Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 IV 219



Urteilskopf

137 IV 219

32. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Y. AG und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Beschwerde in Strafsachen)
1B_123/2011 vom 11. Juli 2011

Regeste

Art. 9, 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 1 BV; Art. 6, 10 Abs. 3, Art. 139 Abs. 1,
Art. 324 i.V.m. Art. 319 Abs. 1 sowie Art. 453 Abs. 1 StPO; Art. 81 Abs. 1 lit.
b Ziff. 5 i.V.m. Art. 132 Abs. 1 BGG; Art. 29 Abs. 3 BGerR; Art. 122- 125 StGB;
Einstellung der Strafuntersuchung; strafprozessualer Grundsatz "in dubio pro
duriore"; Untersuchungsmaxime; rechtliches Gehör; Willkürverbot.
Intertemporalrechtliche Bestimmungen betreffend die Anwendbarkeit der StPO (E.
1.1), des BGerR (Zuständigkeit; E. 1.2) und des BGG (E. 2.1).
Beschwerdeberechtigung des Privatklägers gegen definitive
Verfahrenseinstellungen, wenn die Frage einer möglichen Strafbarkeit von
weiteren Untersuchungsergebnissen abhängt (E. 2.2-2.7). Im vorliegenden Fall
lässt sich eine strafbare Körperverletzung (durch einen medizinischen
Kunstfehler) nicht mit grosser Wahrscheinlichkeit ausschliessen. Es bestehen
Anhaltspunkte für schwere, sich langfristig auswirkende Gesundheitsschäden zum
Nachteil des Privatklägers infolge eines (durch Erbgut-Schädigungen
verursachten) deutlich erhöhten Krebsrisikos. Die definitive Einstellung des
Strafverfahrens durch die Untersuchungsbehörde mangels Strafbarkeit verstösst
gegen Bundesrecht, insbesondere gegen den Grundsatz "in dubio pro duriore" (E.
3-8). Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist auf die Frage der Einstellung oder
Anklageerhebung nach Abschluss der Strafuntersuchung nicht anwendbar (E. 7.3).

Sachverhalt ab Seite 220

BGE 137 IV 219 S. 220

A. Zwischen dem 14. und 15. April 2008 wurde X. in der Klinik Y. in Luzern
medizinisch behandelt. Am 3. Mai 2010 erstattete er Strafanzeige (gegen
Unbekannt) wegen schwerer Körperverletzung durch das verantwortliche
medizinische Personal. Mit Entscheid vom 23. Juli 2010 stellte das
Amtsstatthalteramt Luzern die eingeleitete Strafuntersuchung mangels strafbarer
Handlung definitiv ein. Gegen die Einstellungsverfügung erhob der Strafanzeiger
am 10. August 2010 als Privatstrafkläger Rekurs bei der Staatsanwaltschaft des
Kantons Luzern. Er beantragte die Aufhebung der Einstellungsverfügung und die
Durchführung weiterer Untersuchungsmassnahmen; eventualiter sei der Fall zur
gerichtlichen Beurteilung an das zuständige Gericht zu überweisen.

B. Die Staatsanwaltschaft gelangte am 21. Dezember 2010 im Rekursverfahren an
die Kriminal- und Anklagekommission des Kantons Luzern und beantragte die
Abweisung des Rekurses. Mit Entscheid vom 26. Januar 2011 wies das Obergericht
des Kantons Luzern,
BGE 137 IV 219 S. 221
2. Abteilung (als Rekursinstanz nach § 138 Abs. 2 StPO/LU) den Rekurs ab.

C. Gegen den Rekursentscheid des Obergerichtes vom 26. Januar 2011 gelangte X.
mit Beschwerde vom 17. März 2011 an das Bundesgericht. Er beantragt die
Aufhebung des angefochtenen Entscheides.
Die Staatsanwaltschaft hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Das Obergericht
schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Die Y.
AG beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Es stellt sich die Frage nach dem anwendbaren Recht und nach der
Zuständigkeit zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde:

1.1 Seit dem 1. Januar 2011 ist die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO;
SR 312.0) in Kraft. Ist ein Entscheid noch vor Inkrafttreten der StPO gefällt
worden, so werden dagegen erhobene Rechtsmittel nach bisherigem Recht und von
den bisher zuständigen Behörden beurteilt (Art. 453 Abs. 1 StPO). Für
Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Entscheide, die nach dem 31. Dezember 2010
gefällt werden, gilt neues Recht (Art. 454 Abs. 1 StPO). Ausschlaggebend für
die Anwendbarkeit des alten oder neuen Prozessrechts ist insofern das
erstinstanzliche Entscheiddatum (BGE 137 IV 189 E. 1; vgl. VIKTOR LIEBER, in:
Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [nachfolgend: Zürcher
Kommentar StPO], 2010, N. 2 zu Art. 453 und N. 2 zu Art. 454 StPO; NIKLAUS
SCHMID, Übergangsrecht der Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, Rz. 280
ff.). Der hier streitige erstinstanzliche Einstellungsbeschluss basiert auf
kantonalem Strafprozessrecht und datiert vom 23. Juli 2010. Damit ist auch die
vorliegende Beschwerde, soweit sie sich als zulässig erweist, materiell nach
dem bisherigen kantonalen Strafprozessrecht zu beurteilen.

1.2 Per 1. Januar 2011 hat die Zuständigkeit für die Behandlung von Beschwerden
in Strafsachen (Art. 78 Abs. 1 i.V.m. Art. 90 BGG) gegen
verfahrensabschliessende (definitive) Einstellungen geändert: Die Erste
öffentlich-rechtliche Abteilung hat neben Beschwerden gegen strafprozessuale
Zwischenentscheide nun (neu) auch solche gegen "Nichteröffnungen und
Einstellungen" zu behandeln (Art. 29
BGE 137 IV 219 S. 222
Abs. 3 BGerR [SR 173.110.131], in der Fassung gemäss Ziff. I der Verordnung des
Bundesgerichtes vom 9. Dezember 2010 [AS 2010 6387]). Diese
Zuständigkeitsregelung ist seit dem 1. Januar 2011 in Kraft und daher auch auf
altrechtliche Fälle anwendbar (Ziff. II der Verordnung des Bundesgerichtes vom
9. Dezember 2010 [AS 2010 6388]; vgl. Urteil des Bundesgerichtes 1B_1/2011 vom
20. April 2011 E. 1.2). Für die Überprüfung der vorliegenden
verfahrensabschliessenden Einstellung (nach erfolgter Untersuchung) ist nach
dem Gesagten die Erste öffentlich-rechtliche Abteilung zuständig.

2. Zu prüfen ist zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde.

2.1 Für den angefochtenen Rechtsmittelentscheid vom 26. Januar 2011 gelten die
Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 81 BGG in der Fassung gemäss Anhang Ziff.
II/5 des Strafbehördenorganisationsgesetzes vom 19. März 2010, in Kraft seit
dem 1. Januar 2011 (Art. 132 Abs. 1 BGG; vgl. Urteile des Bundesgerichtes
1B_200/2011 vom 15. Juni 2011 E. 2.1; 1B_119/2011 vom 20. April 2011 E. 1.2).

2.2 Gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG setzt eine Beschwerdeberechtigung
der Privatklägerschaft voraus, dass der angefochtene Entscheid sich auf die
Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann.

2.3 Nach dem hier anwendbaren kantonalen Strafprozessrecht (vgl. oben, E. 1.1)
ist Privatstrafkläger, wer die Strafverfolgung des mutmasslichen Täters
verlangt (§ 35 Abs. 1 StPO/LU). Zur Privatstrafklage ist berechtigt, wer durch
die strafbare Handlung in seinen Interessen unmittelbar verletzt wurde bzw.
(bei Antragsdelikten) wer antragsberechtigt ist (§ 35 Abs. 2 StPO/LU). Diese
Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die kantonalen Behörden haben den
Beschwerdeführer im Rekursverfahren denn auch als Privatstrafkläger im Sinne
von § 137 Abs. 1 StPO/LU (bzw. als mögliches Opfer i.S. von aArt. 8 Abs. 1 lit.
b OHG [SR 312.5]) grundsätzlich anerkannt.

2.4 Die streitige Verfahrenseinstellung bezieht sich ausdrücklich auf die
Untersuchung von (eventual-)vorsätzlicher schwerer Körperverletzung (Art. 122
StGB). Der beanzeigte Sachverhalt wäre strafrechtlich allerdings auch unter dem
Gesichtspunkt der fahrlässigen schweren oder einfachen Körperverletzung (Art.
125 StGB) bzw. der eventualvorsätzlichen einfachen Körperverletzung (Art. 123
StGB) zu prüfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes muss der
Privatstrafkläger zwar seine Zivilansprüche im Untersuchungsverfahren noch
nicht (adhäsionsweise) geltend gemacht haben, damit er zur
BGE 137 IV 219 S. 223
Beschwerde gegen definitive Einstellungen befugt ist. Er hat jedoch darzulegen,
welche Zivilansprüche er gegen beschuldigte Personen stellen möchte, sofern
dies (etwa aufgrund der Natur der untersuchten Straftat) nicht ohne Weiteres
aus den Akten ersichtlich ist (vgl. BGE 127 IV 185 E. 1a S. 187; BGE 122 IV 139
E. 1 S. 141; BGE 120 IV 44 E. I/4a S. 52 f.; je mit Hinweisen; Urteil 1B_119/
2011 vom 20. April 2011 E. 1.2.1 mit Hinweis auf BGE 133 II 353 E. 1 S. 356,
BGE 133 II 249 E. 1.1 S. 251; s. neurechtlich auch Art. 118-123 StPO; Urteil
1B_200/2011 vom 15. Juni 2011 E. 2.3).

2.5 Im vorliegenden Fall räumt der Beschwerdeführer ein, dass noch keine
erkennbare schwere Gesundheitsschädigung bzw. akute Krankheit bei ihm
ausgebrochen ist. Allerdings macht er schwere sich langfristig auswirkende
Gesundheitsschäden geltend, infolge eines (durch Erbgut-Schädigungen
verursachten) deutlich erhöhten Krebsrisikos (vgl. dazu näher unten, E. 3).

2.6 Zwar könnte fraglich erscheinen, ob im Falle eines erhöhten Krebsrisikos
bzw. mutmasslicher toxischer Schädigungen des Erbguts bereits ein
strafrechtlicher Erfolg im Sinne von Art. 122-125 StGB eingetreten wäre. In
ähnlich gelagerten Fällen hat das Bundesgericht jedoch erwogen, dass es in
diesem Zusammenhang auf die Wahrscheinlichkeit einer schweren Erkrankung
ankomme. So gilt im Falle einer Ansteckung mit dem HI-Virus der
tatbestandsmässige Körperverletzungserfolg grundsätzlich als eingetreten, auch
wenn die Krankheit AIDS noch nicht erkennbar ausgebrochen ist (vgl. BGE 131 IV
1 E. 1.1 S. 3; BGE 116 IV 125 E. 2c S. 128 f., E. 4b S. 131 f., E. 5 S. 133
f.).

2.7 Der Beschwerdeführer beansprucht (sinngemäss) Genugtuung wegen
Erbgut-Schädigung mit konkret erhöhtem Krebsrisiko. Ausserdem behält er sich
Schadenersatz für entsprechende medizinische Abklärungen und (nötigenfalls)
Behandlungen vor. In der Beschwerdeschrift legt er dar, dass die "tatsächliche
Quantifikation langfristiger schwerer Gesundheitsschäden" von einer
medizinischen Begutachtung seines Falles abhänge, welche von den kantonalen
Instanzen zu Unrecht verweigert werde. Ob im vorliegenden Fall eine
DNS-Schädigung mit konkret erhöhtem Krebsrisiko eingetreten ist, welche als
mögliche strafbare Körperverletzung (Art. 122-125 StGB) zu verfolgen wäre,
hängt von weiteren Untersuchungsergebnissen ab, welche die kantonalen Instanzen
bisher nicht erhoben haben (vgl. dazu unten, E. 8). Bei dieser Sachlage ist die
Beschwerdelegitimation des Privatstrafklägers zu bejahen.
BGE 137 IV 219 S. 224

3. In der Hauptsache macht der Beschwerdeführer Folgendes geltend: Er sei in
der Klinik wegen ausgeprägter Anämie (Eisenmangel) therapiert worden. Man habe
ihm intravenös sogenannte parenterale Eisenpräparate verabreicht. Diese
synthetischen Eisenverbindungen sollten das Auftreten hochtoxischer freier
Eisenverbindungen vermeiden. Bei Letzteren handle es sich um sogenanntes
nicht-transferringebundenes Eisen (NBTI), welches eine gentoxische Wirkung
(durch sogenannten "oxidativen Stress") auslöse und das Erbgut (DNS) schädige.
Bei der medizinischen Behandlung seien drei Fehler erfolgt. Erstens sei ihm
entgegen der Verordnung des behandelnden Arztes am zweiten Behandlungstag das
pharmazeutische Präparat A. verabreicht worden, anstatt (wie am ersten Tag) B.
Ob die beiden Medikamente direkt nacheinander abgegeben werden dürften, sei
unklar. Zweitens sei das Präparat A. zu stark verdünnt gewesen. Verdünnungen
mit weniger als 2 mg Eisen/ml seien ausdrücklich nicht erlaubt und
destabilisierten das Eisenpräparat. Drittens sei zwischen den beiden Therapien
eine Magnetresonanz-Tomografie (MRT) des Magen-Darmtraktes erfolgt. Die dabei
verwendeten Kontrastmittel (sogenannte Gd-Chelate) sowie das starke Magnetfeld
erhöhten zusätzlich das Risiko einer toxischen Eisenfreisetzung bzw. einer
Instabilität der Eisenpräparate. Diese Behandlungsfehler hätten wahrscheinlich
(einzeln oder in ihrem Zusammenwirken) gentoxisches NBTI verursacht. Zwar seien
noch keine akuten Gesundheitsschäden feststellbar. Es bestehe jedoch die
konkrete und erhöhte Gefahr langfristiger Schädigungen, namentlich ein durch
Gentoxizität erhöhtes Krebsrisiko. Der Hersteller der Medikamente habe ihm, dem
Beschwerdeführer, dazu keine Informationen geben wollen. Das Strafverfahren sei
durch die Untersuchungsbehörde zu Unrecht mangels Tatbestands eingestellt
worden.
Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung von
Bundesrecht, insbesondere von Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (willkürliche Anwendung
des kantonalen Prozessrechts, offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung, unhaltbare antizipierte Beweiswürdigung, Verletzungen
des strafprozessualen Grundsatzes "in dubio pro duriore", der
Untersuchungsmaxime sowie des rechtlichen Gehörs, unrichtige Anwendung des
materiellen Strafrechts, Art. 122-125 StGB).

4. Die Vorinstanz bestätigte die definitive Einstellung des Verfahrens im
Wesentlichen wie folgt: Bei den vom Beschwerdeführer im Untersuchungsverfahren
eingereichten medizinischen Fachberichten
BGE 137 IV 219 S. 225
und weiteren Unterlagen handle es sich um wenig konkrete Studien, die blosse
Vermutungen aufstellten. Zwar lege der Beschwerdeführer gewisse
Verdachtsmomente für einen medizinischen Behandlungsfehler dar. Die
befürchteten Gesundheitsrisiken würden von ihm jedoch nicht weiter präzisiert.
Auf diesbezügliche Beweiserhebungen sei zu verzichten, da im Verhalten der
medizinisch Verantwortlichen keine strafbare Körperverletzung zu erkennen sei.
Für den Vorwurf, dass die Medikamentierungsänderung entgegen der Verordnung des
behandelnden Arztes erfolgt sei, lägen keine Anhaltspunkte vor. Das
medizinische Personal habe die erfolgte Verdünnung des Präparats mit der
damaligen Klinik-Apothekerin und mit der Lieferantenfirma abgesprochen. Deshalb
sei auch eine fahrlässige Körperverletzung auszuschliessen. Zwar räumten die
Klinik-Verantwortlichen ein, dass eine Wirkungsabnahme bzw. eine kurzfristige
Instabilität des Medikaments aufgrund der erfolgten Verdünnung theoretisch
nicht ausgeschlossen werden könne. Doch gebe es dazu keine wissenschaftlichen
Daten des Lieferanten. Dennoch könne davon ausgegangen werden, dass "keine
nachteilige Wirkung" entstanden sei. Insgesamt erscheine es "fraglich, ob der
objektive Tatbestand der schweren Körperverletzung im Sinne einer dauernden und
irreversiblen Beeinträchtigung der Gesundheit" des Beschwerdeführers erfüllt
ist.

5. Die private Beschwerdegegnerin stellt sich ergänzend auf den Standpunkt, es
könne ihr und ihrem Personal keine Sorgfaltswidrigkeit vorgeworfen werden. Eine
Verurteilung der medizinisch Verantwortlichen wegen fahrlässiger schwerer
Körperverletzung erscheine höchst unwahrscheinlich. Daher halte die
Verfahrenseinstellung vor dem Grundsatz "in dubio pro duriore" stand. Die Rügen
der willkürlichen Beweiswürdigung durch das Obergericht oder der Verletzung des
rechtlichen Gehörs seien ebenfalls unbegründet. Die Frage, ob dem
Beschwerdeführer aufgrund der medizinischen Behandlung langfristige schwere
Gesundheitsschäden drohen, könne "offenbleiben".

6. Nach bisherigem Luzerner Strafprozessrecht erforscht der Amtsstatthalter im
Untersuchungsverfahren die Tat, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse
des Täters (§ 60 Abs. 1 StPO/LU). Hat der Geschädigte Zivilansprüche geltend
gemacht, so erhebt der Amtsstatthalter (unter Vorbehalt von § 5^bis Abs. 1 StPO
/LU) die zu ihrer Abklärung nötigen Beweise (§ 60 Abs. 2 StPO/LU). Ist der
Täter
BGE 137 IV 219 S. 226
unbekannt, so trifft die Untersuchungsleitung die zu dessen Ermittlung
notwendigen Anordnungen (§ 61 Abs. 1 StPO/LU). Der Amtsstatthalter schliesst
die Untersuchung mit einem begründeten Erkanntnis ab (§ 124 Abs. 1 StPO/LU).
Eine definitive Verfahrenseinstellung durch die Untersuchungsbehörde kann
insbesondere erfolgen, wenn keine strafbare Handlung vorliegt oder zureichende
Beweise fehlen (§ 125 Abs. 1 StPO/LU). Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für
eine strafbare Handlung, überweist der Amtsstatthalter den Fall dem zuständigen
Gericht, falls die Untersuchung nicht durch Strafverfügung erledigt werden kann
(§ 126 StPO/LU). Wird die Untersuchung eingestellt, so kann der Privatkläger
beim Staatsanwalt Rekurs einlegen mit dem Antrag, dass der Angeschuldigte dem
zuständigen Gericht überwiesen werde (§ 137 Abs. 1 StPO/LU). Hält der
Staatsanwalt den Rekurs für unbegründet, so stellt er einen Antrag an die
Kriminal- und Anklagekommission, die entscheidet (§ 138 Abs. 2 StPO/LU). Im
vorliegenden Fall entschied das Obergericht des Kantons Luzern, 2. Abteilung,
als (altrechtliche) Rekursinstanz nach § 138 Abs. 2 StPO/LU.

7.

7.1 Bei der Frage, ob ein Strafverfahren über eine (definitive)
Verfahrenseinstellung durch die Untersuchungsbehörde erledigt werden kann, gilt
im schweizerischen Strafprozessrecht der Grundsatz "in dubio pro duriore".
Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft nur bei klarer
Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen verfügt
werden (Urteile des Bundesgerichtes 1B_46/2011 vom 1. Juni 2011 E. 4; 1B_1/2011
vom 20. April 2011 E. 4; 6B_588/2007 vom 11. April 2008 E. 3.2.3, in: Pra 2008
Nr. 123; vgl. HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6.
Aufl. 2005, § 78 Rz. 9; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts,
2. Aufl. 2005, Rz. 1375; NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl. 2004, Rz.
797). In Zweifelsfällen hat hingegen eine Anklage und gerichtliche Beurteilung
zu erfolgen (sofern der Fall nicht mit Strafbefehl bzw. Strafverfügung erledigt
werden kann). Dieser Rechtsprechung folgt auch die Luzerner Praxis (in
Anwendung von §§ 125 f. StPO/LU). Eine Überweisung an das Gericht ist
insbesondere dann zu verfügen, wenn zwar eher ein Freispruch zu erwarten ist,
eine Verurteilung aber nicht als unwahrscheinlich ausgeschlossen werden kann
(vgl. Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide [LGVE] 2005 I Nr. 66; 1983 I
Nr. 65).
BGE 137 IV 219 S. 227

7.2 Auch nach neuer Eidg. StPO gilt der Grundsatz "im Zweifel für die
Anklageerhebung" bzw. "in dubio pro duriore", der zwar - wie nach bisherigem
Luzerner Strafprozessrecht - nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist, sich
aber indirekt aus Art. 324 Abs. 1 i.V.m. Art. 319 Abs. 1 StPO ergibt (vgl.
Botschaft StPO, BBl 2006 1273; GRÄDEL/HEINIGER, in: Basler Kommentar,
Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 8-11 zu Art. 319 StPO; NATHAN
LANDSHUT, in: Zürcher Kommentar StPO, a.a.O., N. 5 zu Art. 324 StPO; ROBERT
ROTH, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 5 zu
Art. 319 StPO; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [nachfolgend:
Praxiskommentar], 2009, N. 5 zu Art. 319 StPO).

7.3 Entgegen der (im Rekursverfahren geäusserten) Ansicht der
Staatsanwaltschaft ist der Grundsatz "in dubio pro reo" (vgl. Art. 32 Abs. 1
BV, Art. 10 Abs. 3 StPO) auf die Frage der Einstellung oder Anklageerhebung im
Untersuchungsstadium gerade nicht anwendbar (vgl. Botschaft StPO, BBl 2006
1273; SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 5 zu Art. 319 StPO). Er kommt
(insbesondere als Beweiswürdigungsregel) vielmehr bei der richterlichen Prüfung
sämtlicher massgeblicher Beweisergebnisse zum Zuge (vgl. BGE 120 Ia 31 E. 2b-e
S. 35-38 mit Hinweisen; ESTHER TOPHINKE, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Strafprozessordnung, 2011, N. 75-85 zu Art. 10 StPO; WOLFGANG WOHLERS, in:
Zürcher Kommentar StPO, a.a.O., N. 11-15 zu Art. 10 StPO; MARC FORSTER,
Kettentheorie der strafprozessualen Beweiswürdigung, "in dubio pro reo" vor
Bundesgericht - zum Prüfungsprogramm der Rüge willkürlicher Beweiswürdigung,
ZStrR 115/1997 S. 61-85).

8. Es liegt hier kein Fall klarer Straflosigkeit vor. Ebenso wenig fehlt es
offensichtlich an einer gesetzlichen Prozessvoraussetzung. Ob der objektive
Tatbestand einer schweren Körperverletzung erfüllt sei, wird auch im
angefochtenen Entscheid als "fraglich" eingestuft. Die Argumentation der
Vorinstanz erscheint überdies widersprüchlich. Einerseits schliesst sie eine
Wirkungsabnahme bzw. eine kurzfristige Instabilität des fraglichen Medikaments
aufgrund der erfolgten Verdünnung "theoretisch" nicht aus. Anderseits geht sie
(ohne medizinische Abklärungen) davon aus, dass "keine nachteilige Wirkung"
eingetreten sei.

8.1 In diesem Zusammenhang erscheint die Beweiswürdigung der kantonalen
Instanzen bzw. ihre Ablehnung weiterer
BGE 137 IV 219 S. 228
Untersuchungshandlungen (in sogenannter "antizipierter Beweiswürdigung")
sachlich nicht nachvollziehbar. Dies gilt namentlich für die Ablehnung des vom
Beschwerdeführer beantragten medizinischen Gutachtens sowie für das
vollständige Fehlen von Einvernahmen der medizinisch verantwortlichen Personen
und des Beschwerdeführers. Das Einholen einer Expertise sowie weitere
Untersuchungsmassnahmen drängen sich hier geradezu auf. Gemäss der bei den
Akten liegenden medizinischen Fachliteratur könne NBTI-Gentoxizität zu erhöhtem
Krebsrisiko führen. Der Hersteller warnt in diesem Zusammenhang ausdrücklich
vor einer zu starken Verdünnung des hier verwendeten Präparats. Zu den Folgen
der unbestrittenermassen erfolgten (aber nicht näher abgeklärten) Verdünnung
sowie zu möglichen Wirkungskomplikationen im Zusammenhang mit
MRT-Untersuchungen (Kontrastmittel, Magnetfeld) und Präparatewechseln konnte
oder wollte der Hersteller jedoch gegenüber dem Beschwerdeführer keine
sachdienlichen Angaben machen.
8.2 Die Auseinandersetzung der Vorinstanz mit den betreffenden (wenig
umfangreichen) Strafakten erscheint nicht sachgerecht und verletzt wichtige
Grundsätze des Strafprozessrechts:

8.2.1 Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, den medizinisch Verantwortlichen
könne kein fahrlässiges Handeln nachgewiesen werden, da sie sich hinsichtlich
des Verdünnungsgrades des fraglichen Präparates mit der damaligen
Klinik-Apothekerin und mit dem Hersteller (vorgängig) "abgesprochen" hätten.
Für diese Erwägung stützt sich die Vorinstanz auf ein vom Beschwerdeführer
eingereichtes Schreiben des Klinik-Direktors vom 25. November 2009. Diesem
Brief lässt sich allerdings keineswegs entnehmen, dass die betreffenden
Absprachen vor der Verabreichung des Medikaments (Mitte April 2008) erfolgt
wären. Der Brief bezieht sich vielmehr auf ein "Gespräch im August 2009".
Damals habe die Klinik-Leitung dem Beschwerdeführer (nachträglich) versprochen,
Abklärungen in Bezug auf die fragliche Wirkstoffverdünnung vorzunehmen. Für
erst nachträgliche Abklärungen spricht zusätzlich deren Ergebnis gemäss Brief
der Klinik-Leitung: Danach sei "aufgrund von theoretischen pharmakologischen
Überlegungen eine Wirkungsabnahme bei der angewendeten Verdünnung nicht
auszuschliessen". Zudem könne "eine Instabilität des Produktes, welche sich
kurzfristig auswirken könnte, nicht ausgeschlossen werden". Nach diesen
Abklärungen wäre es schlechterdings nicht nachvollziehbar, dass die medizinisch
Verantwortlichen die fragliche Verdünnung - im Wissen um deren
BGE 137 IV 219 S. 229
Gefährlichkeit - dennoch angeordnet hätten. Und selbst wenn dies geschehen wäre
(was jedenfalls die Vorinstanz anzunehmen scheint), könnte damit ein
fahrlässiges strafbares Verhalten gerade nicht ausgeschlossen werden.
8.2.2 Hinzu kommt, dass gemäss der bei den Akten liegenden "Fachinformation des
Arzneimittel-Kompendium der Schweiz" der Hersteller ausdrücklich und deutlich
vor zu starker Verdünnung des fraglichen Wirkstoffes warnt: "Aus
Stabilitätsgründen sind Verdünnungen mit weniger als 2 mg Eisen/ml nicht
erlaubt". In einem Schreiben (E-Mail) vom 9. März 2010 bestätigt der
Klinik-Direktor dem Beschwerdeführer, dass es, "wie von Ihnen richtigerweise
moniert", bei der Injizierung des Wirkstoffes "zu einem höheren
Verdünnungsgrad" gekommen sei. Auf sein mehrmaliges schriftliches Nachfragen
beim Wirkstoffhersteller hat der Beschwerdeführer keine sachdienlichen
Informationen erhalten. Dennoch haben die kantonalen Instanzen keine weiteren
Abklärungen (zum Verdünnungsverbot des Herstellers, zum konkret erfolgten
Verdünnungsgrad und zu dessen wahrscheinlichen Gesundheitsfolgen) getroffen.
8.2.3 Die Erwägungen des angefochtenen Entscheides sind insofern sachlich nicht
nachvollziehbar. Sie verletzen im Ergebnis den strafprozessualen
Untersuchungsgrundsatz (vgl. § 60 f. StPO/LU; Art. 6 und 139 Abs. 1 StPO) und
setzen sich mit den Vorbringen des Beschwerdeführers im Rekursverfahren nicht
genügend auseinander.

8.2.4 Nicht ausreichend untersucht erscheint sodann die Frage der medizinischen
Zulässigkeit bzw. Unbedenklichkeit des erfolgten Präparatewechsels. Zu den
(gemäss Untersuchungsakten) in der medizinischen Fachliteratur erörterten und
vom Beschwerdeführer schon im Rekursverfahren geltend gemachten zusätzlichen
Risiken einer gentoxischen Eisenfreisetzung bei MRT-Untersuchungen infolge der
verwendeten Kontrastmittel ("Gd-Chelate") sowie (kumulativ oder alternativ)
aufgrund der starken Magnetfeldwirkung äussert sich die Vorinstanz nicht.

8.3 Die in objektiv-tatbestandsmässiger Hinsicht wesentliche Frage, ob im
vorliegenden Fall aufgrund eines medizinischen Behandlungsfehlers eine
irreversible schwerwiegende Erbgut-Schädigung mit konkret erhöhtem Krebsrisiko
kausal hervorgerufen wurde, welche allenfalls als strafbare fahrlässige oder
eventualvorsätzliche Körperverletzung (Art. 122-125 StGB) zu verfolgen wäre,
hängt von weiteren Untersuchungsergebnissen ab, welche die kantonalen Instanzen
BGE 137 IV 219 S. 230
bisher nicht eingeholt haben. Das Gleiche gilt für Fragen der subjektiven
Tatbestandsmässigkeit.

8.4 Die definitive Einstellung des Strafverfahrens durch die
Untersuchungsbehörde erweist sich damit als bundesrechtswidrig (Art. 9 und 29
Abs. 2 BV, strafprozessualer Grundsatz "in dubio pro duriore",
Untersuchungsmaxime, rechtliches Gehör, Art. 122-125 StGB).

8.5 Die Strafsache ist an die kantonalen Instanzen zurückzuweisen zur weiteren
Untersuchung eines möglichen Körperverletzungsdeliktes. Bei Zweifeln bezüglich
der Strafbarkeit wird Anklage beim Gericht zu erheben sein (sofern der Fall
nicht mit Strafbescheid erledigt werden kann).