Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 I 284



Urteilskopf

137 I 284

28. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg (Beschwerde in
öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten)
2C_711/2010 vom 1. April 2011

Regeste

Art. 8 EMRK; Art. 13 Abs. 1 BV; Art. 44 AuG; Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG;
Familiennachzug durch Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung.
Kein Anspruch auf Nachzug von Stiefkindern durch Schweizer Bürger gestützt auf
Art. 42 Abs. 1 AuG. Auch kein Anspruch im Sinne von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG
für den ausländischen Ehepartner mit einer Aufenthaltsbewilligung bei einem
nach Art. 44 AuG begehrten Nachzug seiner Kinder. Allerdings grundsätzlicher
Anspruch gestützt auf Art. 8 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV (E. 1.2 und 1.3).
Nachzug von Kindern durch einen Ausländer, der über eine Aufenthaltsbewilligung
verfügt und einen Anspruch auf Verlängerung derselben hat. Änderung bzw.
Anpassung der Praxis im Zusammenhang mit neuerlichen Entwicklungen auf sozialer
und rechtlicher Ebene (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 285

BGE 137 I 284 S. 285

A. Der aus dem Kosovo stammende X. (geb. 1971) reiste im Herbst 1998 mit seiner
damaligen Gattin Z. und den gemeinsamen Kindern A. (geb. 1996) und B. (geb.
1998) in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch, das im Juli 1999
abgewiesen wurde. Bis November 1999 wurde die Familie vorläufig aufgenommen, da
der Vollzug der Wegweisung damals nicht möglich war. Die Ehefrau und Kinder
wurden im August 2000 ausgeschafft. Der zunächst untergetauchte Familienvater
konnte erst im November 2000 in die Heimat zurückgeführt werden. Dort wurde im
Herbst 2001 das dritte Kind, C., geboren. Im September 2002 wurde die Ehe im
Kosovo geschieden und die drei Kinder wurden der Mutter anvertraut. Zwischen
Juli 2002 und dem Jahr 2006 hielt sich X. mehrfach unerlaubt in der Schweiz auf
und wurde sieben Mal wegen Verletzung fremdenpolizeilicher Vorschriften
(illegale Einreise, Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung) verurteilt.

B. Am 31. Juli 2006 heiratete X. die elf Jahre ältere Schweizer Bürgerin Y.
(geb. 1960), worauf er eine Aufenthaltsbewilligung im Kanton Freiburg erhielt,
die seither regelmässig verlängert wurde. Im April 2008 wurde um
Familiennachzug für die damals siebeneinhalb- sowie knapp zehn- und
zwölfjährigen Kinder C., B. und A. ersucht. Mit Urteil vom 14. Mai 2008
vertraute ein kosovarisches Gericht die Kinder ihrem Vater an. Das Amt für
Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg verweigerte am 12. Juni 2009 die
Bewilligung des Familiennachzugs. Das von X. dagegen erhobene Rechtsmittel wies
das Kantonsgericht Freiburg am 13. Juli 2010 ab.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und hilfsweise
subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 14. September 2010 beantragt X. dem
Bundesgericht, das Urteil des
BGE 137 I 284 S. 286
Kantonsgerichts vom 13. Juli 2010 aufzuheben und ihm das Recht auf Nachzug
seiner drei Kinder "zuzuerkennen". Eventualiter sei die Sache zur neuen
Beurteilung und ergänzenden Prüfung der "neuen Beweismittel" an die Vorinstanz
zurückzuweisen. (...)

D. Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 1. April 2011 öffentlich beraten.
Es heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne
der Erwägungen an das Kantonsgericht zurück.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig auf dem Gebiet des
Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch
das Völkerrecht einen Anspruch einräumt.

1.1 Namentlich mit Blick auf die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers,
seiner Kinder und der Ehefrau kommt vorliegend eine unmittelbare Anwendung des
Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten
anderseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR
0.142.112.681) nicht in Betracht (vgl. BGE 129 II 249 E. 4.2 S. 260; BGE 135 II
369 E. 2 S. 372). Aus einem anderen bilateralen Staatsvertrag kann hier ebenso
wenig ein Nachzugsanspruch abgeleitet werden. Soweit der Niederlassungs- und
Konsularvertrag zwischen der Schweiz und Serbien vom 16. Februar 1888 (SR
0.142.118.181) überhaupt noch auf Staatsbürger aus dem Kosovo anwendbar ist,
verschafft er keinen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung für die
Familienangehörigen (Urteil des Bundesgerichts 2A.42/2001 vom 11. Mai 2001 E.
3b in fine; vgl. auch BGE 119 IV 65; Urteil 2C_582/2009 vom 5. März 2010 E. 3).

1.2 Die Frage, ob der Beschwerdeführer nach dem internen Recht einen Anspruch
geltend machen kann, richtet sich vorab nach dem Bundesgesetz vom 16. Dezember
2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG; SR 142.20),
zumal das Nachzugsgesuch nach dessen Inkrafttreten gestellt wurde (vgl. Art.
126 AuG; BGE 135 I 143 E. 1.2 S. 145). Der Beschwerdeführer verfügt als
Ausländer über eine Aufenthaltsbewilligung, nicht jedoch über eine
Niederlassungsbewilligung. Daher kann er sich für den Nachzug
BGE 137 I 284 S. 287
seiner Kinder aus erster Ehe nicht auf Art. 43 AuG stützen. Obwohl seine
jetzige Ehefrau Schweizer Bürgerin ist, kommt auch kein Anspruch nach Art. 42
Abs. 1 AuG in Betracht. Denn sie ist nicht die Mutter der Kinder (vgl. zu
Stiefkindern bzw. Stiefeltern Urteil des Bundesgerichts 2C_537/2009 vom 31.
März 2010 E. 2.2.2). Auch Art. 42 Abs. 2 AuG hilft nicht weiter, da die Kinder
nicht im Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung eines Staates sind,
mit dem ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde (vgl. insoweit zu
Stiefkindern BGE 136 II 177 E. 3.2.1-3.2.3 S. 184 ff.).
Der Beschwerdeführer kann sich nach dem internen Ausländerrecht somit nur auf
Art. 44 AuG stützen, der den Nachzug durch Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung
regelt. Diese Bestimmung räumt ihm aber, anders als Art. 42 und 43 AuG, keinen
Nachzugsanspruch im Sinne von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ein (vgl. die
Kann-Formulierung; AB 2005 S 305 f. und AB 2005 N 1238 f.; erwähntes Urteil
2C_537/2009 E. 2.2.2 in fine sowie die Urteile des Bundesgerichts 2C_345/2009
vom 22. Oktober 2009 E. 2.2.1; 2C_764/2009 vom 31. März 2010 E. 2.1.1 und
2C_508/2009 vom 20. Mai 2010 E. 2.1; je mit Hinweisen).

1.3 Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, kann er sich für den
Nachzug seiner Kinder allerdings auf den Schutz des Familienlebens nach Art. 8
EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV berufen. Denn durch das Zusammenleben mit der
Schweizer Ehefrau hat er selber einen Anspruch auf Verlängerung seiner
Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 42 Abs. 1 AuG und damit ein gefestigtes
Aufenthaltsrecht. Zudem macht er eine intakte und tatsächlich gelebte Beziehung
zu seinen Kindern geltend. Insoweit ist daher auf die - nach Art. 100 Abs. 1
i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG fristgerecht eingereichte - Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG
einzutreten (vgl. BGE 135 I 143 E. 1.3.1 S. 145 f.; BGE 131 II 265 E. 5 S. 269;
BGE 129 II 193 E. 5.3.1 S. 211; erwähnte Urteile 2C_764/2009 E. 2.1.2 und
2C_508/2009 E. 2.2). Ob der Familiennachzug letztlich zu gewähren ist, bildet
Gegenstand der materiellen Beurteilung (Urteil des Bundesgerichts 2C_44/2010
vom 26. August 2010 E. 1 mit Hinweisen). Demnach ist die hilfsweise
eingereichte subsidiäre Verfassungsbeschwerde unzulässig (vgl. Art. 113 BGG).

2.

2.1 Nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK hat jede Person namentlich das Recht auf Achtung
ihres Privat- und Familienlebens. Aus dem Wortlaut
BGE 137 I 284 S. 288
dieser Bestimmung lässt sich noch nicht viel zum Recht auf Familiennachzug bzw.
zu dessen Ausgestaltung ableiten. Allgemein wird zunächst erklärt, dass Art. 8
EMRK kein absolutes Recht auf Einreise und Aufenthalt an Familienmitglieder
vermittelt. Immerhin wird aus dieser Bestimmung aber ein das Ermessen der
Ausländerbehörden einschränkender Anspruch auf Familiennachzug abgeleitet.
Insoweit ist eine Einzelfallprüfung bzw. Güterabwägung vorzunehmen, wobei die
in Art. 8 Ziff. 2 EMRK genannten Aspekte einen Eingriff in das Familienleben
rechtfertigen können. Als zulässige öffentliche Interessen kommen namentlich
das Durchsetzen einer restriktiven Einwanderungspolitik, die Schaffung
günstiger Rahmenbedingungen für die Eingliederung der Ausländer sowie die
Verbesserung der Arbeitsmarktstruktur in Betracht (vgl. BGE 135 I 143 E. 2.1
und 2.2 S. 147; BGE 125 II 633 E. 2e und 3a S. 639 f.; BGE 133 II 6 E. 5 S. 14
ff. mit Hinweisen auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
[EGMR] zum Familiennachzug; vgl. auch erwähntes Urteil 2C_508/2009 E. 4 sowie
FROWEIN/PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., Kehl am Rhein
2009, N. 40 zu Art. 8 EMRK S. 309; MARTINA CARONI, Privat- und Familienleben
zwischen Menschenrecht und Migration, 1999, S. 96 f. und 171 ff.). Nicht anders
wird im Übrigen Art. 13 Abs. 1 BV verstanden (vgl. BGE 129 II 215 E. 4.2 S. 218
f.; BGE 126 II 377 E. 7 S. 394, BGE 126 II 425 E. 4c/bb S. 433; je mit
Hinweisen).
Die EMRK ist an sich autonom, d.h. unabhängig vom nationalen Recht auszulegen.
Die Garantien der Konvention sind allerdings in die europäische Gesellschaft
mit allen ihren aktuellen politischen, kulturellen und sozialen Komponenten
eingebettet. Diese sind somit bei der Auslegung der EMRK mitzuberücksichtigen,
wobei sie eine gewisse Entwicklung erfahren können. Insoweit kann sich auch ein
Rechtswandel auf europäischer Ebene auf die Interpretation der EMRK auswirken
(EMRK als sog. living instrument; vgl. MARK E. VILLIGER, Handbuch der
Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 1999, S. 106 ff. Rz. 162 ff.
insb. 163 und 179 f. mit Hinweisen; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 8 ff. der
Einführung S. 5 ff.; PETTITI/DECAUX/IMBERT, La Convention européenne des droits
de l'homme, 2. Aufl., Paris 1999, S. 42 ff.; Urteile des EGMR Marckx gegen
Belgien vom 13. Juni 1979, Serie A Bd. 31 insb. §§ 41 und 58, zur
Unterscheidung zwischen ausserehelichen und ehelichen Kindern; Tyrer gegen
Grossbritannien vom 25. April 1978, Serie A Bd. 26 insb. § 31, zur Körperstrafe
Jugendlicher).
BGE 137 I 284 S. 289

2.2 Die in der Rechtsprechung zu Art. 17 des seit dem 1. Januar 2008
aufgehobenen Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung
der Ausländer (ANAG; BS 1 121 und Änderungen gemäss der Fussnote zur Ziff. I
des Anhangs 2 zum AuG, insb. AS 1991 1034 und 1043) entwickelten
Voraussetzungen für den zeitlich gestaffelten Familiennachzug von
minderjährigen Kindern unterschieden danach, ob dieser zu den gemeinsamen
Eltern oder bloss zu einem Elternteil erfolgen sollte. Während der Nachzug bei
zusammenlebenden Eltern grundsätzlich jederzeit möglich war und einzig durch
das Rechtsmissbrauchsverbot eingeschränkt wurde, bestand beim Nachzug zu einem
Elternteil kein bedingungsloser Anspruch auf Familienvereinigung. Für eine
solche mussten besondere familiäre Gründe bzw. eine zwingend nötig gewordene
Änderung in den Betreuungsverhältnissen sprechen. Das war in der Regel nicht
der Fall, wenn im Heimatland alternative Pflegemöglichkeiten gegeben waren, die
dem Kindeswohl besser entsprachen. Dabei wurde namentlich berücksichtigt, ob
und inwieweit die Kinder aus ihrer bisherigen Umgebung und dem ihnen vertrauten
Beziehungsnetz gerissen wurden. An den Nachweis der fehlenden
Betreuungsmöglichkeit im Heimatland waren umso höhere Anforderungen zu stellen,
je älter das nachzuziehende Kind war bzw. je grösser die
Integrationsschwierigkeiten erschienen, die ihm hier drohten. Dabei unterlag
die Beurteilung des Nachzugsbegehrens einer Gesamtwürdigung der relevanten
Umstände (vgl. BGE 136 II 78 E. 4.1 S. 80, BGE 136 II 120 E. 2.1 S. 123 f.; BGE
133 II 6 E. 3.1, 5.3 und 5.5 S. 9 ff.; BGE 126 II 329 E. 2 und 3 S. 330 ff.; je
mit Hinweisen).
Vorstehende Praxis wandte das Bundesgericht ebenso an, soweit es darum ging,
den Nachzug zu einem Elternteil unter dem Blickwinkel von Art. 8 EMRK und Art.
13 BV zu beurteilen (BGE 133 II 6 E. 3.1 Ingress S. 10; BGE 125 II 633 E. 3a S.
640; Urteil 2C_8/2008 vom 14. Mai 2008 E. 2.1). Diese schematische
Unterscheidung zwischen dem Kindernachzug durch zusammenlebende Eltern
einerseits und demjenigen durch einen einzigen Elternteil anderseits - sei es,
dass die Eltern nie geheiratet hatten, getrennt bzw. geschieden waren oder der
andere Elternteil verstorben war - ergab sich aber nicht zwingend aus dem
Wortlaut des Art. 8 EMRK oder der Rechtsprechung des EGMR hiezu. Sie wurde im
Inland vielmehr vor allem zwecks einer handhabbaren und einheitlichen Lösung
praktiziert.
BGE 137 I 284 S. 290

2.3

2.3.1 Mit Blick auf die angestrebte frühzeitige Integration der Kinder und den
Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse, wonach immer mehr Einelter- und
sog. Patchworkfamilien (familles recomposées) anzutreffen sind, hat der
Bundesgesetzgeber den Familiennachzug im Ausländergesetz neu gestaltet (vgl.
BGE 136 II 78 E. 4 S. 80 ff. mit Hinweisen). Ledige Kinder unter 18 Jahren von
Schweizern bzw. von Personen mit Niederlassungsbewilligung haben Anspruch auf
Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, wenn sie (1) mit
diesen zusammenwohnen werden (Art. 42 Abs. 1 und Art. 43 Abs. 1 AuG), (2) der
Nachzug bei Kindern über zwölf Jahren innerhalb von zwölf Monaten bzw. bei
Kindern unter zwölf Jahren innerhalb von fünf Jahren geltend gemacht wird (Art.
47 Abs. 1 und 3 AuG), (3) die Wahrnehmung des Anspruchs nicht
rechtsmissbräuchlich erscheint und (4) kein Widerrufsgrund nach Art. 62 bzw. 63
AuG vorliegt (vgl. Art. 51 Abs. 1 und 2 AuG). Dabei darf nicht mehr zwischen
nachträglichem Gesamt- und nachträglichem Teilfamiliennachzug unterschieden
werden. Allerdings muss aus familienrechtlichen Gründen der nachziehende
Elternteil immerhin über das Sorge- bzw. Obhutsrecht verfügen (BGE 136 II 78 E.
4.7 und 4.8 S. 85 ff.; erwähntes Urteil 2C_44/2010 E. 2.1.2 und 2.1.3).
Der Nachzug darf schliesslich nicht in klarer Missachtung des Wohls sowie der
familiären Bindungen des Kindes in seinem Heimatstaat erfolgen (vgl. zu Art. 42
Abs. 1 AuG: BGE 136 II 78 E. 4.8 S. 87 f.; Urteil 2C_606/2009 vom 17. März 2010
E. 2.2; zu Art. 43 AuG: erwähntes Urteil 2C_44/2010 E. 2.1.3; Urteil 2C_526/
2009 vom 14. Mai 2010 E. 9.1). Dabei ist jedem Einzelfall angemessen Rechnung
zu tragen (vgl. unter anderem auch zum Kindeswohl Art. 3 der
UNO-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 [KRK; SR 0.107]). Insoweit ist
regelmässig erforderlich, dass die Beziehung zum Kind intakt und bereits bisher
sachgerecht gelebt worden ist (vgl. BGE 136 II 497 E. 4.3 S. 506 f., wo dieser
Aspekt im Rahmen des Rechtsmissbrauchs erwähnt wird; erwähnte Urteile 2C_44/
2010 E. 2.1.3; 2C_508/2009 E. 5.2 und 2C_764/2009 E. 4 in fine; s. auch CARONI,
a.a.O., S. 187 mit Hinweisen). Auch wird grundsätzlich verlangt, dass die
Betreuung des Kindes in der Schweiz als sichergestellt gelten kann (erwähntes
Urteil 2C_44/2010 E. 2.3.2; ebenso Art. 39 Abs. 1 lit. d der bis zum 31.
Dezember 2007 geltenden Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der
Zahl der Ausländer [BVO;
BGE 137 I 284 S. 291
AS 1986 1791]; dazu CARONI, a.a.O., S. 101 f.). Die Migrationsämter haben im
Weiteren aber nur beschränkte Eingriffsmöglichkeiten. Namentlich können sie
sich nicht wie eine Vormundschaftsbehörde über den Willen der Eltern
hinwegsetzen. Diesen ist es in erster Linie überlassen, über den Aufenthaltsort
ihrer Kinder zu befinden. Dabei können wirtschaftliche Erwägungen mit eine
Rolle spielen. Die Ausländerbehörden können den Nachzug von Kindern nur
verweigern, wenn dieser offensichtlich und eindeutig gegen deren Interessen
stattfinden soll (dazu BGE 136 II 78 E. 4.8 S. 86 f. sowie die nicht publ. E.
5; erwähnte Urteile 2C_508/2009 E. 5.2 und 2C_526/2009 E. 9.1).
Ausserhalb der Nachzugsfristen des Art. 47 Abs. 1 AuG ist der Familiennachzug
bloss noch möglich, wenn hiefür wichtige familiäre Gründe sprechen (Art. 47
Abs. 4 AuG). Solche liegen etwa dann vor, wenn das Kindeswohl letztlich nur
durch einen Nachzug in die Schweiz sachgerecht gewahrt werden kann (vgl. Art.
75 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und
Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201]; erwähntes Urteil 2C_44/2010 E. 2.1.2).
Insoweit kann die frühere Praxis (s. E. 2.2 hievor) zum Nachzug bei getrennten
Eltern noch zum Tragen kommen, wobei diese dann neuerdings grundsätzlich auch
für zusammenlebende Eltern gilt (vgl. BGE 136 II 78 E. 4.7 S. 86).

2.3.2 Wie bei Art. 42 Abs. 1 und Art. 43 AuG verhält es sich entsprechend beim
Familiennachzug durch einen Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung, der gestützt
auf Art. 44 AuG beantragt wird (erwähnte Urteile 2C_537/2009 E. 3 und 2C_764/
2009 E. 4). Allerdings ist diese Bestimmung für sich genommen nicht
anspruchsbegründend (s. E. 1.2 hievor). Die Behörden entscheiden insoweit nach
pflichtgemässem Ermessen. Auch werden einige Zusatzbedingungen gestellt. Es
muss eine bedarfsgerechte Wohnung vorhanden sein und die Familie darf nicht auf
Sozialhilfe angewiesen sein (Art. 44 lit. b und c AuG). Im Übrigen gilt im
Wesentlichen die gleiche Fristenregelung wie bei Art. 42 Abs. 1 und Art. 43 AuG
(vgl. Art. 47 AuG und Art. 73 VZAE).

2.4 Auch auf der Ebene der Europäischen Union (EU) werden spätestens seit
Oktober 2005 mit Blick auf die Integrationsfähigkeit der Kinder
Altersbeschränkungen für den Familiennachzug durch Drittstaatsangehörige als
zulässig angesehen (vgl. BGE 133 II 6 E. 5.4 S. 21 f.; Art. 4 Abs. 1 letzter
Unterabsatz und Abs. 6 der Richtlinie 2003/86/
BGE 137 I 284 S. 292
EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf
Familienzusammenführung [ABl. L 251 vom 3. Oktober 2003 S. 12] und Ziff. 12 der
Einführungserwägung zu dieser Richtlinie). Wie neuerdings in der Schweiz wird
im Übrigen aber ebenfalls nicht danach unterschieden, ob der Nachzug durch
beide Elternteile oder nur durch einen beantragt wird (Art. 4 Abs. 1 lit. b-d
der Richtlinie). Die EU erklärt in ihren Einführungserwägungen zur Richtlinie
(dort Ziff. 2), dass ihre Massnahmen zur Familienzusammenführung in
Übereinstimmung mit der völkerrechtlichen Verpflichtung zum Schutz der Familie
und zur Achtung des Familienlebens getroffen werden, wobei sie ausdrücklich
Art. 8 EMRK nennt. In einem späteren Entscheid hat der Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) denn auch die soeben zitierten
Altersvorschriften der Richtlinie, die sie mit Blick auf Art. 8 EMRK prüfte,
geschützt (Urteil des EuGH vom 27. Juni 2006 C-540/03 Europäisches Parlament,
Slg. 2006 I-5769). Eine Unterscheidung nach getrennt- und zusammenlebenden
Eltern wird erst recht nicht vorgenommen, wenn es um den Familiennachzug durch
EU-Bürger oder ihre Ehepartner geht (vgl. Urteil des EuGH vom 17. September
2002 C-413/1999 Baumbast und R., Slg. 2002 I-7091 Randnr. 57; BGE 136 II 65 E.
3 und 4 S. 70 ff. mit Hinweisen).

2.5 Es ist demnach festzustellen, dass sowohl das Schweizer Recht als auch das
EU-Recht heute zum einen prinzipiell nicht mehr danach unterscheiden, ob ein
Gesamt- oder Teilfamiliennachzug begehrt wird, und zum anderen den Nachzug an
die Einhaltung von Fristen knüpfen. Ferner ist festzuhalten, dass die frühere
Rechtsprechung des Bundesgerichts für den Teilfamiliennachzug einerseits und
den Gesamtfamiliennachzug anderseits unterschiedliche Voraussetzungen vorsah.
Dabei handhabte das Bundesgericht Art. 17 Abs. 2 ANAG und Art. 8 EMRK parallel,
ohne dass sich dies zwingend aus dem Wortlaut des Art. 8 EMRK oder der
Rechtsprechung des EGMR ergeben hätte.

2.6 Es stellt sich die Frage, ob der veränderten Rechtslage in der Schweiz und
der EU auch im Rahmen der Auslegung und Anwendung von Art. 8 EMRK durch die
inländischen Behörden Rechnung zu tragen ist. Das ist zu bejahen: Wie erwähnt,
ist die EMRK als living instrument unter Berücksichtigung der Rechtsentwicklung
in den Vertragsstaaten zu interpretieren (s. E. 2.1 hievor). Ein
Aufenthaltsberechtigter - d.h. eine Person, die selber einen gefestigten
BGE 137 I 284 S. 293
Anspruch auf Aufenthalt in der Schweiz hat - muss mit Blick auf Art. 8 EMRK und
Art. 13 BV grundsätzlich die Gelegenheit zum Familienachzug erhalten. Dabei ist
aufgrund des Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und dem damit
einhergehenden Rechtswandel (s. E. 2.3.1 hievor) prinzipiell nicht mehr
zwischen dem Gesamt- und Teilfamiliennachzug zu unterscheiden.
Im Interesse einer einheitlichen und handhabbaren Praxis im Inland kann
insoweit auf die Bewilligungsvoraussetzungen des Art. 44 AuG abgestellt werden.
Diese sind nicht EMRK-widrig. Art. 44 AuG gewährt für sich zwar keinen
Bewilligungsanspruch. Diese Einschränkung ergibt sich daraus, dass sie in
erster Linie auf Personen zugeschnitten ist, die selber keinen Anspruch auf
Erneuerung ihres zeitlich befristeten Anwesenheitstitels haben. Haben die im
Inland wohnhaften Ausländer selber keinen Anspruch auf Aufenthalt, sollen sie
auch keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Familiennachzug haben. Der
Gesetzgeber wollte deshalb - anders als noch der Entwurf des Bundesrates (vgl.
BBl 2002 3793 und 3862 zu Art. 43 E-AuG) -, dass die Kantone den
Familiennachzug durch die sog. Jahresaufenthalter bloss ermessensweise
bewilligen (vgl. AB 2005 S 306 und AB 2005 N 1239). Die Ausgangslage ist für
diejenigen Ausländer, die - wie hier der Beschwerdeführer - selber einen
Anspruch auf Erneuerung ihrer Aufenthaltsbewilligung haben und sich deshalb
nach der bundesgerichtlichen Praxis für den Familiennachzug zusätzlich auf Art.
8 EMRK und Art. 13 BV berufen können, jedoch anders. Insoweit haben die
Behörden nicht nur pflichtgemäss nach Art. 44 AuG über das Nachzugsbegehren zu
entscheiden. Es müssen mit Blick auf ihre aus Art. 8 EMRK und Art. 13 BV
abgeleiteten Rechte vielmehr auch gute Gründe gegeben sein, um den begehrten
Nachzug zu verweigern. Im Sinne der anzustrebenden einheitlichen inländischen
Praxis bestehen diese Gründe zum einen regelmässig, wenn die
Bewilligungsvoraussetzungen des Art. 44 AuG nicht erfüllt sind. Zum anderen ist
die Bewilligung auch zu verweigern, wenn eine der in Art. 51 Abs. 2 AuG
geregelten Situationen gegeben ist.

2.7 Demnach ist in Anlehnung an die vorstehenden Ausführungen in Erwägung 2.3
ein Anspruch auf Nachzug der Kinder gestützt auf Art. 8 EMRK und Art. 13 BV für
den Ausländer mit einem gefestigten Aufenthaltsrecht gegeben, wenn (1) dieser
mit seinen Kindern zusammenleben will (vgl. Art. 44 lit. a AuG), (2) eine
BGE 137 I 284 S. 294
bedarfsgerechte Wohnung vorhanden ist (Art. 44 lit. b AuG), (3) die Familie
nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist (Art. 44 lit. c AuG), (4) der Nachzug bei
Kindern über zwölf Jahren innerhalb von zwölf Monaten bzw. bei Kindern unter
zwölf Jahren innerhalb von fünf Jahren geltend gemacht wird (Art. 47 Abs. 1 und
3 AuG bzw. Art. 73 VZAE) und (5) der Nachzug nicht in klarer Missachtung des
Wohls sowie der familiären Bindungen des Kindes erfolgen soll, wobei auch die
bisherige Beziehung zwischen den nachziehenden Eltern und den Kindern sowie die
Betreuungsmöglichkeiten in der Schweiz zu berücksichtigen sind (dazu E. 2.3.1
hievor). Schliesslich darf (6) die Wahrnehmung des Anspruchs nicht
rechtsmissbräuchlich erscheinen (vgl. BGE 136 II 497 E. 4 S. 506 f.; Urteile
des Bundesgerichts 2C_606/2009 vom 17. März 2010 E. 2.4 und 2C_181/2010 vom 1.
Oktober 2010 E. 5.3) und (7) kein Widerrufsgrund nach Art. 62 AuG vorliegen
(vgl. Art. 51 Abs. 2 lit. a und b AuG zum Nachzug durch
Niederlassungsberechtigte; vgl. hiezu auch das Urteil des Bundesgerichts 2C_847
/2009 vom 21. Juli 2010 E. 3). Bei einem Nachzug ausserhalb der in Art. 47 Abs.
1 AuG und Art. 73 Abs. 1 VZAE angegebenen Fristen müssen zudem wichtige
familiäre Gründe geltend gemacht werden.

2.8 Vorliegend hat der Beschwerdeführer die Fristen nach Art. 47 AuG bzw. Art.
73 VZAE mit seinem im Jahr 2008 eingereichten Gesuch um Familiennachzug
eingehalten (s. zudem die Übergangsbestimmung des Art. 126 Abs. 3 AuG). Dennoch
sind die Vorinstanzen vorliegend bloss von den Voraussetzungen für den
Familiennachzug nach der früheren, zu Art. 17 ANAG entwickelten Praxis bei
getrennt lebenden Eltern (s. E. 2.2 hievor) ausgegangen. Sie haben nicht
geprüft, ob die Anforderungen für den Nachzug der Kinder entsprechend Art. 44
AuG bzw. gemäss vorstehender Erwägung 2.7 erfüllt sind. Da sie bereits das
Vorliegen besonderer familiärer Gründe im Sinne der alten Rechtsprechung
verneint bzw. das Vorhandensein alternativer Betreuungsmöglichkeiten in der
Heimat der Kinder angenommen haben, wurden von ihnen keine weiteren
Sachverhaltsfeststellungen getroffen. Das Bundesgericht ist nicht dazu berufen,
den insoweit unvollständig festgestellten Sachverhalt an Stelle der Vorinstanz
zu ermitteln. Deshalb wird diese, an welche die Sache zurückzuweisen ist, nach
entsprechender Gewährung des rechtlichen Gehörs neu zu entscheiden haben (vgl.
Art. 107 Abs. 2 BGG). Insoweit trifft den Beschwerdeführer eine entsprechende
Mitwirkungspflicht (vgl. Art. 90 AuG). Sollten sämtliche Voraussetzungen für
den
BGE 137 I 284 S. 295
Nachzug gemäss vorstehender Erwägung 2.7 gegeben sein, wird die Vorinstanz den
beantragten Nachzug der Kinder angesichts des Anspruchs, den Art. 8 EMRK und
Art. 13 BV vermitteln, zu bewilligen haben.
Die Vorinstanz wird mit Blick auf das Wohl der Kinder vor allem abzuklären
haben, ob die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen Kindern tatsächlich
intakt und bisher trotz verschiedener Wohnorte sachgerecht gelebt worden ist.
Die derzeitigen Angaben des Beschwerdeführers, wonach er zum Unterhalt der
Kinder finanziell beitrage und regelmässige telefonische Kontakte habe, genügen
nicht, um sich hierüber ein genaues Bild zu verschaffen. Denn der
Beschwerdeführer verliess seine Heimat nicht einmal ein Jahr nach der Geburt
des jüngsten Kindes. In dieser Zeit wurde auch die Ehe mit der Mutter der
Kinder geschieden, wobei diese ihr zunächst für mehrere Jahre anvertraut
wurden. Da offenbar sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Ehefrau
berufstätig sind, ist ausserdem zu prüfen, ob und inwiefern die Betreuung der
Kinder in der Schweiz als sichergestellt gelten kann. Schliesslich bleibt auch
zu klären, ob eine bedarfsge-rechte Wohnung zur Verfügung steht und ob die
Familie - auch nach Einreise der Kinder - nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein
wird.