Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 IV 1



Urteilskopf

137 IV 1

1. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Beschwerde in Strafsachen)
6B_435/2010 vom 16. Dezember 2010

Regeste

Art. 133 StGB; Raufhandel.
Nach ständiger Rechtsprechung wird ein Streit zwischen zwei Personen zum
Raufhandel, wenn ein Dritter tätlich eingreift. Gebietet es die unmittelbare
Abfolge der Vorkommnisse, das Tatgeschehen als Einheit zu betrachten, ist auch
der Auslöser eines Raufhandels Beteiligter im Sinne von Art. 133 Abs. 1 StGB.
Unerheblich ist, dass dessen aktive Teilnahme vor der Beteiligung einer dritten
Person an der tätlichen Auseinandersetzung erfolgte und er sich in der Folge
nur noch passiv verhielt. Anders ist es, wenn sich das Tatgeschehen klar in
mehrere Handlungseinheiten unterteilen lässt (Präzisierung der Rechtsprechung;
E. 4.3).

Erwägungen ab Seite 2

BGE 137 IV 1 S. 2
Aus den Erwägungen:

1. Dem vorinstanzlichen Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Am Abend des 5. Septembers 2008 kam es zwischen dem Beschwerdeführer und
mehreren jungen Männern - A., B. und C. - zunächst zu einer verbalen
Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen. Zuvor hatte der
Beschwerdeführer A. darauf aufmerksam gemacht, dass dieser sein Fahrzeug
unberechtigterweise auf einem Besucherparkplatz der Liegenschaft, in welcher
der Beschwerdeführer wohnt, abgestellt habe. Im Laufe der hitzigen Diskussion
holte der Beschwerdeführer die Hausabwartin H. herbei, die das weitere
Geschehen mitverfolgen konnte. In der Folge eskalierte der verbale Streit
insofern, als der Beschwerdeführer nach einer Beleidigung von Seiten des B.
diesem einen Schlag ins Gesicht verpasste. Darauf stiessen ihn die drei jungen
Männer zu Boden und schlugen mit Fäusten und Füssen auf ihn ein. Der
Hausabwartin H., einem unbeteiligten Kollegen der jungen Männer sowie der
Ehefrau des Beschwerdeführers gelang es, diese von ihm wegzureissen. Aufgrund
der Schläge und Tritte erlitt der Beschwerdeführer Verletzungen, die einen
mehrtägigen Spitalaufenthalt sowie eine Arbeitsunfähigkeit von zwei Wochen,
jedoch keine bleibenden Schäden, zur Folge hatten.

2. Die Vorinstanz erwägt, der Schlag des Beschwerdeführers ins Gesicht von B.
habe unmittelbar zur Eskalation der Auseinandersetzung geführt und damit einen
Teil davon gebildet. Durch den Faustschlag sei er aktiv an der Schlägerei
beteiligt gewesen. Ob er sich in der Folge nur noch passiv verhielt bzw. darauf
beschränkte, Schläge abzuwehren, sei daher irrelevant. Der Tatablauf - der
Schlag ins Gesicht von B. sowie die darauffolgende Intervention der anderen
jungen Männer - sei als Einheit zu betrachten, nicht als zwei getrennte
Geschehensabläufe. Daher habe es sich um eine wechselseitige Auseinandersetzung
von mindestens drei Personen gehandelt. Durch sein Verhalten habe der
Beschwerdeführer die Schlägerei in Kauf genommen, weshalb zumindest von
Eventualvorsatz auszugehen sei.
BGE 137 IV 1 S. 3
Indem er nach einer hitzigen verbalen Diskussion auf eine Beleidigung mit einem
Faustschlag reagiert habe, habe ihm bewusst sein müssen, dass er damit eine
Eskalation der angespannten Lage herbeiführen würde.
(...)

4.

4.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem
sie zu Unrecht davon ausgegangen sei, er habe (eventual-)vorsätzlich gehandelt.
So habe er nicht damit gerechnet, dass sich nach dem Faustschlag weitere
Jugendliche in die tätliche Auseinandersetzung einmischen würden. Zu diesem
Zeitpunkt hätten die anderen beiden jungen Männer mehrere Meter weit entfernt
gestanden und sich mit der Hausabwartin unterhalten. Es habe sich also um zwei
parallele, voneinander unabhängige Unterhaltungen gehandelt. Er habe zudem die
intervenierenden Männer nicht geschlagen, was ein weiteres Zeichen dafür sei,
dass er keine Schlägerei mit mehreren Beteiligten habe anzetteln wollen. Als
Einzelperson sei er den jungen Männern sodann klar unterlegen gewesen. Auch
dies lasse erkennen, dass er sich nicht willentlich auf eine tätliche
Auseinandersetzung mit mehreren Personen eingelassen habe. Ansonsten hätte er
auch ernsthafte Verletzungen in Kauf nehmen müssen, was er nicht getan habe.

4.2

4.2.1 Gemäss Art. 133 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Geldstrafe bestraft, wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder
die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat (Abs. 1). Nicht strafbar ist,
wer ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden scheidet (Abs. 2).

4.2.2 Ein Raufhandel ist eine wechselseitige tätliche Auseinandersetzung von
mindestens drei Personen, die den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen
zur Folge hat. Ein Streit zwischen zwei Personen wird zum Raufhandel, wenn ein
Dritter tätlich eingreift. Strafbar ist, wer sich beteiligt, d.h. wer aktiv am
Raufhandel teilnimmt in einer Weise, die geeignet ist, die Auseinandersetzung
zu fördern bzw. deren Intensität zu steigern. So ist auch derjenige
Beteiligter, der vor der Erfüllung der objektiven Strafbarkeitsbedingung - den
Tod oder die Körperverletzung eines Menschen - vom Raufhandel ausscheidet, da
seine bisherige Mitwirkung die Streitfreudigkeit der Beteiligten gesteigert
hat, so dass die dadurch erhöhte Gefährlichkeit der Schlägerei regelmässig auch
über die Dauer der
BGE 137 IV 1 S. 4
Beteiligung einzelner Personen hinaus fortwirkt. Darüber hinaus gilt auch der
Abwehrende als Beteiligter. Er ist gemäss Art. 133 Abs. 2 StGB nicht strafbar.
Aber nur wer sich völlig passiv verhält, ist von der Bestimmung nicht erfasst (
BGE 131 IV 150 E. 2.1; BGE 106 IV 246 E. 3b, d und e; je mit Hinweisen).
Tätliche Auseinandersetzungen zwischen mehr als zwei Personen sind oft derart
unübersichtlich, dass sich nicht nachweisen lässt, wer die Körperverletzung
oder den Tod einer Person verursacht hat. Sinn und Zweck von Art. 133 StGB ist,
in solchen Situationen zu verhindern, dass die Verantwortlichen straflos
bleiben. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten ist bereits die Beteiligung am
Raufhandel unter Strafe gestellt. Es handelt sich beim Raufhandel mithin um ein
abstraktes Gefährdungsdelikt, obschon ein Erfolg eintreten muss. Dieser
Verletzungserfolg ist objektive Strafbarkeitsbedingung (vgl. etwa ANDREAS
DONATSCH, Delikte gegen den Einzelnen, Strafrecht 3, 9. Aufl. 2008, S. 65).

4.2.3 In subjektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand Vorsatz, wobei
Eventualvorsatz genügt (vgl. PETER AEBERSOLD, in: Basler Kommentar, Strafrecht,
Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 11 zu Art. 133 StGB). Nach ständiger
bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist Eventualvorsatz gegeben, wenn der Täter
den Eintritt des Erfolgs beziehungsweise die Tatbestandsverwirklichung für
möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines
Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht
sein. Der Richter darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn
sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass
die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als
Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 133 IV 222 E. 5.3 mit
Hinweisen).
Der Vorsatz betreffend Raufhandel muss sich nur auf die objektiven
Tatbestandsmerkmale beziehen, nicht aber auf die Todes- oder
Körperverletzungsfolge, da es sich hierbei um eine objektive
Strafbarkeitsbedingung handelt (BGE 118 IV 227 E. 5b mit Hinweisen; AEBERSOLD,
a.a.O., N. 11 zu Art. 133 StGB). Es genügt, wenn der Täter damit rechnet, dass
sich mehr als zwei Personen an der tätlichen Auseinandersetzung beteiligen (BGE
106 IV 246 E. 3b).
Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft sog. innere Tatsachen
und ist damit Tatfrage. Rechtsfrage ist hingegen, ob gestützt auf die
festgestellten Tatsachen Fahrlässigkeit, Eventualvorsatz oder direkter Vorsatz
gegeben ist (vgl. BGE 133 IV 9 E. 4.1
BGE 137 IV 1 S. 5
mit Hinweisen). Feststellungen zum Sachverhalt prüft das Bundesgericht nur
unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Willkürrüge muss
in der Beschwerde explizit vorgebracht und substantiiert begründet werden (Art.
106 Abs. 2 BGG). Auf eine blosse appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil
tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 135 III 513 E. 4.3 mit Hinweis).

4.3

4.3.1 Der Beschwerdeführer führte mit mehreren jungen Männern eine verbale
Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen und Beschimpfungen. Auf eine
Beleidigung von Seiten des B. reagierte er mit einem Faustschlag in dessen
Gesicht. Dies führte unmittelbar dazu, dass ihn die anderen beiden Männer - A.
und C. - sowie B. zu Boden stiessen und mit Fäusten schlugen sowie mit Füssen
traten. Das Tatgeschehen lässt sich nicht in zwei Phasen (1. Faustschlag des
Beschwerdeführers gegen B. auf dessen Beleidigung hin, 2. anschliessender
Angriff der jungen Männer auf den Beschwerdeführer) aufgliedern, sondern bildet
in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht eine Einheit. Unklar ist
aufgrund des erstellten Sachverhalts, ob sich der Beschwerdeführer, nachdem er
zu Boden gestossen wurde, weiterhin aktiv am Raufhandel beteiligte, indem er
Abwehrhandlungen vornahm, oder sich nur noch passiv verhielt. Dies ist jedoch,
wie die Vorinstanz zu Recht festhält, nicht von Belang, da bereits ein einziger
Schlag als aktive Beteiligung im Sinne von Art. 133 StGB gilt (BGE 94 IV 105).
Zwar richtete sich der Schlag des Beschwerdeführers nur gegen B. Ein Streit
zwischen zwei Personen wird zum Raufhandel, wenn ein Dritter tätlich eingreift
(vgl. E. 4.2.2 hievor). Diese Praxis zu Art. 133 StGB ist dahingehend zu
präzisieren, dass auch der Auslöser eines Raufhandels Beteiligter ist, wenn die
unmittelbare Abfolge der Vorkommnisse - verbale Auseinandersetzung,
Faustschlag, Einmischung weiterer Personen - es gebietet, das Tatgeschehen als
Einheit zu betrachten. Unerheblich ist, dass die aktive Teilnahme des
Beschwerdeführers vor der Beteiligung einer dritten Person am Raufhandel
erfolgte und er sich in der Folge nur noch passiv verhielt. Anders ist es, wenn
sich das Tatgeschehen klar in mehrere Handlungseinheiten unterteilen lässt
(vgl. dazu BGE 106 IV 246 E. 3b). Eine solche Auslegung des Begriffs der
Beteiligung steht mit dem Wortlaut und insbesondere dem Sinn der
Strafbestimmung in Einklang. Obgleich der Zweck der Norm darin liegt,
Beweisschwierigkeiten zu vermeiden (vgl. E. 4.2.2. hievor), kann dies nicht
bedeuten, dass derjenige, dem
BGE 137 IV 1 S. 6
anlässlich einer tätlichen Auseinandersetzung eine Tathandlung klar zugeordnet
werden kann, nicht - unter anderem - wegen Raufhandels zu bestrafen ist.
In objektiver Hinsicht ist der Tatbestand des Raufhandels somit erfüllt.

4.3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe nicht mit der Beteiligung
weiterer Personen an der Auseinandersetzung gerechnet, weshalb er nicht
(eventual-)vorsätzlich gehandelt habe. Die Rüge betrifft nicht eine Rechts-,
sondern eine Tatfrage. Der Beschwerdeführer erhebt keine Willkürrüge gegen die
vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung. Soweit er abweichende Feststellungen
macht, weshalb er nicht mit der Beteiligung weiterer Personen an der tätlichen
Auseinandersetzung gerechnet habe (etwa, weil die anderen beiden Männer einige
Meter weit entfernt gewesen seien), genügen seine Vorbringen den
Begründungsanforderungen an eine Willkürrüge nicht. Insofern ist darauf nicht
einzutreten.

4.3.3 In Anbetracht der verbindlich festgestellten Tatumstände durfte die
Vorinstanz davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer die Beteiligung weiterer
junger Männer an der tätlichen Auseinandersetzung zumindest für möglich hielt
und in Kauf nahm. Wer mit mehreren jungen Männern, die als Gruppe auftreten,
einen hitzigen verbalen Streit führt und in der Folge einen dieser Männer ins
Gesicht schlägt, muss damit rechnen, dass sich die anderen einmischen und dem
Angegriffenen zu Hilfe eilen. Dabei ist unerheblich, dass sich der Faustschlag
nur gegen die Person richtete, die ihn zuvor beleidigt hatte, und die anderen
Männer zu diesem Zeitpunkt mit der Hausabwartin diskutierten. Eine räumliche,
zeitliche und sachliche Nähe bestand trotzdem. Wie bereits erläutert, geht die
Vorinstanz zu Recht davon aus, der Tatablauf vom Faustschlag bis zum Eingreifen
der anderen jungen Männer sei als Einheit zu betrachten. Das eine führte zum
anderen, was der Beschwerdeführer zumindest mit grosser Wahrscheinlichkeit für
möglich hielt. Nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz im Ergebnis von
diesem Wissen auf die Inkaufnahme eines Raufhandels im Sinne von Art. 133 StGB
schliesst. Daran vermag der Hinweis des Beschwerdeführers, die erlittenen
Verletzungen nicht in Kauf genommen zu haben, nichts zu ändern. Der subjektive
Tatbestand ist erstellt.