Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 V 167



Urteilskopf

137 V 167

23. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. O. gegen
IV-Stelle für Versicherte im Ausland (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_1008/2010 vom 10. Mai 2011

Regeste

Art. 9 Abs. 2 IVG (aArt. 22^quater Abs. 2 IVV); Anspruch auf
Eingliederungsmassnahmen; Erfüllung der versicherungsmässigen Voraussetzungen.
Gibt eine minderjährige Versicherte mit ihrer Mutter den schweizerischen
Wohnsitz auf und tritt sie nicht der freiwilligen Versicherung bei, kann sie
ihre Versicherteneigenschaft nicht aus der Unterstellung des auf Grund des
Wohnsitzes obligatorisch versicherten (von der Mutter geschiedenen) Vaters
herleiten. Die bundesrechtskonforme Auslegung von Art. 9 Abs. 2 IVG (ebenso wie
von aArt. 22^quater Abs. 2 IVV) lässt eine solche Ausdehnung des
Anwendungsbereichs nicht zu. Es liegt auch kein Verstoss gegen Art. 23 des
Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (KRK) vor (E.
4).

Sachverhalt ab Seite 168

BGE 137 V 167 S. 168

A. Die IV-Stelle St. Gallen gewährte der 1997 in der Schweiz geborenen
Schweizer Staatsangehörigen O. auf Grund eines infantilen psychoorganischen
Syndroms vom hypoaktiven Typ mit Verfügung vom 2. November 2005 medizinische
Massnahmen (Behandlung des Geburtsgebrechens gemäss Ziff. 404 Anhang zur
Verordnung vom 9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen [GgV Anhang; SR 831.
232.21], EEG-Kontrollen sowie ambulante Ergotherapie). Nachdem O. am 10. März
2008 handelnd durch ihre Mutter sinngemäss um Verlängerung der Ergotherapie
ersuchte und mitteilte, dass sie und ihre Mutter seit etwa zwei Jahren in
Ecuador leben würden, überwies die IV-Stelle St. Gallen die Akten an die
IV-Stelle für Versicherte im Ausland (nachfolgend: IV-Stelle). Diese teilte O.
mit Vorbescheid vom 1. September 2008 mit, dass sie seit ihrer Ausreise aus der
Schweiz am 1. Oktober 2005 nicht mehr der obligatorischen Versicherung
unterstehe. Da sie innert Jahresfrist seit dem Ausscheiden aus der
obligatorischen Versicherung der freiwilligen Versicherung nicht beigetreten
sei, erfülle sie die versicherungsmässigen Voraussetzungen ab 1. Oktober 2005
nicht mehr, weshalb sie keinen Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen ab diesem
Zeitpunkt mehr habe. Mit Verfügung vom 10. Oktober 2008 hielt die IV-Stelle an
der Verneinung eines Leistungsanspruchs ab 1. Oktober 2005 fest.

B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit
Entscheid vom 28. Oktober 2010 ab.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt O.
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die IV-Stelle
anzuweisen, ihre Leistungen in Form von Eingliederungsmassnahmen weiterhin zu
erbringen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 137 V 167 S. 169

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Gemäss des bis 31. Dezember 2007 in Kraft gestandenen aArt. 22^quater Abs.
2 IVV (SR 831.201) haben Personen, die der obligatorischen oder freiwilligen
Versicherung nicht oder nicht mehr unterstellt sind, Anspruch auf
Eingliederungsmassnahmen höchstens bis zum 20. Altersjahr, sofern mindestens
ein Elternteil freiwillig oder nach Artikel 1a Abs. 1 Buchstabe c oder Abs. 3
AHVG oder auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung während einer
Erwerbstätigkeit im Ausland obligatorisch versichert ist. Gemäss dem seit 1.
Januar 2008 geltenden Art. 9 Abs. 2 IVG haben Personen, die der Versicherung
nicht oder nicht mehr unterstellt sind, höchstens bis zum 20. Altersjahr
Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, sofern mindestens ein Elternteil: a.
freiwillig versichert ist; oder b. während einer Erwerbstätigkeit im Ausland
obligatorisch versichert ist: 1. nach Artikel 1a Absatz 1 Buchstabe c AHVG, 2.
nach Artikel 1a Absatz 3 Buchstabe a AHVG, oder 3. auf Grund einer
zwischenstaatlichen Vereinbarung.

2.2 Streitig und zu prüfen ist der Anspruch der Versicherten auf medizinische
Massnahmen. In Frage steht, ob die versicherungsmässigen Voraussetzungen im
Rahmen der genannten Bestimmungen erfüllt sind. Unbestritten ist, dass die
Versicherte und ihre Mutter nicht mehr obligatorisch versichert sind, da sie
seit Oktober 2005 in Ecuador leben, sich zwar der freiwilligen Versicherung
hätten anschliessen können, dies aber nicht getan haben. Während die
Beschwerdeführerin geltend machen lässt, ihr Anspruch ergebe sich aus der
Versicherteneigenschaft des Vaters, der obligatorisch - auf Grund seines
Wohnsitzes - versichert und auch von aArt. 22^quater Abs. 2 IVV und Art. 9 Abs.
2 IVG erfasst sei, haben Vorinstanz und Verwaltung einen Anspruch verneint, da
die genannten Normen als Ausnahmebestimmungen eine solche Interpretation nicht
zuliessen.

3.

3.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Vom
klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur
ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür
vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Norm wiedergibt. Solche
Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem
Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften
BGE 137 V 167 S. 170
ergeben (BGE 135 II 78 E. 2.2 S. 81; BGE 135 V 215 E. 7.1 S. 229, BGE 135 V 249
E. 4.1).

3.2 Eine historisch orientierte Auslegung ist für sich allein nicht
entscheidend. Anderseits vermag aber nur sie die Regelungsabsicht des
Gesetzgebers (die sich insbesondere aus den Materialien ergibt) aufzuzeigen,
welche wiederum zusammen mit den zu ihrer Verfolgung getroffenen
Wertentscheidungen verbindliche Richtschnur des Gerichts bleibt, auch wenn es
das Gesetz mittels teleologischer Auslegung oder Rechtsfortbildung veränderten,
vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Umständen anpasst oder es ergänzt (BGE
129 I 12 E. 3.3 S. 16; BGE 129 V 95 E. 2.2 S. 98). Die Vorarbeiten sind für die
Gesetzesinterpretation weder verbindlich noch für die Auslegung unmittelbar
entscheidend; denn ein Gesetz entfaltet ein eigenständiges, vom Willen des
Gesetzgebers unabhängiges Dasein, sobald es in Kraft getreten ist. Insbesondere
sind Äusserungen von Stellen oder Personen, die bei der Vorbereitung mitgewirkt
haben, nicht massgebend, wenn sie im Gesetzestext nicht selber zum Ausdruck
kommen. Das gilt selbst für Äusserungen, die unwidersprochen geblieben sind.
Als verbindlich für das Gericht können nur die Normen selber gelten, die von
der gesetzgebenden Behörde in der hierfür vorgesehenen Form erlassen worden
sind. Das bedeutet nun nicht, dass die Gesetzesmaterialien methodisch
unbeachtlich wären; sie können namentlich dann, wenn eine Bestimmung unklar ist
oder verschiedene, einander widersprechende Auslegungen zulässt, ein wertvolles
Hilfsmittel sein, um den Sinn der Norm zu erkennen und damit falsche
Auslegungen zu vermeiden. Wo die Materialien keine klare Antwort geben, sind
sie als Auslegungshilfe nicht dienlich. Insbesondere bei verhältnismässig
jungen Gesetzen darf der Wille des historischen Gesetzgebers nicht übergangen
werden. Hat dieser Wille jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden,
so ist er für die Auslegung nicht entscheidend. Ist in der Gesetzesberatung
insbesondere ein Antrag, das Gesetz sei im Sinne einer nunmehr vertretenen
Auslegungsmöglichkeit zu ergänzen, ausdrücklich abgelehnt worden, dann darf
diese Auslegungsmöglichkeit später nicht in Betracht gezogen werden (BGE 134 V
170 E. 4.1 S. 174 mit Hinweisen).

3.3 Verordnungsrecht ist gesetzeskonform auszulegen. Es sind die
gesetzgeberischen Anordnungen, Wertungen und der in der Delegationsnorm
eröffnete Gestaltungsspielraum mit seinen Grenzen zu
BGE 137 V 167 S. 171
berücksichtigen (BGE 128 V 20 E. 3a S. 24; BGE 126 V 468 E. 5a S. 472; BGE 122
V 85 E. 5a/aa S. 93).

3.4 Ausnahmebestimmungen sind weder restriktiv noch extensiv, sondern nach
ihrem Sinn und Zweck im Rahmen der allgemeinen Regelung auszulegen (BGE 130 V
229 E. 2.2 S. 233; BGE 118 Ia 175 E. 2d S. 179; BGE 117 Ib 114 E. 7c S. 121;
BGE 114 V 298 E. 3e S. 302; je mit Hinweisen; vgl. BGE 131 V 279 E. 2.4 S. 285;
BGE 130 V 472 E. 6.5.6 S. 478).

4.

4.1 Der deutsche Wortlaut von aArt. 22^quater Abs. 2 IVV wie auch von Art. 9
Abs. 2 IVG ist klar: Mindestens ein Elternteil muss versichert sein, und zwar
entweder freiwillig oder obligatorisch auf Grund der genannten Bestimmungen.
Das Argument der Beschwerdeführerin, der Passus "mindestens" beziehe sich nicht
nur auf "ein Elternteil", sondern auch "auf den Umstand der freiwilligen
Versicherung", und zwar in dem Sinne, dass eine obligatorische Versicherung
umso mehr genügen müsse, trifft offensichtlich nicht zu. In der Verordnung bzw.
im Gesetz hätte diesfalls eine viel einfachere Formulierung gewählt werden
können, wie etwa "sofern mindestens ein Elternteil versichert ist". Die
differenzierte Festlegung, nach welchen gesetzlichen Grundlagen ein Elternteil
obligatorisch versichert sein muss, hätte sich erübrigt. Zum gleichen Ergebnis
führt die Konsultation der Fassungen beider Bestimmungen in französischer
("pour autant que l'un de leurs parents soit assuré facultativement ou
obligatoirement au sens de l'art. 1a, al. 1, let. c, ou al. 3, LAVS"; "si l'un
de ses parents: a. est assuré facultativement; b. est assuré obligatoirement
pour une activité professionnelle exercée à l'étranger: 1. conformément à
l'art. 1a, al. 1, let. c, LAVS, 2. conformément à l'art. 1a, al. 3, let. a,
LAVS, 3. en vertu d'une convention internationale") und italienischer Sprache
("nella misura in cui almeno uno dei genitori sia assicurato facoltativamente o
obbligatoriamente in virtú dell'articolo 1a capoversi 1 lettera c o 3 LAVS";
"purché almeno uno dei genitori: a. sia assicurato facoltativamente; o b. sia
assicurato obbligatoriamente durante un'attività lucrativa esercitata
all'estero: 1. secondo l'articolo 1a capoverso 1 lettera c LAVS, 2. secondo
l'articolo 1a capoverso 3 lettera a LAVS, o 3. in virtù di una convenzione
internazionale").

4.2 Der Sinn und Zweck dieser Bestimmungen besteht darin, die für die Gewährung
von Eingliederungsmassnahmen erforderliche
BGE 137 V 167 S. 172
Versicherteneigenschaft (aArt. 22^quater Abs. 1 IVV; Art. 9 Abs. 1^bis IVG) zu
ersetzen, die ein versicherter Elternteil (z.B. ein der freiwilligen AHV/IV
angeschlossener Auslandschweizer oder ein der obligatorischen Versicherung
weiterhin angeschlossener Entsandter) auf Grund des Prinzips der
Individualversicherung (vgl. AHI 2004 S. 172, H 216/ 03 mit Hinweisen; dies im
Gegensatz zur Mit- oder Familienversicherung) seinem Kind nicht vermitteln kann
(ULRICH MEYER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 2. Aufl. 2010, S. 113
f. mit Hinweis auf EVGE 1962 S. 108). Die genannten obligatorisch Versicherten
(EDA-Mitarbeiter und Entsandte) haben häufig keine Wahlmöglichkeit zwischen der
Versicherung des Wohnlandes und der obligatorischen Weiterversicherung in der
Schweiz und deshalb meist auch keine Möglichkeit, ihre Kinder einer
ausländischen Sozialversicherung anzuschliessen (AHI 2002 S. 18).

4.3 In systematischer Hinsicht ist festzuhalten, dass Absatz 2 der Bestimmungen
die Ausnahmefälle zu Absatz 1 (Grundsatz des Erfordernisses der
Versicherungsunterstellung) regelt.

4.4 Entstehungsgeschichtlich zeigt sich, dass in der gemäss AS 2001 89 auf den
1. Januar 2001 (im Rahmen des Wegfalls der Versicherungsklausel) eingeführten
Bestimmung des Art. 22^quater Abs. 2 IVV bereits die Variante der freiwilligen
Versicherung mindestens eines Elternteils vorgesehen war. Rückwirkend auf den
1. Januar 2001 wurde die Bestimmung des Art. 22^quater Abs. 2 IVV sodann um die
obligatorische Versicherung mindestens eines Elternteils gemäss Art. 1 Abs. 1
lit. c oder Abs. 3 AHVG erweitert (AS 2002 200). Eine weitere - rein
redaktionelle - Anpassung erfolgte per 1. Januar 2003 (AS 2001 3721).
Den Erläuterungen zu den Änderungen der IVV auf den 1. Januar 2002 (darin
enthalten die Änderung von Art. 22^quater Abs. 2 IVV per 1. Januar 2001) in AHI
2002 S. 18 f. lässt sich entnehmen, dass die Bestimmung des Art. 22^quater IVV
im Zuge der Aufhebung der Versicherungsklausel mit Wirkung auf den 1. Januar
2001 (Art. 6 Abs. 1 IVG; zu den Auswirkungen hinsichtlich
Eingliederungsmassnahmen: Botschaft vom 28. April 1999 zur Änderung des
Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1999 4983
ff., 5012 Ziff. 222) eingeführt wurde, denn es mussten die
Anspruchsvoraussetzungen für Eingliederungsmassnahmen in der IV neu umschrieben
werden (AHI 2002 S. 17). Dabei sah der Verordnungsgeber mit Blick auf den von
ihm statuierten Grundsatz,
BGE 137 V 167 S. 173
wonach Eingliederungsmassnahmen frühestens ab Versicherungsunterstellung und
längstens bis Versicherungsende gewährt werden können, Handlungsbedarf
hinsichtlich der Rechtsstellung der Kinder, weil diese unter Umständen (z.B. in
der Schweiz geborenes Kind, das die Schweiz vor dem 5. Altersjahr verlässt,
oder im Ausland geborenes Kind) der freiwilligen Versicherung selber nicht
beitreten können, da diese mit der Revision der freiwilligen Versicherung
(Änderung des AHVG vom 23. Juni 2000) nur noch Personen offensteht, die vorher
während mindestens fünf Jahren obligatorisch versichert waren (Art. 2 Abs. 1
AHVG). Deshalb sah der Verordnungsgeber in aArt. 22^quater Abs. 2 IVV vor, dass
die freiwillige Versicherung eines Elternteils genüge. Eine Ausdehnung auf
Kinder eines obligatorisch versicherten Elternteils wollte der Verordnungsgeber
nach den Erläuterungen in AHI 2002 S. 18 bewusst nicht; zur Begründung führte
er an, dass Eingliederungsmassnahmen diesfalls auch an Kinder von Grenzgängern
gewährt werden müssten und dass die Ausdehnung den Grundsatz, dass
Eingliederungsmassnahmen nur ausnahmsweise im Ausland gewährt würden, zu stark
aushöhle und erhebliche Mehrkosten verursache (AHI 2002 S. 18).

4.5 Allerdings entschied das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil I 169/03 vom
12. Januar 2005, in: SVR 2005 IV Nr. 34 S. 125, dass die Nichtanwendung der
Ausnahmebestimmung des Art. 22^quater Abs. 2 IVV auf nicht der Versicherung
unterstellte schweizerische Staatsangehörige, deren Vater oder Mutter als
Grenzgänger in der Schweiz erwerbstätig und somit obligatorisch versichert
sind, mit dem Anspruch auf rechtsgleiche Behandlung nicht vereinbar sei. Der
Anwendungsbereich des Art. 22^quater Abs. 2 IVV sei dahingehend auszudehnen,
als das Recht auf medizinische Massnahmen - soweit diese in der Schweiz
durchgeführt werden - auch diesen Personen zuzuerkennen sei. Als entscheidend
für den rechtsgleichen Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen erachtete das
Gericht den Umstand, dass das Kind der freiwilligen Versicherung nicht
beitreten könne und die Eltern nicht die Möglichkeit hätten zu wählen, ob sie
bei der Versicherung im Wohnsitzstaat oder in der Schweiz versichert sein
wollen. Insofern bestehe exakt die gleiche Situation wie bei den in Art. 22^
quater Abs. 2 IVV genannten obligatorisch Versicherten.
Der diesem Urteil zu Grunde liegende Fall unterscheidet sich von dem hier zu
beurteilenden dadurch, dass die Versicherte und ihre Mutter sehr wohl die
Möglichkeit gehabt hätten, sich der
BGE 137 V 167 S. 174
freiwilligen Versicherung zu unterstellen und damit den Wegfall der
Anspruchsvoraussetzungen zu verhindern. Insofern besteht für die Ausdehnung des
Anwendungsbereichsvon aArt. 22^quater Abs. 2 IVV bzw. Art. 9 Abs. 2 IVG kein
Anlass. Aus demselben Grund ist auch dieBerufung auf den
Gleichbehandlungsgrundsatz von Art. 8 Abs. 1BV nicht stichhaltig, da sich die
Versicherte über ihre Mutter ohne weiteres hätte weiterhin versichern lassen
können.

4.6 Im Rahmen der 5. IV-Revision wurde die Bestimmung des aArt. 22^quater Abs.
2 IVV, obwohl im Urteil I 169/03 als zu eng empfunden, praktisch unverändert
auf Gesetzesstufe gehoben (Art. 9 Abs. 2 IVG, in Kraft seit 1. Januar 2008; BBl
2005 4561 Ziff. 2.1 ad Art. 9 IVG). In der Botschaft wird dazu festgehalten,
die Ausnahme gelte nur für die Kinder von freiwillig Versicherten und von
Personen, die während einer Beschäftigung im Ausland weiterhin obligatorisch in
der AHV/IV versichert bleiben (sog. Entsandte), während alle übrigen im Ausland
wohnhaften Kinder obligatorisch versicherter Eltern (wozu auch die Kinder von
Grenzgängern gehören) mangels Versicherungsunterstellung nicht in den Genuss
von Eingliederungsmassnahmen kommen könnten (BBl 2005 4562 Ziff. 2.1 ad Art. 9
Abs. 2 IVG). Dabei wurde in der Sitzung vom 10. November 2005 der
nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit das Urteil I
169/03 und die besondere Stellung der Grenzgänger zwar diskutiert, eine
Änderung gegenüber der bundesrätlichen Vorlage indessen ausdrücklich abgelehnt.
Man sprach sich bewusst gegen eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs aus
(Protokoll SKG-N vom 10. November 2005 S. 48 f.). Im Parlament wurde die
unverändert eng formulierte Bestimmung diskussionslos angenommen (AB 2006 N
349; 2006 S 603).

4.7 Nach dem Gesagten führt die Interpretation der beiden Ausnahmebestimmungen
von aArt. 22^quater Abs. 2 IVV und von Art. 9 Abs. 2 IVG zum klaren Ergebnis,
dass deren Anwendungsbereich nicht ausgedehnt werden und sich die
Beschwerdeführerin nicht darauf berufen kann.

4.8 Aus den von der Beschwerdeführerin weiter angerufenen Art. 3 und 23 des
Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes
(Kinderrechtskonvention, KRK; SR 0.107) ergibt sich nichts anderes. Art. 3 KRK
gilt als Leitgedanke, wobei sich der Bundesrat auch von anderen Überlegungen
als dem Kindeswohl leiten lassen darf (BGE 136 I 297 E. 8.2 S. 308). Das
Bundesgericht
BGE 137 V 167 S. 175
hat unter anderem die direkte Anwendbarkeit in Bezug auf die Bestimmungen des
Art. 23 KRK verneint (keine self-executing Norm, Urteil 8C_295/2008 vom 22.
November 2008 E. 4.2.1, in: SZS 210 S. 357).