Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 369



Urteilskopf

137 III 369

54. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y.
und Z. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_876/2010 vom 3. Juni 2011

Regeste

Zuständigkeit (Art. 87 Abs. 2 IPRG); Klage auf Leistung einer Soulte aus einem
Erbteilungsvertrag.
Die Klage auf Zahlung einer in einem Erbteilungsvertrag vereinbarten
Ausgleichsleistung (Soulte) ist erbrechtlicher Natur. Für die Beurteilung der
Klage ist deshalb das in erbrechtlichen Angelegenheiten vorgesehene Gericht
zuständig (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 369

BGE 137 III 369 S. 369

A. Am 12. Juni 1986 verstarb A., Witwe des Schriftstellers B. Sie hatte letzten
Wohnsitz in Vaduz (Liechtenstein) und war in Basel heimatberechtigt. In einem
Testamentsnachtrag hatte sie die Teilung ihres Nachlasses schweizerischem Recht
unterstellt. Sie hinterliess drei Kinder, nämlich die beiden Töchter X.
(Beschwerdeführerin) und C. (verstorben 1998; deutsche Staatsangehörige mit
letztem Wohnsitz in Deutschland) sowie den Sohn D.
Nach längeren Auseinandersetzungen einigten sich die beiden Töchter mit Vertrag
vom 15. August/18. September 1990 über die Erbteilung. Dabei ergab sich eine
Ausgleichsforderung von X. gegen
BGE 137 III 369 S. 370
ihre Schwester C. in der Höhe von Fr. 49'095.-. Letztere beglich diese
Forderung in der Folge nicht.
Am 8. Februar 1995 reichte X. am Zivilgericht Basel-Stadt Klage gegen ihre
Schwester C., die Nachkommen ihres inzwischen verstorbenen Bruders D. sowie den
Willensvollstrecker ein. Sie beantragte, den Nachlass von A. entsprechend dem
Erbteilungsvertrag vom 15. August/18. September 1990 aufzuteilen, soweit dies
noch nicht geschehen sei, und insbesondere C. zu verurteilen, ihr Fr. 49'095.-
nebst Zinsen zu bezahlen. Am 3. Juli 1996 wurde das Verfahren infolge
Klageanerkennung durch C. abgeschrieben.
C. verstarb am 6. Juni 1998. Sie hinterliess ihren Ehemann E., die Söhne F.
(verstorben am 2. März 2000) und Y. (Beschwerdegegner 1) sowie die Tochter Z.
(Beschwerdegegnerin 2).

B. Am 3. Juli 2006 reichte X. am Zivilgericht Basel-Stadt gegen Y. und Z. Klage
ein. Sie beantragte, in Ergänzung der Anerkennung der Teilungsklage von 1995
festzustellen, dass die Beklagten als Erben in die Verpflichtungen von C.
gemäss Klageanerkennung und entsprechendem Abschreibungsbeschluss vom 3. Juli
1996 eingetreten seien. Die Beklagten seien demgemäss solidarisch zur Bezahlung
der Ausgleichszahlung von Fr. 49'095.- zuzüglich 5 % Zins seit 18. September
1990 zu verurteilen.
Am 10. Juni 2008 beschränkte der Instruktionsrichter das Verfahren auf die
Frage der örtlichen Zuständigkeit. Mit Urteil vom 15. Mai 2009 trat das
Zivilgericht auf die Klage nicht ein.

C. Gegen dieses Urteil hat X. am 29. Mai 2009 appelliert. Am 18. August 2010
wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt die Appellation ab und
bestätigte das erstinstanzliche Urteil.

D. Am 10. Dezember 2010 hat X. gegen das Urteil des Appellationsgerichts
Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragt die Aufhebung des
angefochtenen Urteils sowie die Rückweisung der Sache zur
Sachverhaltsfeststellung und zur materiellen Beurteilung der Klage.
Eventualiter sei die Sache zur Beurteilung der Rechtskraft zurückzuweisen.
Das Appellationsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet, beantragt aber
Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdegegner haben auf Vernehmlassung
verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

BGE 137 III 369 S. 371
Aus den Erwägungen:

4. Zu prüfen ist, ob die Basler Gerichte zur Beurteilung der Klage auf Zahlung
der Soulte international und örtlich zuständig sind.

4.1 Die Beschwerdeführerin stützt die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts
darauf ab, dass Basel-Stadt Heimatgerichtsstand von A. sei und dem geltend
gemachten Anspruch auf Wertausgleich im Rahmen der Teilung des Nachlasses von
A. erbrechtliche Natur zukomme.

4.2 A. ist 1986 verstorben. Das IPRG (SR 291) ist am 1. Januar 1989 in Kraft
getreten. Seine Zuständigkeitsvorschriften kommen immer zur Anwendung, wenn die
Klage nach dem 1. Januar 1989 eingereicht wurde (BGE 116 II 209 E. 2b/bb S.
212; Urteil 4C.3/1994 vom 13. Juni 1994 E. 4, in: SJ 1994 S. 687, mit
Hinweisen). Dies ist vorliegend der Fall. Gemäss Art. 87 Abs. 2 i.V.m. Art. 86
Abs. 1 IPRG sind die schweizerischen Gerichte oder Behörden für
Nachlassverfahren und erbrechtliche Streitigkeiten zuständig, wenn ein
Schweizer Bürger mit letztem Wohnsitz im Ausland sein in der Schweiz gelegenes
Vermögen oder seinen gesamten Nachlass durch letztwillige Verfügung oder
Erbvertrag der schweizerischen Zuständigkeit oder dem schweizerischen Recht
unterstellt hat. Dies hat A. unstrittig getan. Es stellt sich aber die Frage,
ob die vorliegende Streitigkeit überhaupt eine erbrechtliche im Sinne des IPRG
ist.

4.3 Eine Klage ist erbrechtlicher Natur, wenn sich die Parteien auf einen
erbrechtlichen Titel berufen, um einen Teil ihrer Erbschaft zu fordern und die
Existenz ihrer Rechte feststellen zu lassen. Erbrechtliche Streitigkeiten
betreffen demnach Klagen, mit denen Bestand oder Höhe erbrechtlicher Ansprüche
geltend gemacht oder bestritten werden (BGE 132 III 677 E. 3.3 S. 679 f.; BGE
119 II 77 E. 3a S. 81; je mit Hinweisen). Ob die Klage auf Leistung aus einem
Erbteilungsvertrag bzw. ob konkret die Einklagung einer in einem
Erbteilungsvertrag vereinbarten Ausgleichszahlung (Soulte) eine erbrechtliche
Angelegenheit darstellt, musste das Bundesgericht bisher nicht entscheiden.
Im Zusammenhang mit dem Vollzug von Erbteilungsverträgen sind zwei Entscheide
zu erwähnen, in denen das Bundesgericht die erbrechtliche Zuständigkeit
verneint hat. In BGE 117 II 26 E. 2 S. 27 ff. hat es das Bundesgericht
abgelehnt, eine Klage auf Errichtung einer Dienstbarkeit als erbrechtliche
Klage zu behandeln. Die fragliche
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Verpflichtung war zwar anlässlich einer Erbteilung von einem Erben eingegangen
worden, doch war die Durchführung der Teilung als solche nicht mehr streitig.
Die strittige Verpflichtung stellte zudem einen Vertrag zugunsten einer am
Nachlass nicht beteiligten Drittperson (Art. 112 OR) dar und hatte keinen
direkten Bezug zur fraglichen Erbschaft. Mithin fehlte der enge Bezug zum
Erbrecht, der zur Annahme einer erbrechtlichen Streitigkeit erforderlich ist (
BGE 117 II 26 E. 2a S. 28). Ebenso fehlte dieser Bezug im Urteil 5A_230/2007
vom 7. Juli 2008, wo es zwar ebenfalls um eine Streitigkeit im Nachgang zu
einer Erbteilung ging und unter dem Titel der Soulte eine Ausgleichszahlung
verlangt wurde. Die fragliche Forderung diente aber nicht dem Ausgleich in der
Erbteilung, sondern war auf einen separaten Kaufvertrag über bereits vorher
zugeteilte Gesellschaftsanteile aus dem Nachlass zurückzuführen, wobei geltend
gemacht wurde, der Kaufpreis sei zu tief angesetzt worden (E. 4.2).
Anders als in diesen Fällen verhält es sich jedoch, wenn die in einem
Erbteilungsvertrag festgelegte Ausgleichszahlung (Soulte) Streitgegenstand
bildet. Eine solche Ausgleichsleistung ist eng verknüpft mit der Bildung und
Zuteilung der Lose als Teil der Erbteilung. Sind sich die Erben einig, so sind
sie frei, einen solchen Ausgleich bei der Erbteilung zu vereinbaren. Aber auch
das Gesetz sieht in Art. 608 Abs. 2 ZGB einen entsprechenden Ausgleich
ausdrücklich vor und Art. 612 Abs. 1 ZGB geht implizit von der Zulässigkeit
einer Soulte aus. Die Soulte hat ihren Entstehungsgrund im Erbrecht und weist
somit einen engen Bezug dazu auf. Dies gilt in der Folge auch für
Streitigkeiten über die Soulte, namentlich für die Klage auf Vollzug eines
abgeschlossenen Erbteilungsvertrags. Gültigkeit und Wirksamkeit des
Erbteilungsvertrags sind Voraussetzung, damit die Klage gutgeheissen werden
kann, und Mängel dieses Vertrages können einrede- oder einwendungsweise in den
Prozess eingebracht werden. Schliesslich unterstehen nach der Rechtsprechung
auch andere Klagen im Umfeld der Erbteilung dem Erbrechtsgerichtsstand. Dies
gilt zunächst für die Erbteilungsklage (Urteil 5A_230/2007 vom 7. Juli 2008 E.
4.1), dann aber auch für die Anfechtung des Erbteilungsvertrags (Art. 638 ZGB;
BGE 117 II 26 E. 2a S. 28 mit Hinweis). Der enge erbrechtliche Bezug der
Vollzugsklage besteht im Übrigen unabhängig davon, ob die Erbengemeinschaft
bereits als aufgelöst zu gelten hat oder nicht (vgl. dazu Urteil 5D_133/2010
vom 12. Januar 2011 E. 4), so dass im Weiteren die offenbar
BGE 137 III 369 S. 373
umstrittene Frage, ob der literarische Nachlass von B. bereits geteilt sei, in
diesem Zusammenhang unerheblich ist.
Bestätigt wird dieses Ergebnis durch einen Vergleich mit den
Zuständigkeitsvorschriften im Binnenverhältnis. Im binnenrechtlichen Verhältnis
wird die Klage auf Erfüllung des Erbteilungsvertrages von der überwiegenden
Lehre ebenfalls als erbrechtliche Streitigkeit qualifiziert und Art. 18 GestG
(in Kraft bis am 31. Dezember 2010; AS 2000 2358 f. und AS 2005 5707) bzw. Art.
28 ZPO (SR 272) unterstellt (HAROLD GRÜNINGER, in: Gerichtsstandsgesetz, Müller
/Wirth [Hrsg.], 2001, N. 24 zu Art. 18 GestG; NICOLAS VON WERDT, in:
Gerichtsstandsgesetz, Kellerhals und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2005, N. 14 zu
Art. 18 GestG; BRÜCKNER/WEIBEL, Die erbrechtlichen Klagen, 2. Aufl. 2006, Rz.
232; CLAUDIA MARTIN-SPÜHLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Zivilprozessordnung, 2010, N. 4 zu Art. 28 ZPO; ALEXANDER ZÜRCHER, in:
Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere
[Hrsg.], 2010, N. 9 zu Art. 28 ZPO; BRUNO COCCHI, in: Commentario al Codice di
diritto processuale civile svizzero, 2011, S. 49; vgl. zu aArt. 538 Abs. 2 ZGB
als Vorgängernorm zu Art. 18 GestG GEORG LEUCH UND ANDERE, Die
Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl. 2000, N. 2b zu Art. 30 ZPO/
BE). Im Sinne einer systematischen, auf die Einheit der Rechtsordnung bedachten
Rechtsprechung kann diese Doktrin zur Auslegung des IPRG beigezogen werden,
zumal Gründe für eine unterschiedliche Behandlung der Klage auf Zahlung der
Soulte im Binnen- und im internationalen Verhältnis nicht ersichtlich sind.
Schliesslich steht auch das Lugano-Übereinkommen (LugÜ; ehedem SR 0.275.11
[Fassung vom 16. September 1988; AS 1991 2436] und SR 0.275.12 [Fassung vom 30.
Oktober 2007]) der Anwendung von Art. 86 Abs. 1 i.V.m. Art. 87 Abs. 2 IPRG
nicht entgegen. Das Gebiet des Erbrechts ist von seinem Anwendungsbereich
ausgeschlossen (Art. 1 Abs. 2 Ziff. 1 LugÜ 1988 bzw. Art. 1 Ziff. 2 lit. a LugÜ
2007). Der Begriff des Erbrechts im LugÜ braucht zwar nicht mit dem
schweizerischen Verständnis dieses Begriffs identisch zu sein. Allerdings
werden auch im Zusammenhang mit dem LugÜ Streitigkeiten über Teilungsverträge
als erbrechtlich qualifiziert (FELIX DASSER, in: Kommentar zum
Lugano-Übereinkommen [LugÜ], 2008, N. 74 zu Art. 1 LugÜ).
Daraus folgt, dass das Zivilgericht Basel-Stadt zur Behandlung der Klage der
Beschwerdeführerin international und örtlich zuständig ist.
BGE 137 III 369 S. 374

4.4 Die soeben bestimmte Zuständigkeit gilt auch für die Vorfrage der
Erbenstellung der Beschwerdegegner. Nach allgemeinen prozessrechtlichen
Grundsätzen hat der in der Hauptsache zuständige Richter auch über Vorfragen zu
entscheiden (MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S.
81 und 101; vgl. auch DASSER, a.a.O., N. 52 f. zu Art. 1 LugÜ). Im vorliegenden
internationalrechtlichen Zusammenhang ist keine abweichende Regelung
ersichtlich.