Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 II 49



Urteilskopf

137 II 49

7. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X.
Aktiengesellschaft gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_749/2010 vom 4. Februar 2011

Regeste

Art. 22 lit. l StG; Begriff der Kreditversicherung; versicherter Gegenstand und
versicherte Risiken.
Die vorliegend betroffenen Policen versichern Forderungen der
Versicherungsnehmer gegenüber deren Kunden. Abgedeckt wird das
Delkredere-Risiko. Eine solche Versicherung fällt unter den Begriff der
Kreditversicherung im Sinne von Art. 22 lit. l StG und die entsprechenden
Prämienzahlungen sind deshalb von der Stempelabgabe ausgenommen. Nicht
massgeblich ist demgegenüber, welcher Art das versicherte Delkredere-Risiko ist
bzw. aus welchen Gründen die versicherte Forderung nicht bezahlt wird. Auch
Fabrikationsrisiken und politische Risiken können durch eine solche
Versicherung abgedeckt werden (E. 2-6).

Sachverhalt ab Seite 50

BGE 137 II 49 S. 50

A. Die X. Aktiengesellschaft, Hamburg, Zweigniederlassung Zürich, bezweckt laut
Handelsregister-Eintrag u.a. die Versicherung von Krediten bzw. Forderungen.
Mit Verfügung vom 7. Juli 2006 und Einspracheentscheid vom 11. Dezember 2006
erkannte die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), die Gesellschaft schulde
auf den Prämienerträgen der Jahre 1999-2003 eine zusätzliche Stempelabgabe von
Fr. 67'766.90.

B. Hiergegen beschwerte sich die Gesellschaft beim Bundesverwaltungsgericht.
Dieses wies die Beschwerde mit Entscheid vom 26. August 2010 ab.

C. Mit Eingabe vom 29. September 2010 führt die X. Aktiengesellschaft
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, die
vorinstanzlichen Entscheide seien aufzuheben. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten gut.
(Auszug)
Aus den Erwägungen:

Erwägungen

2. Gegenstand der Stempelabgabe auf Versicherungsprämien sind die
Prämienzahlungen für Versicherungen, die zum inländischen Bestand eines der
Aufsicht des Bundes unterstellten oder eines inländischen
öffentlich-rechtlichen Versicherers gehören (Art. 21 lit. a des Bundesgesetzes
vom 27. Juni 1973 über die Stempelabgaben [StG; SR 641.10]). Die Abgabe beträgt
5 % der Barprämie (Art. 24 Abs. 1 StG).
Von der Abgabe ausgenommen sind indes u.a. die Prämienzahlungen für die Feuer-,
Diebstahl-, Glas-, Wasserschaden-, Kredit-, Maschinen- und Schmuckversicherung,
sofern der Abgabepflichtige nachweist, dass sich die versicherte Sache im
Ausland befindet (Art. 22 lit. l StG).
Im Streit steht vorliegend die Frage, ob die von der Beschwerdeführerin
angebotenen Versicherungen für politisches Risiko und
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Fabrikationsrisiko als "Kreditversicherung" im Sinne von Art. 22 lit. l StG
("assurance du crédit", "assicurazione per il credito") zu betrachten sind. Die
Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang eine falsche bzw. unvollständige
Feststellung des Sachverhalts (E. 3 hiernach) sowie eine falsche Anwendung des
Bundesrechts (E. 4-6 hiernach).

3. Es trifft zu, dass der angefochtene Entscheid keine genaue Feststellung
enthält, was Gegenstand der streitigen Versicherungspolice bzw. der auf den
entsprechenden Prämien erhobenen Steuerforderung ist. Der Sachverhalt ist
insoweit unvollständig festgestellt. Das Bundesgericht kann ihn indessen
aufgrund der Akten vervollständigen (Art. 105 Abs. 2 BGG):
Nach übereinstimmender Darstellung der Parteien handelt es sich um die Prämien
für sechs individuelle Versicherungspolicen. Gemäss diesen Policen versichert
die Beschwerdeführerin als Versicherer dem Versicherungsnehmer den Ausfall an
Forderungen aus dem Verkauf von Investitionsgütern und/oder Werklieferungen
gemäss den besonderen und allgemeinen Bedingungen der
Investitionsgüterkreditversicherung.
Gemäss den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) besteht der
Versicherungsschutz ab Lieferung und es besteht u.a. kein Versicherungsschutz
für Ausfälle an Forderungen gegen öffentlich-rechtliche Abnehmer sowie Ausfälle
aufgrund von Krieg, kriegerischen Ereignissen, inneren Unruhen, Aufruhr,
Revolution, Beschlagnahme, Beeinträchtigung des Waren- und Zahlungsverkehrs
durch Behörden oder staatliche Institutionen.
In vier der Policen wird in Abweichung von den AVB in bestimmten ausländischen
Staaten auch das politische Risiko versichert. Dieses wird näher umschrieben:
Es besteht in dem betreffenden Land Versicherungsschutz auch für Ausfälle an
versicherten Forderungen, die infolge politischer Umstände uneinbringlich sind,
oder für Ausfälle an versicherten Forderungen gegen öffentlich-rechtliche
Abnehmer, wenn die Forderungen infolge politischer oder wirtschaftlicher
Umstände uneinbringlich sind.
In den zwei anderen Policen werden auch "Fabrikationskosten" versichert. Dabei
besteht Versicherungsschutz für Fabrikationskosten des Versicherungsnehmers,
die während der Laufzeit des Versicherungsvertrags ab Aufnahme der Fabrikation
bis zu deren Fertigstellung entstanden sind. Fabrikationskosten sind diejenigen
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Aufwendungen und Gemeinkosten, die nach den Grundsätzen ordnungsgemässer
Kostenrechnung ohne Berücksichtigung eines entgangenen Gewinns den
herzustellenden Investitionsgütern nachweislich zuzurechnen und zur
vertragsgemässen Erfüllung erforderlich sind. Dies beinhaltet insbesondere auch
rechtlich begründete Verbindlichkeiten des Versicherungsnehmers aus Lieferungen
Dritter, soweit sie zur Erfüllung des Vertrags erforderlich sind.

4. Die hier betroffenen Policen bezwecken unbestrittenermassen die Abdeckung
des Delkredere-Risikos: Der Lieferant, welcher vor der Bezahlung liefern muss,
räumt damit dem Kunden automatisch einen Kredit ein und läuft Gefahr, dass der
Kaufpreis oder Werklohn nicht bezahlt wird. Dieses Risiko soll versichert
werden (BEAT EUGEN AUER, Die Warenkreditversicherung in der Schweiz, Diss.
Zürich 1956, S. 71; MARKUS PFISTERER, Die rechtliche Natur der
Export-Kreditversicherung, Diss. Bern 1938, S. 35). Eine solche Versicherung
kann grundsätzlich eine Kreditversicherung im Sinne von Art. 22 lit. l StG
darstellen (JAUSSI/GEHRIGER, in: Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Bd.
II/3: Bundesgesetz über die Stempelabgaben, Zweifel/Athanas/Bauer-Balmelli
[Hrsg.], 2006 [nachfolgend: Kommentar], N. 67 zu Art. 22 StG). Zu prüfen bleibt
aber, gegen welche Art von Delkredere-Risiken die Kreditversicherung bestehen
kann, bzw. welche Ereignisse hiervon unter dem Gesichtspunkt von Art. 22 lit. l
StG abgedeckt werden können.
Die Vorinstanz hat diesbezüglich erwogen, bei den von Art. 22 lit. l StG
statuierten Ausnahmen von der Stempelabgabe sei der Versicherungsgegenstand
stets eine Sache, d.h. ein einzelnes, aus dem Vermögen herausgegriffenes
Objekt, nicht aber das Vermögen als solches. Dies habe zur Folge, dass der
Begriff der Kreditversicherung gemäss der Praxis der ESTV einzig die Abdeckung
der wirtschaftlichen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bzw. Kunden des
Versicherungsnehmers umfasse. Demgegenüber qualifiziere die ESTV die Abdeckung
der Zahlungsunfähigkeit als Folge politischer Risiken zu Recht als nicht von
der Abgabe ausgenommene Vermögensversicherung, zumal diese Risiken nicht
Gegenstand der klassischen Kreditversicherung sein könnten, sondern
gegebenenfalls durch die Exportrisikogarantie des Bundes übernommen würden. Aus
diesem Grund seien die betreffenden Prämienerträge aufzuteilen in einen Anteil,
der auf die von der Stempelabgabe ausgenommene Kreditversicherung als
Sachversicherung falle und den anderen Anteil, welcher der Finanzierung der
Versicherung der politischen Risiken diene und
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mithin eine Vermögensversicherung darstelle, die nicht von Art. 22 lit. l StG
erfasst werde.
Weiter führt die Vorinstanz aus, dass die in Art. 22 lit. l StG statuierte
Ausnahme von der Stempelabgabe verlange, dass die Versicherungsobjekte im
Ausland lägen. Dementsprechend greife die Ausnahme betreffend die
Fabrikationsrisiken nicht, da sich das Anknüpfungsobjekt, d.h. die noch fertig
zu stellende Ware, nicht im Ausland befinde.
Im Folgenden ist die Rechtslage betreffend die Versicherung für die politischen
Risiken (E. 5) und betreffend die Fabrikationsrisiken (E. 6) zu erörtern.

5.

5.1 Die Auffassung von ESTV und Vorinstanz, wonach die Kreditversicherung gegen
wirtschaftliche Risiken eine unter Art. 22 lit. l StG fallende
Sachversicherung, diejenige gegen politische Risiken hingegen eine nicht unter
die Ausnahmebestimmung fallende Vermögensversicherung sei, überzeugt nicht:
Gegenstand des Versicherungsschutzes ist in beiden Fällen die
Uneinbringlichkeit der Forderung, welche als die (unkörperliche) versicherte
Sache betrachtet wird (AUER, a.a.O., S. 54, 60; JAUSSI/GEHRIGER, Handbuch des
Versicherungsstempels, 2006 [nachfolgend: Handbuch], S. 73 f.; MORITZ KUHN,
Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 2010, S. 142; ROBERT PATRY, Rapport suisse,
in: Travaux de l'Association Henri Capitant, Les garanties de financement,
1996, S. 671 ff. insb. 676; RÜDISÜHLI, in: Oberson/Hinny [Hrsg.], StG,
Kommentar Stempelabgaben, 2006, N. 35 zu Art. 22 StG). Die Natur dieses
versicherten Gegenstandes unterscheidet sich nicht danach, ob die Forderung aus
wirtschaftlichen oder aus politischen Gründen unbezahlt bleibt; auch wenn sie
aus politischen Gründen nicht bezahlt wird, ist es doch die gleiche kreditierte
Forderung. Die von Vorinstanz und ESTV vorgenommene Differenzierung bezieht
sich in Wirklichkeit nicht auf den Gegenstand der Versicherung, sondern
vielmehr auf die Art der versicherten Gefahr, welcher der versicherte
Gegenstand ausgesetzt ist. Die Unterscheidung von Sach- und
Vermögensversicherung erweist sich in diesem Zusammenhang als nicht
zielführend. Vielmehr ist nach den gewöhnlichen Auslegungsregeln zu prüfen, ob
der gesetzliche Begriff der Kreditversicherung danach differenziert, aus
welchen Gründen die kreditierte Forderung nicht bezahlt wird.

5.2 Historisch deckten die privaten Kreditversicherungen nur
Forderungsausfälle, die auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners
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zurückzuführen waren, sei es indem sie ausdrücklich nur diese als versicherte
Gefahr bezeichneten, sei es dass die politischen Risiken ausdrücklich
ausgeschlossen wurden (vgl. Art. 33 des Bundesgesetzes vom 2. April 1908 über
den Versicherungsvertrag [Versicherungsvertragsgesetz, VVG; SR 221.229.1];
AUER, a.a.O., S. 76, 80 ff., 89; PIERRE MAURER, Le risque d'insolvabilité dans
le domaine de l'asurance-crédit, 1950, S. 163). Begrifflich umfasst aber die
Kreditgefahr alle Ereignisse - einschliesslich solcher politischer Art -, die
dazu führen, dass die kreditierte Forderung nicht bezahlt wird (AUER, a.a.O.,
S. 81; WERNER SCHNEDELBACH, Das Recht der Kreditversicherung, Leipzig 1929, S.
59). Es besteht daher grundsätzlich auch ein Bedürfnis der Lieferanten, sich
gegen das politisch bedingte Ausfallrisiko abzusichern. Die Beschränkung auf
das Risiko der Zahlungsunwilligkeit oder der wirtschaftlich motivierten
Zahlungsunfähigkeit ist kein begriffsnotwendiges Kennzeichen der
Kreditversicherung, sondern vielmehr auf die schlechte Kalkulierbarkeit und
daher fehlende Marktfähigkeit der politischen Risiken zurückzuführen; dies ist
denn auch der Grund, weshalb diese Risiken in der Vergangenheit nicht von der
privaten Versicherungswirtschaft, sondern von der staatlichen
Exportrisikoversicherung gedeckt wurden. Wenn infolge von Veränderungen auf dem
Versicherungsmarkt in neuerer Zeit auch diese Risiken von der privaten
Versicherungswirtschaft abgedeckt werden können (vgl. BOEMLE UND ANDERE, Geld-,
Bank- und Finanzmarkt-Lexikon der Schweiz, 2002, S. 695), so besteht kein
Grund, diese Versicherung nicht ebenfalls als Kreditversicherung zu
qualifizieren. Auch versicherungsaufsichtsrechtlich fällt die
Kreditversicherung gegen politische Risiken unter den Begriff der
Kreditversicherung im Sinne von Anhang 1 Ziff. B14 der Verordnung vom 9.
November 2005 über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen
(Aufsichtsverordnung, AVO; SR 961.011). Es verhält sich diesbezüglich anders
als bei einer "Political Risk Insurance", bei welcher nicht bestimmte
Kreditforderungen, sondern generell das Vermögen gegen politisch motivierte
Schädigungen wie Enteignungen, selektive Behinderungen usw. versichert ist und
die demzufolge nicht unter die Ausnahme von Art. 22 lit. l StG fällt (Entscheid
der Eidgenössischen Steuerrekurskommission vom 16. Juli 2003, in: VPB 2004 Nr.
17 S. 190).

5.3 Weder aus dem Wortlaut von Art. 22 lit. l StG noch aus den Materialien
ergeben sich Hinweise, dass von dieser Bestimmung einzig die Kreditversicherung
gegen Zahlungsunfähigkeit erfasst
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werden soll, nicht aber diejenige gegen politische Risiken. Der blosse Umstand,
dass eine solche Versicherung im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes noch nicht
angeboten wurde, ist kein Grund, sie von seinem Geltungsbereich
auszuschliessen, wenn sie später doch offeriert wird. Zwar hat die ESTV in
ihrer bisherigen Praxis tatsächlich nur die Versicherung gegen wirtschaftlich
bedingte Zahlungsunfähigkeit als Kreditversicherung betrachtet, was in der
Literatur Zustimmung findet oder kommentarlos wiedergegeben wird (GEHRIGER/
JAUSSI, Der Versicherungsstempel: Überblick, Fallstricke und Stolpersteine, StR
59/2004 S. 258 ff., 276; JAUSSI/GEHRIGER, Kommentar, a.a.O., N. 67 f. zu Art.
22 StG; JAUSSI/GEHRIGER, Handbuch, a.a.O., S. 75; RÜDISÜHLI, a.a.O., N. 35 zu
Art. 22 StG; BAUER-BALMELLI/HOCHREUTENER/KÜPFER, in: Die Praxis der
Bundessteuern, II. Teil: Stempelabgaben und Verrechnungssteuer, Bd. II, Stand:
2008, Rz. 5 zu Art. 22 lit. l StG). Begründet wird diese Einschränkung
allerdings nicht. In der Beschwerdevernehmlassung bringt die ESTV nun vor, der
Lieferant könne persönlich überprüfen, ob der Abnehmer fähig und bereit sei,
die ausstehenden Verbindlichkeiten zu erfüllen; demgegenüber könne einem
Kreditgeber nicht zugemutet werden, die politischen Umstände in einem fremden
Staat, die eine Erfüllung der Forderung behindern könnten, zu überprüfen. Diese
Überlegung überzeugt nicht: Jeder vernünftige Lieferant wird die Risiken, die
mit seiner Lieferung verbunden sind, umfassend überprüfen und dabei sowohl die
persönliche bzw. wirtschaftliche Kreditwürdigkeit seines Kunden berücksichtigen
als auch äussere Umstände, die diesen an der Erfüllung seiner Verbindlichkeit
hindern könnten. Er wird seinen Entscheid über die Kreditgewährung nicht nur
aufgrund der ersteren, sondern auch der letzteren Faktoren treffen. Dass die
politischen Umstände allenfalls schwieriger abzuschätzen sein mögen als die
individuelle Zahlungsfähigkeit, ändert nichts daran, dass ein Kredit gewährt
wird und ein Bedarf nach Versicherungsdeckung bestehen kann. Es besteht kein
Grund, um einer solchen Versicherung - so sie besteht - die Qualifikation als
Kreditversicherung abzusprechen.

5.4 Zum gleichen Ergebnis führt auch die ratio legis von Art. 22 lit. l StG,
welche darin besteht, die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen
Versicherungsunternehmen durch Befreiung der im Ausland befindlichen Sachen vom
Versicherungsstempel zu wahren (Botschaft des Bundesrates vom 25. Oktober 1972
zu einem neuen Bundesgesetz über die Stempelabgaben [BBl 1972 II 1278 ff., 1306
f.]). Dieses Bestreben betrifft gleichermassen die Deckung der politischen
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wie der Zahlungsfähigkeitsrisiken. Schliesslich ist daran zu erinnern, dass
auch die Prämien der Exportrisikogarantie, welche herkömmlicherweise die
politischen Risiken abdeckt, nicht der Stempelabgabe unterstehen (Art. 30 des
Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Schweizerische
Exportrisikoversicherung [Exportrisikoversicherungsgesetz, SERVG; SR 946.10]);
es besteht auch unter Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsaspekten kein Grund,
eine privat angebotene Kreditversicherung für politische Risiken anders zu
behandeln.

5.5 Als unbehelflich erscheint dagegen der von der ESTV vorgebrachte Einwand,
dass die versicherten Geldforderungen im Inland zu begleichende Bringschulden
darstellten und deshalb die Voraussetzungen von Art. 22 lit. l StG von
vornherein nicht erfüllt seien: Bei dieser Argumentation käme nicht nur bei der
Versicherung der politischen Risiken, sondern auch bei der Versicherung der
Zahlungsunfähigkeit die Ausnahme von Art. 22 lit. l StG praktisch nie zum
Tragen, da die versicherte Forderung regelmässig im Inland zu bezahlen ist
(Art. 74 Abs. 2 Ziff. 1 OR). Die gesetzlich vorgesehene Ausnahme der
Kreditversicherung von der Stempelabgabe bliebe damit toter Buchstabe, was
nicht der Sinn des Gesetzes sein kann. Sodann liesse eine solche Auslegung
unberücksichtigt, dass die Parteien vertraglich auch eine Wahl des anwendbaren
Rechts vornehmen können und eine so für anwendbar erklärte ausländische
Rechtsordnung die Geldforderungen als Holschulden ausgestalten mag. Im Übrigen
bleibt darauf hinzuweisen, dass auch die ESTV selber in ihrer Wegleitung für
die Stempelabgabe auf Versicherungsprämien (Ausgabe 2001) bei der
Kreditversicherung nicht auf den Erfüllungsort der Forderung abstellt, sondern
darauf, ob der Schuldner der versicherten Forderung Inländer ist (Ziff. 36 der
Wegleitung; vgl. Art. 4 Abs. 1 StG).

5.6 Aufgrund der obenstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die hier zu
beurteilenden Versicherungspolicen, welche politische Risiken absichern,
Kreditversicherungen im Sinne von Art. 22 lit. l StG und damit von der
Stempelabgabe ausgenommen sind.

6.

6.1 In Bezug auf die Versicherung der Fabrikationsrisiken argumentiert das
Bundesverwaltungsgericht, die fertig zu stellende Ware befinde sich im Inland,
weshalb die Voraussetzungen von Art. 22 lit. l StG nicht erfüllt seien. Dies
ist jedoch schon deshalb unrichtig, weil
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nicht die zu liefernde Ware, sondern vielmehr die Kaufpreis- oder
Werklohnforderung Gegenstand der Versicherung bildet (vgl. E. 5.1 hiervor),
wobei massgebend ist, ob der Schuldner dieser Forderung im Ausland ist (vgl. E.
5.5 hiervor). Nichts anderes gilt, soweit die im Streit stehenden Policen auch
die Fabrikationsrisiken versichern und die Versicherungsdeckung - in Abweichung
von den AVB - auch auf Fabrikationskosten erstrecken, die während der Laufzeit
des Versicherungsvertrags (ab Aufnahme der Fabrikation bis zu deren
Fertigstellung) entstanden sind: Auch diesbezüglich kann für den Fabrikanten
ein Delkredere-Risiko entstehen, wenn sein Abnehmer bereits vor der Lieferung
zahlungsunfähig wird und demzufolge absehbar ist, dass er die bestellte Ware
nicht wird bezahlen können. Dem Lieferanten kann daraus ein Schaden entstehen,
sei es weil er vertraglich trotzdem zur Fertigstellung und Lieferung der Sache
verpflichtet ist, sei es dass er zwar vom Vertrag zurücktreten, aber die
hergestellte Ware nicht oder nur mit Verlust anderweitig verkaufen kann (AUER,
a.a.O., S. 72 ff.; MAURER, a.a.O., S. 25 ff.). So oder anders ist der
versicherte Gegenstand die ausfallende Forderung gegenüber dem Kunden und die
entsprechende Versicherung bleibt eine Kreditversicherung (vgl. MAURER, a.a.O.,
S. 123 ff.).

6.2 Die ESTV führt sodann ins Feld, dass die Fabrikationskosten gemäss den
Vertragsbedingungen auch rechtlich begründete Verbindlichkeiten des
Versicherungsnehmers aus Lieferungen Dritter umfassen würden, soweit diese zur
Erfüllung des Vertrags erforderlich seien. Hieraus folgert die
Beschwerdegegnerin, dass es sich nicht um eine Sach-, sondern eine
Vermögensversicherung handle, weil diese Verbindlichkeiten gegenüber Dritten
die Passiven des Versicherungsnehmers vermehrten. Dies überzeugt jedoch
ebenfalls nicht: Auch in diesem Fall bleibt gemäss der Versicherungspolice die
ausfallende Forderung gegenüber dem Kunden der versicherte Gegenstand. Dass der
von der Versicherung gedeckte Schaden des Versicherungsnehmers auch entstehen
kann, weil dieser seinerseits seine Lieferanten bezahlen muss, ist bei jeder
Kreditversicherung der Fall und ändert nichts an der rechtlichen Qualifikation.

6.3 Es erhellt somit, dass auch die Deckung der Fabrikationsrisiken im Rahmen
der vorliegenden Versicherungspolicen unter die von der Stempelabgabe befreite
Kreditversicherung i.S. von Art. 22 lit. l StG fällt.