Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 94



Urteilskopf

137 III 94

15. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Z.
AG (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_531/2010 vom 25. November 2010

Regeste

Art. 100 Abs. 1 bzw. Abs. 3 lit. a BGG; Beschwerdefrist in der
Wechselbetreibung.
Die 5-tägige Frist gemäss Art. 100 Abs. 3 lit. a BGG gilt entsprechend dem
Wortlaut nur bei Beschwerden gegen Entscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden;
bei gerichtlichen Entscheiden kommt die normale 30-tägige Frist von Art. 100
Abs. 1 BGG zur Anwendung (E. 1.3).

Erwägungen ab Seite 94

BGE 137 III 94 S. 94
Aus den Erwägungen:

1.

1.3 Die Frist für Beschwerden in Zivilsachen beträgt grundsätzlich 30 Tage
(Art. 100 Abs. 1 BGG). Mit Bezug auf die Wechselbetreibung kennt das Gesetz
zwar eine auf 5 Tage verkürzte Frist, aber nur soweit Entscheide der kantonalen
Aufsichtsbehörden in SchK-Sachen angefochten sind (Art. 100 Abs. 3 lit. a BGG).
Ein Teil der Lehre möchte diese 5-tägige Frist auch bei Beschwerden gegen
Gerichtsentscheide in Wechselsachen angewandt
BGE 137 III 94 S. 95
wissen (PHILIPPIN, La nouvelle loi sur le Tribunal fédéral, JdT 2007 II S. 152;
DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2008, Rz. 4106). Diesen
(ihre Ansicht nicht weiter begründenden) Stimmen kann jedoch nicht gefolgt
werden; vielmehr muss bei Gerichtsentscheiden im Rahmen der Wechselbetreibung,
namentlich gegen den Entscheid des Wechselvorschlagsrichters, die normale
30-tägige Frist von Art. 100 Abs. 1 BGG gelten:
Zunächst ergibt sich dies im Rahmen der grammatikalischen Auslegung aus dem
klaren Wortlaut von Art. 100 Abs. 3 lit. a BGG, der die verkürzte 5-tägige
Frist auf Entscheide der "kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs-
und Konkurssachen" beschränkt.
Sodann spricht auch die historische Auslegung für diese Sichtweise:
Ausgangspunkt ist die mit Bezug auf die Wechselbetreibung aufgestellte
Spezialnorm von Art. 20 SchKG, mit welcher die normale 10-tägige
Beschwerdefrist auf 5 Tage verkürzt wird. Früher galt diese Bestimmung für das
gesamte Beschwerdeverfahren nach Art. 17-19 SchKG vor allen Aufsichtsbehörden,
d.h. sowohl vor den kantonalen Aufsichtsbehörden als auch vor der SchK-Kammer
des Bundesgerichts (vgl. PFLEGHARD, Schuldbetreibungs und Konkursbeschwerde,
in: Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl. 1998, Rz. 5.37). Seit
Inkrafttreten des BGG findet Art. 20 SchKG nur noch für das kantonale
Beschwerdeverfahren nach Art. 17-18 SchKG Anwendung, weil Art. 19 SchKG
aufgehoben wurde und die Beschwerde an das Bundesgericht neu in Art. 72 Abs. 2
lit. a BGG geregelt wird. Entsprechend war auch die Frist für Beschwerden gegen
Entscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden eigenständig im BGG zu regeln. Der
Gesetzgeber hat dies getan, indem er für Wechselbetreibungen in Art. 100 Abs. 3
lit. a BGG die Frist von Art. 20 SchKG inhaltlich übernommen hat. Demgegenüber
galt für die Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheide seit je die normale
30-tägige Frist (vgl. Art. 54 Abs. 1 OG für die Berufung und Art. 89 Abs. 1 OG
für die staatsrechtliche Beschwerde; betreffend Weiterzug des
Wechselrechtsvorschlages im Speziellen vgl. Urteile 5P.180/1989 vom 19. Juli
1989; 5P.81/1992 vom 30. März 1992 E. 1; 5P.396/1993 vom 20. Dezember 1993 E.
1; 5P.191/2001 vom 6. Juli 2001 E. 2; 5P.371/2002 vom 13. November 2002 E.
1.1). Es kann mithin kein Versehen des Gesetzgebers im Sinn eines Übersehens
des in der Wechselbetreibung grundsätzlich wichtigen Beschleunigungsgebotes
vorliegen; vielmehr ist angesichts der expliziten Beschränkung
BGE 137 III 94 S. 96
auf die kantonalen Aufsichtsbehörden in Art. 100 Abs. 3 lit. a BGG und mangels
anderweitiger Ausführungen in der Botschaft zum BGG (vgl. BBl 2001 4341 Ziff.
4.1.4.5) von der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen, die unter
dem früheren Recht geltende Fristenregelung materiell nicht zu verändern (in
diesem Sinn auch: PETER, Das neue Bundesgerichtsgesetz und das
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, BlSchK 2007 S. 9; WALTHER, Auswirkungen
des BGG auf die Anwaltschaft/Parteivertretung, in: Reorganisation der
Bundesrechtspflege, 2006, S. 357).
Zum gleichen Resultat führt schliesslich die systematische Auslegung, denn
allein die vorgenannte Sichtweise bettet sich ins Gesamtsystem der Rechtsmittel
gegen Entscheide der Gerichte einerseits und der Aufsichtsbehörden andererseits
ein: Im "normalen" Beschwerdeverfahren vor den kantonalen Aufsichtsbehörden
(d.h. ausserhalb der Wechselbetreibung) ist generell eine 10-tägige Frist
vorgesehen (Art. 17 Abs. 2 und Art. 18 Abs. 1 SchKG), welche auch für den
Weiterzug an das Bundesgericht galt (aArt. 19 Abs. 1 SchKG), während gegen
Gerichtsentscheide in SchK-Sachen bereits im OG 30-tägige Rechtsmittelfristen
vorgesehen waren (siehe oben). Dieses Fristenregime wurde ohne inhaltliche
Änderungen auf das BGG übertragen, indem gegen Gerichtsentscheide wiederum eine
30-tägige (Art. 100 Abs. 1 BGG) und gegen die "normalen" Entscheide der
kantonalen Aufsichtsbehörden die 10-tägige Beschwerdefrist aufgestellt wurde
(Art. 100 Abs. 2 lit. a BGG), wie sie in aArt. 19 Abs. 1 SchKG zu finden war
und wie sie im SchK-Beschwerdeverfahren generell üblich ist. Der
Fristendualismus, je nachdem ob das Rechtsmittel an ein Gericht oder an eine
Aufsichtsbehörde führt, ist mithin für das ganze Betreibungs- und
Konkursverfahren typisch.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für Beschwerden gegen gerichtliche
Entscheide im Rahmen der Wechselbetreibung die 30-tägige Frist von Art. 100
Abs. 1 BGG gilt und sich die vorliegende Beschwerde in Zivilsachen somit als
rechtzeitig erweist.