 1a Abs. 2 lit. a KVG und die
medikamentöse Nikotinentwöhnung sei nicht in der Positivliste der durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung zu übernehmenden präventiven
Massnahmen aufgeführt (Art. 26 und 33 Abs. 5 KVG; Art. 33 lit. d KVV in
Verbindung mit Art. 12 ff. KLV und dazugehörigem Anhang I).

3. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass (übermässiger) Tabakkonsum zu
Gesundheitsschädigungen, u.a. zu Herzkreislauf-, Atemwegs-, (verschiedenen
Formen von) Krebs- und chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, ferner auch
Gonarthrose, Diabetes mellitus, Hypertonie oder Psoriasis führen kann
(Bundesamt für Gesundheit, Nationales Programm Tabak 2008-2012, S. 4; MATHIAS
BERGER, Psychische Erkrankungen. Klinik und Therapie, 3. Aufl. 2009, S. 369 f.;
THONACK/HOFFMANN, Nikotin - für den Hausarzt eine wichtige Substanz, Primary
Care 10/2010 S. 180; vgl. auch BGE 111 V 186 E. 3 S. 189 ff.). Tabakmissbrauch
stellt die häufigste vermeidbare Todesursache dar, wobei die Betroffenen in
relativ jungem Alter sterben (Bundesamt für Statistik, Tabakbedingte Todesfälle
in der Schweiz. Schätzung für die Jahre 1995-2007, 2009, S. 4 f.; ANDREAS
ZELLER, Medikamentöse Behandlung bei Nikotinentzug, Therapeutische Umschau 8/
2010 S. 419; KARL GRONER, Die Raucher/Nichtraucher-Segmentierung in der
Lebensversicherung, Medinfo 1/2009 S. 18; CAHILL UND ANDERE, Nicotine receptor
partial agonists for smoking cessation, 2007, in: Cochrane Database of
Systematic Reviews 2007, Issue 1, S. 2). Trotz der mit dem Tabakkonsum
verbundenen gesundheitlichen Risiken stellt die Behandlung mit Champix zur
"Raucherentwöhnung bei Erwachsenen" unbestrittenermassen keine durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung zu vergütende Leistung der
medizinischen Prävention dar.

4.

4.1 Die soziale Krankenversicherung gewährt Leistungen u.a. bei Krankheit (Art.
3 ATSG [SR 830.1]; Art. 1a Abs. 2 lit. a KVG). Die obligatorische
Krankenpflegeversicherung übernimmt die Kosten
BGE 137 V 295 S. 298
für die Leistungen, die der Diagnose und Behandlung einer Krankheit und ihrer
Folgen dienen. Diese Leistungen umfassen u.a. die ärztlich verordneten
Arzneimittel der SL (Art. 52 Abs. 1 lit. b und Art. 25 Abs. 1 und 2 lit. b
KVG).

4.2

4.2.1 Krankheit ist jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder
psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine
medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine
Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Art. 3 Abs. 1 ATSG). Dieser Gesetzeswortlaut
stimmt bis auf die mit der 4. IV-Revision (in Kraft seit 1. Januar 2004)
eingefügte ausdrückliche Erwähnung der psychischen Gesundheit mit Art. 2 Abs. 1
KVG (in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002) überein, sodass auf die dazu
ergangene Rechtsprechung abgestellt werden kann (BGE 130 V 343 E. 2.2 S. 344;
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 92/05 vom 3. November 2005 E. 2.2.1).

4.2.2 Wesentliche Begriffsmerkmale einer Krankheit sind demnach die
Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit, verstanden als ein
von der Norm abweichender Körper- oder Geisteszustand, sowie das Erfordernis
einer medizinischen Untersuchung oder Behandlung (BGE 129 V 32 E. 4.2.1 S. 38).
Nicht jede Abweichung von einem idealen ("normalen") Körperzustand ist als
Krankheit im Rechtssinne (BGE 124 V 118 E. 3b S. 121 mit Hinweisen) zu
qualifizieren. Die Beeinträchtigung muss eine gewisse Schwere aufweisen, damit
ihr "Krankheitswert" zukommt. Auf übliche und erträgliche Abweichungen von
Ideal- oder Normvorstellungen trifft dies nicht zu (Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts K 92/05 vom 3. November 2005 E. 2.2.2).
Behandlungsbedürftigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 ATSG liegt vor, wenn die
Beeinträchtigung der Gesundheit die körperlichen und geistigen Funktionen in so
beträchtlichem Masse einschränkt, dass die versicherte Person ärztlicher Hilfe
bedarf, die Gesundung ohne medizinische Hilfe wahrscheinlich nicht oder nicht
mit Aussicht auf Erfolg innert angemessener Zeit zu erreichen wäre, oder wenn
ihr nicht zugemutet werden kann, ohne wenigstens den Versuch einer Behandlung
zu leben (SJ 2011 I S. 209, 9C_465/2010 E. 4.1; Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts K 1/05 vom 16. August 2005 E. 1.2).

4.2.3 Die Beschwerdeführerin weist insoweit richtig darauf hin, dass eine
behandlungsbedürftige Krankheit auch gegeben ist, wenn ein gefährdeter
Gesundheitszustand unbehandelt sich wahrscheinlich
BGE 137 V 295 S. 299
verschlimmerte und dem mit der grössten Aussicht auf Erfolg durch eine
möglichst frühzeitige Therapie entgegengewirkt werden kann, wenn also einer
nicht ganz entfernten, ernst zu nehmenden Gesundheitsschädigung durch
zweckmässige medizinische Behandlung zuvorgekommen werden kann (Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts K 5/06 vom 21. August 2006 E. 3.2; GEBHARD EUGSTER,
Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S.
502 Rz. 324 f.). Diese Regel ist indessen auf den konkreten Einzelfall
zugeschnitten und im Bereich der SL grundsätzlich nicht anwendbar. Die
statistische Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Applikation eines
Medikamentes ist in der Regel zu gering. Gemäss Protokoll der Sitzung der
Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) vom 20. September 2007 beträgt sie
bei Champix 21 %. Die gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums sind denn auch
lediglich im Einzelfall nachweisbar (BGE 111 V 186 E. 3 S. 189 ff.).

5.

5.1 Ausgehend von dem in E. 4.2.2 umschriebenen Krankheitsbegriff hat die
Vorinstanz erwogen, die blosse Nikotinabhängigkeit bringe keine derart schweren
körperlichen und sozialen Nebenerscheinungen mit sich, wie etwa eine Alkohol-
oder Drogenabhängigkeit. Bei der Alkoholsucht werde ein behandlungsbedürftiger
Krankheitswert ab dem Zeitpunkt des Kontrollverlustes bejaht. Raucher und
Raucherinnen zeigten in der Regel kein sozial unverträgliches Verhalten,
welches mit Veränderungen der Persönlichkeit verbunden sei und ein
Funktionieren in der Gesellschaft erschwere oder gar verunmögliche. Die
Nikotinabhängigkeit sei damit nicht als Krankheit im Sinne von Art. 1a Abs. 2
KVG und Art. 3 ATSG zu qualifizieren.

5.2 Die Beschwerdeführerin bringt vor, eine Verneinung des Krankheitscharakters
der Nikotinsucht und eine Unterscheidung in dieser Beziehung zur Alkohol- und
Drogensucht lasse sich weder aus medizinischer Sicht noch im gesellschaftlichen
Kontext rechtfertigen. Das BAG habe die grundsätzliche Vergütbarkeit von
Nikotinentwöhnungspräparaten durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung
anerkannt und damit den Krankheitscharakter der Nikotinsucht bejaht. Dies gelte
zumindest unter bestimmten einschränkenden Bedingungen, insbesondere bei
Vorliegen anderer Erkrankungen.

5.3

5.3.1 Nach der auch von der Vorinstanz erwähnten, unter dem KUVG ergangenen
Rechtsprechung ist die Alkoholsucht an sich schon
BGE 137 V 295 S. 300
prinzipiell als Krankheit zu betrachten und nicht erst dann, wenn sie Symptom
oder Ursache einer anderen Erkrankung ist (BGE 101 V 77 E. 1a S. 79 und EVGE
1969 S. 11 E. 1b S. 12). Ebenfalls gilt die Heroinsucht als Krankheit (BGE 118
V 107 E. 1b S. 109). Voraussetzung ist jedoch - auch hier - eine
Behandlungsbedürftigkeit. Ist eine solche nicht erst dann gegeben, wenn die
Sucht Symptom oder Ursache einer anderen Erkrankung ist, stellt sich die Frage
nach dem Zweck der Behandlung. Die Vorinstanz spricht in diesem Zusammenhang
von sozial unverträglichem Verhalten bzw. erschwertem oder nicht mehr möglichem
"Funktionieren in der Gesellschaft", was es zu verhindern gelte. Dies liegt
indessen nicht mehr im rechtlichen Zielbereich medizinischer Behandlung der
möglichst vollständigen Beseitigung der körperlichen oder psychischen
Beeinträchtigung (BGE 130 V 299 E. 6.2.1.1 S. 305;BGE 127 V 138 E. 5 S. 146;
RKUV 2003 S. 226, K 79/02 E. 3.1). Die Erfahrungstatsache, dass regelmässiger
Tabakkonsum von einer gewissen Intensität in der Regel - wenn überhaupt -
später als Alkohol- oder Drogenkonsum zu einem sozial auffälligen oder sogar
unverträglichen Verhalten führt, stellt somit keinen hinreichenden Grund dar,
in Bezug auf den Krankheitswert zwischen Nikotinsucht einerseits, Alkohol- und
Drogensucht anderseits zu differenzieren.

5.3.2 In BGE 118 V 107 E. 1b S. 109 wurde im Zusammenhang mit Drogenkonsum
Sucht als unbezwingbares Verlangen zur fortgesetzten Einnahme mit
Entziehungserscheinungen nach Absetzen, Tendenz zur Steigerung der Dosis,
Schäden für Individuum und Gesellschaft charakterisiert. Diese
Begriffsumschreibung gilt im Wesentlichen auch heute noch (vgl. etwa
PSCHYREMBEL, Klinisches Wörterbuch, 262. Aufl. 2011, S. 4), und zwar in
gleicher Weise für Nikotinabhängigkeit und Abhängigkeit von anderen
psychoaktiven Substanzen wie Drogen und Alkohol (Neurowissenschaften und Sucht,
November 2009 [elektronische Broschüre, herausgegeben vom Collège Romand de
Médecine de l'Addiction, im Auftrag des BAG, http://www.ssam.ch]; vgl. zur
Quantifizierung der Nikotinsucht THONACK/HOFFMANN, a.a.O., S. 181, und ZELLER,
a.a.O., S. 419 f.). Gemäss Beschwerdeführerin bestehen sodann auch keine
wesentlichen Unterschiede in Bezug auf die Wirkung auf die Hirnfunktionen, das
Abhängigkeitspotenzial im Sinne eines ständig steigenden Konsumverlangens, die
Schwierigkeit aufzuhören, insbesondere wegen der Entzugserscheinungen (u.a.
verminderte Herzfrequenz, Senkung des diastolischen Blutdrucks, Hungergefühl,
Gewichtszunahme, Schlaf- und
BGE 137 V 295 S. 301
Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit, Depressionen; BERGER, a.a.O., S. 369;
THONACK/HOFFMANN, a.a.O.; ZELLER, a.a.O.; JACQUES CORNUZ, Rauchentwöhnung - die
zentrale Rolle der Ärztinnen und Ärzte, Therapeutische Umschau 9/2005 S. 657),
sowie die gesellschaftliche Wahrnehmung von Rauchen als gesundheitsschädigendes
Verhalten. Ebenfalls differenzieren die anerkannten internationalen
Klassifikationssysteme ICD-10 der WHO sowie DSM IV der American Psychiatric
Association hinsichtlich der "Krankheitseigenschaft" nicht zwischen
Nikotinsucht und Drogen- und Alkoholsucht.

5.3.3 Abgesehen von den - krankenversicherungsrechtlich allerdings nicht
relevanten - Auswirkungen auf das soziale Verhalten resp. den Folgen für das
"Funktionieren der Gesellschaft", ist kein Grund ersichtlich, mit Bezug auf den
Krankheitswert zwischen der Nikotinsucht einerseits, Alkohol- und Drogensucht
anderseits zu unterscheiden. Daraus ergibt sich indessen nicht, dass
Nikotinabhängigkeit als solche eine Krankheit im Sinne der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung darstellt. Die Sucht muss aus medizinischer Sicht
behandlungsbedürftig sein, damit ihr Krankheitswert zukommt. Unter welchen
Bedingungen das der Fall ist, hat die Vorinstanz zu Unrecht nicht geprüft.
Jedenfalls kann die Aufnahme von Champix in die SL nicht mit der Begründung,
die Nikotinsucht stelle keine Krankheit im Sinne der
Krankenversicherungsgesetzgebung dar, abgelehnt werden.

5.4

5.4.1 Gemäss BAG ist der Krankheitswert der Nikotinsucht zu bejahen,
insbesondere wenn das Rauchen psychischen Ursprungs ist und wenn sehr häufig
eine Zigarette benötigt wird, um sich laufend Nikotin zuzuführen. Vor allem bei
Rauchern mit bereits eingetretenen gesundheitlichen Folgeschäden könne der
Krankheitswert bejaht werden. Notwendig seien also Begleiterkrankungen.

5.4.2 Das Bundesamt misst somit der Nikotinsucht dann Krankheitswert zu, wenn
sie genügend stark im Sinne eines hohen täglichen Konsums von Tabakwaren ist
(was sich negativ auf das soziale Verhalten und die Integration ins
Arbeitsleben auswirke) oder vor allem wenn sie Ursache oder Folge einer
Erkrankung ist. Diese Umschreibung ist jedoch zu allgemein und erscheint auch
wenig praktikabel. Es wird Aufgabe des Bundesamtes sein, nach Konsultation der
Eidgenössischen Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen (Art.
37a lit. a KVV) Bedingungen zu formulieren, unter
BGE 137 V 295 S. 302
denen die Behandlungsbedürftigkeit der Nikotinsucht und damit deren
Krankheitswert zu bejahen ist. Dabei geht es vorab darum, einen Mindestgrad an
Nikotinabhängigkeit festzulegen, beispielsweise nach Massgabe des international
anerkannten Fagerström-Tests (BERGER, a.a.O., S. 368; THONACK/HOFFMANN, a.a.O.,
S. 181, und ZELLER, a.a.O., S. 419) unter Berücksichtigung der Expositionsdauer
(pack-years) und der Art des Konsums (GRONER, a.a.O., S. 22 f.), welcher
erreicht werden muss, um überhaupt von einer Krankheit sprechen zu können.
Nicht jedes Rauchverhalten ist als behandlungsbedürftige Sucht zu betrachten.
Mit Bezug auf (Begleit-)Erkrankungen sodann kann nicht vorausgesetzt werden,
dass diese bereits ein Stadium erreicht haben, wo auch ein sofortiger
Rauchstopp weder zu einer Verbesserung noch wenigstens zu einer Stabilisierung
des Gesundheitszustandes beitragen kann. Erste Anzeichen von wahrscheinlich mit
dem (übermässigen) Tabakkonsum in Zusammenhang stehenden körperlichen
Veränderungen etwa pulmonaler oder kardiovaskulärer Art oder diesbezügliche
Manifestationen wie etwa Zittern, Hustenanfälle mit Auswurf oder Atemprobleme,
Herzstiche oder -schmerzen bei körperlicher Anstrengung, Schmerzen in den
Beinen beim Gehen (vgl. etwa http://www.netdoktor.de/Gesund-Leben/Rauchen/
Krank- durch-Rauchen/Rauchen-und-Gesundheit-417.html; THONACK/HOFFMANN, a.a.O.)
müssen genügen (in diesem Sinne auch VALÉRIE JUNOD, Le fumeur est-il un
malade-, Jusletter vom 7. März 2011 Rz. 19). Ist die Nikotinsucht Symptom resp.
Folge einer Erkrankung - in Betracht fallen insbesondere psychische Leiden
(vgl. KHAZAAL/ZULLINO, Dépendances aux substances et comorbidités
psychiatriques: Tendances actuelles, Medinfo 2/2009 S. 50 ff. und JEAN-PAUL
HUMAIR, Arrêt du tabac chez les patients avec un trouble psychiatrique, Revue
Médicale Suisse [RMS] 5/2009 S. 1472 ff. sowie BERGER, a.a.O., S. 370) -,
stellt sich im Sinne einer den Krankheitswert bestimmenden medizinischen
Limitation (BGE 129 V 32 E. 4.2.2 S. 39) etwa die Frage, ob die betreffende
Person den Willen aufbringen kann, mit dem (übermässigen) Tabakkonsum
aufzuhören.

6. Die Aufnahme eines Arzneimittels in die SL (Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG) setzt
u.a. voraus, dass es wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich ist und eine
gültige Zulassung des Schweizerischen Heilmittelinstituts (Swissmedic) vorliegt
(Art. 65 Abs. 1 und 2 [seit 1. Oktober 2009: Abs. 3] KVV und Art. 30 Abs. 1
KLV). Die zweite Bedingung ist vorliegend erfüllt. Champix ist seit 21.
Dezember 2006 im Sinne des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über
Arzneimittel und
BGE 137 V 295 S. 303
Medizinprodukte (Heilmittelgesetz [HMG]; SR 812.21) für die Indikation
"Raucherentwöhnung bei Erwachsenen" zugelassen.
6.1 Ein Arzneimittel ist wirksam, wenn dessen Einsatz geeignet ist, das
angestrebte diagnostische oder therapeutische Ziel zu erreichen. Für die
Beurteilung der Wirksamkeit ist somit entscheidend, welcher medizinische Erfolg
damit erzielt werden soll (BGE 128 V 159 E. 5c/aa S. 165; vgl. auch BGE 130 V
299 E. 6.1 und 6.2.1.1 S. 304 f. sowie BGE 133 V 115 E. 3.1 S. 116). Auch beim
Nachweis der Wirksamkeit als Voraussetzung für die Zulassung nach Art. 10 Abs.
1 lit. a HMG ist von den Therapiezielen auszugehen. Dabei wird (auch) vom
Nutzen-Risiko-Verhältnis gesprochen, welches günstig sein muss (Urteil 2A.243/
2006 vom 22. Dezember 2006 E. 2.2, 3.2 und 3.4).
Das BAG stützt sich bei der Prüfung der Wirksamkeit eines Arzneimittels auf die
Unterlagen, die für die Registrierung durch Swissmedic massgebend waren und
allenfalls weitere, die einverlangt werden können (Art. 32 KLV). Die
Beurteilung der Wirksamkeit muss sich in jedem Fall auf klinisch kontrollierte
Studien abstützen (Art. 65 Abs. 3 Satz 2 KVV [seit 1. Oktober 2009: Art. 65a
KVV]; im gleichen Sinne Art. 11 Abs. 1 HMG und Art. 2 ff. der Verordnung des
Schweizerischen Heilmittelinstituts vom 9. November 2001 über die Anforderungen
an die Zulassung von Arzneimitteln [AMZV; SR 812.212. 22]). Weiter hat das
Bundesamt die Meinungsäusserungen und Empfehlungen der beratenden Kommissionen
(Art. 37a KVV in Verbindung mit Art. 33 Abs. 4 KVG), insbesondere der EAK (Art.
37e KVV) zu berücksichtigen (vgl. BGE 129 V 32 E. 3.2.2 S. 35).

6.1.1 Das BAG erachtete in der Verfügung vom 3. April 2008 die Wirksamkeit von
Champix nicht als genügend nachgewiesen. Die Zielsetzung des Einsatzes dieses
Arzneimittels sei im Grundsatz eine dauerhafte Nikotinabstinenz. Das Verlangen
zu rauchen komme bei ehemaligen Rauchern erwiesenermassen immer wieder auf. Die
eingereichten Studien belegten lediglich einen statistisch signifikanten
"Rauchstopp" nach längstens 52 Wochen, was für den Nachweis der Langzeitwirkung
von Champix nicht genüge. In der Vernehmlassung vor Bundesgericht bringt das
Bundesamt überdies vor, damit eine Therapie mit Champix wirksamer wäre, müsse
der Patient den Willen zum "Rauchstopp" aufbringen und es sei eine ärztliche
Begleitung erforderlich. Die Verschreibung dieses Medikamentes sollte demnach
nur im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes erfolgen, wozu auch eine
ausführliche Diagnostik in Bezug auf eine
BGE 137 V 295 S. 304
vorbestehende oder begleitende psychiatrische Erkrankung gehöre. Das
Erfordernis einer zusätzlichen psychiatrischen Begleittherapie durch einen
Spezialisten zeige ebenfalls, dass die Wirksamkeit einer Therapie mit Champix
alleine eingeschränkt sei.
Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, eine Rauchabstinenz von
mindestens einem Jahr sei gemäss internationalem Standard, insbesondere auch
nach der WHO, ein hinreichender Beleg für die Langzeitwirkung einer
Raucherentwöhnungsbehandlung. Die Rückfallquote sei erwiesenermassen im ersten
Jahr am höchsten. Auch bei Medikamenten gegen die Alkoholsucht hätten für das
BAG (und Swissmedic) Studien von 52 Wochen zum Wirksamkeitsnachweis genügt.
Ebenfalls habe die EAK die Wirksamkeit von Champix nicht in Frage gestellt.
Neuere Studien hätten sodann die Überlegenheit von Champix auch gegenüber
Nikotinersatztherapie nach einer Dauer von 52 Wochen gezeigt. Schliesslich rügt
die Beschwerdeführerin, das BAG habe sich bei der Wirksamkeitsbeurteilung in
keiner Weise auf die Unterlagen gestützt, welche für die Registrierung bei
Swissmedic massgebend gewesen seien.

6.1.2

6.1.2.1 Entgegen der Auffassung des BAG schliessen allenfalls notwendige
begleitende Massnahmen von Anfang an oder über die Behandlung mit Champix
hinaus die Wirksamkeit der Anwendung dieses Arzneimittels nicht aus (vgl. auch
Urteil 2A.243/2006 vom 22. Dezember 2006 E. 3.4.3-4). Solche zusätzlichen
Behandlungen sind aber unter dem Gesichtspunkt der Zweckmässigkeit und
Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen. Im Weitern ergibt sich aus dem Protokoll
der Eidgenössischen Kommission für allgemeine Leistungen (ELK [Art. 37a lit. a
KVV]; seit 1. Januar 2008: Eidgenössische Komission für allgemeine Leistungen
und Grundsatzfragen [Art. 37a lit. a KVV]) vom 11. September 2007 nichts
Entscheidendes zur Frage der Wirksamkeit einer Behandlung mit Champix. Im
Protokoll der EAK vom 20. September 2007 sodann wurde festgehalten, dass die
Kommission vor allem für die Frage der Wirtschaftlichkeit zuständig sei. Es
wurde eine auf zwei Jahre befristete Aufnahme ("Die Firma muss nach 2 Jahren
eine Auswertung der Patientendaten im Sinne einer Kohortenstudie liefern. Sie
muss die Daten von mindestens 80 % der behandelten Patienten liefern.")
vorgeschlagen, was die Zustimmung der Kommissionsmehrheit fand. Das BAG ist
dieser Meinungsäusserung nicht gefolgt, was insofern nicht zu beanstanden ist,
als die Aufnahme von Arzneimitteln in die SL, deren
BGE 137 V 295 S. 305
Wirksamkeit sich noch in Abklärung befindet, d.h. nicht hinreichend (nach
wissenschaftlichen Methoden) nachgewiesen ist, dem Gesetz widerspricht (BGE 128
V 159 E. 5c/bb/bbb S. 167). Eine im Hinblick auf den Nachweis der Wirksamkeit
zeitlich befristete (suspensiv bedingte) Aufnahme ist grundsätzlich unzulässig.
Anderseits kann die Aufnahme in die SL mit Bedingungen und Auflagen verbunden
werden (Art. 65 Abs. 1^bis [seit 1. Oktober 2009: Abs. 5] KVV). Schliesslich
sind die Aufnahmebedingungen alle drei Jahre zu überprüfen (Art. 65d KVV und
Art. 35b KLV). Im dargelegten Sinne wäre der erwähnte Vorschlag der Mehrheit
der Mitglieder der EAK für eine "auf zwei Jahre befristete Aufnahme" von
Champix in die SL zulässig.

6.1.2.2 Im Zulassungsentscheid von Swissmedic vom 21. Dezember 2006 wurde der
Nachweis der Wirksamkeit einer Behandlung mit Champix in der galenischen Form
von Filmtabletten zu 0,5 oder 1 mg zur Raucherentwöhnung aufgrund der
eingereichten Studien als erbracht erachtet, am Ende der Behandlung (Wochen
9-12) und auch nach dem Aufrechterhalten der Abstinenz bis zur Woche 52, wobei
sich ein zusätzlicher Behandlungszyklus von 12 Wochen als vorteilhaft erwiesen
habe. Die Zulassung durch Swissmedic stellt zwar lediglich eine notwendige,
nicht aber hinreichende Bedingung für die Aufnahme eines Arzneimittels mit der
entsprechenden medizinischen Indikation in die SL dar (BGE 136 V 395 E. 4.2 in
fine S. 398;BGE 133 V 115 E. 3.3 in fine S. 120;BGE 130 V 532 E. 3.3 S. 539).
Indessen legt das BAG nicht dar und noch weniger begründet es, welchen Zeitraum
(grösser als 52 Wochen) die klinischen Studien für den genügenden Nachweis der
Langzeitwirkung von Champix abzudecken hätten. Im Unterschied dazu konnte sich
Swissmedic zur Begründung der von ihm als notwendig erachteten längeren
Zeitspanne für den Wirksamkeitsnachweis eines Medikamentes gegen Adipositas auf
wissenschaftliche Empfehlungen und Leitlinien stützen (Urteil 2A.243/2006 vom
22. Dezember 2006 E. 3.4.4). Vorliegend beruhen jedoch - soweit ersichtlich und
etwas anderes wird nicht geltend gemacht - alle Studien zur Wirksamkeit von
Massnahmen zur Raucherentwöhnung auf einer Beobachtungszeit von 52 Wochen. Im
Lebensversicherungsbereich gilt eine Person, die früher geraucht hat, als
Nichtraucher, sobald sie während 12 Monaten nicht mehr geraucht hat (GRONER,
a.a.O., S. 22 ff.). Unter diesen Umständen hat der Nachweis der Wirksamkeit von
Champix grundsätzlich als erbracht zu gelten. Allerdings soll laut HUMAIR
(a.a.O., S. 1474)
BGE 137 V 295 S. 306
der Wirkstoff Varenicline von Champix an depressiven und schizophrenen Personen
nicht getestet worden sein. Trifft dies zu, könnte mit Bezug auf diese
Kategorie von Versicherten der Wirksamkeitsnachweis nicht als erbracht gelten.
Gemäss dem mit dem Zulassungsgesuch bei Swissmedic eingereichten Begleitbericht
('Clinical Overview') waren Personen mit einer "serious or unstable disease"
während der sechs vorangehenden Monate von einer Teilnahme an den Studien
ausgeschlossen.
6.2 Die Zweckmässigkeit eines Arzneimittels in Bezug auf seine Wirkung und
Zusammensetzung wird nach klinisch-pharmakologischen und galenischen
Erwägungen, nach unerwünschten Wirkungen sowie nach der Gefahr missbräuchlicher
Verwendung beurteilt (Art. 33 Abs. 1 KLV). Entscheidend ist der diagnostische
oder therapeutische Nutzen der Anwendung im Einzelfall unter Berücksichtigung
der damit verbundenen Risiken, gemessen am angestrebten Heilerfolg der
möglichst vollständigen Beseitigung der körperlichen oder psychischen
Beeinträchtigung (BGE 130 V 299 E. 6.1 S. 304) sowie an der Missbrauchsgefahr (
BGE 129 V 32 E. 4.1 S. 37). Nach der Verwaltungspraxis erfolgt die Beurteilung
der Zweckmässigkeit aufgrund des Verhältnisses von Erfolg und Misserfolg
(Fehlschlägen) einer Anwendung sowie der Häufigkeit von Komplikationen (BGE 127
V 138 E. 5 S. 146). Zweckmässigkeit der durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung zu vergütenden Leistung setzt deren Wirksamkeit
voraus (BGE 133 V 115 E. 2.2 S. 116).
Das BAG stützt sich bei der Prüfung der Zweckmässigkeit eines Arzneimittels auf
die Unterlagen, die für die Registrierung durch Swissmedic massgebend waren und
allenfalls weitere, die einverlangt werden können (Art. 33 Abs. 2 KLV). Weiter
hat das Bundesamt die Meinungsäusserungen und Empfehlungen der beratenden
Kommissionen, insbesondere der EAK zu berücksichtigen.
6.2.1 Das BAG verneinte in der Verfügung vom 3. April 2008 auch die
Zweckmässigkeit von Champix zur Raucherentwöhnung. Zwar verhindere
Nikotinabstinenz kostenintensive Folgeerkrankungen, welche das Rauchen nach
sich ziehen könne. Voraussetzung sei jedoch eine Abstinenz über längere Zeit,
im Idealfall für den Rest des Lebens. Dieser Wirksamkeitsnachweis sei jedoch
nicht erbracht. Es lägen zwar vergleichende "Cost-Effectiveness"-Analysen vor,
welche die Kosten der Behandlung den Konsequenzen gegenüberstellten. Für
"rauchstoppwillige" Personen existierten indessen
BGE 137 V 295 S. 307
zahlreiche alternative Behandlungsprogramme. In der Vernehmlassung vor
Bundesgericht führt das Bundesamt überdies an, falls eine ärztlich begleitete
Raucherentwöhnung stattfinde, könnten Arzneimittel der SL zur Linderung der
Entzugssymptome eingesetzt werden.
Die Beschwerdeführerin bringt hauptsächlich vor, es gebe kein geeigneteres
Medikament, um das Ziel der Raucherentwöhnung zu erreichen, als der Einsatz von
Champix, auch unter dem Gesichtspunkt von Nebenwirkungen und Missbrauchsgefahr.
Die Behandlung sei mindestens so zweckmässig wie die (Listen-)Präparate gegen
Alkohol- und Opiatsucht.

6.2.2

6.2.2.1 Es kommen - neben dem Einsatz von Champix - weitere Behandlungsformen
zur Anwendung, um von Tabakabhängigkeit loszukommen (Nikotinersatztherapie
[NET], insbesondere Nikotin- Pflaster, -Kaugummi, -Inhaler und Lutschtabletten
sowie Nasal-Spray, Antidepressiva, namentlich Bupropion SR [Slow Release,
Zyban], Akupunktur, psychologisch unterstützende Verhaltensänderung; ZELLER,
a.a.O.; THONACK/HOFFMANN, a.a.O., S. 180; BERGER, a.a.O., S. 370 ff.; CORNUZ,
a.a.O., S. 655 ff., 658 f.; PING WU UND ANDERE, Effectiveness of smoking
cessation therapies: a systematic review and meta-analysis, in: BMC Public
Health, 2006 http://www.biomedcentral.com/1471-2458/6/300). Ziel der Therapie
ist es, die bei (sofortigem) Aufhören mit Rauchen regelmässig auftretenden
Entzugssymptome (vorne E. 5.3.2), welche allenfalls der medizinischen
Behandlung bedürfen (THONACK/HOFFMANN, a.a.O., S. 180; vgl. auch HUMAIR,
a.a.O., und MARIA DOBRINAS UND ANDERE, Aspects génétiques de la consommation de
tabac et prise en charge clinique, Revue Médicale Suisse [RMS] 5/2009 S. 1463
ff.), entscheidend zu mildern und so den Rückfall zu vermeiden (CORNUZ, a.a.O.,
S. 658; ZELLER, a.a.O., S. 420). Mit einer (unterstützenden) medikamentösen
Behandlung wird zudem das Craving nach Nikotin, d.h. das nahezu unbezwingbare
Verlangen zu rauchen, durch Auslösen entsprechender chemischer Prozesse
gelindert (ZELLER, a.a.O., S. 422; BERGER, a.a.O., S. 371).

6.2.2.2 Gemäss dem Begleitbericht ('Clinical Overview') zum bei Swissmedic
eingereichten Zulassungsgesuch zeigen die klinischen Studien eine statistisch
signifikante Überlegenheit von Champix gegenüber Bupropion und Placebo nach
einer 12-wöchigen Behandlung und gegenüber Placebo nach weiteren 12 Wochen
Behandlung
BGE 137 V 295 S. 308
bis Woche 52 in Bezug auf Rauchabstinenz (vorne E. 6.1.2.2). Soweit es sich bei
den beobachteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen - vorab in der ersten
Woche auftretende Übelkeit - um Nebenwirkungen von Champix und nicht um
Entzugssymptome infolge des "Rauchstopps" handelte, waren sie gering und in den
meisten Fällen nicht Anlass, die Therapie abzubrechen und wieder mit Rauchen
anzufangen (ZELLER, a.a.O., S. 423 f.; CAHILL, a.a.O., S. 7). Ebenfalls wurden
ein erhöhtes kardio-vaskuläres Risiko und aufgrund der (klinischen) Daten ein
Missbrauchspotenzial, insbesondere eine Suchtwirkung, verneint. Insoweit stellt
der Einsatz von Champix zur Raucherentwöhnung grundsätzlich eine zweckmässige
Behandlung dar. Kontraindikationen, wie etwa Schwangerschaft und Stillen
(ZELLER, a.a.O., S. 424; CORNUZ, a.a.O., S. 659), oder die Notwendigkeit einer
Beschränkung der Medikamentendosis, wie bei Niereninsuffizienz gemäss Verfügung
der Swissmedic vom 21. Dezember 2006 ist durch eine entsprechende Limitierung
Rechnung zu tragen (Art. 73 KVV; vgl. BGE 130 V 532). Im Zulassungsentscheid
wurde als zu erfüllende Auflage u.a. verlangt, dass in den einzureichenden
Berichten über die Unbedenklichkeit von Champix (Periodic Safety Update Report
[PSUR]) das Augenmerk speziell auf die insbesondere pharmakodynamischen
Interaktionen mit psychotropen und kardiovaskulären Medikamenten gerichtet
werden müsse (Art. 16 Abs. 1 HMG und Art. 4 Abs. 2 AMZV).

6.2.2.3 Aufgrund der Akten ist sodann davon auszugehen, dass beim gegenwärtigen
Wissensstand andere medizinische Massnahmen nicht ebenso wirksam oder sogar
noch wirksamer sind und gleichzeitig weniger Nebenwirkungen zeigen als eine
Behandlung mit Champix. Das BAG bringt nichts Gegenteiliges vor. Gemäss drei
von der Beschwerdeführerin im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten
Fachartikeln ist Champix auch wirksamer (more effectiv) als
Nikotinersatztherapie (WU, a.a.O.; The NHS Information Centre, Statistics on
NHS Stop Smoking Services in England, April to September 2007, 2008; HENRI-JEAN
AUBIN UND ANDERE, Varenicline versus transdermal nicotine patch for
smoking-cessation: Results from a randomised, open-label trial, Thorax 2008 S.
717 ff.). Anderseits scheint auch das Bundesamt davon auszugehen, dass eine -
von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu vergütende - Therapie zur
Raucherentwöhnung grundsätzlich im Rahmen ärztlicher Unterstützung und
Begleitung durchzuführen ist (vgl. THONACK/HOFFMANN, a.a.O., und CORNUZ,
a.a.O.). Insoweit eine solche allein nicht genügt, vermag
BGE 137 V 295 S. 309
das BAG nicht plausibel zu machen, weshalb die Verwendung von Arzneimitteln der
SL zur Linderung der Entzugssymptome zweckmässiger sein soll als der Einsatz
eines Medikamentes gegen die (behandlungsbedürftige) Nikotinsucht. In diesem
Zusammenhang ist davon auszugehen, dass in allen klinischen Studien zum
Nachweis der Wirksamkeit (effectiveness) einer Raucherentwöhnungstherapie die
Probanden der Placebo-Gruppe die aufgetretenen gesundheitlichen Störungen,
soweit notwendig, ärztlich behandeln liessen.
Im dargelegten Sinne kann somit auch die Zweckmässigkeit einer Behandlung mit
Champix nicht verneint werden.

6.3
6.3.1 Ein Arzneimittel gilt als wirtschaftlich, wenn es die indizierte
Heilwirkung mit möglichst geringem finanziellem Aufwand gewährleistet (Art. 34
Abs. 1 KLV [seit 1. Oktober 2009: Art. 65a Abs. 1 KVV]). Für die Beurteilung
der Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels werden u.a. dessen Fabrikabgabepreis
im Ausland, dessen Wirksamkeit im Verhältnis zu anderen Arzneimitteln gleicher
Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise und dessen Kosten pro Tag oder Kur im
Verhältnis zu den Kosten von Arzneimitteln gleicher Indikation oder ähnlicher
Wirkungsweise berücksichtigt (Art. 34 Abs. 2 lit. a-c KLV in Verbindung mit
Art. 65 Abs. 3^bis KVV [seit 1. Oktober 2009: Art. 65bAbs. 2 KVV]).
6.3.2 Die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels beurteilt sich somit teils
unter dem Gesichtspunkt der vergleichenden Wertung mehrerer zum gleichen
Behandlungszweck zur Verfügung stehender Heilmittel, teils nach der Höhe des
Preises des in Frage stehenden Präparates an sich. Darüber hinaus muss der
Preis auch in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Nutzen stehen. Je
schwerer eine Krankheit (und gegebenenfalls deren Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit) im Allgemeinen einzustufen ist, desto höhere Kosten dürfen
für das indizierte Arzneimittel verantwortet werden. Anderseits setzt der
Begriff der Wirtschaftlichkeit voraus, dass sich der Preis eines Arzneimittels
auch mit Bezug auf dessen Kosten in vertretbarem Rahmen hält. Bei der
vergleichenden Wertung im Besonderen kommt dem Kriterium der Wirksamkeit
massgebende Bedeutung zu. Lässt ein Arzneimittel, durch wissenschaftliche
Studien nachgewiesen, den Heilerfolg in kürzerer Zeit, mit weniger
Nebenwirkungen und geringerer Rückfallrate erwarten als ein anderes
Arzneimittel gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise, ist dem beim
BGE 137 V 295 S. 310
Preisvergleich, allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Kosten der Anwendung,
Rechnung zu tragen. Auch kann sich unter Umständen der Preisvergleich auf ein
einziges (Konkurrenz-)Präparat beschränken (BGE 127 V 275 E. 2b S. 280; SVR
2002 KV Nr. 7 S. 21, K 39/99 E. 4a/bb, nicht publ. in: BGE 127 V 149). Wo es
nur eine einzige (medikamentöse) Behandlungsmöglichkeit gibt, ist nach dem
Grundsatz der Verhältnismässigkeit die Aufnahme des betreffenden Arzneimittels
in die SL zu verweigern, wenn zwischen Aufwand und Heilerfolg ein grobes
Missverhältnis besteht (BGE 136 V 395 E. 7.4 S. 407).
6.3.3 Das BAG verneinte in der Verfügung vom 3. April 2008 die
Wirtschaftlichkeit einer Behandlung mit Champix im Wesentlichen aus denselben
Gründen wie die Zweckmässigkeit (vorne E. 6.2.1). Nikotinabstinenz verhindere
zwar kostenintensive Folgeerkrankungen, welche das Rauchen nach sich ziehen
könne. Vorausgesetzt sei jedoch eine Abstinenz über längere Zeit, im Idealfall
für immer. Dieser Wirksamkeitsnachweis sei jedoch nicht erbracht. Im Weitern
lägen zwar vergleichende 'Cost-Effectiveness'-Analysen vor. Für
"rauchstoppwillige" Personen existierten indessen zahlreiche alternative
Behandlungsprogramme. Abgesehen davon stellten die Kosten einer Behandlung mit
Champix keine zusätzliche finanzielle Belastung dar, da der Einkauf des
Tabakproduktes wegfalle. In der Vernehmlassung vor Bundesgericht führt das
Bundesamt überdies an, die medikamentöse Therapie mit Champix sei
kostenintensiv und unter Betrachtung des Kosten-Nutzen-Effektes für eine
Vergütung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) als nicht
geeignet einzustufen.
Die Beschwerdeführerin bringt u.a. vor, die beantragten Preise, zu denen
Champix in die SL aufzunehmen sei, entsprächen dem Auslandpreisvergleich und
hielten einem Quervergleich auf Tagestherapiekostenbasis (mit Zyban) Stand. Es
existierten keine wirtschaftlicheren Alternativbehandlungen zur
Raucherentwöhnung. Im Übrigen würden auch bei einer Therapie von Alkohol- und
Drogensüchtigen der Einkauf der übermässig konsumierten Substanzen wegfallen,
ohne dass die betreffenden Personen die medikamentöse Behandlung selber
bezahlen müssten.

6.3.4
6.3.4.1 Dem BAG kann nicht beigepflichtet werden, soweit es die
Wirtschaftlichkeit von Champix mangels nachgewiesener Wirksamkeit verneint
(vorne E. 6.1.2.2). Weiter legt das Bundesamt nicht dar,
BGE 137 V 295 S. 311
inwiefern alternative Behandlungsmethoden zur Raucherentwöhnung unter
Berücksichtigung von Wirksamkeit und Zweckmässigkeit ein günstigeres Kosten-/
Nutzen-Verhältnis aufweisen als eine Therapie mit Champix. In diesem
Zusammenhang bringt die Beschwerdeführerin richtig vor, dass das BAG ihren
Auslandpreisvergleich und den Quervergleich mit Zyban im vorinstanzlichen
Verfahren nicht beanstandete. Der Umstand, dass Zyban kein Listenpräparat ist
und die SL kein anderes Arzneimittel mit gleicher Indikation oder ähnlicher
Wirkungsweise enthält, spricht nicht gegen die Wirtschaftlichkeit einer
Behandlung mit Champix (vorne E. 6.3.2). Schliesslich trifft zwar zu, dass bei
(erfolgreicher) Therapie mit diesem Arzneimittel der Einkauf des Tabakproduktes
dahinfällt. Die Wirtschaftlichkeit (und Zweckmässigkeit) der Therapie kann
indessen nicht mit der Begründung verneint werden, die Kosten stellten für die
betreffende Person keine Zusatzbelastung dar, weil sie entsprechend weniger
Auslagen habe. Die obligatorische Krankenpflegeversicherung differenziert in
Bezug auf die Leistungspflicht weder nach der Ursache der
behandlungsbedürftigen Krankheit, insbesondere ob ein (bewusst oder unbewusst)
gesundheitsschädigendes Verhalten vorliegt, noch nach den finanziellen
Ressourcen der Versicherten. Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit können
allenfalls die Aufnahme eines Arzneimittels in die SL mit einer auf die Menge
bezogenen Limitierung erfordern (Art. 73 KVV; RKUV 2004 S. 109, K 156/01 E.
3.2.2 in fine; EUGSTER, a.a.O., S. 597 Rz. 596; vgl. auch BGE 131 V 349 E. 1 S.
350). In diesem Sinne beantragt die Beschwerdeführerin eventualiter die
Vergütung von Champix für maximal einen Therapiezyklus innerhalb von zwei
Jahren.

6.3.4.2 Gemäss Protokoll der EAK vom 20. September 2007 ist mit dem beantragten
Preis für Champix bei einer Behandlungsdauer von 12 Wochen mit Kosten von Fr.
450.- bzw. Fr. 900.- bei weiteren 12 Wochen zu rechnen. Dieser Betrag ist mit
Blick auf die schon kurze Zeit nach Behandlungsbeginn feststellbaren positiven
Auswirkungen eines Rauchstopps auf die Gesundheit (vgl. THONACK/HOFFMANN,
a.a.O., S. 181 f.; HUGO SANER, Herz und Gefäss, Therapeutische Umschau 12/2005
S. 829) nicht zu hoch. Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines
Arzneimittels, welches in die SL aufgenommen werden will, sind indessen, soweit
hinreichend quantifizierbar, auch die gesamten Kosten für die soziale
Krankenversicherung zu berücksichtigen (vgl. BGE 136 V 395 E. 7.6-8 S. 410
ff.). An der Sitzung der EAK vom 20. September 2007 wurden diese Kosten bei
BGE 137 V 295 S. 312
einer Aufnahme von Champix in die SL auf Fr. 45 Mio. in drei Jahren beziffert,
was bei einer Erfolgsquote von lediglich 21 % eine enorme Summe darstellt,
zumal wenn mit einer verbesserten ärztlichen Beratung und Unterstützung
("counselling") eine Abstinenz nach einem Jahr von 13 % sollte erreicht werden
können. Dem steht gegenüber, dass 27 % der Bevölkerung zwischen 14 und 65
Jahren in der Schweiz rauchen, 40-60 % der Raucher an sich damit aufhören
wollten, es aber allein nicht schafften (vgl. die neuesten Ergebnisse zum
Tabakkonsum 2010 im Rahmen des seit 2001 vom Psychologischen Institut der
Universität Zürich, Sozial- und Gesundheitspsychologie, im Auftrag des BAG
durchgeführten Tabakmonitoring Schweiz [TMS; seit 2011: Suchtmonitoring
Schweiz]) und der Tabakkonsum enorme (Folge-)Kosten für das Gesundheitswesen
und die öffentliche Hand verursacht.
Die Frage der Wirtschaftlichkeit von Champix kann erst dann abschliessend
beurteilt werden, wenn feststeht, unter welchen Bedingungen die Nikotinsucht
Krankheitswert hat, d.h. eine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne der
sozialen Krankenversicherung darstellt (vgl. E. 5.4.2), und unter welchen
indikations- und mengenmässigen Limitierungen eine Aufnahme dieses
Arzneimittels in die SL erfolgen kann (vgl. E. 6.2.2.2 und 6.3.4.1). Die Sache
ist zu diesem Zweck und zu anschliessender neuer Verfügung über das
Aufnahmegesuch an das BAG zurückzuweisen.