Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 IV 339



Urteilskopf

137 IV 339

49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen)
1B_440/2011 vom 23. September 2011

Regeste

Art. 221 Abs. 2 StPO; Haftgrund der Ausführungsgefahr.
Die Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, kann auch konkludent erfolgen
(E. 2.4).

Sachverhalt ab Seite 339

BGE 137 IV 339 S. 339
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen führt ein Strafverfahren gegen X.
wegen des Verdachts der versuchten vorsätzlichen Tötung. Sie wirft ihm vor, er
habe am Abend des 23. Dezember 2010 versucht, seine Ehefrau umzubringen.
Gleichentags wurde er verhaftet.
Mit Entscheid vom 9. Juni 2011 verlängerte der Regionale
Zwangsmassnahmenrichter am Kreisgericht See-Gaster die Untersuchungshaft.
Die von X. dagegen erhobene Beschwerde wies die Anklagekammer des Kantons St.
Gallen am 12. Juli 2011 ab. Sie bejahte Ausführungsgefahr gemäss Art. 221 Abs.
2 der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0).
X. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid der
Anklagekammer sei aufzuheben; er sei umgehend aus der Untersuchungshaft zu
entlassen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.4 Der Beschwerdeführer macht in der Replik erstmals geltend, es fehle an
einer Drohung, weshalb Art. 221 Abs. 2 StPO nicht
BGE 137 IV 339 S. 340
anwendbar sei. Es kann offenbleiben, ob darauf eingetreten werden kann, da der
Beschwerdeführer den Einwand bereits in der Beschwerde hätte vorbringen können
(BGE 132 I 42 E. 3.3.4 S. 47 mit Hinweisen). Dieser ist jedenfalls unbegründet.
Art. 221 Abs. 2 StPO setzt die Drohung voraus, ein schweres Verbrechen
auszuführen. Es trifft zu, dass eine ausdrückliche Drohung des
Beschwerdeführers, er werde seine Frau töten, nicht aktenkundig ist. Die
Drohung kann jedoch auch konkludent erfolgen (MARC FORSTER, in: Basler
Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 18 zu Art. 221 StPO).
So verhält es sich hier. Der Beschwerdeführer steht unter dem dringenden
Verdacht, am 23. Dezember 2010 in der Waschküche seiner Ehefrau die Pulsader
des linken Handgelenks aufgeschnitten und sie dort zurückgelassen zu haben in
der Annahme, sie werde verbluten. Darin ist eine konkludente Drohung zu
erblicken, der Beschwerdeführer werde die bisher nur bis zum Versuchsstadium
gelangte vorsätzliche Tötung noch verwirklichen (vgl. FORSTER, a.a.O., Fn. 75;
NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N.
14 zu Art. 221 StPO). Aufgrund des Vorfalls vom 23. Dezember 2010 ist die
Bedrohung sogar konkreter, als wenn der Beschwerdeführer lediglich verbal
gedroht hätte. Liegt demnach eine konkludente Drohung vor, sind die
Voraussetzungen der Haft nach Art. 221 Abs. 2 StPO auch insoweit erfüllt.