Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 607



Urteilskopf

137 III 607

92. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. K. gegen X. AG
(Beschwerde in Zivilsachen)
4A_345/2011 vom 28. November 2011

Regeste

Art. 464 OR; Konkurrenzverbot des Prokuristen bzw. Handlungsbevollmächtigten;
Gewinnabschöpfung.
Umfang des Konkurrenzverbots des Prokuristen bzw. Handlungsbevollmächtigten;
Tätigkeit für Drittunternehmen, die mit dem Geschäftsherrn in direktem
Wettbewerb stehen (E. 2.2).
Art. 464 Abs. 2 OR beinhaltet einen Anspruch auf Abschöpfung des erzielten
Gewinns (E. 2.3).

Regeste

Art. 321a Abs. 3, Art. 321b und 423 Abs. 1 OR; Konkurrenzverbot des
Arbeitnehmers; Herausgabepflicht; Gewinnabschöpfung.
Frage offengelassen, ob gegenüber einem Arbeitnehmer ohne Handlungsvollmacht
oder Prokura ebenfalls ein Anspruch auf Gewinnherausgabe (gestützt auf Art. 423
Abs. 1 OR bzw. in analoger Anwendung von Art. 321b oder 464 Abs. 2 OR) geltend
gemacht werden kann, wenn er seinen Arbeitgeber in unzulässiger Weise
konkurrenziert (E. 2.4).

Sachverhalt ab Seite 608

BGE 137 III 607 S. 608

A.

A.a K. (Beschwerdeführer) arbeitete ab 1. Juli 2000 als Leiter der Abteilung
Heizung im Betrieb der X. AG (Beschwerdegegnerin). Er gehörte der
Geschäftsleitung an, war handlungsbevollmächtigt und führte selbständig eine
Zweigstelle, wobei er in dieser Funktion unter anderem für den Abschluss von
Verträgen sowie das Erstellen und Visieren von Rechnungen zuständig war.
Der zwischen den Parteien abgeschlossene Arbeitsvertrag hält unter anderem
fest, dem Beschwerdeführer sei "jegliche private Erwerbstätigkeit ohne
schriftliche Einwilligung der Geschäftsleitung oder des Verwaltungsrates ...
untersagt".
Ende Mai 2002 kündigte der Beschwerdeführer das Arbeitsverhältnis per Ende
November 2002. Am 30. Juli 2002 stellte ihm die Beschwerdegegnerin ein in jeder
Hinsicht gutes Arbeitszeugnis aus.

A.b Nach dem Austritt des Beschwerdeführers stiess die Beschwerdegegnerin bei
Räumungsarbeiten auf Hinweise, dass dieser während des Arbeitsverhältnisses
unter Verwendung ihrer Infrastruktur auf privater Basis und gegen Entgelt
Aufträge im Heizungsbereich (Planungsarbeiten, Ausarbeiten von
Kostenvoranschlägen und Offerten, Rechnungsstellung und dergleichen) für Dritte
ausgeführt hatte.

B.

B.a Am 21. Juni 2010 klagte die Beschwerdegegnerin beim Kreisgericht
Werdenberg-Sarganserland mit dem Rechtsbegehren, es sei
BGE 137 III 607 S. 609
der Beschwerdeführer zur Zahlung von Fr. 23'595.- nebst 5 % Zins seit dem 1.
Dezember 2002 zu verpflichten. Der eingeklagte Betrag entsprach den Einnahmen
des Beschwerdeführers aus der während des Arbeitsverhältnisses ausgeübten
Nebentätigkeit.
Mit Entscheid vom 21. Oktober 2010 hiess das Kreisgericht die Klage im Umfang
von Fr. 15'000.- (Einnahmen des Beschwerdeführers aus der Nebentätigkeit
abzüglich einer Entschädigung für die eigene Arbeit) nebst 5 % Zins seit dem
14. März 2008 gut. Im Übrigen wies es die Klage ab.

B.b Mit Entscheid vom 28. April 2011 wies das Kantonsgericht St. Gallen eine
vom Beschwerdeführer gegen das Urteil des Kreisgerichts
Werdenberg-Sarganserland vom 21. Oktober 2010 erhobene Berufung ab.

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer dem
Bundesgericht, der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 28. April 2011
sei aufzuheben und die Klage der Beschwerdegegnerin sei abzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine Verletzung von Art. 464 OR
vor.

2.1 Die Vorinstanz erachtete es - im Gegensatz zur Erstinstanz - zunächst als
fraglich, ob aus Art. 321b OR ein Herausgabeanspruch des Arbeitgebers für
Einkünfte des Arbeitnehmers aus vertragswidrig ausgeübter Nebentätigkeit
hergeleitet oder ob hierfür gegebenenfalls ergänzend die arbeitsvertragsfremde
Bestimmung von Art. 423 OR herangezogen werden könne. Der Beschwerdeführer habe
jedoch nicht nur dem in Art. 321a Abs. 3 OR geregelten Verbot der Schwarzarbeit
unterstanden, sondern als Handlungsbevollmächtigter auch dem gesetzlichen
Konkurrenzverbot von Art. 464 OR. Der Beschwerdeführer habe gegen das Verbot
verstossen, als handlungsbevollmächtigter Arbeitnehmer im Geschäftsbereich des
Arbeitgebers auf eigene Rechnung Geschäfte zu machen (Art. 464 Abs. 1 OR). Der
Arbeitgeber könne daher nach Art. 464 Abs. 2 OR die betreffenden Geschäfte auf
eigene Rechnung übernehmen, wobei dies auch einen Anspruch auf Abschöpfung der
vom
BGE 137 III 607 S. 610
Handlungsbevollmächtigten aus diesen Geschäften erlangten Vorteile umfasse. Ein
Herausgabeanspruch der Beschwerdegegnerin für die Einnahmen des
Beschwerdeführers aus der konkurrenzierenden Nebentätigkeit ergebe sich damit,
wenn auch möglicherweise nicht aus Art. 321b OR, so doch jedenfalls aus Art.
464 Abs. 2 OR. Ob der von der Erstinstanz vorgenommene Abzug für die eigene
Arbeitskraft zu Recht und in zutreffendem Umfang erfolgt sei, könne mangels
Anschlussberufung offengelassen werden; eine Erhöhung des Abzugs falle
jedenfalls ausser Betracht.

2.2

2.2.1 Nach Art. 464 Abs. 1 OR darf der Prokurist und der
Handlungsbevollmächtigte, der zum Betrieb des ganzen Gewerbes bestellt ist oder
in einem Arbeitsverhältnis zum Inhaber des Gewerbes steht, ohne Einwilligung
des Geschäftsherrn weder für eigene Rechnung noch für Rechnung eines Dritten
Geschäfte machen, die zu den Geschäftszweigen des Geschäftsherrn gehören. Der
Vertreter darf also nicht die gleichen Produkte oder Dienstleistungen anbieten
wie der Prinzipal (ROLF WATTER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I,
5. Aufl. 2011, N. 1 zu Art. 464 OR; JÖRG SCHWARZ, in: Handkommentar zum
Schweizer Privatrecht, 2007, N. 2 zu Art. 464 OR). Die Bestimmung dient dem
Schutz des Geschäftsherrn und will Interessenkollisionen vermeiden, die
insbesondere dann drohen würden, wenn der Vertretungsbefugte je nach Belieben
für den Geschäftsherrn oder in eigenem Interesse tätig werden könnte (vgl.
HEYMANN/HENSSLER, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 2. Aufl. 2008, N. 3 zu § 60
HGB).
Nach herrschender Auffassung bezieht sich das Konkurrenzverbot von Art. 464
Abs. 1 OR nur auf den Abschluss von Rechtsgeschäften, die der Vertreter statt
für den Prinzipal mit sich selber oder für einen Dritten abschliesst, während
tatsächliche Handlungen für einen Dritten nicht in den Anwendungsbereich dieser
Bestimmung fallen (WATTER, a.a.O., N. 6 zu Art. 464 OR; SCHWARZ, a.a.O., N. 2
zu Art. 464 OR; CHRISTINE CHAPPUIS, in: Commentaire romand, Code des
obligations, Bd. I, 2003, N. 2 zu Art. 464 OR; GEORG GAUTSCHI, Berner
Kommentar, 2. Aufl. 1962, N. 5b zu Art. 464 OR).

2.2.2 Der Beschwerdeführer war handlungsbevollmächtigt und führte eine
Zweigstelle der Beschwerdegegnerin. Er hat nach den Feststellungen im
angefochtenen Entscheid während des Arbeitsverhältnisses mit der
Beschwerdegegnerin für verschiedene
BGE 137 III 607 S. 611
Drittunternehmen, die mit seiner Arbeitgeberin in direktem Wettbewerb standen,
gegen Entgelt mehrere Aufträge im Heizungsbereich ausgeführt. Die entsprechende
Tätigkeit übte der Beschwerdeführer überwiegend in den Geschäftsräumen der
Beschwerdegegnerin aus und nutzte dabei auch die dort vorhandene
Spezialinfrastruktur. Nach vorinstanzlicher Feststellung hat ihm der spezifisch
ausgestattete Arbeitsplatz der Beschwerdegegnerin die von dieser beanstandete
Tätigkeit für Dritte überhaupt erst ermöglicht.
Angesichts dieser Feststellungen im angefochtenen Entscheid verfängt der
pauschal erhobene Einwand des Beschwerdeführers nicht, das von den
Konkurrenzunternehmen erhaltene Entgelt sei reiner Arbeitslohn und seine
Dienstleistungen als bloss tatsächliche Handlungen für Dritte zu verstehen, die
nicht in den Anwendungsbereich von Art. 464 OR fallen sollen. Insbesondere geht
daraus hervor, dass der Beschwerdeführer gerade nicht in die
Arbeitsorganisation der Konkurrenzunternehmen eingegliedert war (vgl. BGE 125
III 78 E. 4 S. 81; Urteil 4C.276/2006 vom 25. Januar 2007 E. 4; REHBINDER/
STÖCKLI, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2010, N. 6 ff. zu Art. 319 OR; ADRIAN
STAEHELIN, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2006, N. 26 ff. zu Art. 319 OR), worauf
auch die Beschwerdegegnerin zutreffend hinweist. Unabhängig davon, ob die
konkret erbrachten Dienstleistungen im Rahmen eines Auftrags (Art. 394 ff. OR)
oder eines Werkvertrags (Art. 363 ff. OR) erfolgten, ist die Vorinstanz im
Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer damit für
eigene Rechnung Rechtsgeschäfte abgeschlossen hat, die zum Geschäftszweig der
Beschwerdegegnerin gehören und von Art. 464 Abs. 1 OR erfasst werden.
Unerheblich ist dabei, ob die fraglichen Konkurrenzunternehmen die
entsprechenden Geschäfte an die Beschwerdegegnerin vergeben hätten oder diese
interessiert gewesen wäre, die konkreten Dienstleistungen selbst zu erbringen
(vgl. HEYMANN/HENSSLER, a.a.O., N. 12 zu § 60 HGB). Dem kaufmännischen
Vertreter soll der Anreiz zu einem Geschäft in denselben Geschäftszweigen
unabhängig davon genommen werden, ob der Geschäftsherr das konkrete Geschäft
abgeschlossen hätte oder er selber einen Gewinn hätte erzielen können (vgl.
HERBERT BUCHNER, Wettbewerbsverbote während und nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses, Heidelberg 1995, S. 37 Rz. B115, S. 50 Rz. B165; HEYMANN/
HENSSLER, a.a.O., N. 12 zu § 60 HGB). Entscheidend ist vielmehr, dass die vom
Beschwerdeführer erbrachten
BGE 137 III 607 S. 612
Dienstleistungen zu den Geschäftszweigen der Beschwerdegegnerin gehörten und
für Drittunternehmen erbracht wurden, die mit der Beschwerdegegnerin in
direktem Wettbewerb stehen. Die damit verbundene Gefährdung der
Wettbewerbsinteressen der Beschwerdegegnerin ist evident, und dem
handlungsbevollmächtigten Beschwerdeführer war es aufgrund seines besonderen
Treueverhältnisses nach Art. 464 Abs. 1 OR verwehrt, entsprechende Geschäfte
ohne Einwilligung des Geschäftsherrn zu machen. Dass die Beschwerdegegnerin die
abgeschlossenen Geschäfte genehmigt hätte, macht der Beschwerdeführer zu Recht
nicht geltend.

2.3 Bei Übertretung des Konkurrenzverbots von Art. 464 Abs. 1 OR kann der
Geschäftsherr Ersatz des verursachten Schadens fordern und die betreffenden
Geschäfte auf eigene Rechnung übernehmen (Art. 464 Abs. 2 OR). Hat der
Prokurist bzw. Handlungsbevollmächtigte das fragliche Geschäft in eigenem Namen
abgeschlossen, kann der Geschäftsherr die Ablieferung aller daraus tatsächlich
erlangten Vermögenswerte verlangen (GAUTSCHI, a.a.O., N. 7b und 8b zu Art. 464
OR; WATTER, a.a.O., N. 8 zu Art. 464 OR; JOSEF HOFSTETTER, Der Auftrag und die
Geschäftsführung ohne Auftrag, SPR Bd. VII/6, 2000, S. 248 N. 4, die den
Übernahmeanspruch jeweils mit der Vorteilsaneignung nach Art. 423 Abs. 1 OR
gleichsetzen). Es steht ihm demnach ein Anspruch auf Abschöpfung des vom
Vertreter bereits erzielten Gewinns zu (JÖRG SCHMID, Zürcher Kommentar, 3.
Aufl. 1993, N. 75 zu Art. 423 OR; vgl. auch HEYMANN/HENSSLER, a.a.O., N. 7 zu §
61 HGB).
Entgegen dem, was der Beschwerdeführer anzunehmen scheint, ist es nicht
erforderlich, dass der Geschäftsherr ausdrücklich eine Übernahme der Geschäfte
auf eigene Rechnung im Sinne von Art. 464 Abs. 2 OR verlangt. Nachdem die
Beschwerdegegnerin - wie auch in der Beschwerde festgehalten - im kantonalen
Verfahren die Herausgabe des erzielten Gewinns verlangt hat, ist der Vorinstanz
keine willkürliche oder aktenwidrige Sachverhaltsfeststellung vorzuwerfen, wenn
sie die auf Geldzahlung gerichtete Klage der Beschwerdegegnerin (soweit im
Berufungsverfahren noch strittig) gestützt auf diese Bestimmung geschützt hat.
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht hat die Vorinstanz der
Beschwerdegegnerin, deren Begehren auf Bestätigung des kreisgerichtlichen
Entscheids vom 21. Oktober 2010 lautete, weder mehr noch anderes zugesprochen,
als diese selbst verlangt hatte.
BGE 137 III 607 S. 613

2.4 Der Vorinstanz ist keine Verletzung von Art. 464 OR vorzuwerfen, wenn sie
das Verhalten des handlungsbevollmächtigten Beschwerdeführers als unzulässig
erachtet und die Klage der Beschwerdegegnerin auf Gewinnherausgabe geschützt
hat. Die konkrete Bemessung des Herausgabeanspruchs stellt der Beschwerdeführer
vor Bundesgericht nicht in Frage.
Es braucht somit nicht entschieden zu werden, ob gegenüber einem Arbeitnehmer
ohne Handlungsvollmacht oder Prokura ebenfalls ein Anspruch auf
Gewinnherausgabe (gestützt auf Art. 423 Abs. 1 OR bzw. in analoger Anwendung
von Art. 321b OR oder Art. 464 Abs. 2 OR) geltend gemacht werden kann, wenn er
seinen Arbeitgeber in unzulässiger Weise konkurrenziert (vgl. Art. 321a Abs. 3
OR), oder ob die arbeitsrechtlichen Bestimmungen eine Gewinnabschöpfung (im
Sinne eines qualifizierten Schweigens) ausschliessen (gegen eine
Gewinnabschöpfung: SCHMID, a.a.O., N. 82 zu Art. 423 OR; THOMAS BRÄNDLI,
Arbeitsvertrag und Nebenbeschäftigung, 2000, S. 148 f.; zurückhaltend auch
MARKUS NIETLISPACH, Zur Gewinnherausgabe im schweizerischen Privatrecht, 1994,
S. 452; für eine Gewinnabschöpfung: CHRISTINE CHAPPUIS, La restitution des
profits illégitimes, 1991, S. 141; ROLF H. WEBER, Gewinnherausgabe -
Rechtsfigur zwischen Schadenersatz-, Geschäftsführungs- und Bereicherungsrecht,
ZSR 111/1992 I S. 337 f.; HOFSTETTER, a.a.O., S. 269 Fn. 7; ALEXANDER CH.
BÜRGI-WYSS, Der unrechtmässig erworbene Vorteil im schweizerischen Privatrecht,
2005, S. 272; vgl. im Übrigen BGE 34 II 694 E. 4 hinsichtlich der
Nebentätigkeit eines Dienstverpflichteten unter Verwendung des
Betriebsmaterials des Dienstherrn; vgl. zum deutschen Dienstvertragsrecht
STAUDINGER/RICHARDI/FISCHINGER, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2011, N.
628 zu § 611 BGB; BUCHNER, a.a.O., S. 48 ff. Rz. B161 ff.).