Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 374



Urteilskopf

137 III 374

55. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG in
Liquidation gegen Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Glarus (Beschwerde in
Zivilsachen)
5A_806/2010 vom 11. Juli 2011

Regeste

Abtretung im schweizerischen Partikularkonkurs an die ausländische
Konkursverwaltung (Art. 260 SchKG analog).
Gibt es im Partikularkonkurs keine kollozierten Gläubiger, kann eine
inventarisierte Forderung der ausländischen Konkursverwaltung im Sinn von Art.
260 SchKG abgetreten werden (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 374

BGE 137 III 374 S. 374

A. Mit Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 30. Dezember 2004 wurde über
die deutsche Z. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Klage vom 7. Juli
2008 machte der Insolvenzverwalter beim Kantonsgericht Glarus gegen die X. AG
eine Forderung geltend. Gestützt auf ein entsprechendes Gesuch des
Insolvenzverwalters anerkannte der Glarner Kantonsgerichtspräsident mit
Entscheid vom 2. Februar 2009 das deutsche Konkursdekret für das Gebiet der
Schweiz. Der vor dem Kantonsgericht hängige Zivilprozess wurde eingestellt.
Am 6. Juli 2009 erhob die X. AG bei der kantonalen Aufsichtsbehörde in
Betreibungs- und Konkurssachen Beschwerde, namentlich
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mit den Begehren, das Konkursamt Glarus sei anzuweisen, die behauptete
Forderung aus Bürgschaft von 437'500.- bzw. Fr. 725'375.- Euro aus dem Inventar
zu streichen bzw. die am 18. Mai 2009 zur Verrechnung gebrachte Forderung im
Kollokationsplan aufzunehmen. Die Aufsichtsbehörde trat darauf nicht ein (vgl.
dazu Urteil 5A_83/2010 vom 11. März 2010).
Mit Verfügung vom 27. April 2010 trat das Konkursamt Glarus die inventarisierte
Forderung in analoger Anwendung von Art. 260 SchKG an den deutschen
Insolvenzverwalter ab unter der Bedingung, dem Konkursamt über das Resultat
Bericht zu erstatten und den Prozessgewinn zur Verteilung gemäss Art. 173 und
174 IPRG abzuliefern. In der Folge wurde der sistierte Prozess vor
Kantonsgericht wieder aufgenommen.

B. Mit Beschwerde vom 16. Juli 2010 beantragte die X. AG die Feststellung der
Nichtigkeit der Abtretung, eventualiter deren Aufhebung. Mit Entscheid vom 3.
November 2010 wies die Aufsichtsbehörde die Beschwerde ab.
Gegen diesen Entscheid hat die X. AG am 18. November 2010 eine Beschwerde in
Zivilsachen erhoben mit den Begehren um dessen Aufhebung und Feststellung der
Nichtigkeit der Abtretung bzw. eventualiter um Aufhebung der Abtretung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Wird ein ausländisches Konkursdekret gestützt auf Art. 166 IPRG (SR 291) für
das Gebiet der Schweiz anerkannt, so zieht dies für das hier gelegene Vermögen
des Gemeinschuldners die konkursrechtlichen Folgen des schweizerischen Rechts
nach sich, soweit nicht IPRG-Bestimmungen etwas anderes vorsehen (Art. 170 Abs.
1 IPRG). Das in der Schweiz durchgeführte Verfahren wird als
"Partikularkonkurs", "Hilfskonkurs", "Anschlusskonkurs", "Minikonkurs",
"Parallelkonkurs", "Sekundärkonkurs" oder "IPRG-Konkurs" bezeichnet (vgl.
BERTI, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2007, N. 8
zu Art. 166 IPRG).
Die Eröffnung des Partikularkonkurses, in welchem eine besondere
Partikularmasse gebildet wird, hat zur Folge, dass der Gemeinschuldner auch die
Dispositionsfähigkeit über die im Inland gelegenen
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Vermögenswerte verliert (STAEHELIN, Die Anerkennung ausländischer Konkurse und
Nachlassverträge in der Schweiz, 1989, S. 136; VOLKEN, Zürcher Kommentar zum
IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 16 zu Art. 170 IPRG; WALDER, Konkursrechtliche
Bestimmungen des IPR-Gesetzes, in: Festschrift 100 Jahre SchKG, 1989, S. 338;
THEUS SIMONI, Englische, walisische und französische Konkursverwalter in der
Schweiz, 1997, S. 317). Die ausländische Konkursverwaltung ist nicht
aktivlegitimiert, in der Schweiz ihr zustehende Forderungen durchzusetzen (BGE
129 III 683 E. 5.3 S. 688; BGE 135 III 40 E. 2.4 und 2.5.1 S. 43 f.). Vielmehr
ist das mit der Verwaltung der Partikularmasse betraute schweizerische
Konkursamt dazu berufen, die fälligen Forderungen einzuziehen (Art. 243 Abs. 1
SchKG). Über das Schicksal bestrittener Forderungen hat normalerweise die
zweite Gläubigerversammlung zu entscheiden (Art. 260 Abs. 1 SchKG), welche es
im Partikularkonkurs freilich nicht gibt (Art. 170 Abs. 3 IRPG); es liegt nahe,
dass das Konkursamt die Gläubiger hier auf dem Zirkularweg anhört (vgl. zur
analogen Situation im Summarkonkurs: BGE 134 III 75 E. 2.3 S. 78; BGE 136 III
534 E. 4.1 S. 537). Verzichtet die Gläubigergesamtheit auf die
Rechtsdurchsetzung, kann jeder einzelne Gläubiger die Abtretung der
betreffenden Rechtsansprüche gemäss Art. 260 Abs. 1 SchKG verlangen. Im
vorliegenden Partikularkonkurs gibt es indes keine kollozierten Gläubiger und
es stellt sich die Frage, ob die inventarisierte Forderung deshalb in analoger
Anwendung von Art. 260 SchKG an die ausländische Konkursverwaltung abgetreten
werden kann, welche vorliegend an einer Rechtsdurchsetzung interessiert ist.
Kraft ausdrücklicher Regelung in Art. 171 IPRG ist eine Prozessführung durch
die ausländische Konkursverwaltung bei Anfechtungsansprüchen im Sinn von Art.
285 ff. SchKG möglich. Die Lehre ist sich mit Bezug auf diese Norm einig, dass
im Sinn einer Kaskade primär das inländische Konkursamt und sekundär die
Abtretungsgläubiger zur Geltendmachung berufen sind und erst in dritter Linie
die ausländische Konkursverwaltung zum Zuge kommen kann (VOLKEN, a.a.O., N. 21
zu Art. 171 IPRG; BERTI, a.a.O., N. 10 zu Art. 171 IPRG; STAEHELIN, a.a.O., S.
148 f.; THEUS SIMONI, a.a.O., S. 351; BREITENSTEIN, Internationales
Insolvenzrecht der Schweiz und der Vereinigten Staaten, 1990, S. 186; WALTHER,
Paulianische Anfechtungsansprüche im internationalen Verhältnis - ausgewählte
Probleme, in: Internationales Zivilprozess- und Verfahrensrecht, Bd. V, 2005,
S. 97;
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STAEHELIN, Konkurs im Ausland - Drittschuldner in der Schweiz, in:
Schweizerisches und Internationales Zwangsvollstreckungsrecht, 2005, S. 416
f.); dies entspricht auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 135
III 40 E. 2.5.1 S. 44, BGE 135 III 666 E. 3.2.1 S. 667 f.). Des Weiteren wird
in der Lehre darauf hingewiesen, dass Art. 171 IPRG mit Bezug auf das
anwendbare Recht nichts anderes festhalte, als was ohnehin bereits aufgrund von
Art. 170 IPRG gelten würde, und der Sinn der Bestimmung sich letztlich in einer
Klarstellung der Aktivlegitimation der ausländischen Konkursverwaltung
erschöpfe (BREITENSTEIN, a.a.O., S. 182; NUSSBAUM, Das schweizerische
internationale Insolvenzrecht gemäss dem Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987
über das internationale Privatrecht und sein Umfeld in Europa, 1989, S. 27 f.;
vgl. auch Botschaft zum IPRG, BBl 1983 I 453). Dies legt nahe, dass die
Wahrnehmung auch anderer Ansprüche durch die ausländische Konkursverwaltung
nicht per se unstatthaft sein kann, was im Folgenden vor dem Hintergrund der
Zweckbestimmung des 11. Kapitels des IPRG näher zu untersuchen ist.
Die Bestimmungen von Art. 166 ff. IPRG zielen auf eine Milderung des im
Konkursrecht als Grundsatz geltenden Territorialitätsprinzips. Weil der
Partikularkonkurs nicht zu einem eigentlichen Parallelkonkurs ausarten soll
(vgl. Botschaft, BBl 1983 I 454), können nur pfandversicherte Forderungen und
privilegierte Forderungen von Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz kolloziert
werden (Art. 172 Abs. 1 IPRG). Diese sollen aus der Partikularmasse vorab
befriedigt werden (Art. 173 Abs. 1 IPRG) und nur der allfällige Überschuss ist
bei Anerkennung des ausländischen Kollokationsplanes an die ausländische
Konkursverwaltung abzuliefern (Art. 173 IPRG) bzw. bei Nichtanerkennung an die
schweizerischen Kurrentgläubiger zu verteilen (Art. 174 IPRG). Sind jedoch im
Partikularkonkurs gar keine Gläubiger vorhanden und kann mithin weder ein
Beschluss über das Schicksal der bestrittenen Rechtsansprüche gefällt noch eine
Abtretung derselben verlangt werden, besteht für das inländische Konkursamt
keine Möglichkeit oder jedenfalls kein Anlass zur klageweisen Durchsetzung,
zumal es dabei ein Prozess- und Kostenrisiko eingehen müsste. Demgegenüber kann
die ausländische Konkursverwaltung, welche die Interessen der
Gläubigergesamtheit des Hauptkonkurses vertritt, an einer Rechtsdurchsetzung in
der Schweiz interessiert sein. Zumal im vorliegenden Fall keine inländischen
Gläubiger vorhanden sind, welche es zu schützen gälte, ist nicht zu sehen,
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weshalb die Forderung nicht an die ausländische Konkursmasse soll abgetreten
werden können. Dies wäre auch im Interesse der nicht privilegierten
inländischen Gläubiger, welche nicht am Partikularkonkurs, wohl aber am
ausländischen Konkurs teilnehmen dürfen. Für die Abtretungsmöglichkeit plädiert
denn auch die Mehrheit der Lehre (WÜTHRICH, Kann eine ausländische Konkursmasse
in der Schweiz eine Klage gegen einen ihrer Schuldner mit Sitz oder Wohnsitz in
der Schweiz einleiten-, in: Jusletter vom 25. Oktober 2004, Rz. 8; JEANNERET/
CARRON, in: Commentaire romand, 2005, N. 55 f. zu Art. 260 SchKG;
KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, in: Commentaire romand, 2005, N. 20 zu Art. 170 IPRG;
sibyllinisch: WALDER, a.a.O., S. 340; a.M.: THEUS SIMONI, a.a.O., S. 353).
Entgegen der letztgenannten Autorenmeinung und den Vorbringen der
Beschwerdeführerin kann einem solchen Vorgehen der Wortlaut von Art. 260 SchKG
nicht entgegenstehen: Dass dieser im Zusammenhang mit den
abtretungsberechtigten Personen nur von Gläubigern spricht, ist darauf
zurückzuführen, dass beim normalen Konkursverfahren, welches durch eine
Betreibung eingeleitet wird, naturgemäss immer mindestens ein Gläubiger
vorhanden ist. Dies trifft beim Partikularkonkurs nicht zu; oftmals sind im
Inland weder pfandversicherte noch privilegierte und damit keine kollozierbaren
Gläubiger vorhanden. Wenn nun Art. 170 Abs. 1 IPRG für die Folgen des
Partikularkonkurses auf das "schweizerische Recht" verweist, so heisst dies mit
Bezug auf die Durchführung, dass grundsätzlich die Normen des SchKG Anwendung
finden. Freilich führt ein solcher Verweis immer zu einer sinngemässen
Anwendung, so dass der äussere Wortlaut von Art. 260 Abs. 1 SchKG einer
Abtretung bestrittener Rechtsansprüche an die ausländische Konkursverwaltung
nicht entgegenstehen kann. Anders zu entscheiden, würde bedeuten, dass die
fraglichen Ansprüche gar nie durchgesetzt werden könnten und den Gläubigern des
Gemeinschuldners definitiv verloren gingen; es bestünde mit anderen Worten ein
"rechtsdurchsetzungsfreier" Raum.
Abschliessend ist zu bemerken, dass entgegen einer in der Lehre sinngemäss
vertretenen Ansicht (vgl. STAEHELIN, a.a.O., S. 148 f.) die Anerkennung des
ausländischen Kollokationsplanes in der Schweiz keine Abtretungsbedingung sein
kann. Die Anerkennung des Kollokationsplanes ist gemäss Art. 173 Abs. 2 IRPG
einzig für die Auslieferung des Erlöses eine Voraussetzung. Der
Abtretungsgläubiger bzw. die ausländische Konkursverwaltung klagt auf eigene
Gefahr
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und übernimmt damit auch das Risiko, dass die Verteilungsfolgen gemäss Art. 174
IPRG eintreten, wenn der Kollokationsplan nicht anerkannt werden könnte.
Entsprechend hat das Konkursamt in der Abtretungsverfügung denn auch die
Ablieferung des Prozessgewinnes zur Verteilung gemäss Art. 173 und 174 IPRG
verlangt.