Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 87



Urteilskopf

137 III 87

14. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Bank
Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_260/2010 vom 15. November 2010

Regeste

Art. 50 LugÜ (in der Fassung bis 31.12.2010) und Art. 80 SchKG; ausländische
vollstreckbare Urkunde.
Bei einer auf Geld lautenden vollstreckbaren öffentlichen Urkunde ist
definitive Rechtsöffnung zu gewähren (E. 2-4).

Sachverhalt ab Seite 87

BGE 137 III 87 S. 87
Gestützt auf eine deutsche Grundschuldbestellungsurkunde mit
Zwangsvollstreckungsunterwerfung leitete die Gläubigerbank gegen den Schuldner
in der Schweiz die Betreibung ein.
Die kantonalen Instanzen erteilten definitive Rechtsöffnung mit der Begründung,
die vollstreckbare öffentliche Urkunde sei gemäss
BGE 137 III 87 S. 88
Art. 50 LugÜ in dem für Urteile massgeblichen Verfahren zu vollstrecken, mithin
in demjenigen der definitiven Rechtsöffnung.
Gegen das obergerichtliche Urteil hat der Schuldner Beschwerde in Zivilsachen
erhoben mit den Begehren um dessen Aufhebung und Abweisung des
Rechtsöffnungsgesuchs. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Unbestrittenermassen wird vorliegend Rechtsöffnung verlangt gestützt auf
eine beglaubigte Ausfertigung einer deutschen notariellen Urkunde mit
Zwangsvollstreckungsunterwerfung, die nach § 794 Abs. 1 Ziff. 5 der deutschen
ZPO einen Vollstreckungstitel darstellt.
Gemäss Art. 50 Abs. 1 LugÜ in der Fassung vom 16. September 1988 (SR 0.275.11;
AS 1991 2457) werden öffentliche Urkunden, die in einem Vertragsstaat
aufgenommen und vollstreckbar sind, in einem anderen Vertragsstaat auf Antrag
in den Verfahren nach den Artikeln 31 ff. LugÜ - d.h. wie eine gerichtliche
Entscheidung - für vollstreckbar erklärt. Die kantonalen Gerichte haben
gestützt auf diese Normen die Urkunde inzident für vollstreckbar erklärt und
definitive Rechtsöffnung im Sinn von Art. 80 SchKG erteilt.
Der Beschwerdeführer macht geltend, es gehe vorliegend nicht um einen
richterlichen Entscheid, sondern um eine Urkunde, deren Inhalt noch nie auf
seine materiellrechtliche Richtigkeit überprüft worden sei. Es verstosse gegen
Art. 6 Ziff. 1 EMRK und den Ordre public, hierfür definitive Rechtsöffnung zu
gewähren, weil mit der vollstreckbaren öffentlichen Urkunde kein Verzicht auf
den Justizgewährungsanspruch verbunden sei und in Deutschland die
Vollstreckungsabwehrklage im Sinn von § 767 ZPO offenstünde.

3. In der Lehre wird darauf hingewiesen, dass Art. 80 Abs. 1 SchKG zwar von
einem "vollstreckbaren gerichtlichen Urteil" spricht, aber Art. 50 LugÜ keine
andere Wahl lässt, als bei vollstreckbaren öffentlichen Urkunden das Verfahren
der definitiven Rechtsöffnung anzuwenden (z.B. VISINONI-MEYER, Die
vollstreckbare öffentliche Urkunde im internationalen und nationalen Bereich,
2004, S. 48). Dadurch werden ausländische Titel indirekt bevorzugt, weil das
schweizerische Recht die vollstreckbare öffentliche Urkunde nicht kennt. Dieses
Institut wird deshalb in der auf 1. Januar 2011 in Kraft
BGE 137 III 87 S. 89
tretenden schweizerischen Zivilprozessordnung auch für das Binnenverhältnis
eingeführt (vgl. Art. 347 ff. ZPO, AS 2010 1821 SR 272; Botschaft vom 28. Juni
2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7386 ff. Ziff. 5.24.2)
und im auf diesen Zeitpunkt angepassten Art. 80 Abs. 2 Ziff. 1^bis SchKG dem
gerichtlichen Entscheid gleichgestellt.
In der Literatur wird überwiegend die Meinung vertreten, dass vollstreckbare
öffentliche Urkunden aufgrund von Art. 50 LugÜ im Verfahren der definitiven
Rechtsöffnung zu vollstrecken sind (NAEGELI, in: Kommentar zum
Lugano-Übereinkommen [LugÜ], 2008, N. 49 zu Art. 50 LugÜ; DONZALLAZ, La
Convention de Lugano [...], Bd. II, 1997, N. 4218; VOCK, in: Kurzkommentar
SchKG, 2009, N. 9 zu Art. 80 SchKG; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale
sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 39 zu Art. 80 und
N. 32 zu Art. 82 SchKG; STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Schuldbetreibungs- und
Konkursgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 67 zu Art. 80 SchKG; STAEHELIN, Die
vollstreckbare öffentliche Urkunde - eine Ausländerin vor der Einbürgerung, in:
Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung, 2005, S. 207; SCHWANDER, Vollstreckbare
öffentliche Urkunden - Rechtsnatur, Verfahren der Erstellung und der
Vollstreckung, AJP 2006 S. 674 f.; AMONN/WALTHER, Grundriss des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl. 2008, § 19 N. 59b;
VISINONI-MEYER, Die Vollstreckung einer öffentlichen Urkunde gemäss Art. 50
LugÜ in der Schweiz, in: Schweizerisches und internationales
Zwangsvollstreckungsrecht, S. 429 f.; KREN, Anerkennbare und vollstreckbare
Titel nach IPR-Gesetz und Lugano-Übereinkommen, in: Beiträge zum
schweizerischen und internationalen Zivilprozessrecht, 1991, S. 453; LEUTNER,
Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, Freiburg im Breisgau
1996, S. 193; STÜCHELI, Die Rechtsöffnung, 2000, S. 276; SCHMID, Negative
Feststellungsklagen, AJP 2002 S. 782 f.; MEIER, Besondere Vollstreckungstitel
nach dem Lugano-Übereinkommen, in: Das Lugano- Übereinkommen, 1990, S. 193;
MARKUS, Lugano-Übereinkommen und SchKG-Zuständigkeiten, 1996, S. 86;
OBERHAMMER, Die vollstreckbare öffentliche Urkunde im Vorentwurf einer
eidgenössischen ZPO, in: Schweizerisches und internationales
Zwangsvollstreckungsrecht, 2005, S. 249; grundsätzlich auch PETER, Ausländische
Urkunden als Titel für die provisorische Rechtsöffnung, in: Vorsorgliche
Massnahmen aus internationaler Sicht, 2000, S. 153 f., wobei nur die
provisorische Rechtsöffnung möglich sein soll, wenn das Recht, dem die Urkunde
zuzuordnen ist, dem Schuldner noch
BGE 137 III 87 S. 90
eine Klage zur Abwehr der Forderung zugesteht; a.M.: WALTER, Wechselwirkungen
zwischen europäischem und nationalem Zivilprozessrecht, Zeitschrift für
Zivilprozess [ZZP] 1994 S. 339; WITSCHI, Die vollstreckbare öffentliche Urkunde
nach Art. 50 Lugano-Übereinkommen in der Schweiz, 2000, S. 83; tendenziell die
provisorische Rechtsöffnung empfehlend auch JAMETTI GREINER, Die vollstreckbare
öffentliche Urkunde, Der Bernische Notar [BN] 1993 S. 54).
Von den drei letztgenannten Publikationen stammen zwei aus der Zeit vor der
SchKG-Revision, als dem Schuldner weder die negative Feststellungs- noch die
Rückforderungsklage und damit keine materiellrechtlichen
Verteidigungsmöglichkeiten offenstanden. WALTER begründet sein Eintreten
zugunsten der provisorischen Rechtsöffnung denn auch genau mit diesem Umstand
(a.a.O., S. 338), ebenso JAMETTI GREINER (a.a.O., S. 52), welche festhält, dass
wohl anders zu entscheiden wäre, wenn die negative Feststellungsklage im SchKG
eingeführt würde (a.a.O., S. 56). Aus der Zeit nach der SchKG-Revision bleibt
somit als einzige Publikation mit abweichender Meinung diejenige von WITSCHI,
welcher aber einräumt, dass das Verfahren der definitiven Rechtsöffnung
"staatsvertragskonformer" wäre als dasjenige der provisorischen (a.a.O., S.
76).
Wie die vorstehende Zusammenstellung zeigt, ist nach der herrschenden Lehre bei
vollstreckbaren öffentlichen Urkunden definitive Rechtsöffnung zu gewähren. Der
Vertragswortlaut von Art. 50 LugÜ, der für die Vollstreckbarerklärung auf die
für gerichtliche Entscheidungen geltende Regelung verweist, lässt in der Tat
keine andere Möglichkeit zu, ist doch für Urteile im Anerkennungsfall
unbestrittenermassen definitive Rechtsöffnung zu erteilen. In der Botschaft vom
21. Februar 1990 zum LugÜ wird zu Art. 50 lapidar festgehalten, dass die
betreffenden Urkunden den vollstreckbaren Urteilen gleichgestellt würden und
dies keiner besonderen Erläuterung bedürfe (BBl 1990 II 329 Ziff. 241); der
Gesetzgeber war sich also der Bedeutung von Art. 50 LugÜ bewusst und hat die
Konsequenzen billigend akzeptiert. Dies wird übrigens bekräftigt durch die
Botschaft zur schweizerischen ZPO, wo mit Bezug auf Art. 50 LugÜ festgehalten
wird, dass "schon heute (...) öffentliche Urkunden in der Schweiz in den
gleichen Verfahren wie Urteile zu vollstrecken" sind (BBl 2006 7387 Ziff.
5.24.2).
Vor diesem Hintergrund geht die Ansicht des Beschwerdeführers, für eine
Forderung, die noch nie richterlich beurteilt worden sei,
BGE 137 III 87 S. 91
müsse die definitive Rechtsöffnung als Ordre public-widrig angesehen werden, an
der Sache vorbei. Von einem Verstoss gegen den schweizerischen Ordre public
kann auch deshalb nicht gesprochen werden, weil die am 1. Januar 2011 in Kraft
tretende schweizerische ZPO in Art. 347 ff. die vollstreckbare öffentliche
Urkunde auch für das Binnenverhältnis einführt (AS 2010 1821) und diese, soweit
sie über eine Geldleistung trägt, gemäss Art. 349 als definitiver
Rechtsöffnungstitel gelten wird (AS 2010 1822). Auch wenn diesfalls durch eine
auf das gleiche Datum in Kraft tretende Modifikation von Art. 81 Abs. 2 SchKG
Einwendungen gegen die Leistungspflicht zulässig sein werden, sofern diese
sofort beweisbar sind (AS 2010 1849) - ob die betreffenden Einwendungen auch
gegen ausländische vollstreckbare Urkunden möglich sein werden (vgl. dazu
STAEHELIN, a.a.O., N. 28 zu Art. 81 SchKG), ist vorliegend nicht zu entscheiden
-, bedeutet dies nicht, dass die definitive Rechtsöffnung mit den aktuell
zulässigen Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners gegen den schweizerischen
Ordre public oder gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK verstossen würde, wie der
Beschwerdeführer ebenfalls moniert:
Zum einen stehen dem Beschwerdeführer je nach Beurteilung der
Zuständigkeitsfragen entweder Rechtsbehelfe nach der deutschen ZPO (etwa die
Vollstreckungsgegenklage gemäss § 676) oder die negative Feststellungsklage
nach Art. 85a SchKG und ferner die Rückforderungsklage von Art. 86 SchKG offen
(zu diesen Möglichkeiten statt vieler: NAEGELI, a.a.O., N. 84 ff. zu Art. 50
LugÜ m.w.H.). Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers verhält es sich
mithin nicht so, dass ihm jede Möglichkeit genommen wäre, die Forderung
materiell überprüfen zu lassen.
Zum anderen sagt Art. 50 LugÜ nicht, dass die Urkunde ein Urteil sei; sie ist
es auch nicht und sie kann im Unterschied zu einem gerichtlichen Entscheid
insbesondere nicht in Rechtskraft erwachsen. Art. 50 Abs. 1 LugÜ bestimmt
einzig, dass die öffentliche Urkunde, die in einem Vertragsstaat aufgenommen
und vollstreckbar ist, in einem anderen Vertragsstaat in den Verfahren nach den
Art. 31 ff. LugÜ vollstreckbar zu erklären ist. Nun sind aber nach
bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Rechtsöffnungsverfahren nicht nur die in
Art. 81 Abs. 1 SchKG genannten Einwendungen gegen die Forderung zulässig;
vielmehr kann vorweg der Rechtsöffnungstitel als solcher bestritten werden: Bei
einem definitiven Titel kann beispielsweise geltend gemacht werden, das Urteil
sei gefälscht,
BGE 137 III 87 S. 92
nichtig oder nicht rechtskräftig und es liege deshalb gar kein definitiver
Rechtsöffnungstitel im Sinn von Art. 80 Abs. 1 SchKG vor (Urteil 5A_104/2007
vom 9. August 2007 E. 2.2). Bei einem separaten Exequatur könnte der Schuldner
dies zwar erst im Rechtsbehelfsverfahren tun (vgl. Art. 34 Abs. 1 und Art. 36
Abs. 1 LugÜ), aber beim Inzidenzverfahren im Rahmen des
Rechtsöffnungsverfahrens können wegen dessen kontradiktorischer Natur die
betreffenden Vorbringen selbstverständlich von Anfang an geltend gemacht werden
(vgl. dazu SCHWANDER, a.a.O., S. 675 f.). Es versteht sich von selbst, dass
solche formellen Einwände gegen die Qualität des Rechtsöffnungstitels nicht nur
gegen einen richterlichen Entscheid, sondern umso mehr auch gegen die
vollstreckbare öffentliche Urkunde erhoben werden können, wenn Art. 50 LugÜ
bestimmt, dass diese nach den Regeln von Art. 31 ff. LugÜ, d.h. wie ein Urteil
für vollstreckbar zu erklären sind. Solche Einwände gegen die Urkunde werden
jedoch in der vorliegend zu beurteilenden Beschwerde nicht vorgebracht; der
Beschwerdeführer beschränkt sich vielmehr auf das Vorbringen, die definitive
Rechtsöffnung sei bei vollstreckbaren öffentlichen Urkunden per se unzulässig.
Dies trifft nach dem Gesagten nicht zu.

4. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, der auf Deutsche Mark lautenden
Forderung mangle es nach der Einführung des Euro an genügender Bestimmtheit und
sie könne deshalb nicht mehr direkt vollstreckbar sein, ist er auf die
einschlägigen Verordnungen der EU hinzuweisen: Der Euro ist an die Stelle der
Währungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten getreten (Art. 3 der Verordnung
[EG] Nr. 974/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro [ABl. L
139 vom 11. Mai 1998 S. 1]; EuroVO II). Wird in Rechtsinstrumenten - d.h. in
Rechtsvorschriften, Verwaltungsakten, gerichtlichen Entscheidungen, Verträgen,
einseitigen Rechtsgeschäften, Zahlungsmitteln (vgl. Art. 1 EuroVO II) -, die am
Ende der Übergangszeit bestehen, auf nationale Währungseinheiten Bezug
genommen, so ist dies als Bezugnahme auf die Euro-Einheit entsprechend dem
jeweiligen Umrechnungskurs zu verstehen (Art. 14 EuroVO II). Der
Umrechnungskurs wurde auf DM 1,95583 = 1 Euro festgesetzt (Art. 1 der
Verordnung [EG] Nr. 2866/98 des Rates vom 31. Dezember 1998 über die
Umrechnungskurse zwischen dem Euro und den Währungen der Mitgliedstaaten, die
den Euro einführen [ABl. L 359 vom 31. Dezember 1998 S. 1]; EuroVO III).