Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 24



Urteilskopf

137 III 24

4. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. AG
(Beschwerde in Zivilsachen)
4A_459/2010 vom 4. Januar 2011

Regeste

Kündigung vor Ablauf von drei Jahren seit Abschluss eines das Mietverhältnis
betreffenden Gerichtsverfahrens (Art. 271a Abs. 1 lit. e Ziff. 1 OR).
Voraussetzungen, unter denen der Vermieter in einem Gerichtsverfahren als "zu
einem erheblichen Teil unterlegen" und seine Kündigung als missbräuchlich
anzusehen ist (E. 3.1-3.4).

Auszug aus den Erwägungen: ab Seite 24

BGE 137 III 24 S. 24
Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Die Vorinstanz stellt fest, die Kündigung sei innerhalb der dreijährigen
Frist gemäss Art. 271a Abs. 1 lit. e OR erfolgt. Sie ist jedoch der Auffassung,
die Beschwerdegegnerin sei in dem mit Bundesgerichtsurteil 4A_207/2007 vom 21.
August 2007 abgeschlossenen Verfahren nicht "zu einem erheblichen Teil"
unterlegen. Kantons- und Bundesgericht hätten festgehalten, dass zwischen den
Parteien ein faktisches Mietverhältnis bestehe und daher die Vermieterin dem
Mieter unverzüglich Zugang zu den Mieträumlichkeiten zu
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gewähren habe. Hingegen sei dem Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung,
dass das Mietverhältnis ausschliesslich nach Massgabe des Mietvertrages vom 24.
Oktober 2003 zustande gekommen sei, nicht entsprochen worden, und der
Beschwerdeführer sei "mit seinen diversen und weitreichenden
Forderungsbegehren" nicht durchgedrungen.

3.2 Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, das Bundesgerichtsurteil vom 21.
August 2007 zeige eindeutig, dass die Beschwerdegegnerin zu einem erheblichen
Teil unterlegen sei, weshalb die dreijährige Sperrfrist zum Tragen kommen
müsse. Die Beschwerdegegnerin sei mit ihrem Hauptargument, dass kein
Mietverhältnis vorliege, nicht durchgedrungen. Das Bundesgericht habe
festgehalten, dass ein gültiges Mietverhältnis im Sinne des schriftlichen
Vertrages vom 24. Oktober 2003 zwischen den Parteien bestehe.

3.3 Die Kündigung durch den Vermieter ist nach Art. 271a Abs. 1 lit. e Ziff. 1
OR anfechtbar, wenn sie vor Ablauf von drei Jahren seit Abschluss eines mit dem
Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens
ausgesprochen wird, in dem der Vermieter zu einem erheblichen Teil unterlegen
ist. Damit statuiert das Gesetz eine unwiderlegbare Vermutung, dass eine
Kündigung unter den erwähnten Voraussetzungen gleich wie eine Rachekündigung
missbräuchlich ist, und gewährt damit dem Mieter einen zeitlichen
Kündigungsschutz. Der Mieter soll nicht um die Früchte seines berechtigten
Vorgehens gegen den Vermieter gebracht werden (RAYMOND BISANG UND ANDERE, Das
schweizerische Mietrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2008, N. 39 f. zu Art. 271a OR).
An das "Unterliegen des Vermieters zu einem erheblichen Teil" dürfen nicht
allzu strenge Anforderungen gestellt werden. In der Lehre wird bei einem
Unterliegen mit einem Drittel bis zu einem Viertel die Bedingung als erfüllt
betrachtet. Zu vergleichen sind die prozessual massgeblichen Anträge der
Vermieterschaft und der Entscheid, wobei das Unterliegen der Vermieterschaft
nicht einfach prozentual bewertet werden kann. Ins Gewicht fallen vielmehr die
objektive oder subjektive Erheblichkeit des Streitgegenstandes im Einzelfall,
das vorprozessuale Verhalten der Parteien und deren Möglichkeit zur Abschätzung
der Prozessaussichten. Das Obsiegen des Mieters darf aber nicht bloss marginal
sein (WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2007, N.
25 zu Art. 271a OR mit Hinweisen; LACHAT UND ANDERE, Mietrecht für die Praxis,
8. Aufl. 2009, S. 622).
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3.4 Streitgegenstand des früheren Verfahrens bildete zur Hauptsache die Frage,
ob die Beschwerdegegnerin mit dem Beschwerdeführer in einem Mietvertrag über
die umstrittenen Räumlichkeiten verbunden war oder nicht, welche Rechtsfrage
das Bundesgericht entgegen dem Antrag der Beschwerdegegnerin bejahte. Die
Modalitäten des Vertrages, der dem Beschwerdeführer das entgeltliche Recht zur
Nutzung des Vereinslokals einräumt, sind im Vergleich zur Grundsatzfrage nach
dem Bestand einer Mietvertragsbeziehung von untergeordneter Bedeutung. Immerhin
hat das Bundesgericht das Zustandekommen eines Mietvertrages aufgrund des
Parteiverhaltens bejaht und ist damit nicht lediglich von einem "faktischen
Vertragsverhältnis" ausgegangen, wie die Vorinstanz annimmt. Weshalb die vom
Beschwerdeführer zusätzlich gestellten, von der Vorinstanz nicht bezifferten
Schadenersatzbegehren ein derartiges Übergewicht erlangen sollen, dass das
Obsiegen des Beschwerdeführers in der Kernfrage des Prozesses, jener nach dem
Bestand des Mietverhältnisses, sowie der vom Beschwerdeführer erstrittene
Zugang zu den Räumlichkeiten zur Unerheblichkeit degradiert werden soll, geht
aus dem angefochtenen Urteil nicht hervor und ist nicht ersichtlich. Auch wenn
die Beschwerdegegnerin "nur" diesbezüglich unterlag, mit ihren Anträgen
hinsichtlich der weiteren Forderungen des Beschwerdeführers dagegen obsiegte,
ändert dies nichts daran, dass die Thematik "Vertrag oder kein Vertrag" den
wesentlichen Streitgegenstand darstellte. Zu beachten ist dabei auch, dass der
Beschwerdeführer wegen des vertragswidrigen Verhaltens der Beschwerdegegnerin
darauf angewiesen war, den Prozess anzustrengen und sich den Zugang zu den
Räumlichkeiten zu erstreiten. Unter solchen Umständen erscheint eine rein
quantitative Beurteilung nach Obsiegen und Unterliegen gemessen am
Gesamtstreitwert der gestellten Begehren, welche die Vorinstanz im Ergebnis
wohl anstrebte, jedoch letztlich nicht nachvollziehbar vornahm, nicht
angemessen, drehte sich doch der Streit unter den Parteien offensichtlich ganz
zentral um das Mietverhältnis als solches. Da die Beschwerdegegnerin
diesbezüglich unterlag, unterlag sie "zum erheblichen Teil". Indem die
Vorinstanz dies verkannte, verletzte sie Art. 271a Abs. 1 lit. e Ziff. 1 OR.