Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 V 154



Urteilskopf

137 V 154

21. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen
IV-Stelle Schwyz (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_833/2010 vom 16. Mai 2011

Regeste

Art. 21 Abs. 5 ATSG; Art. 59 Abs. 1 und 4 StGB (in der ab 1. Januar 2007
gültigen Fassung); Sistierung der Rente der Invalidenversicherung während des
Vollzugs einer stationären therapeutischen Massnahme gemäss Art. 59 StGB.
Für die Rentensistierung gestützt auf Art. 21 Abs. 5 ATSG ist allein darauf
abzustellen, ob der stationäre Massnahmenvollzug gemäss Art. 59 StGB eine
Erwerbstätigkeit zulässt oder nicht. Von der Differenzierung einer gegenüber
der Sozialgefährlichkeit im Vordergrund stehenden Behandlungsbedürftigkeit -
als Hinderungsgrund einer Sistierung - ist abzusehen (Präzisierung der
Rechtsprechung; E. 6).

Sachverhalt ab Seite 155

BGE 137 V 154 S. 155

A. Die 1955 geborene S. bezieht wegen einer diagnostizierten
Borderline-Persönlichkeit (Differentialdiagnose: Schizophrenie) seit April 1985
eine ganze Rente der Invalidenversicherung (Verfügung vom 2. Dezember 1986).
Mit Urteil vom 27. Oktober 2004 verhängte das Kantonale Strafgericht Schwyz
über S. - unter Aufschub einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe - eine
stationäre Massnahme, welche das Gericht mit Beschluss vom 22. Oktober 2009 um
ein Jahr verlängerte. Der Vollzug der Massnahme erfolgte zuletzt in der Klinik
M. Nachdem die IV-Stelle Schwyz (nachfolgend: IV-Stelle) im Rahmen einer
Revision der Hilflosenentschädigung davon erfuhr, verfügte sie am 17. März 2010
die Sistierung der Rente der Invalidenversicherung mit sofortiger Wirkung.

B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Schwyz mit Entscheid vom 19. August 2010 ab.

C. S. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und
beantragen, es sei ihr, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sowie der
Verfügung vom 17. März 2010, weiterhin eine ganze Invalidenrente auszurichten.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, währenddem sich das
Bundesamt für Sozialversicherungen nicht vernehmen lässt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Streitig ist die Sistierung der seit 1985 ausgerichteten ganzen Rente der
Invalidenversicherung ab März 2010 zufolge der Verlängerung einer
strafrechtlich motivierten stationären therapeutischen Massnahme (Art. 21 Abs.
5 ATSG [SR 830.1]; Art. 43 Abs. 1 StGB in der bis 31. Dezember 2006 gültigen
Fassung, nachfolgend: aArt. 43 StGB; sowie Art. 59 StGB in der ab 1. Januar
2007 gültigen Fassung).

2.1 Das kantonale Gericht erwog, die Sistierung der Invalidenrente sei
zulässig, weil die stationäre Massnahme wegen der Sozialgefährlichkeit der
Versicherten angeordnet und verlängert worden sei. Dabei müsse die
Sozialgefährdung gegenüber einer allfälligen
BGE 137 V 154 S. 156
Behandlungsbedürftigkeit nicht notwendigerweise im Vordergrund stehen. Die
Beschwerdeführerin weise - auch ohne nähere Abklärung - eine nicht unerhebliche
Sozialgefährlichkeit auf.

2.2 Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, gemäss bundesgerichtlicher
Rechtsprechung sei die Invalidenrente während des stationären
Massnahmenvollzuges nur zu sistieren, falls die Sozialgefährlichkeit im
Verhältnis zur Behandlungsbedürftigkeit im Vordergrund stehe. Der angefochtene
Entscheid sei demzufolge auf der Grundlage einer falschen Rechtsauffassung
ergangen, und das kantonale Gericht habe keine Feststellungen zur
Behandlungsbedürftigkeit der Versicherten getroffen. Die Umstände, welche für
die Behandlungsbedürftigkeit sprächen, seien nicht beachtet worden und eine -
gebotene - Abwägung derselben zur Sozialgefährlichkeit habe nicht
stattgefunden. Dabei sei unter anderem von Bedeutung, dass sie bereits vor den
Straftaten seit Langem in psychiatrischer Behandlung gestanden habe und von
ärztlicher Seite eine dauerhafte Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik
diskutiert worden sei. Kurz vor der Tat habe sie die Einweisung in eine
psychiatrische Klinik verlangt, sei jedoch abgewiesen worden. Ferner sei die
strafrechtliche Tat Folge der psychischen Erkrankung und gemäss Gutachten des
Dr. med. B. vom 28. September 2009 gewähre allein die hohe Struktur der Klinik
M. die Stabilisierung derselben. Laut Expertise bestehe keine
Krankheitseinsicht und eine Verhaltensänderung habe nicht stattgefunden. Die
schwere psychische Störung sei nach wie vor behandlungsbedürftig.

3. Gemäss Art. 21 Abs. 5 ATSG kann die Auszahlung von Geldleistungen mit
Erwerbsersatzcharakter solange ganz oder teilweise eingestellt werden, als sich
die versicherte Person im Straf- oder Massnahmenvollzug befindet; ausgenommen
sind die Geldleistungen für Angehörige im Sinne von Abs. 3 der Bestimmung. Das
Bundesgericht hat sich verschiedentlich zur Zulässigkeit der Sistierung einer
Rente der Invalidenversicherung während des Vollzugs einer stationären
therapeutischen Massnahme im Sinne von aArt. 43 StGB und Art. 59 StGB (gültig
ab 1. Januar 2007) geäussert. Die Rechtsprechung zeigt ein uneinheitliches
Bild.

3.1 In einigen Entscheiden wurde eine Rentensistierung verneint, weil die
Behandlungsbedürftigkeit im Vordergrund stand: So erkannte das Eidg.
Versicherungsgericht im Urteil I 342/82 vom 11. März 1983 E. 2c, das Entstehen
einer Invalidität im Sinne des Gesetzes
BGE 137 V 154 S. 157
entscheide sich danach, ob die über die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe
hinaus bestehende Internierung in einer psychiatrischen Klinik wegen weiterer
Sozialgefährlichkeit notwendig war oder ob die Behandlungsbedürftigkeit den
hauptsächlichen Grund des fortdauernden Anstaltsaufenthaltes bildete. Im Urteil
I 45/94 vom 12. September 1994 E. 2b, in: SVR 1995 IV Nr. 35 S. 93 (vgl. auch
Urteil I 540/05 vom 5. Dezember 2005 E. 4.1) stützte sich das Eidg.
Versicherungsgericht zur Beurteilung der Zulässigkeit einer Rentensistierung
während des Vollzuges einer strafrechtlichen Massnahme auf diese
Rechtsprechung. Im konkreten Fall war der stationäre Aufenthalt in der
psychiatrischen Klinik zur Hauptsache durch die Behandlungsbedürftigkeit
bedingt. Die Sistierung der Invalidenrente war deshalb nur für die Dauer der
ausgesprochenen Gefängnisstrafe geboten und nicht darüber hinaus während des
Massnahmenvollzuges. Gleichermassen waren die Voraussetzungen zur Sistierung
der Invalidenrente laut BGE 129 V 211 E. 1.1 S. 216 nicht erfüllt, weil sich
die versicherte Person nicht wegen Sozialgefährlichkeit, sondern infolge klar
im Vordergrund stehender Behandlungsbedürftigkeit in einer Grossfamilie im
Erwachsenenmassnahmenvollzug befunden hat. Unter Bezugnahme auf BGE 129 V 211
hat die II. zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in BGE 133 III 185 E.
2.2.2 S. 187 den Anspruch auf Auszahlung von Krankentaggeldleistungen nach dem
Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag
(Versicherungsvertragsgesetz, VVG; SR 221.229.1) während einer Haft bejaht.

3.2 In anderen Entscheiden reichte das Vorliegen einer Sozialgefährlichkeit der
versicherten Person für eine Rentensistierung aus: Mit Urteil I 416/95 vom 30.
Juni 1997 E. 3b und 3c, in: AHI 1998 S. 182 qualifizierte das Eidg.
Versicherungsgericht die Rentenzahlungen während des Massnahmenvollzuges, wenn
die Sozialgefährlichkeit Grund der Einweisung in eine psychiatrische Klinik
war, als zweifellos unrichtig. Gemäss diesem Urteil setze die Rentensistierung
nicht eine im Vordergrund stehende Behandlungsbedürftigkeit voraus. Sie sei
vielmehr immer dann zulässig, wenn sich die versicherte Person wegen ihrer
Sozialgefährlichkeit einer stationären therapeutischen Massnahme unterziehen
müsse. Sodann erklärte das Bundesgericht mit Urteil 8C_864/2009 vom 23. April
2010 E. 3.1 die Sistierung einer Invalidenrente dann für rechtens, falls die
Sozialgefährlichkeit den Grund für die stationäre therapeutische Massnahme
bilde. Die Sozialgefährdung müsse gegenüber einer allenfalls
BGE 137 V 154 S. 158
auch vorhandenen Behandlungsbedürftigkeit nicht im Vordergrund stehen.

3.3 Ferner ist laut BGE 133 V 1 über den Wortlaut von Art. 21 Abs. 5 ATSG
hinaus die Invalidenrente auch während der Untersuchungshaft zu sistieren.
Massgeblich ist als ratio legis von Art. 21 Abs. 5 ATSG die Gleichbehandlung
der invaliden mit der validen inhaftierten Person, welche durch einen
Freiheitsentzug ihr Einkommen verliert. Anzuknüpfen ist gemäss Urteil an den
Charakter des Straf- oder Massnahmenvollzugs, und nur wenn die Vollzugsart der
verurteilten versicherten Person die Möglichkeit bietet, eine Erwerbstätigkeit
auszuüben und selber für die Lebensbedürfnisse aufzukommen, verbietet es sich,
den Rentenanspruch zu sistieren (BGE 133 V 1 E. 4.2.4.1 S. 6; BGE 116 V 20 E.
5a S. 22; BGE 113 V 273 E. 2b S. 277; Urteil 8C_736/2010 vom 22. Dezember 2010
E. 4.2).

4.

4.1 Laut aArt. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB konnte der Richter eine Einweisung in
eine Heil- oder Pflegeanstalt anordnen, wenn der Geisteszustand des Täters, der
eine vom Gesetz mit Zuchthaus oder Gefängnis bedrohte Tat begangen hat, die
damit im Zusammenhang steht, ärztliche Behandlung oder besondere Pflege
erforderte und sich dadurch die Gefahr weiterer mit Strafe bedrohter Taten
verhindern oder vermindern liess. Gemäss Satz 2 von aArt. 43 Ziff. 1 Abs. 1
StGB konnte der Richter eine ambulante Behandlung anordnen, sofern der Täter
für Dritte nicht gefährlich war. Eine Massnahme im Sinne von aArt. 43 Ziff. 1
Abs. 1 StGB kam nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bei Tätern zum Zug,
bei denen eine Therapie notwendig war (Spezialprävention), der Sicherungsaspekt
(Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern) jedoch deutlich zurücktrat,
sowie bei nicht gefährlichen Tätern, die lediglich einer ambulanten Massnahme
bedurften, sei es im Vollzug oder in der Freiheit (Urteil 6P.95/2003 vom 14.
August 2003 E. 9.1; Urteil 6S.386/2000 vom 1. September 2000 E. 3a und 3b, mit
einer Abgrenzung zur Verwahrung gemäss aArt. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB unter
Hinweis auf BGE 123 IV 100 E. 2 S. 102 sowie BGE 124 IV 246 E. 2b S. 247 und
BGE 120 IV 1 E. 2c S. 4). Das Verhältnis zwischen Rückfallgefahr,
Behandlungsbedürftigkeit und -fähigkeit spielte mithin bei der Frage eine
ausschlaggebende Rolle, ob eine therapeutische Massnahme, eine Freiheitsstrafe
oder allenfalls eine Verwahrung als Sanktion auszusprechen war.
BGE 137 V 154 S. 159

4.2 Gestützt auf die am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Änderung des Art. 59
Abs. 1 StGB, welche Bestimmung aArt. 43 StGB ersetzt (Urteil 6B_457/2007 vom
12. November 2007 E. 5.1; Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des
Schweizerischen Strafgesetzbuches [Allgemeine Bestimmungen, Einführung und
Anwendung des Gesetzes], BBl 1999 1979 ff., 2075 ff. Ziff. 213.421 ad Art. 59
StGB), kann das Gericht gegenüber einem psychisch schwer gestörten Täter eine
stationäre therapeutische Behandlung anordnen, wenn die Tat mit der psychischen
Störung in Zusammenhang steht und "zu erwarten ist, dadurch lasse sich der
Gefahr weiterer mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten
begegnen". Eine stationäre therapeutische Massnahme setzt folglich als erstes
voraus, dass der Täter überhaupt behandlungsfähig ist. Dies allein genügt
jedoch nicht. Erforderlich ist nach dem Wortlaut von Art. 59 Abs. 1 lit. b StGB
zudem, dass zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer Taten
begegnen. Gemäss Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB darf die stationäre therapeutische
Massnahme in der Regel höchstens fünf Jahre dauern. Daher muss grundsätzlich im
Zeitpunkt des Entscheids die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, durch
eine stationäre Behandlung lasse sich über die Dauer von fünf Jahren die Gefahr
weiterer mit der psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten deutlich
verringern. Sind die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach fünf
Jahren noch nicht gegeben und ist zu erwarten, durch die Fortführung der
Massnahme lasse sich der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters
in Zusammenhang stehender Verbrechen oder Vergehen begegnen, kann das Gericht
auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verlängerung der Massnahme um jeweils
höchstens fünf Jahre anordnen. Dies wird in der Botschaft des Bundesrates damit
begründet, dass gerade bei Geisteskranken mit chronischen Verläufen die
therapeutischen Bemühungen oft sehr viel länger dauern. Daher soll die
Massnahme nach Art. 59 StGB so oft verlängert werden können, als eine
Fortführung notwendig, geeignet und verhältnismässig erscheint. Diese
Verlängerung sei insbesondere für Behandlungen nach Art. 59 Abs. 3 angezeigt
(Botschaft, a.a.O., S. 2078 f. Ziff. 213.421 ad Art. 59 StGB; BGE 134 IV 315 E.
3.4.1 S. 321; Urteil 6B_784/2010 vom 2. Dezember 2010 E. 2.1).

4.3 Nach der strafrechtlichen Konzeption der stationären therapeutischen
Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB zielt diese Therapie auf die Beeinflussung
der Sozialgefährlichkeit und bezweckt nicht die Behandlung der psychischen
Störung als solche ohne
BGE 137 V 154 S. 160
Bezugnahme auf das künftige Wohlverhalten des Straftäters (erwähntes Urteil
6B_457/2007 E. 5.1; KILLIAS/KUHN/DONGOIS/AEBI, Grundriss des Allgemeinen Teils
des Schweizerischen Strafgesetzbuchs, 2009, Rz. 1506 und 1513). Demzufolge darf
die Massnahme nicht angeordnet oder verlängert werden und eine verhängte
Massnahme ist (bedingt) zu beenden (Art. 62 Abs. 1 StGB), falls mit
hinlänglicher Wahrscheinlichkeit feststeht, die Gefahr weiterer strafbarer
Handlungen bestehe nicht mehr (vgl. E. 4.2 hievor; MARIANNE HEER, in: Basler
Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2007, N. 23 zu Art. 62 StGB). Aus
strafrechtlicher Sicht ist dannzumal keine Behandlungsbedürftigkeit mehr
gegeben und die Beendigung der Massnahme gebietet das zu beachtende
Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 56 Abs. 2 und Art. 56a Abs. 1 StGB; HEER,
a.a.O., N. 51 zu Art. 59 StGB; Urteil 6B_798/2010 vom 6. Januar 2011 E. 1.5.4;
erwähntes Urteil 6B_784/2010 E. 2.2.5). Die stationäre therapeutische Massnahme
muss mit anderen Worten geeignet und erforderlich sein, die Rückfallgefahr zu
beeinflussen (STRATENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch,
Handkommentar, 2. Aufl. 2009, N. 9 zu Art. 56 StGB). Die Notwendigkeit,
Intensität und die Dauer einer strafrechtlich angeordneten stationären Therapie
bestimmt sich folglich von Gesetzes wegen wesentlich nach der Ausprägung der
Sozialgefährlichkeit (vgl. E. 4.2 in fine). Eine bei gegebener
Behandlungsfähigkeit abnehmende Rückfallgefahr geht mit Blick auf die
Zulässigkeitsvoraussetzungen der stationären Massnahme zwangsläufig mit einer
in diesem Umfang verminderten Behandlungsbedürftigkeit einher. Strafrechtlich
betrachtet wird die Behandlungsbedürftigkeit im Massnahmenvollzug somit primär
von der Sozialgefährlichkeit bzw. von der Einschätzung, ob die Rückfallgefahr
minimiert werden könne, bestimmt. Es macht daher wenig Sinn,
sozialversicherungsrechtlich danach zu fragen, ob bei einer versicherten
Person, die im Massnahmenvollzug ist, die Behandlungsbedürftigkeit oder
alternativ die Sozialgefährlichkeit überwiege.
In diesem Lichte betrachtet kann die Zulässigkeit der Sistierung einer
Invalidenrente während der Dauer einer stationären therapeutischen Massnahme
gemäss Art. 59 StGB nicht davon abhängig gemacht werden, ob
Behandlungsbedürftigkeit oder Sozialgefährlichkeit überwiegt.

5.

5.1 Eine andere Sichtweise gebietet auch die ratio legis von Art. 21 Abs. 5
ATSG nicht. Danach bezweckt die Bestimmung die
BGE 137 V 154 S. 161
Gleichbehandlung der invaliden mit der validen inhaftierten Person, welche
durch einen Freiheitsentzug ihr Einkommen verliert. Entscheidend ist, dass eine
verurteilte Person wegen der Verbüssung einer Strafe oder Massnahme an einer
Erwerbstätigkeit gehindert wird. Nur wenn die Vollzugsart der verurteilten
versicherten Person die Möglichkeit bietet, eine Erwerbstätigkeit auszuüben und
somit selber für die Lebensbedürfnisse aufzukommen, verbietet es sich, den
Rentenanspruch zu sistieren. Massgebend für eine Sistierung der
Rentenleistungen eines Invaliden ist somit, ob eine nicht invalide Person in
der gleichen Situation durch den Freiheitsentzug einen Erwerbsausfall erleiden
würde (BGE 133 V 1 E. 4.2.4.1 S. 6 f.; BGE 116 V 20 E. 3b und 5b S. 21 und 22;
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 416/95 vom 30. Juni 1997 E. 2a, in:
AHI 1998 S. 182).

5.2 Während der stationären Massnahme nach Art. 59 StGB befindet sich der
Straftäter oder die Straftäterin in der gleichen Situation wie diejenige
Person, welche eine Haftstrafe verbüsst oder eine Untersuchungshaft absitzt. In
diesen Fällen verunmöglicht der Freiheitsentzug die Ausübung einer
Erwerbstätigkeit. Auf das Verhältnis zwischen Sozialgefährdung und
Behandlungsbedürftigkeit kann es daher nicht ankommen, und aus
Rechtsgleichheitsgründen ist die Invalidenrente bis zum Ende des stationären
Aufenthalts in einer Klinik und dem damit begründeten Freiheitsentzug zu
sistieren. Es kann auch nicht von Belang sein, ob - namentlich infolge
erfolgreicher Behandlung - die Rückfallgefahr während des Vollzugs einer
stationären Massnahme sich erheblich vermindert oder entfällt. Der Invalide wie
der Nichtinvalide muss bis zur (bedingten) Entlassung aus der strafrechtlichen
Massnahme stationär in der Klinik verbleiben (Art. 90 Abs. 4 StGB i.V.m. Art.
84 StGB; Art. 56 Abs. 6, Art. 62 Abs. 1 und Art. 62b Abs. 2 StGB; KILLIAS/KUHN/
DONGOIS/AEBI, a.a.O., Rz. 1507). Auch in dieser Hinsicht besteht kein Grund,
die Sistierung von einer gegenüber der Behandlungsbedürftigkeit im Vordergrund
stehenden Sozialgefährlichkeit abhängig zu machen.

6. Die Rechtsprechung ist demnach dahingehend zu präzisieren, dass für die
Rentensistierung gestützt auf Art. 21 Abs. 5 ATSG allein darauf abzustellen
ist, ob der stationäre Massnahmenvollzug gemäss Art. 59 StGB eine
Erwerbstätigkeit zulässt oder nicht. Von der Differenzierung einer gegenüber
der Sozialgefährlichkeit im Vordergrund stehenden Behandlungsbedürftigkeit -
als Hinderungsgrund einer Sistierung - ist abzusehen. Dazu hat die II.
sozialrechtliche
BGE 137 V 154 S. 162
Abteilung die Zustimmung der I. sozialrechtlichen Abteilung eingeholt (Art. 23
BGG).

7. Zufolge der mit Beschluss vom 22. Oktober 2009 des Kantonalen Strafgerichts
Schwyz um ein Jahr verlängerten stationären Massnahme (Art. 59 Abs. 4 StGB),
welche die Ausübung einer erwerblichen Tätigkeit nicht erlaubt, verfügte die
IV-Stelle mit Recht die sofortige Sistierung der Invalidenrente. Der
angefochtene Entscheid hält der Prüfung stand.