Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 352



Urteilskopf

137 III 352

52. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen X.
Versicherung AG und X. Kranken-Versicherung AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_576/2010 vom 7. Juni 2011

Regeste

Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 VVG; Regressrecht des Schadensversicherers
gegenüber einem kausal Haftpflichtigen.
Der Versicherer, der den Ersatz des Schadens aus Vertrag übernommen hat, ist
ein aus Vertrag Haft- bzw. Ersatzpflichtiger und kann gegenüber demjenigen, der
für den Schaden ohne Verschulden aufgrund einer Gesetzesvorschrift (kausal)
haftet, keinen Rückgriff nehmen bzw. muss sich selber einem allfälligen
Rückgriff durch den kausal Haftenden, der Entschädigung geleistet hat, stellen.
Ablehnung einer Praxisänderung im heutigen Zeitpunkt (E. 4).

Erwägungen ab Seite 353

BGE 137 III 352 S. 353
Aus den Erwägungen:

4. Was die strittigen VVG-Ansprüche anbelangt, herrscht Einigkeit darüber, dass
die Schadensdeckung seitens der Beschwerdegegnerin 1 gegenüber dem Geschädigten
aufgrund einer (freiwilligen) Zusatzversicherung zur obligatorischen
Krankenversicherung erfolgte, die eine dem VVG (SR 221.229.1) unterstellte
Schadenversicherung ist, und dass das Bestehen eines Regressanspruchs der
Beschwerdegegnerin 1 (Schadensversicherer) gegenüber dem Beschwerdeführer
(Werkeigentümer) durch die Art. 72 VVG und Art. 51 OR bestimmt wird (vgl. dazu
ROLAND BREHM, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2006, N. 68 zu Art. 51 OR). Ebenso
wenig wird vorliegend in Frage gestellt, dass von der Regressordnung nach Art.
51 OR wegen ihrer zwingenden Natur nicht abgewichen werden kann, weshalb jede
Abtretung von Ansprüchen des Geschädigten an einen Haftpflichtigen unwirksam
ist (BGE 132 III 321 E. 2.3.2.2 S. 327, BGE 132 III 626 E. 5.1 S. 639; BGE 115
II 24 E. 2b S. 27). Strittig ist aber, ob der Beschwerdegegnerin 1 hinsichtlich
der VVG-Ansprüche gestützt auf Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 VVG ein
Regressrecht gegen den als Werkeigentümer, d.h. kausal haftenden
Beschwerdeführer zusteht.

4.1 Nach der Regressordnung von Art. 51 Abs. 2 OR hat im Innenverhältnis von
mehreren Ersatzpflichtigen in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden
zu tragen, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter
Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung
nach Gesetzesvorschrift (kausal) haftet. Nach herrschender Lehre und
Rechtsprechung ist der Versicherer, der den Ersatz des Schadens aus Vertrag
übernommen hat, ein aus Vertrag Haft- bzw. Ersatzpflichtiger im Sinne von Art.
51 Abs. 2 OR und steht somit auf der zweiten Stufe der Regressordnung. Er kann
somit gegenüber demjenigen, der für den Schaden ohne Verschulden aufgrund einer
Gesetzesvorschrift (kausal) haftet, keinen Rückgriff nehmen bzw. muss sich
selber einem allfälligen Rückgriff durch den kausal Haftenden, der
Entschädigung geleistet hat, stellen (BGE 120 II 191 E. 4c; BGE 107 II 489 E.
5a S. 495; BGE 80 II 247 E. 5 S. 254 ff.; vgl. auch BGE 118 II 502 E. 2b S. 505
und E. 3; BGE 114 II 342 E. 3; BREHM, a.a.O., N. 60 f., 82b ff. zu Art. 51 OR;
CHRISTOPH GRABER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über den
Versicherungsvertrag, 2001, N. 7/9 zu Art. 72 VVG; ANTON K. SCHNYDER, in:
Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2007, N. 22 zu Art. 51 OR;
FRANZ WERRO, in: Commentaire
BGE 137 III 352 S. 354
romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 15 ff. zu Art. 51 OR; STEPHAN
MAZAN, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2007, N. 24 f. zu Art. 51
OR; MORITZ W. KUHN, Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 2010, S. 312 ff.; PIERRE
ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, 2. Aufl. 1997, S. 569 f.;
INGEBORG SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 5.
Aufl. 2009, Rz. 88. 33; HEINZ REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 4.
Aufl. 2008, Rz. 1574; VITO ROBERTO, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 2002, S.
158; YAEL STRUB, Der Regress des Schadensversicherers de lege lata - de lege
ferenda, 2011, S. 67 f., 77).
Der Rückgriff des Versicherers wird zudem spezialgesetzlich in der bereits in
einem früheren Zeitpunkt erlassenen Bestimmung von Art. 72 VVG geregelt. Danach
geht der Ersatzanspruch, der dem Anspruchsberechtigten gegenüber Dritten aus
unerlaubter Handlung zusteht, insoweit auf den Versicherer über, als er
Entschädigung geleistet hat. Nach der Rechtsprechung und herrschenden Lehre
steht diese Bestimmung selbständig neben Art. 51 OR und ist kumulativ zu dieser
anwendbar, wobei es allerdings, um sie mit dem später erlassenen Art. 51 Abs. 2
OR in Einklang zu bringen, nötig ist, die Worte "unerlaubte Handlung" in Art.
72 Abs. 1 VVG mit "schuldhaft" zu ergänzen. Dies führt dazu, dass der
Versicherer gestützt auf diese Bestimmung nur auf einen ausservertraglich
Haftpflichtigen Regress nehmen kann, den ein Verschulden trifft, nicht aber auf
einen allein aus gesetzlicher Vorschrift, d.h. kausal Haftpflichtigen (vgl.
dazu die vorstehend zitierte Rechtsprechung und Literatur).
Die dargestellte herrschende Lehre und Rechtsprechung berücksichtigt
insbesondere, dass Art. 51 OR vom historischen Gesetzgeber gerade im Hinblick
auf Versicherungsgesellschaften ins Gesetz aufgenommen wurde; es erschien
diesem unbillig, dass die Versicherungen Schäden auf Ersatzpflichtige abwälzen
können, die bloss aufgrund einer Gesetzesvorschrift und ohne eigenes
Verschulden haften, während sie selbst die Schadensmöglichkeiten in ihre
Prämien einkalkulieren und sich auf diese Weise bis zu einem gewissen Grade zum
Voraus für künftige Schäden bezahlt machen können; der Gesetzgeber wollte daher
den Versicherer den Schaden vor dem kausal, ohne Verschulden Haftenden tragen
lassen (vgl. dazu BGE 80 II 247 E. 5 S. 255; 63 II 143 E. 7 S. 155; 47 II 408
E. 4 S. 415 f.; 45 II 638 E. 4; BREHM, a.a.O., N. 82d zu Art. 51 OR; GRABER,
a.a.O., N. 6 zu Art. 72 VVG; HONSELL, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4.
Aufl. 2005, § 11 Rz. 42).
BGE 137 III 352 S. 355
Dass den Beschwerdeführer vorliegend ein Verschulden am Unfall des Geschädigten
treffe und er daher ausser als Werkeigentümer auch als
Verschuldenshaftpflichtiger herangezogen werden könnte, ist den
vorinstanzlichen Feststellungen nicht zu entnehmen (vgl. dazu BGE 107 II 489 E.
5b S. 496; 77 II 243 E. 2 S. 248). Ebenso wenig sind besondere Umstände
festgestellt, die ein Abweichen von der bloss "in der Regel" geltenden
Regressordnung nach Art. 51 Abs. 2 OR rechtfertigen könnten (vgl. dazu BGE 76
II 387 E. 4 S. 392 f.; 47 II 408 E. 4; 45 II 638 E. 4 S. 649; BREHM, a.a.O., N.
80 ff., 84 zu Art. 51 OR; STRUB, a.a.O., S. 82). Nach der Rechtsprechung und
herrschenden Lehre kommt daher der Beschwerdegegnerin 1 gegenüber dem
Beschwerdegegner kein Regressanspruch zu.

4.2 Gegen die herrschende Auffassung ist allerdings in der Literatur Kritik
erwachsen, die sich auf beachtliche Argumente zu stützen vermag. So führte
ANDREAS VON TUHR bereits im Jahre 1922 aus, es sei Zweck der Versicherung, dem
Versicherten einen Schaden zu ersetzen, und zwar auch dann, wenn ihm für diesen
Schaden ein Dritter nach gesetzlicher Vorschrift hafte. Denn dem Versicherten
solle die Mühe und das Risiko eines Prozesses gegen den Dritten erspart
bleiben. Dagegen habe die Versicherung nicht den Zweck, den Dritten von der
Haftung zu entlasten, die ihm das Gesetz auferlege; es sei nicht einzusehen,
weshalb eine vom Gesetz als angemessen erachtete Haftung durch den Umstand
ausgeschlossen sein solle, dass der Geschädigte einen Versicherungsvertrag
abgeschlossen und Prämien bezahlt habe. Eine solche Entlastung des nur durch
Gesetzesvorschrift Haftenden könnte diesen überdies dazu verleiten, Massregeln
zu unterlassen, durch die eine Schädigung des Versicherten vermieden werden
könnten (ANDREAS VON TUHR, Rückgriff des Versicherers nach Art. 51 OR und Art.
72 VVG, SJZ 1922 S. 233 ff., 235).
Dieser Kritik ist das Bundesgericht in einem einzelnen, vor längerer Zeit
ergangen Urteil offenbar gefolgt, indem es ausführte, es sei nicht einzusehen,
wieso ein Dritter, nach Gesetz Haftender davon profitieren dürfen sollte, dass
der Geschädigte oder sein Arbeitgeber Versicherungsprämien bezahlt habe (BGE 63
II 143 E. 7 S. 156; dazu STRUB, a.a.O., S. 81 f.). Daran wurde aber in späteren
Entscheiden unter Nachachtung des historisch-gesetzgeberischen Willens nicht
festgehalten (vgl. BGE 76 II 387 E. 2 S. 390 f.; 77 II 243 E. 2 S. 247 f.; 80
II 247 E. 5 S. 255; 103 II 330 E. 4b/dd S. 337).
BGE 137 III 352 S. 356
Der vorstehend dargestellten Kritik VON TUHRS an der herrschenden Auffassung
bzw. an der de lege lata bestehenden Rechtslage haben sich im Laufe der Zeit
verschiedene Autoren angeschlossen. Es wird von ihnen namentlich als eine
Fehlentscheidung des Gesetzgebers bezeichnet, dem Versicherer durch die
Einreihung in die zweite Stufe der Regressordnung nach Art. 51 Abs. 2 OR den
Rückgriff auf kausal Haftpflichtige zu nehmen. Der Versicherer werde zu Unrecht
als Haftpflichtiger im Sinne von Art. 50 f. OR behandelt, obwohl er den Schaden
in Erfüllung seiner primären Leistungspflicht aus dem Versicherungsvertrag
decke und nicht (sekundären) Schadenersatz aus Nicht- oder Schlechterfüllung
des Vertrages leiste. Dem Versicherer den Rückgriff auf Kausalhaftpflichtige zu
verwehren, führe auch zu einer falschen Kostenverteilung, weil die Zahlung von
Schäden die vertragliche Gegenleistung zum Einkassieren von Prämien sei, die
nicht bezahlt würden, um Kausalhaftpflichtige zu entlasten, und die, da
aufgrund von Statistiken berechnet, reduziert werden könnten, wenn dem
Versicherer der Rückgriff auf kausal Haftpflichtige erlaubt würde. Ein
Abweichen von der bestehenden Praxis bzw. eine Änderung de lege ferenda sei
auch geboten, weil sich die Verhältnisse mit der Einführung zahlreicher Kausal-
und Gefährdungshaftungstatbestände stark geändert hätten; die bestehende Praxis
bzw. Rechtslage sei nicht mehr zeitgemäss und führe auch zu unverständlichen
Unterschieden zur Regelung im Sozialversicherungsrecht, wo den Versicherern vom
Gesetz (Art. 72 Abs. 1 ATSG [SR 830.1]) ein integrales Regressrecht zuerkannt
werde (vgl. OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Allgemeiner Teil,
Bd. I, 5. Aufl. 1995, § 11 Rz. 31 ff., 65 ff.; HONSELL, a.a.O., § 11 Rz. 40 f.;
derselbe, Der Regress des Versicherers im schweizerischen Recht, in: Mélanges
en l'honneur du Professeur Bruno Schmidlin, 1998, S. 279 ff.; ALFRED KOLLER,
Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2009, § 75 Rz.
186/191; HÜRZELER/TAMM/BIAGGI, Personenschadensrecht, 2010, S. 262 f.;
ALEXANDER MÜLLER, Besonderheiten beim Regress des Privatversicherers, in:
Personen-Schaden-Forum 2010, [nachfolgend: Besonderheiten] S. 49 ff.; ALEXANDRA
RUMO-JUNGO, Zusammenspiel zwischen Haftpflicht und beruflicher Vorsorge, in:
Festschrift für Heinz Hausheer, 2002, S. 611 ff., 620 f.; vgl. auch die
Wiedergabe der Kritik in BGE 132 III 321 E. 2.3.2.3 S. 328 mit weiteren
Literaturhinweisen sowie die Kritik an der bestehenden Rechtslage und die
Anregung einer Gesetzesänderung bei STRUB, a.a.O., S. 77 ff., 81 ff., 86 f.;
BGE 137 III 352 S. 357
ferner: BREHM, a.a.O., N. 121 ff. zu Art. 51 OR). Die geltende Praxis betone
das Verschuldensprinzip zu stark und berücksichtige nicht, dass sich eine
Heranziehung des kausal Haftenden zur Schadensdeckung rechtfertige, weil er von
einer Tätigkeit, einem Werk oder dem Betrieb einer Anlage profitiere (STRUB,
a.a.O., S. 89 f.). Überdies führe die geltende, für die Versicherer ungünstige
Regressordnung zu Präventivmassnahmen derselben in Form von Deckungsausschluss-
und Subsidiaritätsklauseln in den AVB (ALEXANDER MÜLLER, Regress im
Schadensausgleichsrecht unter besonderer Berücksichtigung des
Privatversicherers, 2006 [nachfolgend: Regress], S. 99 f.; derselbe,
Besonderheiten a.a.O., S. 50 f.; STRUB, a.a.O., S. 79).

4.3 Die dargestellte Kritik fand bei jüngeren Gesetzgebungsarbeiten
Berücksichtigung.
So wurde im Rahmen der einst geplanten, vom Bundesrat aber aufgegebenen (vgl.
die Medienmitteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 21. Januar
2009 in: http://www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/wirtschaft/rechtsetzung/
abgeschlossene_rechtsetzungsprojekte/haftpflicht.html) Gesamtrevision und
Vereinheitlichung des Haftpflichtrechts ein integrales Regressrecht des
Versicherers ins Auge gefasst, das diesem einen Rückgriff auf einen Dritten
unabhängig davon erlauben sollte, auf welcher Grundlage dieser ersatzpflichtig
ist (vgl. dazu WERRO, a.a.O., N. 25 zu Art. 51 OR). Diese unbeschränkte
Subrogation wurde allerdings wieder relativiert, indem das Rückgriffsrecht bzw.
dessen Umfang von der Würdigung "aller Umstände" abhängig gemacht und damit dem
richterlichen Ermessen unterstellt wurde (HAUSHEER/JAUN, Regress, ZBJV 2000 S.
927 ff., 929; STRUB, a.a.O., S. 94 f.; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 624 f.).
Ein integrales Regressrecht des Versicherers wird auch in der laufenden
Revision des VVG vorgeschlagen. So sehen sowohl der Art. 63 Abs. 2 VE-VVG vom
31. Juli 2006 der Expertenkommission Totalrevision VVG als auch der Art. 76
Abs. 2 VE-VVG vom 21. Januar 2009 des Eidg. Finanzdepartements (EFD;
Vernehmlassungsvorlage) ohne weitere Einschränkung vor, dass der
Schadenversicherer für die von ihm gedeckten gleichartigen Schadensposten im
Umfang und zum Zeitpunkt seiner Leistung in die Rechte der versicherten Person
eintritt. Im Erläuternden Bericht der Expertenkommission zum Vorentwurf vom 31.
Juli 2006 (S. 60) und
BGE 137 III 352 S. 358
im Erläuternden Bericht des EFD vom 24. Februar 2009 zur Vernehmlassungsvorlage
(S. 69 f.) wird dazu u.a. Folgendes ausgeführt:
"Der Geschädigte wird in aller Regel darauf verzichten, den beschwerlichen Weg
der Anspruchsdurchsetzung gegenüber einem Ersatzpflichtigen zu beschreiten,
wenn er seinen Anspruch auch gegenüber einem Versicherungsunternehmen geltend
machen kann. Artikel 76 Absatz 2 E-VVG übernimmt deshalb den Grundgedanken von
Artikel 72 Absatz 1 VVG und führt diesen den praktischen Bedürfnissen
entsprechend weiter, indem er im Rahmen der vom leistenden
Versicherungsunternehmen gedeckten gleichartigen Kategorien von Schadensposten
den Eintritt (Subrogation) in die Rechte des Versicherten statuiert. Damit soll
im Gegensatz zum geltenden Recht (Art. 72 Abs. 1 VVG: Rückgriff grundsätzlich
nur auf den aus unerlaubter Handlung [Verschulden] Haftpflichtigen) das
Versicherungsunternehmen gegen sämtliche Ersatzpflichtige vorgehen können -
unabhängig davon, ob diese aus unerlaubter Handlung, Vertragsverletzung oder
aus einer Kausalhaftung zum Ersatz verpflichtet sind. Ähnlich wie dem
Sozialversicherer (Art. 72 Abs. 1 ATSG) soll auch dem privaten
Schadensversicherungsunternehmen ein umfassendes (integrales) Regressrecht
gegen sämtliche Haftpflichtige eingeräumt werden. Es gibt keine Gründe, weshalb
gewisse Haftungskategorien vom Regress ausgeschlossen werden sollten, vielmehr
führt die Belastung der Risikogemeinschaft des Schadensverursachers auch zu
einer sinnvollen Kostenverteilung. Zudem wird mit einer Ausweitung des
Regressrechts die Regressabwicklung wesentlich vereinfacht. Artikel 76 Absatz 2
E-VVG geht den allgemeinen Bestimmungen von Artikel 50 f. OR vor und lässt, im
Gegensatz zum dispositiven Artikel 72 Absatz 1 VVG, aufgrund seiner zwingenden
Ausgestaltung keinen Raum für Abreden, die den Versicherungsnehmer
benachteiligen könnten (so ist beispielsweise die Zession zukünftiger
Haftpflichtansprüche an das Versicherungsunternehmen nicht mehr zulässig)."
Der vorgeschlagenen Regelung ist im Vernehmlassungsverfahren keine Opposition
erwachsen (vgl. Bericht des EFD vom Oktober 2009 über die
Vernehmlassungsergebnisse zur Revision des VVG, S. 42).

4.4 In einem vor einigen Jahren ergangenen Urteil (BGE 126 III 521 E. 2b S. 522
f.) hatte das Bundesgericht darüber zu entscheiden, ob dem Arbeitgeber für die
Lohnfortzahlungen an einen verunfallten Arbeitnehmer ein Regressrecht gegen den
Unfallverursacher zustehe. Es bejahte dies, wobei es sich auf eine
Argumentation stützte, die sich teilweise derjenigen annähert, welche zur
Begründung der Kritik an der Praxis zum Regressrecht der Schadenversicherer
angeführt wird (vgl. E. 4.2 vorne). Das Bundesgericht nahm mangels gesetzlicher
Regelung bezüglich des Regressanspruchs des Arbeitgebers eine Gesetzeslücke an,
die in analoger Anwendung
BGE 137 III 352 S. 359
von Art. 51 Abs. 2 OR zu schliessen sei. Eine unmittelbare Anwendung dieser
Bestimmung falle, wie das Bundesgericht ausführte, ausser Betracht, da der
Arbeitgeber nicht zum Kreis der gemäss Art. 51 OR Haftpflichtigen zähle,
sondern mit der Lohnzahlung unabhängig vom schädigenden Ereignis seine
gesetzliche oder vertragliche Leistungspflicht erfülle. Da der Arbeitgeber
seinen Vertrag erfülle und nicht aus Schlechterfüllung für den entstandenen
Schaden hafte, könne die in Art. 51 Abs. 2 OR vorgesehene Abstufung nach der
Haftung aus unerlaubter Handlung, Vertrag oder Gesetz nicht auf die
Lohnfortzahlung des Arbeitgebers übertragen werden. Der Regress stehe dem
Arbeitgeber auch gegenüber einem kausal Haftenden zu, da sich die
Lohnfortzahlungspflicht nicht zu dessen Gunsten auswirken solle. Der
Arbeitgeber sei diesbezüglich den subrogierenden Sozial- und
Schadensversicherern gleichzustellen, auch wenn diese ihre Rechtsstellung
bereits im Unfallzeitpunkt erlangt hätten.
In der Lehre wird dieses Urteil teilweise als Anzeichen eines
"Gesinnungswandels" des Bundesgerichts verstanden, der "Hoffnungen" auf eine
Praxisänderung im Sinne der Einräumung eines integralen Regresses zu Gunsten
des Schadensversicherers aufkommen lasse; indem das Bundesgericht für die
Auslegung auf die Subrogation des Sozial- und Schadensversicherers zurückgreife
und diese Versicherer gleich behandle, gestehe es Letzterem implizit ein
Regressrecht ein (so MÜLLER, Besonderheiten, a.a.O., S. 54; derselbe, Regress,
a.a.O., S. 97 f.). Andere Autoren bezweifeln zwar, ob allein der Umstand, dass
die Situation des Arbeitgebers vom Bundesgericht auch mit der des
Schadensversicherers verglichen wird, für eine Praxisänderung spreche, und
vermuten, es könnte sich dabei um ein redaktionelles Versehen handeln (HAUSHEER
/JAUN, a.a.O., S. 929; so sinngemäss auch WOLFGANG PORTMANN, Die Ersatzpflicht
des Schädigers eines Arbeitnehmers für Lohnfortzahlungen und Nebenleistungen
des Arbeitnehmers, ARV 2001 S. 110 ff., 113; vgl. auch KOLLER, a.a.O., § 75 Rz.
190). Es wird aber von ihnen, wie auch von weiteren Autoren, betont, dass die
Argumentation des Bundesgerichts für den integralen Regress des Arbeitgebers,
um Widersprüche zu vermeiden, auch bei der Beurteilung der Frage, ob dem
Schadensversicherer ein integraler Regress einzuräumen sei, Geltung
beanspruchen können müsse (ROLAND SCHAER, Modernes Versicherungsrecht, 2007, §
22 Rz. 7 ff., 85 ff.; HAUSHEER/JAUN, a.a.O., S. 929; RUMO-JUNGO, a.a.O., S.
621; STRUB, a.a.O., S. 91 f.).
BGE 137 III 352 S. 360

4.5 Die Vorinstanz berücksichtigte bei ihrem Entscheid, der Beschwerdegegnerin
1 ein Regressrecht auf den Beschwerdeführer zuzugestehen, im Wesentlichen die
vorstehend erwähnte Kritik in der Lehre am Ausschluss eines Rückgriffsrechts
des Schadensversicherers auf Kausalhaftpflichtige (E. 4.2 vorne), die
Gesetzgebungsarbeiten zur Revision des VVG (E. 4.3 vorne) und die Ausführungen
des Bundesgerichts in BGE 126 III 521 (E. 4.4 vorne) und in BGE 63 II 521 E. 7
(E. 4.2 vorne). Sie kam in ihren sorgfältig begründeten Erwägungen zum Schluss,
die allgemeinen Rechtsanschauungen und die Rahmenbedingungen hätten sich seit
Erlass der Bestimmung von Art. 51 Abs. 2 OR wesentlich geändert, indem sich ein
fein abgestimmtes und ausgewogenes System von Privat- und Sozialversicherungen
entwickelt habe und das Verschuldensprinzip durch die Einführung von immer mehr
Kausalhaftungstatbeständen infolge der technischen Entwicklung in den
Hintergrund getreten sei. Dementsprechend sei der Wille des historischen
Gesetzgebers zu relativieren und eine von der herrschenden Lehre und
Rechtsprechung abweichende Auslegung von Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 VVG
angebracht, der auch der Wortlaut und die systematische Stellung der
Bestimmungen im Gesetz nicht entgegenstünden.

4.6 Eine Änderung der Praxis lässt sich regelmässig nur begründen, wenn die
neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren
Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht; andernfalls ist die
bisherige Praxis beizubehalten. Eine Praxisänderung muss sich deshalb auf
ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Interesse der
Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder
nicht mehr zeitgemäss erachtete Rechtsanwendung gehandhabt worden ist (BGE 136
V 313 E. 5.3.1; BGE 136 III 6 E. 3 mit Hinweisen).
Unter den im heutigen Zeitpunkt gegebenen Umständen rechtfertigt sich
vorliegend keine Praxisänderung. Dass dem Schadensversicherer kein
Rückgriffsrecht gegen Kausalhaftpflichtige zusteht, entspricht der wohl nach
wie vor herrschenden Lehre und der jahrzehntealten konstanten Praxis des
Bundesgerichts. Das Bundesgericht ist von dieser trotz der bereits seit dem
Jahre 1922 geübten Kritik, die im Laufe der Jahre auch dogmatisch weiter
untermauert wurde, nur in einem isolierten, vor langer Zeit beurteilten Fall
(BGE 63 II 143 E. 7; vorstehende E. 4.2) abgewichen. Unter diesen Umständen ist
davon auszugehen, dass sich die Versicherungspraxis auf die entsprechende
Rechtslage eingestellt hat, so dass eine
BGE 137 III 352 S. 361
Änderung der Rechtsprechung im heutigen Zeitpunkt aus Rechtssicherheitsgründen
besonders gewichtige Gründe voraussetzt (vgl. dazu BREHM, a.a.O., N. 80c zu
Art. 51 OR).
Mit der konstanten Rechtsprechung wird dem eindeutigen Willen des historischen
Gesetzgebers nachgelebt, dass der Versicherer, der sich durch die Prämien für
mögliche Schadensfälle bezahlt macht, den Schaden in der Regel vor einem ohne
sein Verschulden Haftenden tragen soll. Auch wenn dieser klare gesetzgeberische
Entscheid zu einer diskussionswürdigen Kostenverteilung für Schadensereignisse
führen mag, ist es nicht ohne weiteres Sache der Rechtsprechung, diesen zu
ändern, auch wenn seither einige Zeit verflossen ist. Dies umso weniger, wenn
sich - wie im vorliegenden Fall - der Gesetzgeber selber im Rahmen einer
umfassenden Gesetzesrevision der Frage angenommen hat. In diesem Fall
rechtfertigt es sich nicht, der Revision vorzugreifen, auch wenn diese im
fraglichen Punkt in die von der Vorinstanz eingeschlagene Richtung geht und
sich vorliegend das Bestehen von geänderten Auffassungen und Verhältnissen im
Gesetzgebungsverfahren erhärtet zu haben scheint (vgl. E. 4.3 vorne in fine).
Vielmehr ist das Inkrafttreten der Revision abzuwarten, in deren Rahmen auch
allenfalls erforderliche Abstimmungen mit anderen Vorschriften vorgenommen
werden können.
Die vorgesehene Revision zielt zudem auf eine Änderung des bisherigen Rechts
ab, gehen doch auch die Expertenkommission und das EFD hinsichtlich der
heutigen Rechtslage von der bestehenden Praxis aus (E. 4.3). Unter diesen
Umständen kann die Revision weder bei der Auslegung des geltenden Rechts
berücksichtigt werden noch die verlangte Praxisänderung rechtfertigen (vgl. in
diesem Sinn auch BGE 136 III 6 E. 6 in fine).
Eine Praxisänderung lässt sich auch aufgrund des in den Erwägungen von BGE 126
III 521 Ausgeführten nicht begründen. Zunächst ist es offensichtlich, dass das
Bundesgericht mit der blossen Erwähnung der Schadensversicherer neben den
subrogierenden Sozialversicherern nicht von der bestehenden Praxis zum
Regressrecht der Schadensversicherer abweichen wollte; hierzu hätte es einer
eingehenden Begründung bedurft. Nach der - wohl diskutablen, aber von der
konstanten Praxis und herrschenden Lehre beachteten - Logik und Wertung des
historischen Gesetzgebers drängt sich sodann eine Gleichbehandlung des
Arbeitgebers, der dem verunfallten
BGE 137 III 352 S. 362
Arbeitnehmer den Lohn fortzahlt, mit dem Schadensversicherer nicht auf. So
erbringt der Versicherer seine Leistung an den Geschädigten aufgrund einer
vertraglichen Verpflichtung, für die er eine Gegenleistung in Form von
Versicherungsprämien erhalten hat, während der Arbeitgeber im Krankheitsfall
von Gesetzes wegen zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, ohne dass er dafür die
Arbeitsleistung oder eine andere spezifische Gegenleistung erhält (so auch
MÜLLER, Regress, a.a.O., S. 98). Zudem erbringt der Versicherer seine Leistung
im Gegensatz zum Arbeitgeber nicht unabhängig von einem schädigenden Ereignis.
Entsprechend wurde der Entscheid in der Lehre denn auch zu Recht nicht als
klare Ankündigung einer Rechtsprechungsänderung verstanden (E. 4.4 vorne).

4.7 Nach dem Gesagten ist die von der Vorinstanz vorgeschlagene Praxisänderung
abzulehnen. Demzufolge gestand die Vorinstanz der Beschwerdegegnerin 1 zu
Unrecht ein Regressrecht gegenüber dem Beschwerdeführer für die VVG-Ansprüche
in der Höhe von Fr. 94'129.10 nebst Zins zu. Insoweit ist die Beschwerde
gutzuheissen und die Klage der Beschwerdegegnerin 1 ist unter teilweiser
Aufhebung des angefochtenen Entscheids abzuweisen.
Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage nicht mehr, ob der Beschwerdeführer
als Miteigentümer an der Liegenschaft (...) gegenüber der auf ihn
regressierenden Beschwerdegegnerin 1 solidarisch für den ganzen Schaden bzw.
alle Miteigentumsanteile haftbar wäre oder nur für den auf seinen
Miteigentumsanteil entfallenden Teil des Schadens.