Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 556



Urteilskopf

137 III 556

83. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. K. gegen
Paritätische Berufskommission Bauhauptgewerbe X. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_301/2011 vom 21. September 2011

Regeste

Streitigkeiten über die Auslegung und die Anwendung von Gesamtarbeitsverträgen
(AVEG, Art. 60 Abs. 3 BBG, Art. 72 und 82 BGG); Aktivlegitimation der
paritätischen Berufskommissionen (Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe)?
Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung von nach dem AVEG
allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen gelten als Zivilsachen.
Dies gilt nicht für die nach Art. 60 Abs. 3 BBG auf alle Betriebe einer Branche
ausgedehnte Pflicht zur Leistung von Bildungsbeiträgen an
Berufsausbildungsfonds (E. 3).
Ist die paritätische Berufskommission gestützt auf den Landesmantelvertrag für
das Bauhauptgewerbe berechtigt, eine von ihr verhängte Konventionalstrafe in
eigenem Namen gerichtlich geltend zu machen- Frage offengelassen (E. 4-4.6).

Sachverhalt ab Seite 557

BGE 137 III 556 S. 557
Die Paritätische Berufskommission Bauhauptgewerbe X. (Beschwerdegegnerin) liess
bei K. (Beschwerdeführer) eine externe Lohnbuchkontrolle durchführen und
stellte dabei diverse Verletzungen der gesamtarbeitsvertraglichen Bestimmungen
fest. Sie beschloss gestützt auf den Landesmantelvertrag für das
Bauhauptgewerbe (nachfolgend: LMV), dem Beschwerdeführer die Kosten für die
externe Kontrolle sowie die Verfahrenskosten aufzuerlegen und eine
Konventionalstrafe zu verhängen. Nachdem das Kreisgericht Gaster-See die Klage,
mit welcher die Beschwerdegegnerin die entsprechenden Beträge einforderte,
zunächst mangels Aktivlegitimation abgewiesen hatte, wies das Kantonsgericht
St. Gallen die Sache an das Kreisgericht zurück (vgl. Urteil des Bundesgerichts
4A_109/2009 vom 16. April 2009, in welchem der Rückweisungsentscheid mangels
selbständiger Anfechtbarkeit nicht überprüft wurde). Das Kreisgericht setzte
hierauf die Konventionalstrafe auf Fr. 35'000.- herab und verpflichtete den
Beschwerdeführer zusätzlich zur Übernahme der Kontroll- und Verfahrenskosten,
was einen Gesamtbetrag von Fr. 52'485.30 ergab. Das anschliessend angerufene
Kantonsgericht sprach der Beschwerdegegnerin im Rechtsmittelverfahren überdies
noch Zins auf dem geschuldeten Betrag zu. Das Bundesgericht weist die gegen die
Entscheide des Kantonsgerichts erhobene Beschwerde in Zivilsachen ab.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts gelten Streitigkeiten über die
Auslegung und Anwendung von Gesamtarbeitsverträgen als Zivilsachen (BGE 134 III
399, 541). Ansprüche aus Gesamtarbeitsverträgen werden auch dann dem
Privatrecht zugeordnet, wenn sie auf gemäss dem Bundesgesetz vom 28. September
1956 über die
BGE 137 III 556 S. 558
Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG; SR 221.215.311)
allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen beruhen und gegenüber Aussenseitern
geltend gemacht werden (BGE 118 II 528 E. 2a S. 531; Urteil des Bundesgerichts
4A_300/2007 vom 6. Mai 2008 E. 1, nicht publ. in: BGE 134 III 399). Wird
allerdings die Pflicht zur Leistung von Bildungsbeiträgen an
Berufsausbildungsfonds in Anwendung von Art. 60 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom
13. Dezember 2002 über die Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz, BBG; SR 412.10)
für alle Betriebe einer Branche verbindlich erklärt, ist keine Zivilsache mehr
gegeben (BGE 2C_561/2010 vom 28. Juli 2011 E. 1). Da die zu beurteilende
Streitigkeit nicht Beiträge an Berufsbildungsfonds betrifft, steht die
Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten nicht offen und hat der
Beschwerdeführer zu Recht Beschwerde in Zivilsachen ergriffen.

4. Der Betrieb des Beschwerdeführers fällt unbestritten in den räumlichen und
sachlichen Anwendungsbereich des vom Bundesrat allgemeinverbindlich erklärten
Landesmantelvertrages. Der Beschwerdeführer hält jedoch die ihm auferlegte
Konventionalstrafe und die Verfahrenskostenbeteiligung für rechtswidrig, wobei
er namentlich die Aktivlegitimation der Beschwerdegegnerin bestreitet sowie mit
Blick auf Lücken in der zeitlichen Geltungsdauer der Landesmantelverträge das
Recht der Beschwerdegegnerin, die eingeleiteten Verfahren weiterzuverfolgen, in
Abrede stellt. Der Beschwerdeführer hält zwar auch vor Bundesgericht an seinem
Begehren um Herabsetzung der Konventionalstrafe fest. Mit Bezug auf die Höhe
der Konventionalstrafe äussert er sich in der Beschwerdebegründung aber
ausschliesslich zum Zinsenlauf. Hauptstreitpunkt bildet die Frage, ob die
Beschwerdegegnerin aktivlegitimiert ist.

4.1 Gemäss Art. 76 Abs. 1 LMV/2005 bestellen die Vertragsparteien des lokalen
GAV eine lokale paritätische Berufskommission in der Rechtsform eines Vereines,
die ausdrücklich ermächtigt ist, den LMV während seiner Gültigkeit zu
vollziehen. Art. 76 Abs. 2 LMV/2005, der die Vertragsparteien des LMV
verpflichtet, den lokalen paritätischen Berufskommissionen die erforderlichen
Vollmachten zur Vertretung des gemeinsamen Anspruchs gemäss Art. 357b OR zu
erteilen, wurde nicht allgemeinverbindlich erklärt. Gemäss Art. 76 Abs. 3 lit.
a LMV/2005 hat die lokale paritätische Berufskommission die Aufgabe, auftrags
und namens der LMV-Vertragsparteien die arbeitsvertraglichen Bestimmungen des
LMV inklusive deren Anhänge und Zusatzvereinbarungen durchzusetzen, sofern im
LMV
BGE 137 III 556 S. 559
oder in einer anderen Vereinbarung keine andere Lösung getroffen wurde, und den
lokalen GAV anzuwenden und durchzusetzen sowie allfällige
Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten über die Anwendung des lokalen
GAV zu schlichten. Dabei obliegt der lokalen paritätischen Berufskommission
nach Art. 76 Abs. 3 lit. b LMV/2005 insbesondere die Durchführung von
gemeinsamen Lohnkontrollen und Untersuchungen über die Arbeitsverhältnisse im
Betrieb. Die lokale paritätische Berufskommission kann eine Firma bezüglich
Einhaltung des LMV kontrollieren, führt Kontrollen bezüglich Einhaltung des LMV
durch und kontrolliert die Baustellen oder lässt die Kontrolle durch Dritte
vornehmen und beschliesst, ob eine Verwarnung oder eine Sanktion ausgesprochen
wird und wer die Kontroll- und Verfahrenskosten zu tragen hat (vgl. Art. 76
Abs. 4 LMV/2005). Unter dem Titel Sanktionen hält Art. 79 Abs. 2 LMV/2005 fest,
die paritätische Berufskommission sei berechtigt, eine Konventionalstrafe bis
zu Fr. 50'000.- zu verhängen (wobei in Fällen vorenthaltener geldwerter
Ansprüche die Konventionalstrafe bis zur Höhe der geschuldeten Leistung gehen
dürfe) und die Neben- und Verfahrenskosten der fehlbaren Partei aufzuerlegen.
Gemäss Art. 79 Abs. 4 LMV/2005 kann im lokalen GAV die gemeinsame Durchführung,
beschränkt auf die Durchsetzung von Konventionalstrafen der paritätischen
Berufskommission (Art. 357b Abs. 1 lit. c OR), aufgenommen werden, sofern die
Vertragsparteien von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen und die
erforderliche Ermächtigung nach Art. 357b Abs. 2 OR vorliegt. Art. 79 Abs. 5
LMV/2005 bestimmt schliesslich, eine rechtskräftig verhängte Konventionalstrafe
sei innert 30 Tagen der paritätischen Berufskommission zu zahlen, wobei diese
den Betrag für den Vollzug und die Durchsetzung des GAV verwendet.

4.2 Aufgrund des Textes des Landesmantelvertrages blieb nach Auffassung der
Vorinstanz unklar, ob der paritätischen Berufskommission ein eigener Anspruch
auf die Konventionalstrafe und die Kosten eingeräumt werden sollte. Die
Vorinstanz ging indessen davon aus, namentlich mit Blick auf den verfolgten
Zweck, eine wirtschaftliche Verflechtung mit den Vertragsparteien zu vermeiden,
sei der Beschwerdegegnerin ein eigener Anspruch zuzuerkennen oder zumindest das
Recht, diesen im Rahmen einer Prozessstandschaft in eigenem Namen geltend zu
machen. Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber den Standpunkt, die
Beschwerdegegnerin hätte im Gerichtsverfahren sowie bereits zuvor bei
Ausfällung der
BGE 137 III 556 S. 560
Konventionalstrafe nur im Namen der Vertragsparteien handeln können. Er weist
ausserdem darauf hin, dass der LMV gekündigt worden sei und zeitweise ein
vertragsloser Zustand geherrscht habe. Für die in dieser Zeit vorgenommenen
Prozesshandlungen habe es der Beschwerdegegnerin an der Vertretungsbefugnis
gefehlt, da die von ihr eingereichten Vollmachten auf die Geltung des LMV
beschränkt seien.

4.3 Die Beschwerdegegnerin hat den LMV für dessen Geltungsdauer gegenüber den
davon erfassten Parteien durchzusetzen. Der Beschwerdeführer behauptet nicht,
dass sich der eingeklagte Betrag auch auf Handlungen ausserhalb der
Geltungszeit des LMV bezieht. Aus der Funktion der Beschwerdegegnerin ergibt
sich, dass deren Aufgabe erst mit Abschluss der die Geltungsdauer des LMV
betreffenden Verfahren beendet ist. Vor diesem Hintergrund ist die Befristung
der Vollmachten auf die Geltungsdauer des LMV funktional und nicht zeitlich zu
verstehen. Es kann nicht die Absicht der Parteien gewesen sein, die Vollmacht
während laufenden Gerichtsverfahren entfallen zu lassen. Der diesbezügliche
Einwand des Beschwerdeführers ist unbegründet.

4.4 Nicht stichhaltig ist auch der Einwand, die Beschwerdegegnerin hätte
bereits die Konventionalstrafe nur im Namen der Vertragsparteien verhängen
können. Gemäss LMV ist die paritätische Kommission selbst berechtigt, die
Konventionalstrafe zu verhängen. Dass sie den LMV im Namen der Vertragsparteien
durchsetzt, ergibt sich bereits aus ihrer im LMV umschriebenen Funktion.

4.5 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind die Vertragsparteien eines
Gesamtarbeitsvertrages in der Ausgestaltung der Kontrolle des Verhältnisses
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer frei (BGE 134 III 541 E. 4.3 S. 546). Die
Frage, ob es zulässig ist, den Anspruch auf die Konventionalstrafe an die
paritätische Berufskommission abzutreten oder ihr zumindest das Recht
einzuräumen, diesen im Rahmen einer Prozessstandschaft im eigenen Namen
gerichtlich durchzusetzen, wird in Lehre und Rechtsprechung unterschiedlich
beantwortet (STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, 6. Aufl. 2006, N. 5 zu Art.
357b OR mit Hinweisen; vgl. auch VISCHER/ALBRECHT, Zürcher Kommentar, 4. Aufl.
2006, N. 13 zu Art. 357b OR). Sie stellt sich aber nur, wenn gemäss dem
Gesamtarbeitsvertrag der paritätischen Berufskommission entsprechende
Kompetenzen zugewiesen werden sollen. Ob dies hier der Fall ist, scheint
zweifelhaft.
BGE 137 III 556 S. 561

4.5.1 Art. 76 Abs. 1 LMV/2005 ermächtigt die lokale paritätische
Berufskommission zwar ausdrücklich, den LMV während seiner Gültigkeit zu
vollziehen. Gemäss Abs. 3 lit. a dieses Artikels hat die lokale paritätische
Berufskommission die arbeitsvertraglichen Bestimmungen des LMV aber auftrags
und namens der LMV-Vertragsparteien durchzusetzen. Im LMV oder in einer anderen
Vereinbarung können zwar andere Lösungen getroffen werden. Als Ausnahme von der
Regel müsste sich dies aber klar ergeben. Die Vorinstanz selbst hält den
Wortlaut des LMV aber für unklar. Gerade anschliessend an den Auftrag zum
Vollzug namens der Vertragsparteien wird in lit. b als Beispiel das Durchführen
der Untersuchungen über das Arbeitsverhältnis erwähnt. Art. 79 LMV regelt
schliesslich die Sanktionen, bestimmt aber nicht, die Sanktionen seien im Namen
der paritätischen Berufskommission gerichtlich durchzusetzen, sondern knüpft in
Abs. 4 an das Bestehen der erforderlichen Ermächtigung an.

4.5.2 Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, inwiefern ein Vorgehen im Namen der
Parteien des LMV mit Schwierigkeiten verbunden sein sollte. Im LMV wird
festgehalten, die Konventionalstrafe sei an die paritätische Berufskommission
zu leisten, und festgesetzt, dass und wie diese den Betrag verwenden darf.
Insoweit besteht auch bei einer Klage im Namen der Vertragsparteien
wirtschaftlich kaum eine grössere Verflechtung, als wenn der Beschwerdegegnerin
ein eigener Anspruch zuerkannt würde, mit einer Auflage betreffend die
Verwendung der Einkünfte. Zur Ausstellung der notwendigen Vollmachten haben
sich die Vertragsparteien in Art. 76 Abs. 2 LMV/2005 verpflichtet. Dass dieser
Absatz nicht allgemeinverbindlich erklärt wurde, spielt keine Rolle, begründet
er doch ohnehin nur zwischen den Vertragsparteien unter sich und gegenüber den
lokalen paritätischen Berufskommissionen Rechte und Pflichten, an denen sich
durch eine Allgemeinverbindlicherklärung nichts ändern würde. Art. 76 Abs. 2
LMV/2005 bekräftigt nur, was sich aus dem Wortlaut des allgemeinverbindlich
erklärten Art. 76 Abs. 3 lit. a LMV/2005 ergibt, nämlich dass die
Vertragsparteien ein Handeln der lokalen paritätischen Berufskommission in
ihrem Namen vorsahen. Eine entsprechende Vollmacht wäre zudem wohl unabhängig
von Abs. 2 der Bestimmung als im Auftrag zur Durchsetzung der Ansprüche namens
der LMV-Vertragsparteien enthalten anzusehen.

4.6 Die Frage braucht indessen nicht abschliessend behandelt zu werden. Aus
Art. 79 Abs. 5 LMV/2005 geht ausdrücklich hervor,
BGE 137 III 556 S. 562
dass die Konventionalstrafe an die paritätische Berufskommission, also die
Beschwerdegegnerin zu bezahlen ist. Der Beschwerdeführer weist selbst darauf
hin, die Beschwerdegegnerin habe im Prozess zum Teil ausgeführt, sie handle im
Namen der Vertragsparteien. Gestützt auf die erteilten Vollmachten müssen sich
die Vertragsparteien des LMV das Verhalten der Beschwerdegegnerin
entgegenhalten lassen. Daher könnten sie, auch wenn die Beschwerdegegnerin zu
Unrecht im eigenen Namen geklagt haben sollte, vom Beschwerdeführer nicht
nochmals Zahlung verlangen. Entgegen seiner Auffassung würde der
Beschwerdeführer durch Zahlung an die Beschwerdegegnerin in jedem Fall befreit.
Ob die Konventionalstrafe als eigener Anspruch der Beschwerdegegnerin angesehen
wird oder nicht, ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführer an diese
leisten muss und durch die Leistung befreit wird. Der Beschwerdeführer zeigt
nicht auf, inwiefern er unter diesen Umständen ein schützenswertes Interesse an
der Klärung der Frage hat, ob der Anspruch formell auf die Beschwerdegegnerin
übergegangen ist. Es kann ihm gleichgültig sein, wem der Anspruch im Verhältnis
der lokalen paritätischen Berufskommission zu den Vertragsparteien des LMV
zusteht. Selbst wenn die Beschwerdegegnerin formell im Namen der
LMV-Vertragspartner hätte klagen müssen, erweist sich die Einwendung des
Beschwerdeführers als blosse Schikane, um sich der in jedem Fall gegenüber der
Beschwerdegegnerin zu erbringenden Zahlung zu entziehen. Dieses Verhalten
verdient keinen Rechtsschutz.