Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 V 1



Urteilskopf

137 V 1

1. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. M. gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
8C_303/2009 vom 14. Dezember 2010

Regeste

Art. 14a Abs. 1 und 2 IVG; Art. 4^quater Abs. 1 und 2 IVV;
Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung,
sozialberufliche Rehabilitation.
Eine unterschiedliche Behandlung von körperlich und psychisch in ihrer
Arbeitsfähigkeit eingeschränkten Versicherten in Bezug auf die Durchführung von
Integrationsmassnahmen findet keine Stütze in Gesetz und Verordnung und lässt
sich auch nicht aus Sinn und Zweck der im Rahmen der 5. IV-Revision in Kraft
gesetzten Regelung ableiten (E. 5).

Regeste

Art. 14a Abs. 1 und 2 IVG; Art. 6 ATSG; Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung
auf die berufliche Eingliederung, Arbeitsunfähigkeit.
Der Anspruch auf Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche
Eingliederung im Sinne von Art. 14a Abs. 1 IVG setzt eine mindestens 50%ige
Arbeitsunfähigkeit nicht nur im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich (Art. 6
Satz 1 ATSG), sondern auch in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich (Art. 6
Satz 2 ATSG) voraus (E. 7).

Sachverhalt ab Seite 2

BGE 137 V 1 S. 2

A. Der 1959 geborene M. war seit 9. September 1988 für die Bauunternehmung X.
AG als Bauarbeiter tätig und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen
BGE 137 V 1 S. 3
die Folgen von Unfällen versichert. Am 28. November 2000 stürzte er mit dem
Fahrrad und zog sich eine unwesentlich dislozierte Abrissfraktur des Tuberculum
majus links sowie eine Partialruptur der Supraspinatussehne links zu. Er nahm
seine Beschäftigung am 4. September 2001 wieder auf. Die X. AG kündigte das
Arbeitsverhältnis per 31. August 2002. Seither geht M. keiner Erwerbstätigkeit
mehr nach. Mit Verfügung vom 31. Oktober 2002 sprach ihm die SUVA ab 1.
November 2002 eine Invalidenrente, basierend auf einer Erwerbsunfähigkeit von
12 %, zu. Am 5. November 2004 erlitt M. bei einem weiteren Sturz mit dem
Fahrrad eine nicht dislozierte Radiusköpfchenfraktur am linken Arm. Die SUVA
stellte die Taggeldleistungen für dieses zweite Unfallereignis mit Verfügung
vom 3. April 2008 auf den 30. September 2007 ein und hielt fest, dass die
bisherige, einer Erwerbsunfähigkeit von 12 % entsprechende Rente unverändert
bleibe.
Am 14. September 2005 meldete sich M. zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung (Umschulung auf eine neue Tätigkeit, Arbeitsvermittlung,
Rente) an. Mit Schreiben vom 11. Dezember 2007 ersuchte er zudem um Einleitung
von Integrationsmassnahmen ab Anfang des Jahres 2008. Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich (nachfolgend:
IV-Stelle) einen Anspruch auf Integrationsmassnahmen, wies aber darauf hin,
dass eine Unterstützung bei der Arbeitsvermittlung möglich sei, sofern M. mit
der Einschätzung der Restarbeitsfähigkeit (100 % in einer
behinderungsadaptierten Verweistätigkeit) einverstanden sei (Verfügung vom 26.
Mai 2008).

B. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich lehnte die dagegen
erhobene Beschwerde ab und auferlegte M. die Gerichtskosten in der Höhe von Fr.
1'000.- (Entscheid vom 27. Februar 2009).

C. M. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem
Antrag, es seien ihm Integrationsmassnahmen zuzusprechen und die Gerichtskosten
im kantonalen Verfahren seien auf einen Betrag von maximal Fr. 577.- zu
reduzieren.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliessen auf
Abweisung der Beschwerde.

D. Die I. und II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts haben am 18.
November 2010 eine gemeinsame Sitzung gemäss Art. 23 BGG abgehalten.
BGE 137 V 1 S. 4

E. Am 14. Dezember 2010 hat die I. sozialrechtliche Abteilung des
Bundesgerichts eine öffentliche Beratung durchgeführt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Am 1. Januar 2008 sind die Änderungen vom 6. Oktober 2006 des Bundesgesetzes
über die Invalidenversicherung (IVG) und (neben weiteren) des Bundesgesetzes
vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts
(ATSG; SR 830.1) in Kraft getreten (5. IV-Revision, AS 2007 5129 ff.). Es
stehen Integrationsmassnahmen für die Zeit ab Anfang des Jahres 2008 im Streit
und die dazu ergangene massgebende Verfügung datiert vom 26. Mai 2008, so dass
im vorliegenden Fall die ab 1. Januar 2008 geltenden Bestimmungen zur Anwendung
gelangen (vgl. BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220 mit Hinweisen; ERWIN MURER,
Invalidenversicherung: Prävention, Früherfassung und Integration, 2009, N. 27
zu Art. 3a-c IVG; Urteil 8C_419/2009 vom 3. November 2009 E. 3.1; vgl. auch
Rundschreiben des BSV Nr. 253 vom 12. Dezember 2007 [5. IV-Revision und
Intertemporalrecht]).

3.1 Invalide oder von einer Invalidität bedrohte Versicherte haben Anspruch auf
Eingliederungsmassnahmen, soweit diese notwendig und geeignet sind, die
Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen,
wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern, und soweit die
Voraussetzungen für den Anspruch auf die einzelnen Massnahmen erfüllt sind
(Art. 8 Abs. 1 IVG). Die Eingliederungsmassnahmen bestehen unter anderem in
Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung und in
den Massnahmen beruflicher Art selber (Berufsberatung, erstmalige berufliche
Ausbildung, Umschulung, Arbeitsvermittlung, Kapitalhilfe; Art. 8 Abs. 3 lit. a^
bis und b IVG).

3.2 Der Gesetzgeber hat gezielte, auf die berufliche Eingliederung gerichtete
Massnahmen zur sozialberuflichen Rehabilitation (Gewöhnung an den
Arbeitsprozess, Förderung der Arbeitsmotivation, Stabilisierung der
Persönlichkeit, Einüben sozialer Grundfähigkeiten) und Beschäftigungsmassnahmen
(Aufrechterhaltung einer Tagesstruktur für die Zeit bis zum Beginn von
Massnahmen beruflicher Art oder bis zu einem Stellenantritt auf dem freien
Arbeitsmarkt) in den gesetzlichen Leistungskatalog aufgenommen (Art. 14a Abs. 2
IVG; Art. 4^quinquies IVV [SR 831.201]; Botschaft vom 22. Juni 2005
BGE 137 V 1 S. 5
zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [5. Revision],
BBl 2005 4523 und 4564; Kreisschreiben des BSV über die Integrationsmassnahmen
[KSIM], gültig ab 1. Januar 2008, Rz. 9 ff. sowie Anhang 1 [www.bsv.admin.ch/
vollzug]; BIGOVIC-BALZARDI/FREI/WAYLAND BIGLER, Die 5. IV-Revision vor der
Differenzbereinigung, Soziale Sicherheit [CHSS] 2006 S. 209 ff.). Die
Integrationsmassnahmen sollen die Lücke schliessen zwischen sozialer und
beruflicher Integration (Rz. 1 KSIM; MURER, a.a.O., N. 5 zu Art. 14a IVG). Nach
Art. 14a Abs. 1 IVG haben Versicherte, die seit mindestens sechs Monaten zu
mindestens 50 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) sind, Anspruch auf
Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung,
sofern dadurch die Voraussetzungen für die Durchführung von Massnahmen
beruflicher Art geschaffen werden können. Der Anspruch setzt ausserdem die
Fähigkeit der Versicherten voraus, eine Präsenzzeit von mindestens zwei Stunden
täglich während mindestens vier Tagen pro Woche zu absolvieren (Art. 4^quater
Abs. 1 IVV). Anspruch auf Massnahmen zur sozialberuflichen Rehabilitation haben
Versicherte, die in Bezug auf Massnahmen beruflicher Art noch nicht
eingliederungsfähig sind (Art. 4^quater Abs. 2 IVV).

4.

4.1 Die IV-Stelle verneint einen Anspruch auf Integrationsmassnahmen, weil die
zumutbare Restarbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in einer
behinderungsadaptierten Verweistätigkeit nicht eingeschränkt sei. Die
Eingliederungsfähigkeit sei vorhanden, womit Integrationsmassnahmen zur
Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung nicht notwendig seien.

4.2 Das kantonale Gericht ist der Auffassung, aus der Entstehungsgeschichte wie
auch aus dem Sinn und Zweck der Einführung von Integrationsmassnahmen (im
Rahmen der 5. IV-Revision) ergebe sich eindeutig, dass ein diesbezüglicher
Anspruch auf versicherte Personen abziele, deren Arbeitsfähigkeit psychisch
bedingt reduziert sei. Auch wenn der Anspruch nicht ausdrücklich auf diese
Zielgruppe beschränkt worden sei, sei klar ersichtlich, dass nicht alle
Personen, welche die Voraussetzungen des Art. 14a Abs. 1 IVG und des Art. 4^
quater Abs. 1 IVV erfüllen, in den Genuss von Integrationsmassnahmen kommen
sollen. Psychisch in ihrer Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkte Personen, bei
welchen die Zumutbarkeit einer Verweistätigkeit medizinisch ausgewiesen sei,
müssten grundsätzlich als eingliederungsfähig gelten. Fest stehe jedenfalls,
dass
BGE 137 V 1 S. 6
Integrationsmassnahmen (für diese Personengruppe) nur in Ausnahmefällen
durchzuführen seien und die direkte Eingliederung den Regelfall bilde. Im
vorliegenden Fall gebe es gemäss Beurteilung des Dr. med. W., Regionaler
Ärztlicher Dienst (RAD), keine Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung
invalidisierenden Ausmasses. Dieser Einschätzung sei ohne weiteres zu folgen,
womit der Versicherte eingliederungsfähig sei. Der Umstand, dass der
Beschwerdeführer zuerst das Vertrauen aufbauen müsse, den linken Arm
entsprechend der objektiven (ärztlichen) Beurteilung einzusetzen, beschlage die
objektiv-medizinische Frage der Zumutbarkeit und keinen sozialberuflichen
Aspekt.

4.3 Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, er erfülle die Voraussetzungen des
Art. 14a IVG, weshalb der Anspruch auf Integrationsmassnahmen zu bejahen sei.
Er leide an einer somatoformen Schmerzstörung, welche zwar für die Festlegung
der Rente irrelevant sei. Wesentlich sei im vorliegenden Zusammenhang aber,
dass eine - psychische - Krankheit im medizinischen Sinne vorliege, welche zu
einer Instabilität führe, die es ihm nicht erlaube, den direkten Einstieg in
die freie Wirtschaft zu finden. Die Integrationsmassnahmen seien dazu da, die
psychosozialen Probleme zu beheben, welche nicht zu einer Erwerbsunfähigkeit im
Sinne des IVG führten, aber dennoch der Grund dafür seien, dass die versicherte
Person den Weg in den Arbeitsprozess nicht bewältigen könne.

4.4 Nach Ansicht des BSV bildet die alleinige Tatsache, dass eine versicherte
Person nicht in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtigt sei, keinen Grund,
Integrationsmassnahmen abzulehnen, auch wenn psychisch beeinträchtigte Personen
ursprünglich im Rahmen der Gesetzesarbeiten die eigentliche Zielgruppe für
solche Eingliederungsvorkehren gewesen seien. In casu seien allerdings keine
Integrationsmassnahmen durchzuführen, weil der Versicherte in einer seiner
gesundheitlichen Beeinträchtigung angepassten Beschäftigung zu 100 %
arbeitsfähig sei. Damit bestehe direkt Anspruch auf Arbeitsvermittlung gemäss
Art. 18 IVG ohne vorgängige Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung im
Sinne von Art. 14a IVG.

5.

5.1 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem
Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis
einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung
hat sich vom
BGE 137 V 1 S. 7
Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt,
sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz.
Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge,
ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das
Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich
ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Ordnung zu
unterstellen. Die Gesetzesmaterialien können beigezogen werden, wenn sie auf
die streitige Frage eine klare Antwort geben (BGE 135 III 112 E. 3.3.2 S. 116;
BGE 135 V 50 E. 5.1 S. 53, BGE 135 V 232 E. 2.2 S. 234; BGE 134 II 308 E. 5.2
S. 311).

5.2 Das kantonale Gericht weist zu Recht darauf hin, dass der Anspruch auf
Integrationsmassnahmen durch Art. 14a Abs. 1 IVG und Art. 4^quater Abs. 1 IVV -
ausgehend vom Wortlaut der Bestimmungen - nicht auf versicherte Personen
beschränkt ist, deren Arbeitsfähigkeit infolge psychischer Beschwerden
herabgesetzt ist. Es nimmt aber dennoch an, dass nicht alle Personen, welche
die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, in den Genuss von Integrationsmassnahmen
kommen sollen. Nach Ansicht der Vorinstanz muss bei aus psychischen Gründen in
ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkten Versicherten die fehlende
Eingliederungsfähigkeit vermutet werden, während umgekehrt die übrigen
versicherten Personen grundsätzlich als eingliederungsfähig gelten sollen.
Solches lässt sich allerdings weder aus der ratio legis noch aus den im
angefochtenen Gerichtsentscheid angeführten Quellen ableiten, wie sich
nachfolgend zeigt.

5.2.1 Laut Botschaft zielen die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die
berufliche Eingliederung und die mit der 5. IV-Revision erfolgte Ausweitung
bestehender Massnahmen beruflicher Art nicht nur auf die - stark zunehmende -
Gruppe von psychisch kranken Personen ab, sondern sollen namentlich auch
beruflich unqualifizierten Versicherten dienen, welche in einer
behinderungsangepassten leichten Hilfstätigkeit voll arbeitsfähig sind (BBl
2005 4521 f.). Es ist in diesem Zusammenhang nirgends von einer (wie auch immer
ausgestalteten) Vorrangstellung von psychisch kranken Versicherten die Rede.
Vielmehr wird wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die Optimierung der
Instrumente für die berufliche Eingliederung sowohl für beruflich
unqualifizierte Hilfskräfte als auch für psychisch kranke Personen von grosser
Bedeutung sei (BBl 2005 4521 und 4522).
BGE 137 V 1 S. 8

5.2.2 Als Zielgruppe der Integrationsmassnahmen werden in der parlamentarischen
Beratung zum neuen Art. 14a IVG "insbesondere" (Kommissionssprecherin
Forster-Vannini, AB 2006 S 603), in den Erläuterungen des BSV zu den (im Rahmen
der 5. IV-Revision notwendigen) IVV-Änderungen vom 28. September 2007 sogar
einzig Versicherte erwähnt, welche aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung
in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sind. Das BSV merkt zu Art. 4^quater
Abs. 1 IVV an, gerade für die Durchführung der Massnahmen zur sozialberuflichen
Rehabilitation, die auf Versicherte mit psychischen Problemen ausgerichtet
seien, sei es sehr wichtig, eine regelmässige Anwesenheit vorzusehen (S. 4 der
Erläuterungen; vgl. auch MURER, a.a.O., N. 4 zu Art. 14a IVG).
Die Annahme der Vorinstanz, dass bei den Vorarbeiten zu den
Integrationsmassnahmen psychisch beeinträchtigte Personen im Fokus der
gesetzgeberischen Bemühungen standen, mag daher zutreffen. Daraus eine
generelle Vermutung abzuleiten, psychisch gesunde, aber aus körperlicher Sicht
eingeschränkte Versicherte seien eingliederungsfähig, ist jedoch gleichwohl
nicht zulässig. Auch das BSV geht in seiner im vorliegenden Verfahren
letztinstanzlich eingereichten Vernehmlassung davon aus, dass
Integrationsmassnahmen nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden
könnten, die versicherte Person sei nicht in ihrer psychischen Gesundheit
beeinträchtigt, falls alle anderen Anspruchsvoraussetzungen gegeben seien.

5.2.3 Das kantonale Gericht zitiert schliesslich das KSIM, welches
Integrationsmassnahmen insbesondere bei versicherten Personen mit psychisch
bedingter Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bejahe.
Tatsächlich weist das Kreisschreiben verschiedentlich darauf hin, dass
Integrationsmassnahmen "hauptsächlich" das Erreichen der
Eingliederungsfähigkeit bei Personen zum Ziel haben, welche "insbesondere" aus
psychischen Gründen zu weniger als 50 % arbeitsfähig sind (Rz. 1, 2 und 5
KSIM). Diese Formulierung schliesst aber nicht aus, dass daneben auch Personen
Anspruch auf Integrationsmassnahmen haben können, welche aus anderen als aus
psychischen Gründen in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sind.
Konkretisierungen in Verwaltungsweisungen richten sich grundsätzlich nur an die
Durchführungsstellen und sind für das Sozialversicherungsgericht nicht
verbindlich. Indes berücksichtigt das Gericht die Kreisschreiben insbesondere
dann und weicht nicht ohne triftigen Grund davon ab, wenn sie eine dem
Einzelfall angepasste und gerecht werdende
BGE 137 V 1 S. 9
Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen und eine
überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben enthalten. Dadurch trägt
es dem Bestreben der Verwaltung Rechnung, durch interne Weisungen eine
rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten. Auf dem Weg von
Verwaltungsweisungen dürfen aber keine über Gesetz und Verordnung
hinausgehenden Einschränkungen eines materiellen Rechtsanspruchs eingeführt
werden (BGE 132 V 121 E. 4.4 S. 125 mit Hinweisen). Soweit im vorliegend
angefochtenen Gerichtsentscheid demzufolge aus dem KSIM in Bezug auf
Integrationsmassnahmen eine Vorzugsstellung psychisch behinderter Personen (im
Vergleich zu körperlich eingeschränkten Versicherten) abgeleitet wird, kann der
Vorinstanz nicht gefolgt werden, da diese Interpretation eine Verschlechterung
der Rechtsstellung von aus physischen Gründen in ihrer Arbeitsfähigkeit
eingeschränkten Personen hinsichtlich ihres Anspruchs auf
Integrationsmassnahmen zur Folge hätte, welche in den anwendbaren Bestimmungen
nicht vorgesehen ist.

5.3 Eine unterschiedliche Behandlung von körperlich und psychisch in ihrer
Arbeitsfähigkeit eingeschränkten Versicherten in Bezug auf die Durchführung von
Integrationsmassnahmen findet demgemäss keine Stütze in Gesetz und Verordnung
und lässt sich auch nicht aus Sinn und Zweck der neuen Regelung ableiten. Im
Gegenteil sollen die Versicherten, welche die Anspruchsvoraussetzungen
erfüllen, "niederschwellig" in den Genuss von Integrationsmassnahmen kommen, um
sie zu befähigen, die berufliche Eingliederung überhaupt anzutreten und diese
mit einer besseren Chance auf Erfolg zu absolvieren (BBl 2005 4523; Rz. 1 KSIM;
MURER, a.a.O., N. 4 zu Art. 14a IVG). Die eingrenzende Interpretation des
kantonalen Gerichts widerspricht diesem Ziel.

6. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der Anspruch des
Beschwerdeführers auf Integrationsmassnahmen entgegen der Ansicht des
kantonalen Gerichts nicht bereits deshalb abgelehnt werden kann, weil im
angefochtenen Entscheid davon ausgegangen wird, der Versicherte sei nicht aus
psychischen Gründen, sondern wegen körperlicher Beschwerden in der
Arbeitsfähigkeit eingeschränkt.

7.

7.1 Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer in seiner angestammten
Tätigkeit als Bauarbeiter seit Jahren zu 100 % arbeitsunfähig ist. Die
IV-Stelle nimmt an, dass in einer dem
BGE 137 V 1 S. 10
Gesundheitszustand angepassten Beschäftigung ein ganztägiger Einsatz möglich
sei. Das kantonale Gericht bestätigt gestützt auf die Akten, eine
Verweistätigkeit sei vollumfänglich zumutbar. Der Beschwerdeführer bringt
nichts vor, was diese Feststellung als bundesrechtswidrig erscheinen liesse;
sie wird nicht einmal ausdrücklich bestritten. Sie beruht auf dem überzeugenden
kreisärztlichen Abschlussuntersuchungsbericht vom 20. Juni 2007 (mit Ergänzung
vom 24. Juli 2007), wonach eine den Einschränkungen am linken Arm Rechnung
tragende Beschäftigung ganztags ausgeübt werden könne, und der
RAD-Stellungnahme vom 20. Dezember 2007, in welcher bei fehlenden Hinweisen auf
eine eigenständige psychische Erkrankung eine 100%ige Arbeitsfähigkeit in einer
angepassten Tätigkeit angegeben wird. Die Sachverhaltsfeststellung der
Vorinstanz kann unter diesen Umständen jedenfalls nicht als offensichtlich
unrichtig bezeichnet werden, weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich ist
(Art. 105 BGG; nicht publ. E. 1).

7.2 Art. 14a Abs. 1 IVG verweist für den Begriff der Arbeitsunfä-higkeit auf
Art. 6 ATSG. Arbeitsunfähigkeit ist gemäss dieser Bestimmung die durch eine
Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit
bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder
Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten (Art. 6 Satz 1 ATSG). Bei langer
Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder
Aufgabenbereich berücksichtigt (Art. 6 Satz 2 ATSG; zur langen Dauer: ULRICH
MEYER-BLASER, Der Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit und seine Bedeutung in
der Sozialversicherung namentlich für den Einkommensvergleich in der
Invaliditätsbemessung, in: Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, 2003, S. 39 ff.;
UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 17 ff. zu Art. 6 ATSG).

7.2.1 Es ist fraglich, ob der Anspruch auf Integrationsmassnahmen im Sinne von
Art. 14a Abs. 1 IVG eine mindestens seit sechs Monaten bestehende, mindestens
50%ige Arbeitsunfähigkeit nur (aber immerhin) im bisherigen Beruf oder
Aufgabenbereich voraussetzt (Art. 6 Satz 1 ATSG), oder ob auch eine (mindestens
50%ige) Arbeitsunfähigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich (Art. 6
Satz 2 ATSG) vorhanden sein muss.
Nach dem Wortlaut des Art. 14a Abs. 1 IVG (E. 3.2 hiervor) betrifft der Verweis
auf Art. 6 ATSG die ganze Norm, nicht nur Art. 6 Satz 1 ATSG.
BGE 137 V 1 S. 11

7.2.2 Art. 14a IVG wurde in der 5. IV-Revision ins Gesetz eingefügt. Er befand
sich mitsamt dem Klammerhinweis auf Art. 6 ATSG bereits im bundesrätlichen
Entwurf (BBl 2005 4609) und wurde in der Botschaft folgendermassen kommentiert
(BBl 2005 4563 f.):
"Art. 14a (neu)
Mit diesem Artikel werden die neuen Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf
die berufliche Eingliederung im IVG eingeführt.
Absatz 1 regelt die besonderen Anspruchsvoraussetzungen. Diese Massnahmen
sollen Versicherten zugesprochen werden, deren massgebender Gesundheitsschaden
eine Art und Schwere erreicht, welche die bisherige Arbeitstätigkeit in einem
Umfang von mindestens 50 Prozent einschränkt und dies seit mindestens 6
Monaten. Diese Anspruchsvoraussetzungen lassen sich ziemlich rasch und genau
abklären.
Die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung
sind darauf gerichtet, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, um
Massnahmen beruflicher Art durchzuführen. So muss auch eine Notwendigkeit der
entsprechenden Massnahme ausgewiesen sein, was bedeutet, dass eine
Integrationsmassnahme zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung nur
dann in Betracht fällt, wenn ohne sie eine berufliche Eingliederung gar nicht
möglich wäre."
Der zweite Absatz dieser Begründung lässt darauf schliessen, dass nur die
Einschränkung in der bisherigen Arbeitstätigkeit gemeint ist (ebenso: BBl 2005
4523). Aus dem dritten Absatz folgt aber das Gegenteil: Besteht nämlich eine
uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit in einer zumutbaren anderen Tätigkeit im
Sinne von Art. 6 Satz 2 ATSG, so ist eine berufliche Eingliederung (in eine
andere Tätigkeit) ohne weiteres möglich; Integrationsmassnahmen zur
Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung sind gar nicht nötig und fallen
demzufolge ausser Betracht. In der Bundesversammlung wurde nur über die
erforderliche Dauer (zwei oder sechs Monate) diskutiert (AB 2006 N 352 ff.),
nicht aber über die Art der Arbeitsunfähigkeit.

7.2.3 In wörtlicher Auslegung des Gesetzes haben versicherte Personen, welche
in einer angepassten Beschäftigung arbeitsfähig sind, direkt Anspruch auf die
(mit der 5. IV-Revision ausgeweiteten) beruflichen Eingliederungsmassnahmen und
bedürfen vorgängig keiner Integrationsmassnahme. Hätte der Gesetzgeber nur die
Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich gemeint, so hätte
er wohl ausdrücklich nur auf Satz 1 des Art. 6 ATSG, welcher klarerweise zwei
Sätze mit unterschiedlicher Bedeutung enthält, verwiesen. Dieses Ergebnis,
welches sich auf den Wortlaut der Norm stützt, entspricht auch der Systematik
und der ratio legis: Art. 14a
BGE 137 V 1 S. 12
Abs. 1 IVG ist im Zusammenhang mit Art. 14a Abs. 2 IVG zu sehen, wonach als
Integrationsmassnahmen gezielte, auf die berufliche Eingliederung gerichtete
Massnahmen zur sozialberuflichen Rehabilitation (lit. a) und
Beschäftigungsmassnahmen (lit. b) gelten. Es geht darum, bei denjenigen
Versicherten, die aktuell nicht eingliederungsfähig sind oder deren
Eingliederungsfähigkeit verloren zu gehen droht, die Eingliederungsfähigkeit
herzustellen oder zu erhalten (BBl 2005 4521 ff., 4564; MURER, a.a.O., N. 4 und
31 zu Art. 14a IVG; SILVIA BUCHER,Die Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung
auf die berufliche Eingliederung nach Art. 14a IVG, in: Soziale Sicherheit -
Soziale Unsicherheit, Festschrift für Erwin Murer zum 65. Geburtstag, 2010, S.
111). Ist aber jemand in einer anderen zumutbaren Tätigkeit arbeitsfähig, so
ist er (in dieser anderen Tätigkeit) bereits eingliederungsfähig; er braucht
keine Integrationsmassnahmen mehr, um die Eingliederungsfähigkeit herzustellen
(anderer Meinung: BUCHER, a.a.O., S. 104). Es gibt keinen Grund, Massnahmen zur
Ermöglichung einer beruflichen Eingliederung durchzuführen, wenn auch ohne
solche Massnahmen eine berufliche Eingliederung bereits umgesetzt werden kann.

7.2.4 Insgesamt sind demgemäss keine Auslegungselemente ersichtlich, welche
eine Abweichung vom klaren Gesetzeswortlaut nahelegen würden.

7.3 Da der Beschwerdeführer in einer Verweistätigkeit zu 100 % arbeitsfähig
ist, erfüllt er nach dem Gesagten die Anspruchsvoraussetzungen des Art. 14a
Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 6 ATSG nicht. Der Integrationsmassnahmen zur
Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung ablehnende Entscheid des
kantonalen Gerichts ist folglich im Ergebnis zu bestätigen. Offenbleiben kann
dabei, ob ein Anspruch auf Integrationsmassnahmen vorliegend auch im Sinne der
Eventualbegründung der Vorinstanz unter Hinweis auf den fraglichen Willen des
Beschwerdeführers, mittels Eingliederungsmassnahmen den Rentenfall vermeiden zu
wollen, verneint werden müsste.