Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 631



Urteilskopf

137 III 631

97. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y.
(Beschwerde in Zivilsachen)
4A_389/2011 vom 26. Oktober 2011

Regeste

Art. 166 ff. IPRG; internationales Konkursrecht; Prozessführungsbefugnis einer
ausländischen Konkursverwaltung; Anfechtungsansprüche.
Eine ausländische Konkursverwaltung ist ohne Anerkennung des ausländischen
Konkurses gemäss Art. 166 Abs. 1 IPRG nicht befugt, in der Schweiz gestützt auf
einen im Ausland abgeschlossenen Vergleich über Anfechtungsansprüche auf
Herausgabe des Erlöses aus dem Verkauf einer in der Schweiz gelegenen
Liegenschaft zu klagen (E. 2).

Erwägungen ab Seite 631

BGE 137 III 631 S. 631
Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Das Obergericht erwog, der Beschwerdeführer klage auf Erfüllung einer
Vereinbarung vom 30. April 2001, die er als Konkursverwalter im Konkurs des A.
mit der Beschwerdegegnerin abgeschlossen habe. Diese Vereinbarung sei zur
vergleichsweisen Regelung
BGE 137 III 631 S. 632
von konkursrechtlichen Anfechtungsansprüchen nach deutschem Recht (analog der
paulianischen Anfechtung des Schweizer Rechts) getroffen worden und habe auf
die Rückführung von Vermögenswerten des Gemeinschuldners und damit auf eine
Vergrösserung der Konkursmasse abgezielt. Das Verfahren zur Vollstreckung einer
solchen Vereinbarung falle daher analog zu den Anfechtungsklagen unter die
Ausschlussklausel von Art. 1 Abs. 2 lit. b des Lugano-Übereinkommens vom 16.
September 1988 (aLugÜ; AS 1991 2436) betreffend konkursrechtliche Verfahren.
Auf solche seien ausschliesslich die Art. 166 ff. IPRG (SR 291) anwendbar,
weshalb der Beschwerdeführer auf das Verfahren zur Anerkennung des deutschen
Konkursdekretes und zur Eröffnung eines Schweizer Hilfskonkurses zu verweisen
sei. Da Forderungen gemäss Art. 167 Abs. 3 IPRG örtlich am Wohnsitz des
Schuldners lägen und die Beschwerdegegnerin als Schuldnerin der umstrittenen
Forderung ihren Wohnsitz in der Schweiz habe, handle es sich bei dieser
Forderung um einen Vermögenswert in der Schweiz.

2.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 166 ff. IPRG. Er ist der
Meinung, die Vorinstanz habe verkannt, dass es sich beim eingeklagten Anspruch
weder um einen Anfechtungs- noch um einen diesen ersetzenden Anspruch handle,
sondern vielmehr um eine nach Eröffnung der Insolvenz durch eine gültige
Verwertungsmassnahme der Insolvenzverwaltung entstandene zivilrechtliche
Forderung des Beschwerdeführers gegen die Beschwerdegegnerin. Mit Abschluss der
Vereinbarung vom 30. April 2001 habe der Beschwerdeführer eine in seinem
Zuständigkeitsbereich liegende Verwertungshandlung vorgenommen und die
Anfechtungsansprüche durch Begründung von neuen Ansprüchen "getilgt" bzw.
"erledigt". Spätestens mit der Abtretung der zukünftigen Kaufpreisforderung an
den Beschwerdeführer sei letztlich die "Verwertung" der ursprünglichen
"Anfechtungsansprüche" erfolgt. Damit seien die Anfechtungsansprüche
untergegangen, die Aktiven des Insolvenzverwalters hätten sich um die
Kaufpreisforderung vergrössert und neue Ansprüche direkt beim Beschwerdeführer
entstehen lassen, welche direkt in die deutsche Insolvenzmasse gefallen seien
und nach schweizerischer Rechtsauffassung Masseforderungen bildeten. Die
Kaufpreisforderung habe nie dem Gemeinschuldner zugestanden. Das in der Schweiz
eingeleitete Verfahren habe somit keinen in der Schweiz belegenen Vermögenswert
zum Gegenstand, denn die Liegenschaft in St. Moritz habe nie im Eigentum des
BGE 137 III 631 S. 633
Gemeinschuldners gestanden, sondern sie sei im Jahre 1997 von der
Beschwerdegegnerin erworben worden. Das Verfahren richte sich auch nicht gegen
einen Schuldner des Gemeinschuldners in der Schweiz. Die Kaufpreisforderung
rühre von einer zwischen den Parteien abgeschlossenen Vergleichsvereinbarung
her und sei dem Beschwerdeführer im Zuge der Verwertung potenzieller
Anfechtungsansprüche persönlich abgetreten worden, weshalb ihm das Recht
zustehen müsse, diese Forderung als Masseforderung gerichtlich durchzusetzen.
Da es somit weder um die Admassierung eines in der Schweiz gelegenen
Vermögenswerts noch um eine Anfechtungsklage oder die Einziehung einer
Forderung des Gemeinschuldners gegenüber einem Drittschuldner in der Schweiz
gehe, liege kein enger Bezug zu einem Konkurs oder konkursähnlichen Verfahren
vor, weshalb die Vorinstanz Völkerrecht verletzt habe, indem sie das aLugÜ für
unanwendbar erklärt habe.

2.3

2.3.1 Das internationale Konkursrecht der Schweiz steht auf dem Boden des sog.
"gelockerten" Territorialitätsprinzips, wobei die "Lockerung" darin besteht,
dass mit der Anerkennung des ausländischen Konkursdekretes gemäss Art. 166 IPRG
die Voraussetzungen für eine zwischenstaatliche Kooperation geschaffen werden (
BGE 137 III 570 E. 2 mit Hinweisen). Im Übrigen sind hoheitliche Akte
ausländischer Rechtsträger in der Schweiz unzulässig (FRIDOLIN WALTER,
Paulianische Anfechtungsansprüche im internationalen Verhältnis - ausgewählte
Probleme, in: Internationales Zivilprozess- und Verfahrensrecht V, 2005, S. 79
ff., 96). Darunter fallen Betreibungshandlungen (BGE 129 III 683 E. 5.3 S. 688)
und Verwertungshandlungen im Konkurs (BGE 106 III 79 E. 4 betreffend die
Verwertung von Vermögen durch einen Freihandverkauf).

2.3.2 Gemäss Art. 166 Abs. 1 IPRG wird ein ausländisches Konkursdekret, das am
Sitz der schuldnerischen Gesellschaft ergangen ist, auf Antrag der
ausländischen Konkursverwaltung oder eines Konkursgläubigers anerkannt. Der
Begriff der ausländischen Konkursverwaltung wird von der Funktion der
Konkursverwaltung nach schweizerischem Recht vorbestimmt. Es handelt sich um
diejenige Instanz, welche das Vermögen des Konkursiten verwaltet, verwertet und
verteilt, wobei sich die Ausgestaltung im Einzelfall nach dem Recht des
Konkursstaates richtet. Unter den Begriff fallen somit Institutionen oder
Personen, die nach dem ausländischen Recht des
BGE 137 III 631 S. 634
Hauptkonkurses zur Anhebung, Leitung und Durchführung des Verfahrens zuständig
sind (BGE 135 III 666 E. 3.2.2 S. 668; Urteil 6B_557/2010 vom 9. März 2011 E.
6.1 mit Hinweisen). Wird ein ausländisches Konkursdekret gestützt auf Art. 166
IPRG für das Gebiet der Schweiz anerkannt, so zieht dies für das in der Schweiz
gelegene Vermögen des Gemeinschuldners die konkursrechtlichen Folgen des
schweizerischen Rechts nach sich, soweit nicht IPRG-Bestimmungen etwas anderes
vorsehen (Art. 170 Abs. 1 IPRG). Das in der Schweiz durchgeführte Verfahren
wird namentlich als "Anschluss-", "Mini-", oder "IPRG-Konkurs" bezeichnet
(Urteil 5A_83/2010 vom 11. März 2010 E. 2 mit Hinweis). Dabei handelt es sich
um eine Form von Rechtshilfe zu Gunsten eines im Ausland durchgeführten
Verfahrens. Die Durchführung des Anschlusskonkurses liegt in der Zuständigkeit
des schweizerischen Konkursamtes. Dieses ist ausschliesslich befugt, die zur
ausländischen Konkursmasse gehörenden Rechte auszuüben, soweit es um in der
Schweiz gelegenes Vermögen geht (BGE 135 III 40 E. 2.5.1 S. 44 mit Hinweisen).

2.3.3 Der ausländische Konkursverwalter ist in der Schweiz einzig berechtigt,
die Anerkennung des ausländischen Konkursdekretes und sichernde Massnahmen zu
beantragen (Art. 166 Abs. 1 und Art. 168 IPRG) und - nach erfolgter Anerkennung
des ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz - gestützt auf Art. 171 IPRG
subsidiär Anfechtungsansprüche gemäss Art. 285 ff. SchKG geltend zu machen,
wenn das schweizerische Konkursamt und die kollozierten Gläubiger darauf
verzichtet haben (BGE 129 III 683 E. 5.3 S. 688; BGE 135 III 40 E. 2.5.1 S. 44
mit Hinweisen). Ansonsten ist er jedoch nicht aktivlegitimiert, in der Schweiz
Forderungsklagen einzureichen, sofern er nicht zuerst die Anerkennung des
ausländischen Konkursdekrets erwirkt hat (BGE 134 III 366 E. 9.2.3 S. 377; BGE
135 III 40 E. 2.4 und 2.5.1 S. 43 f.). In einem neueren Entscheid hält das
Bundesgericht fest, einer ausländischen Konkursmasse bzw. deren
Konkursverwalter komme in der Schweiz nur dann Prozessführungsbefugnis zu, wenn
sie das ausländische Konkursdekret vorgängig in der Schweiz nach Massgabe von
Art. 166 ff. IPRG habe anerkennen lassen (BGE 137 III 570 E. 3). Andernfalls
würde das vom IPRG in den Art. 166 ff. konzipierte System, das insbesondere
eine Privilegierung von Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz anstrebe,
ausgehöhlt. Aus dem gleichen Grund könne die erwähnte Anerkennung auch nicht
bloss vorfrageweise, etwa im Rahmen einer Betreibung oder Forderungsklage,
sondern nur
BGE 137 III 631 S. 635
hauptfrageweise beurteilt werden (BGE 137 III 570 E. 2 mit Verweis auf BGE 134
III 366 E. 5.1.2 und 9.2.4 S. 373 und 378; vgl. auch Urteil 2C_303/2010 vom 24.
Oktober 2011 E. 2.4.1).

2.3.4 Diese Rechtsprechung ist nicht durch eine kausale, sondern eine finale
Betrachtungsweise geprägt. Es ist nicht danach zu unterscheiden, auf welchem
Rechtsgrund die Forderung beruht, die der ausländische Konkursverwalter in der
Schweiz geltend macht. Vielmehr knüpft die Rechtsprechung stets am Zweck der in
der Schweiz angehobenen Klage an. Besteht dieser darin, das Haftungssubstrat
für die Konkursgläubiger um in der Schweiz gelegene Vermögenswerte zu
vergrössern, dient sie der Durchführung des (ausländischen) Konkurses und ist
dem Konkursverwalter die direkte Klage wegen der territorialen Wirkung des
Konkurses grundsätzlich untersagt. Es stehen ihm die Rechtsbehelfe nach Art.
166 ff. IPRG zur Verfügung (vgl. PAUL OBERHAMMER, Kurze Urteilsbesprechungen
und -hinweise, ZZZ 2008/09 S. 430 ff., 432 f., der dieser Rechtsprechung de
lege lata zustimmt). Der Beschwerdeführer trägt allerdings zutreffend vor, dass
die genannten Bestimmungen nur greifen, wenn in der Schweiz gelegenes Vermögen
zur Masse gezogen werden soll. Andernfalls fehlt es am territorialen Bezug zur
Schweiz. Zunächst ist somit zu prüfen, ob die Klage Vermögen in der Schweiz
betrifft, was der Beschwerdeführer in Abrede stellt.

2.4 Die der vorliegenden Klage zu Grunde liegende Vereinbarung betraf die
vergleichsweise Regelung von konkursrechtlichen Anfechtungsansprüchen, welche
gemäss den Darlegungen des Beschwerdeführers - in schweizerischer Terminologie
ausgedrückt - zu inventarisieren und in die ausländische Konkursmasse
aufzunehmen gewesen wären. Diese Ansprüche umfassten auch eine Liegenschaft in
St. Moritz, deren Verkaufserlös den Gläubigern hätte zugute kommen sollen.
Damit war insoweit in der Schweiz liegendes Vermögen betroffen und der
relevante Bezug zur Schweiz gegeben. Dass diese Liegenschaft im Zeitpunkt der
Konkurseröffnung nicht im Eigentum des Gemeinschuldners stand, ändert daran
nichts, sollte doch auf dem Wege der konkursrechtlichen Anfechtung ein in der
Schweiz gelegener Vermögenswert in die ausländische Konkursmasse überführt
werden. Dass Art. 166 ff. IPRG gerade in einem solchen Fall zur Anwendung
gelangen, belegt Art. 171 IPRG, welcher derartige Anfechtungsansprüche dem
schweizerischen Recht unterstellt und deren direkte Durchsetzung durch die
ausländische Konkursverwaltung nur im Rahmen eines Anschlusskonkurses in
BGE 137 III 631 S. 636
der Schweiz zulässt (vgl. E. 2.3.3 hiervor). Der Anfechtungsanspruch war damit
in der Schweiz durchzusetzen.

2.5 Wie der Beschwerdeführer mehrfach ausführt, stellten die mit der
Beschwerdegegnerin abgeschlossenen Vergleiche Verwertungshandlungen dar. So
sollte die Liegenschaft der Beschwerdegegnerin in St. Moritz freihändig
verkauft und der Verkaufserlös der ausländischen Konkursmasse überführt werden.
Verwertungshandlungen dürfen jedoch nach dem Gesagten (E. 2.3.1 hiervor) mit
Bezug auf die erwähnte Liegenschaft einzig im Rahmen eines IPRG-Konkurses in
der Schweiz erfolgen und fallen in die Zuständigkeit des schweizerischen
Konkursverwalters. Dabei ist ausschlaggebend, dass mit der Vereinbarung die
Verwertung von Schuldnervermögen bezweckt wurde, und nicht, in welche Form die
betreffende Verwertungshandlung gekleidet wurde. Dass der Beschwerdeführer im
Rahmen der Verwertung einen privatrechtlichen Vergleich abschloss, ändert somit
nichts hinsichtlich der Frage der Anerkennungsbedürftigkeit des Konkursdekrets,
und diese war mit Bezug auf den die Liegenschaft in St. Moritz betreffenden
Anfechtungsanspruch gegeben (E. 2.4 hiervor). Da der Beschwerdeführer nicht um
Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz nachsuchte, ist er
nicht befugt, in der Schweiz einen Prozess zu führen, mit dem er Rechte
verfolgt, die er aus den zur Verwertung seines Anfechtungsanspruchs
abgeschlossenen Vereinbarungen betreffend das in der Schweiz liegende
Grundstück ableitet. Die Vorinstanz hat demnach jedenfalls im Ergebnis kein
Bundesrecht verletzt, wenn sie auf die Klage nicht eintrat.

2.6 Bei dieser Sachlage braucht nicht auf die Einwände eingegangen zu werden,
welche der Beschwerdeführer gegen die einzelnen Erwägungen der Vorinstanz
vorbringt. Namentlich kann offenbleiben, ob mit den Vergleichsvereinbarungen
Masseforderungen begründet wurden und die Zuständigkeit deshalb nach aLugÜ zu
beurteilen ist, ob die Anfechtungsansprüche materiell begründet wären oder
daran gescheitert wären, dass der Gemeinschuldner nie Eigentümer der
betreffenden Liegenschaft war, und es ist nicht auf die Ausführungen des
Beschwerdeführers einzutreten, mit denen er eine Verletzung der
Rechtsweggarantie (Art. 29a BV und Art. 18 KV/ZH) und der Eigentumsgarantie
(Art. 26 BV) durch die Vorinstanz begründet, zumal er dabei zu Unrecht davon
ausgeht, die im Jahre 2001 geltend gemachten Anfechtungsansprüche hätten keinen
territorialen Bezug zur Schweiz gehabt. Angefügt sei schliesslich, dass
BGE 137 III 631 S. 637
die vom Beschwerdeführer herangezogene Feststellung gemäss einem Urteil des
deutschen Bundesgerichtshofes vom 27. April 2010, wonach die Vereinbarung vom
30. April 2001 mit der Beschwerdegegnerin mehr als nur die erwähnten
Anfechtungsansprüche zum Gegenstand hatte, zweifellos zutrifft. Daraus lässt
sich indessen nichts für den Standpunkt des Beschwerdeführers gewinnen, da
lediglich jener Teil der Vereinbarung zur Debatte steht, der die Verwertung der
Liegenschaft in St. Moritz betrifft.