Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 380



Urteilskopf

137 III 380

56. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Z.
(Beschwerde in Zivilsachen)
5A_233/2011 vom 5. August 2011

Regeste

Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; Anfechtung eines Zwischenentscheids vor
Bundesgericht.
Begriff des nicht wieder gutzumachenden Nachteils. Ob ein solcher Nachteil
vorliegt, bemisst sich an den Auswirkungen des Zwischenentscheids auf die
Hauptsache bzw. das Hauptverfahren (E. 1).

Regeste

Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO; Anfechtung einer prozessleitenden Verfügung vor
dem oberen kantonalen Gericht.
Kann ein Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93
Abs. 1 lit. a BGG bewirken, so kann er erst recht einen nicht leicht wieder
gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO nach sich ziehen (E.
2).

Sachverhalt ab Seite 381

BGE 137 III 380 S. 381

A. Z. (Ehemann) reichte am 28. Januar 2011 beim Kantonsgericht Zug eine
Scheidungsklage gegen X. (Ehefrau) ein. Er ersuchte darin um Vorladung zu einer
Einigungsverhandlung. Die Referentin am Kantonsgericht Zug stellte X. die Klage
am 1. Februar 2011 zur Einreichung einer Klageantwort zu.
X. ersuchte am 7. Februar 2011 darum, ihr die Frist zur Einreichung einer
Klageantwort abzunehmen und die Parteien gemäss Art. 291 ZPO zu einer
Einigungsverhandlung vorzuladen. Die Referentin teilte ihr daraufhin am 11.
Februar 2011 mit, die Scheidungsklage enthalte eine Kurzbegründung, weshalb
kein Raum für eine Einigungsverhandlung bestehe und an der angesetzten Frist
festgehalten werde.

B. Dagegen wandte sich X. mit Beschwerde vom 18. Februar 2011 an das
Obergericht des Kantons Zug, welches mit Präsidialverfügung vom 21. Februar
2011 auf die Beschwerde nicht eintrat.

C. Am 24. März 2011 hat X. (Beschwerdeführerin) gegen diese Verfügung
Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie
beantragt, die angefochtene Verfügung des Obergerichts aufzuheben und das
Kantonsgericht Zug anzuweisen, die Parteien zur Einigungsverhandlung gemäss
Art. 291 ZPO vorzuladen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das
Obergericht zurückzuweisen. Das Obergericht beantragt Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf einzutreten sei. Z. (Beschwerdegegner) hat - ausser im
Kostenpunkt - auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die
Angelegenheit an das Obergericht zurück.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Angefochten ist - binnen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) - ein kantonal
letztinstanzlicher Nichteintretensentscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG) über die
Anfechtung einer erstinstanzlichen prozessualen Anordnung in einem
Scheidungsverfahren, nämlich die Weigerung der Referentin am Kantonsgericht,
eine Einigungsverhandlung durchzuführen. Dieser erstinstanzliche Entscheid ist
in der Terminologie der ZPO eine prozessleitende Verfügung und nicht ein
Zwischenentscheid (vgl. Art. 237 und 319 lit. b ZPO [SR 272]; Botschaft vom 28.
Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl
BGE 137 III 380 S. 382
2006 7376 Ziff. 5.23.2 und 7344 Ziff. 5.15). In der Begrifflichkeit des BGG ist
die angefochtene Verfügung jedoch ein Vor- oder Zwischenentscheid (Art. 93
BGG). An dieser Qualifikation ändert sich grundsätzlich wie auch vorliegend
dadurch nichts, dass der angefochtene Rechtsmittelentscheid auf Nichteintreten
lautet. Er beendet nämlich lediglich den Streit um die erstinstanzliche
Zwischenverfügung, nicht aber das Hauptverfahren (Urteil 4A_542/2009 vom 27.
April 2010 E. 3 mit Hinweisen). Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg
jenem der Hauptsache. In der Hauptsache geht es um eine Scheidung, wobei sowohl
der Scheidungspunkt wie auch die Nebenfolgen umstritten sind. Es liegt somit
eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG) ohne Vermögenswert vor (vgl. BGE 116 II
493 E. 2 S. 494 ff.). Steht die Beschwerde in Zivilsachen zur Verfügung, bleibt
für die ebenfalls erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde kein Raum (Art. 113
BGG).

1.2 Selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide können vor Bundesgericht
nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 und 93 BGG angefochten werden.
Vorliegend kommt einzig die Variante gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG in
Betracht, d.h. die Beschwerde ist zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann.

1.2.1 Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit.
a BGG muss nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung rechtlicher Natur sein,
was voraussetzt, dass er sich auch mit einem späteren günstigen Endentscheid
nicht oder nicht gänzlich beseitigen lässt (BGE 136 II 165 E. 1.2.1 S. 170; BGE
135 I 261 E. 1.2 S. 263; BGE 135 II 30 E. 1.3.4 S. 35 f.; BGE 134 III 188 E.
2.1 S. 190; BGE 133 III 629 E. 2.3.1 S. 632; je mit Hinweisen). Die blosse
Möglichkeit eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur
genügt (BGE 134 III 188 E. 2.1 S. 191 mit Hinweis). Dagegen reichen rein
tatsächliche Nachteile wie die Verfahrensverlängerung oder -verteuerung nicht
aus (BGE 133 III 629 E. 2.3.1 S. 632; BGE 134 III 188 E. 2.2 S. 191;
relativierend BGE 135 II 30 E. 1.3.4 und 1.3.5 S. 36 ff.).

1.2.2 Im vorliegenden Fall ist die Vorinstanz auf die Eingabe der
Beschwerdeführerin nicht eingetreten, da die fragliche Anordnung der
erstinstanzlichen Richterin (Verzicht auf Vorladung zu einer
Einigungsverhandlung gemäss Art. 291 ZPO) mangels rechtlichen Nachteils nicht
Gegenstand einer Beschwerde gemäss Art. 319 lit. b
BGE 137 III 380 S. 383
Ziff. 2 ZPO bilden könne. Unmittelbarer Verfahrensgegenstand vor Bundesgericht
bildet die Frage, ob dieses Nichteintreten rechtens war. Die der Vorinstanz
vorgelegte Frage, ob die Verweigerung der Ansetzung einer Einigungsverhandlung
gemäss Art. 291 ZPO zu Recht erfolgte, wurde von dieser hingegen noch nicht
behandelt. Das Bundesgericht kann sich deshalb entgegen dem reformatorischen
Antrag der Beschwerdeführerin dazu nicht äussern.
Trotz dieser Beschränkung des Verfahrensthemas bemisst sich die Frage, ob ein
nicht wieder gutzumachender Nachteil vorliegt, nicht am
Nichteintretensentscheid der Vorinstanz als solchem, d.h. daran, ob dieses
Prozessurteil mit Beschwerde gegen den Endentscheid noch überprüft werden
könnte (so noch Urteil 5A_612/2007 vom 22. Januar 2008 E. 1.1). Massgebend sind
vielmehr die Auswirkungen des Zwischenentscheids auf die Hauptsache. Das
erstinstanzliche Urteil und seine Bedeutung für das weitere Verfahren sind
demnach entscheidend (Urteil 5D_72/2009 vom 9. Juli 2009 E. 1.1; vgl. auch
Urteile 4A_242/2011 vom 13. Mai 2011 E. 1.4 und 4A_542/2009 vom 27. April 2010
E. 4.2 und 4.3). Vorliegend geht es also darum, ob die Nichtdurchführung einer
Einigungsverhandlung gemäss Art. 291 ZPO einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil im Scheidungsverfahren bewirken kann.

1.2.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Weigerung, eine
Einigungsverhandlung anzusetzen, begründe einen rechtlichen Nachteil, weil
dadurch ein im Scheidungsverfahren zwingend vorgesehener Verfahrensschritt
übersprungen würde.

1.2.4 Ob die Einigungsverhandlung gemäss Art. 291 ZPO tatsächlich zwingend ist,
kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Diese Frage beschlägt die
Begründetheit der Beschwerde an das Obergericht (oben E. 1.2.2). Immerhin sieht
die ZPO diesen Verfahrensschritt ausdrücklich vor. Die Auffassung der
Beschwerdeführerin über die zwingende Natur der Einigungsverhandlung erscheint
denn auch nicht von vornherein abwegig. Fällt die Einigungsverhandlung aus,
kann sie nicht nachgeholt werden. Die Angelegenheiten, welche Gegenstand der
Einigungsverhandlung bilden würden, müssten dann allenfalls in anderem
Zusammenhang behandelt werden. Selbst falls die Möglichkeit bestehen sollte,
die übergangenen Verfahrensinhalte in einer anderen Prozessphase nachzuholen,
ändert dies aber nichts daran, dass in womöglich rechtswidriger Weise ein
Prozessabschnitt übersprungen wurde. Dieser
BGE 137 III 380 S. 384
verfahrensmässige Nachteil lässt sich im weiteren Prozess und im Endurteil
nicht beseitigen. Der angefochtene Zwischenentscheid kann somit einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil bewirken. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. Es bleibt zu beurteilen, ob auch die Vorinstanz auf die Beschwerde hätte
eintreten müssen. Gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO sind prozessleitende
Verfügungen mit Beschwerde anfechtbar, wenn durch sie ein nicht leicht wieder
gutzumachender Nachteil droht. Die französische Fassung verlangt "un préjudice
difficilement réparable" und die italienische "un pregiudizio difficilmente
riparabile".

2.1 Die Vorinstanz hat mit äusserst knapper Begründung festgehalten, der nicht
leicht wieder gutzumachende Nachteil gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO dürfe
nicht bloss tatsächlicher, sondern müsse rechtlicher Natur und so beschaffen
sein, dass er durch einen der Beschwerdeführerin günstigen Endentscheid nicht
mehr vollständig behoben werden könne. Die von der Beschwerdeführerin
behauptete Verweigerung eines zwingend im Scheidungsverfahren vorgesehenen
Verfahrensschrittes stelle keinen solchen Nachteil dar.

2.2 Nachdem der geltend gemachte Nachteil ausreicht, damit das Bundesgericht
auf die Beschwerde in Zivilsachen eintritt, folgt daraus ohne weiteres, dass
auch die Vorinstanz auf die Beschwerde gemäss Art. 319 ff. ZPO hätte eintreten
müssen. Kann der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil
im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken, so kann er erst recht einen
nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 319 lit. b Ziff.
2 ZPO nach sich ziehen.

2.3 Die angefochtene Verfügung ist folglich aufzuheben. Die Vorinstanz hat auf
die Beschwerde einzutreten und muss prüfen, ob die Einigungsverhandlung
durchzuführen ist. Sie hat zugleich über Kosten und Entschädigungen im
kantonalen Verfahren neu zu befinden.