Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 I 235



Urteilskopf

137 I 235

24. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Einwohnergemeinde Erlinsbach gegen A.X. und Mitb. sowie Regierungsrat des
Kantons Aargau (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
1D_1/2011 vom 13. April 2011

Regeste

Art. 29a, 50 BV, Art. 14 lit. b, Art. 50 BüG; Einbürgerung, Gemeindeautonomie,
kantonales Gerichtsverfahren, Sprachkenntnisse und Integration.
Das kantonale Gericht, das ablehnende Entscheide über Einbürgerungen beurteilt,
hat gestützt auf die Rechtsweggarantie eine freie Überprüfung des Sachverhalts
und der Rechtsanwendung vorzunehmen. Es wahrt dabei den Gestaltungsbereich der
unteren Instanzen und der Gemeinden (E. 2.5).
Sprachniveau, das im Regelfall von Einbürgerungswilligen verlangt werden darf
(E. 3.4).
Verfahrensrechtliche Mindestanforderungen an die Ermittlung der
Sprachkenntnisse (E. 3.5).

Sachverhalt ab Seite 236

BGE 137 I 235 S. 236
Am 7. März 2008 reichte A.X. für sich und ihre vier Kinder ein Gesuch um
ordentliche Einbürgerung ein.
Nachdem A.X. die staatskundliche Prüfung bestanden hatte, fand am 17. April
2009 in Anwesenheit des Gemeindepräsidenten, eines Gemeinderats und einer
Gemeindeangestellten (Vorsteherin der Einwohnerkontrolle) ein Gespräch mit A.X.
und den vier Kindern statt. Am 28. April 2009 beschloss der Gemeinderat, der
Gemeindeversammlung die Nichtzusicherung des Gemeindebürgerrechts zu
beantragen. Der Gemeinderat teilte A.X. am 1. Mai 2009 seinen Beschluss mit und
gab ihr Gelegenheit, ihr Einbürgerungsgesuch zurückzuziehen.
Nachdem A.X. an ihrem Einbürgerungsgesuch (mit Einbezug der unmündigen Kinder)
festgehalten hatte, verweigerte die Einwohnergemeindeversammlung Erlinsbach am
27. November 2009 die Zusicherung des Gemeindebürgerrechts für sie und die vier
Kinder.
Die gegen den ablehnenden Entscheid erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat
des Kantons Aargau am 9. Juni 2010 ab.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau hiess eine gegen den Entscheid des
Regierungsrats gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 6.
Dezember 2010 gut. Es hob den Beschluss des Regierungsrats auf und wies die
Angelegenheit zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an die
Einwohnergemeinde Erlinsbach zurück. Aus den Erwägungen ergibt sich
insbesondere, dass die Gemeinde die Sprachkenntnisse von A.X. nach den vom
Verwaltungsgericht aufgestellten materiellen und verfahrensmässigen
Anforderungen beurteilen muss. Sollte sich die Beschwerdeführerin über
ausreichende Sprachkenntnisse ausweisen und die Gemeinde weiterhin Bedenken
hinsichtlich deren Vertrautheit mit den schweizerischen Verhältnissen hegen, so
wären
BGE 137 I 235 S. 237
entsprechende zusätzliche Untersuchungen durchzuführen oder Gesichtspunkte zu
nennen, welche die Annahme einer unzureichenden Integration als haltbar
erscheinen lassen.
Mit Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht beantragt die Einwohnergemeinde
Erlinsbach, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und der Beschluss
der Gemeindeversammlung Erlinsbach vom 27. November 2009 zu bestätigen.
Eventuell sei das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung der Sprachkenntnisse von A.X. an den Gemeinderat Erlinsbach
zurückzuweisen. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung der
Gemeindeautonomie (Art. 50 Abs. 1 BV) sowie die Verletzung des rechtlichen
Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) und Willkür (Art. 9 BV). Sie beanstandet
insbesondere, dass das Verwaltungsgericht ihr vorschreibe, wie sie die
Sprachkenntnisse festzustellen habe.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der Gemeindeautonomie. Sie
macht geltend, sie habe das ihr bei der Einbürgerung zustehende Ermessen
pflichtgemäss ausgeübt. Im Rahmen des Einbürgerungsgesprächs sei festgestellt
worden, dass A.X. nicht über hinreichende Sprachkenntnisse verfüge. Das
Verwaltungsgericht sei nicht berechtigt, dem Gemeinderat Vorgaben für die
Feststellung und Beurteilung der Sprachkenntnisse von Einbürgerungswilligen zu
machen. Im Übrigen fehle es bei der Gesuchstellerin auch an der für eine
Einbürgerung notwendigen Integration. Die Vorinstanz habe sich über die
willkürfreie Beurteilung durch die Gemeinde hinweggesetzt und damit die
Gemeindeautonomie verletzt.

2.2 Art. 50 Abs. 1 BV gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des
kantonalen Rechts. Nach der Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich
autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern
ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine
relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte
Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener
kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der
Anwendung kantonalen oder eidgenössischen
BGE 137 I 235 S. 238
Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in
einem ganzen Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im
Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den
entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (
BGE 136 I 265 E. 2.1 S. 269, BGE 136 I 395 E. 3.2.1 S. 398; BGE 135 I 233 E.
2.2 S. 241 f.; je mit Hinweisen). Die Anwendung von eidgenössischem und
kantonalem Verfassungsrecht prüft das Bundesgericht mit freier Kognition, die
Handhabung von Gesetzes- und Verordnungsrecht unter dem Gesichtswinkel des
Willkürverbots (BGE 136 I 265 E. 2.3 S. 270; BGE 135 I 302 E. 1 S. 305).

2.3 Nach § 6 der Aargauer Kantonsverfassung vom 25. Juni 1980 (KV/AG; SR
131.227) regelt der kantonale Gesetzgeber das Kantons- und Gemeindebürgerrecht
(vgl. Gesetz des Kantons Aargau über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht vom
22. Dezember 1992 [KBüG/AG; SAR 121.100]). Eine Zuständigkeit der Gemeinden zum
Erlass von Bestimmungen über die Einbürgerungsvoraussetzungen besteht nicht
(vgl. KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, 1986, N. 1 zu § 6 KV/
AG). Für die materiellen Voraussetzungen der Einbürgerung knüpft das kantonale
Recht an die bundesrechtlichen Anforderungen an und enthält keine zusätzlichen
Erfordernisse.
Zuständigkeiten und Verfahren zur Einbürgerung von Ausländern sind in § 11 KBüG
/AG geregelt. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung trifft der Gemeinderat die
Erhebungen, die für die Beurteilung der Einbürgerungsvoraussetzungen nötig
sind, und legt, wenn die Wohnsitzerfordernisse erfüllt sind, das Gesuch der
Gemeindeversammlung zur Beschlussfassung über die Zusicherung des
Gemeindebürgerrechts vor. Die Zuständigkeit der Gemeindeversammlung ergibt sich
zudem aus § 20 Abs. 2 lit. k des kantonalen Gesetzes vom 19. Dezember 1978 über
die Einwohnergemeinden (Gemeindegesetz, GG/AG; SAR 171.100). Über die
Einbürgerung entscheidet abschliessend die Einbürgerungskommission des Grossen
Rats, sofern der Grosse Rat den Entscheid nicht an sich zieht (§ 11 Abs. 5 KBüG
/AG).

2.4 Die Verleihung des Gemeindebürgerrechts fällt im Kanton Aargau aufgrund der
genannten Bestimmungen in den Autonomiebereich der Gemeinden (vgl. ANDREAS
BAUMANN, Aargauisches Gemeinderecht, 3. Aufl. 2005, S. 162). Diese sind bei
ihrem Entscheid an die Kriterien gemäss Art. 14 lit. a-d des Bundesgesetzes vom
29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts
(Bürgerrechtsgesetz, BüG; SR 141.0) gebunden. Danach ist bei der
BGE 137 I 235 S. 239
ordentlichen Einbürgerung vor Erteilung der Einbürgerungsbewilligung zu prüfen,
ob der Bewerber zur Einbürgerung geeignet ist, insbesondere ob er in die
schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist, mit den schweizerischen
Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist, die schweizerische
Rechtsordnung beachtet und die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz nicht
gefährdet. Bei der Beurteilung dieser Voraussetzungen steht den zuständigen
Behörden ein weiter Ermessensbereich zu, welchen die Rechtsmittelinstanzen
beachten müssen. Sie dürfen einzig eingreifen, wenn die Gemeinde ihr Ermessen
nicht pflichtgemäss, das heisst in Widerspruch zum Sinn und Zweck der
Bürgerrechtsgesetzgebung, ausübt (vgl. BGE 129 I 232 E. 3.3 S. 237 ff. und E.
3.4.2 S. 240 sowie BGE 129 I 217 E. 2.2 S. 224 ff.; siehe ferner Urteile des
Bundesgerichts 1D_5/2010 vom 30. August 2010 E. 3.2.4; 1P.788/2006 vom 22. März
2007 E. 3, in: ZBl 109/2008 S. 161; je mit Hinweisen).

2.5 Nach Art. 50 BüG sind die Kantone verpflichtet, Gerichtsbehörden
einzusetzen, die als letzte kantonale Instanzen Beschwerden gegen ablehnende
Entscheide über die ordentliche Einbürgerung beurteilen. Diese Gerichtsbehörden
haben gestützt auf die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) eine freie Überprüfung
des Sachverhalts sowie der Anwendung des kantonalen und des Bundesrechts
vorzunehmen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_310/2009 vom 17. März 2010 E.
2.2.2 mit Hinweisen; Bericht vom 27. Oktober 2005 der Staatspolitischen
Kommission des Ständerats, BBl 2005 6953; ANDREAS KLEY, in: Die schweizerische
Bundesverfassung, Kommentar, Bd. I, 2. Aufl. 2008, N. 11 zu Art. 29a BV). Eine
gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit der angefochtenen Entscheide verlangt
Art. 29a BV nicht. Zulässig ist auch eine richterliche Zurückhaltung bei der
Überprüfung unbestimmter Rechtsbegriffe und bei der Beurteilung von technischen
Sachverhalten (KLEY, a.a.O.). Damit sind die Gerichte in der Lage, den
Handlungsspielraum der zuständigen unterinstanzlichen Behörden zu respektieren.
Der eingeschränkten Justiziabilität von Ermessensentscheiden ist durch eine
Anpassung des Kontrollumfangs und der Kontrolldichte sowie durch geeignete
Beweismassnahmen Rechnung zu tragen (ESTHER TOPHINKE, Bedeutung der
Rechtsweggarantie für die Anpassung der kantonalen Gesetzgebung, ZBl 107/2006
S. 107 f.; WALTER KÄLIN, Die Bedeutung der Rechtsweggarantie für die kantonale
Verwaltungsjustiz, ZBl 100/1999 S. 61 f.). Die Rechtsweggarantie verpflichtet
die Vorinstanz somit zu einer umfassenden Rechts- und Sachverhaltsprüfung, was
BGE 137 I 235 S. 240
nicht ausschliesst, den Gestaltungsbereich der unteren Instanzen und
insbesondere der Gemeinden zu wahren.

2.5.1 Das Verwaltungsgericht überprüfte den bei ihm angefochtenen Entscheid im
Rahmen der Beschwerdeanträge auf unrichtige oder unvollständige Feststellung
des Sachverhalts sowie Rechtsverletzungen (§ 48 Abs. 2 und § 55 Abs. 1 des
kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 4. Dezember 2007 [VRPG/AG; SAR
271. 200]). In tatsächlicher Hinsicht ist die Kognition des Verwaltungsgerichts
nicht beschränkt. In rechtlicher Hinsicht bezeichnet das Verwaltungsgericht
seine Kognition als eingeschränkt, weil den Gesuchstellern kein Anspruch auf
Einbürgerung zustehe und deshalb den zuständigen Behörden sowohl hinsichtlich
der Erteilung des Gemeinde- als auch des Kantonsbürgerrechts ein weiter
Spielraum zustehe. Praktisch beschränke sich damit die Kognition des
Verwaltungsgerichts in rechtlicher Hinsicht auf die Verletzung von
Verfassungsrecht einschliesslich des Willkürverbots (Art. 9 BV).

2.5.2 Eine solche Kognitionsbeschränkung in Bezug auf die Rechtsanwendung ist
im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem Hintergrund der Rechtsweggarantie
(Art. 29a BV) nicht zulässig. Der Gestaltungsspielraum der unteren Instanzen
und der Gemeinden darf nicht zu einem Verzicht auf die nach der
Rechtsweggarantie erforderlichen Rechts- und Sachverhaltsprüfung führen. Dies
gilt insbesondere in Bezug auf die Anforderungen für eine ordentliche
Einbürgerung gemäss Art. 14 BüG. Die freie gerichtliche Prüfung dieser
bundesrechtlichen Anforderungen obliegt den in Art. 50 BüG genannten kantonalen
Gerichtsbehörden. Damit wird den Anforderungen von Art. 29a BV entsprochen.
Das Bundesgericht kann in diesem Bereich wegen des Ausschlusses der
ordentlichen Beschwerde (Art. 83 lit. b BGG) in Bezug auf Sachverhalts- und
Rechtsfragen lediglich eine Prüfung der Verletzung von verfassungsmässigen
Rechten gewährleisten (Art. 113, 116 und 118 BGG).
Ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt sind, prüft
das Verwaltungsgericht somit frei. Es beachtet bei der Prüfung der
Rechtsfragen, dass die Gemeinden im Rahmen ihrer Autonomie die im Gesetz
verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe selbstständig anwenden. Indessen muss
das kantonale Gericht die Rechtsanwendung und namentlich die Anwendung
unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Gemeinde auf die Vereinbarkeit mit den
BGE 137 I 235 S. 241
einschlägigen Normen des kantonalen Rechts und des Bundesrechts überprüfen.
Dazu gehört neben der Bundesverfassung auch das Bürgerrechtsgesetz. Die freie
Prüfung der Anwendung des BüG geht über eine Willkürprüfung hinaus, indem das
kantonale Gericht eine Verletzung des BüG zu korrigieren hat und nicht nur dann
einschreitet, wenn der bei ihm angefochtene Entscheid im Ergebnis
offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch
steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder
in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgrundsatz zuwiderläuft (zum
Willkürbegriff vgl. BGE 135 V 2 E. 1.3 S. 4; BGE 133 I 149 E. 3.1 S. 153; BGE
131 I 467 E. 3.1 S. 473 f.; je mit Hinweisen). Das zuständige kantonale Gericht
darf auch nicht mit Rücksicht auf die Gemeindeautonomie eine willkürfreie
Anwendung des BüG akzeptieren, wenn sich aus diesem Bundesrecht oder anderen
Rechtssätzen ergibt, dass eine andere Lösung vorzuziehen wäre.

2.5.3 Die Vorinstanz war somit im Hinblick auf die Anwendung des BüG nicht auf
eine Willkürprüfung beschränkt, sondern hatte unter Beachtung des
Gestaltungsbereichs der unteren Instanzen eine umfassende Rechts- und
Sachverhaltsprüfung vorzunehmen. Diese Aufgabe hat sie, wie sich aus den
nachfolgenden Erwägungen ergibt, wahrgenommen. Dem weiten Gestaltungsbereich
der Gemeinde trägt sie Rechnung, indem sie zur Förderung einer rechtsgleichen
und willkürfreien Ermittlung und Beurteilung der Sprachkenntnisse die
Einhaltung bestimmter Regeln verlangt, welche die nach Art. 50 BüG i.V.m. Art.
29a BV geforderte gerichtliche Überprüfung ermöglichen. Im bundesgerichtlichen
Verfahren ist auf Verfassungsbeschwerde hin zu prüfen, ob der angefochtene
Entscheid die von der Gemeinde angerufenen verfassungsmässigen Rechte
(Gemeindeautonomie, rechtliches Gehör, Willkürverbot) verletzt.

3.

3.1 Die Gemeinde hat im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens zu prüfen, ob ein
Bewerber zur Einbürgerung geeignet ist, insbesondere ob er in die
schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist und mit den schweizerischen
Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut ist (Art. 14 lit. a und b
BüG). Das in Art. 14 lit. b BüG genannte Kriterium der Vertrautheit mit den
schweizerischen Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen setzt gewisse
Kenntnisse über das Land und seine Bewohner und insbesondere eine der
Landessprachen voraus (vgl. VPB 69/2005 Nr. 101 S. 1243 f.;
BGE 137 I 235 S. 242
CÉLINE GUTZWILLER, Droit de la nationalité et fédéralisme en Suisse, 2008, Rz.
557). Die Fähigkeit, sich in einer Landessprache zu verständigen, soll im neuen
Bürgerrechtsgesetz als Integrationskriterium ausdrücklich genannt werden (Art.
12 Abs. 1 lit. c nBüG gemäss Botschaft des Bundesrates vom 4. März 2011 zur
Totalrevision des Bundesgesetzes über das Schweizer Bürgerrecht, BBl 2011 2834
f. Ziff. 1.2.2.5 [nachfolgend: Botschaft Bürgerrecht]). Fehlende Kenntnisse der
vor Ort gesprochenen Landessprache können als Indiz für eine mangelnde
Integration gewertet werden (vgl. BGE 134 I 56 E. 3 S. 59). Um als Bürgerin
bzw. Bürger im politischen System der Schweiz mitwirken zu können, sind auch
Kenntnisse über die Grundlagen der politischen und sozialen Ordnung notwendig.
Sprachkenntnisse, Kenntnisse des Landes und seines politischen Systems und die
Einbindung in die Lebensverhältnisse müssen so weit gehen, dass anzunehmen ist,
dass ein Bewerber nach Verleihung des Staatsbürgerrechts angemessen von seiner
Rechtsstellung und insbesondere auch von den damit verliehenen Teilnahmerechten
am politischen Prozess Gebrauch machen kann (vgl. Botschaft zur Revision des
Bürgerrechtsgesetzes, BBl 2002 1943 Ziff. 2.2.1.3; Eidg. Ausländerkommission
EKA, Einbürgerung und Sprachnachweis, Empfehlungen an die Gemeinden, die
Kantone und den Bund, 2006, S. 4 ff.).

3.2 Das Verwaltungsgericht hält die Abklärungen der Gemeinde über die
Sprachkenntnisse der Beschwerdegegnerin 1 A.X. für ungenügend. Es beanstandet
zunächst das Fehlen einer Definition des erwarteten Sprachniveaus. Weiter
kritisiert es im Hinblick auf das Verfahren, dass keine vorgängige Mitteilung
an die Bewerberin über das erwartete Sprachniveau erfolgte, kein definiertes
brauchbares Testverfahren angewendet und keine Fachperson oder ein entsprechend
geschulter Sachbearbeiter beigezogen worden sei. Zudem fehlten Aufzeichnungen
über den Sprachtest, und sei kein individueller Test durchgeführt worden.
Die Gemeinde beruft sich auf die in § 11 Abs. 2 KBüG/AG enthaltene Kompetenz,
Erhebungen zu treffen, die für die Beurteilung der Einbürgerungsvoraussetzungen
nötig sind. Sie leitet daraus ab, die Gemeinden seien bei der Sprachbeurteilung
frei, das erforderliche Sprachniveau zu bestimmen und nach den ihr als gut
erscheinenden Methoden vorzugehen.

3.3 Bei der Handhabung des Sprachkriteriums stellt sich die Frage nach dem
erforderlichen Niveau an Sprachkenntnissen sowie die
BGE 137 I 235 S. 243
Frage nach den Methoden zu dessen Ermittlung. Mangels konkreter gesetzlicher
Vorgaben stellte das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid Grundsätze
("Leitplanken") auf, welche eine willkürfreie und rechtsgleiche Beurteilung der
Sprachkenntnisse erlauben sollen. Es ist im Folgenden zu prüfen, ob damit der
Beurteilungsspielraum der zuständigen Gemeinde verletzt wurde.

3.4

3.4.1 Das Verwaltungsgericht nimmt im angefochten Entscheid Bezug auf den im
Auftrag der Eidg. Ausländerkommission (EKA) erstellten Kurzbericht zu einem
Rahmenkonzept für den Nachweis der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im
Hinblick auf die Einbürgerung (SCHNEIDER UND ANDERE, Rahmenkonzept für den
Nachweis der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im Hinblick auf die
Einbürgerung, 2006, publiziert im Internet: http://www.ekm.admin.ch/de/themen/
buergerrecht.php, besucht am 29. März 2011). Dieser Kurzbericht stützt sich bei
der Umschreibung des anzustrebenden Sprachniveaus auf den Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmen für Sprachen des Europarats (GER; Europäisches
Sprachenportfolio ESP; abrufbar unter: http://www.coe.int/T/DG4/Portfolio/L=E&M
=/main_pages/levels.html, besucht am 28. März 2011).
In der erwähnten Publikation von SCHNEIDER UND ANDERE wird für die mündlichen
Kompetenzen (Sprechen, Hörverstehen) ein Überprüfungsprofil im Bereich der
Referenzniveaus B1.1 bis A2.1 als sinnvoll bezeichnet. Die Prüfung von
schriftlichen Kompetenzen (Lesen, Schreiben) wird generell nicht empfohlen.
Indes wird vorgeschlagen, dass sich die zuständigen Behörden im Falle einer
Prüfung schriftlicher Kompetenzen am Referenzniveau A2.2 für das Lesen und A2.1
für das Schreiben orientieren (SCHNEIDER UND ANDERE, a.a.O., S. 21 f. und
Anhang D, Sprachkompetenzprofil "Einstieg in die selbständige
Sprachverwendung", S. 35).
Unter Berücksichtigung dieses Rahmenkonzepts kommt das Verwaltungsgericht zum
Schluss, im Regelfall könnten vom Bürgerrechtsbewerber kommunikative
Fähigkeiten (Verstehen, Sprechen) von B1 bis B2 (insbesondere soweit es um
Begriffe und Themen aus dem Bereich der Staats- und Landeskunde geht) verlangt
werden, ohne dass die zuständige Behörde dadurch den ihr zustehenden
Beurteilungsspielraum verletze. Mit Bezug auf die schriftliche
Sprachbeherrschung (Schreiben) dürften hingegen die Anforderungen mit Rücksicht
auf die unterschiedlichen Bildungsfähigkeiten der
BGE 137 I 235 S. 244
Gesuchsteller das Niveau A2 nicht überschreiten, ansonsten die Diskriminierung
bildungsferner Personen drohe.

3.4.2 Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen (GER) hat sich als
Bezugsinstrument insbesondere in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts
etabliert. Er unterscheidet drei Hauptniveaus sprachlicher
Kommunikationsfähigkeiten: Die A-Niveaus stehen für eine elementare, die
B-Niveaus für eine selbstständige und die C-Niveaus für eine kompetente
Sprachverwendung. Innerhalb der verhältnismässig breit angelegten Hauptniveaus
A und B werden je zwei Teilniveaus (A1 und A2 sowie B1 und B2 mit weiteren
Unterteilungen) unterschieden, was die Genauigkeit des sprachlichen
Anforderungsprofils erhöhen soll.
Der GER findet auch im Bundesrecht Verwendung. So werden für die vorzeitige
Erteilung der Niederlassungsbewilligung Kenntnisse der am Wohnort gesprochenen
Landessprache auf dem Niveau A2 des GER verlangt (vgl. Art. 62 Abs. 1 lit. c
der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und
Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201]). Für die Betreuungs- und Lehrtätigkeit
(z.B. religiöse Betreuungspersonen oder Lehrkräfte für heimatliche Sprache und
Kultur) sind Kenntnisse der am Arbeitsort gesprochenen Landessprache auf dem
Sprachniveau B1 des GER erforderlich (Art. 7 der Verordnung vom 24. September
2007 über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern [VlntA; SR
142.205]).

3.4.3 Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, inwiefern das vom
Verwaltungsgericht genannte Sprachniveau mit der Gemeindeautonomie nicht
vereinbar wäre. Zur näheren Umschreibung der Anforderungen, die ein
Einbürgerungswilliger in sprachlicher Hinsicht erfüllen sollte, erscheint der
GER aufgrund des Rahmenkonzepts für den Nachweis der sprachlichen
Kommunikationsfähigkeit im Hinblick auf die Einbürgerung als gut geeignet. Es
geht darum, einen objektivierbaren Massstab für die
Einbürgerungsvoraussetzungen gemäss Art. 14 lit. b BüG festzulegen. Damit wird
die Grundlage für einen überprüfbaren Entscheid über die Sprachkenntnisse im
Einbürgerungsverfahren geschaffen, was der rechtsgleichen und willkürfreien
Handhabung des Sprachenkriteriums dient. Die Sprachniveaus wurden vom
Verwaltungsgericht nicht als verbindliche Mindestkenntnisse formuliert, sondern
es bleibt weiterhin den Gemeinden überlassen, im Rahmen der genannten Kriterien
zu entscheiden, ob die Sprachkenntnisse im konkreten Einzelfall für eine
Einbürgerung
BGE 137 I 235 S. 245
ausreichen. Damit wird der von der Gemeindeautonomie geschützten
Entscheidungsfreiheit der Gemeinde hinreichend Rechnung getragen. Auch können
die Gemeinden das Verfahren für Personen, welche die sprachlichen Anforderungen
aus bestimmten Gründen nicht erfüllen (z.B. wegen einer geistigen Behinderung
oder hohen Alters), individuell bestimmen (vgl. BGE 135 I 49). Somit erscheint
die Einbürgerung von Personen mit Lern- oder Leistungsschwächen oder
Behinderungen durch die Vorgaben des Verwaltungsgerichts nicht ausgeschlossen
(vgl. Botschaft Bürgerrecht, BBl 2011 2832 Ziff. 1.2.2.2; Bericht des
Regierungsrats des Kantons Basel-Stadt vom 26. Oktober 2010 zur kantonalen
Volksinitiative "für eine faire Einbürgerung [Sprachinitiative]", S. 11, im
Internet: http:www.grosserrat.bs.ch/dokumente/100370/000000370752.pdf, besucht
am 4. April 2011).

3.5 Soweit das Verwaltungsgericht das in Erlinsbach durchgeführte Verfahren zur
Feststellung der Sprachkenntnisse der Beschwerdegegnerin A.X. beanstandet, ist
ebenfalls nicht ersichtlich, inwiefern damit die Gemeindeautonomie verletzt
worden sein soll. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu den genannten
Mängeln werden von der Beschwerdeführerin nicht substanziiert in Frage gestellt
(Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG).
Das Verwaltungsgericht verlangt im Hinblick auf die rechtsgleiche Handhabung
des Spracherfordernisses und die Gewährleistung eines fairen Verfahrens, dass
den Bürgerrechtsbewerbern zumindest zu einem frühen Zeitpunkt mitgeteilt wird,
welches Sprachniveau bei den verschiedenen sprachlichen Fertigkeiten
(Verstehen, Sprechen, Schreiben) erwartet wird. Weiter soll die zuständige
Behörde die ausreichende Qualität des Evaluationsverfahrens sicherstellen sowie
die Evaluation in Bezug auf den Gesuchsteller bzw. die Gesuchstellerin
individuell durchführen und dokumentieren. Diese Mindesterfordernisse dienen im
Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes der rechtsgleichen Behandlung (Art. 8 BV)
sowie der Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).
Das Verwaltungsgericht hat die Gemeinde nicht auf ein bestimmtes Verfahren zur
Ermittlung der Sprachkenntnisse verpflichtet, sondern lediglich die
verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an das Verfahren bezeichnet. Damit
bleibt es der Gemeinde überlassen, innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens
über die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens zur Beurteilung der
Sprachkenntnisse zu
BGE 137 I 235 S. 246
entscheiden. Die Autonomie der Gemeinde wird dadurch gewahrt. Da der Gemeinde
nach dem angefochtenen Entscheid innerhalb des bundesrechtlichen Rahmens
hinreichende Gestaltungsmöglichkeiten für die Feststellung und Beurteilung der
Sprachkenntnisse verbleiben, kann auch dem Eventualantrag der
Beschwerdeführerin nicht entsprochen werden.

3.6 Schliesslich hat das Verwaltungsgericht auch darauf hingewiesen, dass die
Verneinung einer hinreichenden Integration der Beschwerdegegnerin A.X. einer
verfassungsrechtlich haltbaren Begründung bedarf. Die entsprechenden Erwägungen
der Vorinstanz stimmen mit Art. 15b BüG und der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung zur Begründungspflicht von Einbürgerungsentscheiden überein (BGE
135 I 265 E. 4.3.1 S. 276; BGE 132 I 196 E. 3.1; BGE 131 I 18 E. 3 S. 20; BGE
129 I 232 E. 3 S. 234 ff.; je mit Hinweisen). Die Gemeinde hat die Gründe,
welche zur Ablehnung der Einbürgerung wegen mangelnder Integration führen, im
Einzelnen darzulegen. Dadurch werden sowohl die betroffene Gesuchstellerin als
auch die Beschwerdeinstanz in die Lage versetzt, sich mit den genannten Gründen
auseinanderzusetzen und diese auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen. Das
Verwaltungsgericht beanstandete zu Recht, dass die Gemeinde die ausreichende
Vertrautheit mit den schweizerischen Verhältnissen im Wesentlichen damit
verneine, dass die Beschwerdegegnerin A.X. keine Erwerbstätigkeit ausübe.
Stattdessen hat sie hier ihre Kinder grossgezogen und begleitet auch heute noch
die Entwicklung der jüngeren Kinder. Dass sie - zumindest in beschränktem
Rahmen - am Dorfleben teilnimmt, bestreitet die Gemeinde nicht. Unter diesen
Umständen gelangte das Verwaltungsgericht ohne Verletzung der Gemeindeautonomie
zum Schluss, dass aufgrund der bisherigen Untersuchung des Sachverhalts -
vorbehältlich ausreichender Sprachkenntnisse - nicht von einer unzureichenden
Vertrautheit mit den hiesigen Verhältnissen ausgegangen werden dürfe.