Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 IV 258



Urteilskopf

137 IV 258

37. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y.
(Beschwerde in Strafsachen)
6B_118/2011 vom 11. Juli 2011

Regeste

Art. 66 StGB; Friedensbürgschaft.
Das Tatbestandsmerkmal der Drohung in Art. 66 StGB setzt keine strafrechtlich
relevante Drohung im Sinne von Art. 180 StGB voraus. Die Drohung muss zudem
weder ausdrücklich noch gegenüber dem Bedrohten geäussert werden. Genügend ist
- unabhängig vom konkreten Verwirklichungswillen - jede Drohung mit einem
Verbrechen oder Vergehen, wenn eine ernste, naheliegende Besorgnis des
Bedrohten besteht, dass sie der Drohende verwirklichen wird. Dem Richter kommt
für die Beurteilung der Verwirklichungschancen der Drohung ein grosser
Ermessensspielraum zu (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 258

BGE 137 IV 258 S. 258

A. Seit Ende Sommer 2009 führen X. und Y. im Zuge des Abbruchs ihrer Beziehung
eine erbitterte Auseinandersetzung. Auf Antrag von Y. hatte die Einzelrichterin
am Bezirksgericht Zürich darüber zu
BGE 137 IV 258 S. 259
befinden, ob die Voraussetzungen für die Anordnung einer Friedensbürgschaft
erfüllt seien. Mit Verfügung vom 13. Oktober 2010 trat die Einzelrichterin auf
einen Antrag nicht ein, einen wies sie ab und einen dritten hiess sie gut. Die
zu hinterlegende Sicherheit setzte sie auf Fr. 500'000.- fest. Weiter regelte
sie die Folgen einer allfälligen Säumnis bzw. des Nichteinhaltens des vom
Beschwerdeführer dem Gericht abzugebenden Versprechens.

B. Beide Parteien erhoben Rekurs gegen die Verfügung der Einzelrichterin. X.
stellte ausserdem ein Begehren um aufschiebende Wirkung. Mit Verfügung vom 3.
November 2010 erteilte das Obergericht des Kantons Zürich dem Rekurs von X.
aufschiebende Wirkung. Y. stellte im Rekursverfahren unter anderem den
prozessualen Antrag, diese sei wieder zu entziehen.
Mit Beschluss vom 7. Februar 2011 wies das Obergericht des Kantons Zürich den
Rekurs von X. ab. Im Rahmen der Erwägungen stellte es unter anderem fest, eine
Veranlassung, auf die angeordnete aufschiebende Wirkung zurückzukommen, wie
dies von Y. beantragt werde, bestehe nicht.

C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Er beantragt, der
Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. Februar 2011 sei
aufzuheben, und das Gesuch von Y. um Anordnung einer Friedensbürgschaft sei
vollumfänglich abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Gerichtskosten aller Instanzen seien Y.
aufzuerlegen, und diese sei zu verpflichten, ihm eine angemessene
Prozessentschädigung für alle Verfahren zu bezahlen.
Mit Zwischenverfügung vom 1. März 2011 gewährte das Bundesgericht der
Beschwerde von X. die beantragte aufschiebende Wirkung.

D. Die von Y. erhobene Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht bildet
Gegenstand des Verfahrens 6B_190/2011.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1

2.1.1 Der Beschwerdeführer macht in rechtlicher Hinsicht geltend, die
Vorinstanz verletze Art. 66 StGB. Die vorausgesetzte konkrete Gefahr, die
angebliche Drohung künftig zu verwirklichen, bestehe nicht, zumal die
Vorinstanz den langen Zeitablauf seit der vor über
BGE 137 IV 258 S. 260
eineinhalb Jahren beendeten Beziehung und der angeblichen Drohung vom 30.
Januar 2010 ausser Acht lasse.

2.1.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsgebots
(Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 36 Abs. 3 BV). Bei der Friedensbürgschaft, welche
die Grundrechte stark einschränke, sei dieses Gebot zwingend zu beachten. Die
Vorinstanz verkenne die Natur der Friedensbürgschaft als Präventiv- und
Zwangsmassnahme. Es fehle vorliegend jegliches Präventionsinteresse, nachdem
die Beschwerdegegnerin erst Monate nach der angeblichen Drohung das Begehren um
Anordnung einer Friedensbürgschaft gestellt habe. Das Verfahren habe sie in der
Folge laufend verzögert, so dass mehr als ein Jahr bis zum angefochtenen
Entscheid vergangen sei. Seit dem Bruch der Beziehung im Spätsommer 2009 hätten
sich zudem keinerlei Vorfälle aggressiven Inhalts oder tätliche
Auseinandersetzungen zwischen ihnen mehr ereignet. Allein aufgrund des
Zeitablaufs könne jegliche Gefährdung der Beschwerdegegnerin ausgeschlossen
werden, weshalb die Anordnung einer Friedensbürgschaft nicht verhältnismässig
sei.

2.2 Die Vorinstanz erwägt, die geringe Frustrationstoleranz in künftigen
ähnlichen Situationen lasse auf erneute Handgreiflichkeiten des
Beschwerdeführers schliessen. Die Beteuerungen, er habe nach dem Tod seines
Vaters im Sommer 2010 ein verantwortungsvolles Erbe angetreten und nun anderes
im Sinn, sei mit "gesunder Vorsicht" zu würdigen. Es fehle am Tatbeweis, dass
er sein Verhaltensmuster geändert habe und sein angekündigter Wandel gefestigt
sei. Sein Umgang mit dem Zeugen C. im Juni 2010 lasse nicht auf eine gefestigte
Verhaltensänderung vertrauen. Zudem laufe aufgrund eines Strafantrags der
Beschwerdegegnerin ein Strafverfahren gegen ihn beim Bezirksgericht Zürich. Die
Drohung gegen die Beschwerdegegnerin habe er lange nach Beendigung der
Beziehung ausgestossen, weil sie ihre Aussagen bzw. den Strafantrag in dieser
Sache nicht zurückgezogen habe. Er habe an diesem Rückzug nach wie vor ein
Interesse. Nicht die gescheiterte Beziehung oder unverarbeitete
Beziehungskonflikte bildeten Ursache der Drohung, sondern das erwähnte hängige
Strafverfahren. Das Präventionsinteresse sei daher nach wie vor gegeben. Die
Verhältnismässigkeit der angeordneten Friedensbürgschaft zur Schwere des
angeordneten Nachteils und zum Grad der Verwirklichungsgefahr sei gewahrt, und
zwar unbeeinflusst von subjektivem Angstempfinden, übertriebener Panikmacherei
und Dramatisierung durch die Beschwerdegegnerin.
BGE 137 IV 258 S. 261

2.3 Besteht die Gefahr, dass jemand ein Verbrechen oder Vergehen ausführen
wird, mit dem er gedroht hat, oder legt jemand, der wegen eines Verbrechens
oder eines Vergehens verurteilt wird, die bestimmte Absicht an den Tag, die Tat
zu wiederholen, so kann ihm das Gericht auf Antrag des Bedrohten das
Versprechen abnehmen, die Tat nicht auszuführen, und ihn anhalten, angemessene
Sicherheit dafür zu leisten (Art. 66 Abs. 1 StGB). Der Richter wird hierbei
nicht von Amtes wegen tätig, sondern auf Antrag der bedrohten Person. Auch bei
einem entsprechenden Antrag steht es im richterlichen Ermessen, eine
Friedensbürgschaft auszusprechen.
Vorliegend bildet die erste Tatbestandsvariante der Friedensbürgschaft
Gegenstand des Verfahrens: Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen,
verbunden mit der Gefahr ihrer Ausführung.

2.4 Der von der Friedensbürgschaft bezweckte Schutz ist auf Verhältnisse
zugeschnitten, in denen der potentielle Täter und sein Opfer - wie hier der
Beschwerdeführer und die Beschwerdegegnerin - durch die Zugehörigkeit zur
gleichen überschaubaren sozialen Gruppe miteinander verbunden sind (Urteil
6B_10/2008 vom 15. April 2008 E. 1.4 mit Hinweisen).

2.5 Das Tatbestandsmerkmal der Drohung setzt keine strafrechtlich relevante
Drohung im Sinne von Art. 180 StGB voraus. Genügend ist jede Drohung mit einem
Verbrechen oder Vergehen, wenn die Gefahr besteht, dass der Drohende sie
verwirklichen werde. Art. 66 StGB setzt auch nicht voraus, dass die Drohung
ausdrücklich und gegenüber dem Bedrohten geäussert wurde (BGE 71 IV 72 E. 2).
Das Bundesgericht hat in diesem einzigen amtlich publizierten Entscheid
offengelassen, ob der Drohende tatsächlich die Absicht haben muss, die Tat
auszuführen. Im Schrifttum besteht die Auffassung, dass die Drohung unabhängig
des konkreten Verwirklichungswillens zumindest als ernstgemeint erscheinen soll
(RENÉ KISSLING, in: Basler Kommentar, Strafprozessordnung [nachfolgend:
BSK-StPO],2011, N. 2 zu Art. 372 StPO; ders., Friedensbürgschaft und
Zwangsmassnahmen[nachfolgend: Friedensbürgschaft], SJZ 103/2007S. 199 f.; AUDE
BICHOVSKY, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 17 zu Art. 66
StGB; ERICH ZÜBLIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 2. Aufl. 2007, N. 8 zu
Art. 66 StGB; so auch schon JAKOB GRÜNBAUM, Die Friedensbürgschaft im
schweizerischen Strafgesetz, 1941, S. 29 f.; anders PHILIPPE GRAVEN, Le
cautionnement préventif, 1963, S. 47, wonach die Absicht ["l'intention"] des
Täters vorliegen muss, die Drohung wahr zu machen).
BGE 137 IV 258 S. 262

2.6 Es erscheint sachgerecht, unabhängig vom konkreten Verwirklichungswillen
auf die Wirkung der Drohung gegenüber dem Drohungsempfänger abzustellen, analog
dem Tatbestand der Drohung nach Art. 180 StGB. Tathandlung bildet dort, den
Empfänger der Drohung in Schrecken oder Angst zu versetzen. Der Täter muss
nicht die Absicht haben, die Drohung tatsächlich in die Tat umzusetzen (Urteil
6S.621/2000 vom 26. Oktober 2000 E. 2a; in diesem Sinne nun auch KISSLING,
BSK-StPO, a.a.O., N. 2 f. mit Hinweis). Höhere Anforderungen an die
Verwirklichungsabsicht der Drohung im Rahmen der Friedensbürgschaft sind nicht
angezeigt.

2.7 Der Bedrohte muss eine ernste, naheliegende Besorgnis haben, dass die
angedrohte Straftat verwirklicht wird, was der französische Gesetzestext zum
Ausdruck bringt ("s'il y a lieu de craindre"). Dem zuständigen Richter kommt
für die Beurteilung der Verwirklichungschancen der Drohung ein grosser
Ermessensspielraum zu, wobei er die gesamten Umstände im konkreten Fall zu
berücksichtigen hat (Urteil 1P.86/1999 vom 5. Juli 1999 E. 2c mit Hinweis, in:
SJ 2000 I 209).

2.8 Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie aufgrund der
festgestellten geringen Frustrationstoleranz und der fehlenden Festigung der
lediglich angekündigten Verhaltensänderung des Beschwerdeführers die Gefahr
einer Umsetzung der ausgesprochenen Drohung nach wie vor als gegeben erachtet.
Sie durfte zudem das Präventionsinteresse an der Friedensbürgschaft ohne
Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes bejahen, zumal offenbar das von
der Beschwerdegegnerin gegen den Beschwerdeführer veranlasste (und noch immer
hängige) Strafverfahren Auslöser der ausgestossenen Drohung war. Aufgrund des
blossen Zeitablaufs seit der Drohung kann entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers nicht jegliche Gefährdung der Beschwerdegegnerin
ausgeschlossen werden. Dies gilt umso mehr, als die beiden Parteien seit
längerem räumlich getrennt sind, jedoch gemäss Vorinstanz bei einem
Zusammentreffen (wie vor der Untersuchungsbehörde) immer noch sehr emotional
aufeinander reagieren. Dass die Beschwerdegegnerin den Antrag auf eine
Friedensbürgschaft erst rund dreieinhalb Monate nach der Drohung, am 17. Mai
2010, gestellt hat, ändert am Präventionsinteresse ebenfalls nichts, zumal der
Antrag nicht an eine Frist gebunden ist, solange die Ausübung des angedrohten
Übels befürchtet werden muss (KISSLING, Friedensbürgschaft, a.a.O., S. 200).