Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 193



Urteilskopf

137 III 193

32. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Gemeinde X.
gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_882/2010 vom 16. März 2011

Regeste

Art. 72 Abs. 2 lit. b, Art. 74 Abs. 1 lit. b, Art. 95 und 98 BGG; Rechtsnatur
eines Entscheides über eine Schuldneranweisung gemäss Art. 291 ZGB.
Die Schuldneranweisung gemäss Art. 291 ZGB stellt eine privilegierte
Zwangsvollstreckungsmassnahme sui generis dar, die in engem Zusammenhang mit
dem Zivilrecht steht und vermögensrechtlicher Natur ist (E. 1.1). Das Urteil
über eine solche Schuldneranweisung ist grundsätzlich ein materielles Endurteil
und keine vorsorgliche Massnahme (E. 1.2).

Regeste

Art. 289 Abs. 2 und Art. 291 ZGB; Subrogation des Gemeinwesens in das Recht,
eine Schuldneranweisung zu verlangen.
Bevorschusst ein Gemeinwesen die Kinderunterhaltsbeiträge, so geht das Recht,
die Schuldneranweisung zu verlangen, von Gesetzes wegen auf das Gemeinwesen
über. Das Gemeinwesen hat in der Folge auch das Recht, für künftige, noch nicht
fällige Unterhaltsbeiträge die Schuldneranweisung zu verlangen. Die Anordnung
der Schuldneranweisung ist ein Ermessensentscheid, der sowohl die
Berücksichtigung der Situation des säumigen Unterhaltsschuldners wie auch des
Staates als Subrogationsgläubiger der Unterhaltsforderung erlaubt (E. 2 und 3).

Sachverhalt ab Seite 194

BGE 137 III 193 S. 194
Y. wurde mit Scheidungsurteil des Bezirksgerichts Lenzburg vom 11. Juli 1996
verpflichtet, Z. an den Unterhalt der Kinder A. (geb. 1991) und B. (geb. 1994)
ab dem 13. Altersjahr bis zur Mündigkeit bzw. bis zum Abschluss der
ordentlichen Ausbildung oder bis zum vorzeitigen Eintritt in die volle
Erwerbstätigkeit monatlich vorschüssig je Fr. 600.- zu bezahlen. Diese
Unterhaltsbeiträge wurden an die Teuerung gebunden.
BGE 137 III 193 S. 195
Am 24. Mai 2004 beschloss die Vormundschaftsbehörde X., die Unterhaltsbeiträge
für die Kinder zu bevorschussen. Bereits am 12. Mai 2004 hatte Z. als
gesetzliche Vertreterin der Kinder die Unterhaltsforderungen an die Gemeinde X.
abgetreten.
Am 25. Juni 2010 beantragte die Gemeinde X. beim Bezirksgericht Lenzburg, den
jeweiligen Arbeitgeber von Y., zur Zeit die Firma C. AG, gemäss Art. 291 ZGB
anzuweisen, vom Einkommen von Y. monatlich die jeweils indexangepassten
Unterhaltsbeträge gemäss Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg vom 11. Juli 1996,
derzeit Fr. 673.- pro Kind, zuhanden der Gemeinde X. auf ein PC-Konto des
Gemeindeverbands Sozialdienst Amt D. zu bezahlen. Der Gerichtspräsident von
Lenzburg wies die Klage am 14. Juli 2010 ab. Die dagegen von der Gemeinde X.
erhobene Beschwerde wurde vom Obergericht des Kantons Aargau am 15. November
2010 abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Gemeinde X. (Beschwerdeführerin) am 13. Dezember
2010 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragt die Aufhebung des
angefochtenen Urteils und ersucht darum, den jeweiligen Arbeitgeber von Y.
(Beschwerdegegner), zur Zeit die Firma C. AG, gemäss Art. 291 ZGB anzuweisen,
vom Einkommen des Beschwerdegegners monatlich die indexangepassten
Unterhaltsbeträge gemäss Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg vom 11. Juli 1996,
derzeit Fr. 673.- (2011: Fr. 675.-) pro Kind, bzw. den das Existenzminimum
übersteigenden Betrag zuhanden der Beschwerdeführerin direkt an den
Gemeindeverband Sozialdienst Amt D. zu bezahlen. Der Beschwerdegegner ersucht
um Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zu
neuer Entscheidung an das Bezirksgericht Lenzburg zurück.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Bei der Schuldneranweisung gemäss Art. 291 ZGB handelt es sich nicht um
eine Zivilsache, sondern um eine privilegierte Zwangsvollstreckungsmassnahme
sui generis (BGE 110 II 9 E. 1 S. 12 ff.; BGE 130 III 489 E. 1 S. 491 f.), die
allerdings in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zivilrecht steht, so dass die
Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich zulässig ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b
BGG; Urteil
BGE 137 III 193 S. 196
5D_150/2010 vom 13. Januar 2011 E. 1; ebenso BGE 134 III 667 E. 1.1 S. 668 zu
Art. 177 ZGB). Weil mit der Schuldneranweisung vermögensrechtliche Interessen
verfolgt werden, ist die Beschwerde streitwertabhängig (zit. Urteil 5D_150/2010
E. 1). Entgegen Art. 112 Abs. 1 lit. d BGG enthält das vorinstanzliche Urteil
keine Angaben zum Streitwert. Da es um monatliche Kinderunterhaltsbeiträge von
insgesamt Fr. 1'346.- bzw. ab 2011 von Fr. 1'350.- geht und die Dauer der
anbegehrten Schuldneranweisung nicht absehbar erscheint, ist gemäss Art. 51
Abs. 4 BGG vom Erreichen des Streitwerts (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG)
auszugehen. Als Zwangsvollstreckungsmassnahme ist die Schuldneranweisung ein
Endentscheid (Art. 90 BGG; BGE 134 III 667 E. 1.1 S. 668). Der angefochtene
Entscheid ist kantonal letztinstanzlich (Art. 75 Abs. 1 BGG) und die Beschwerde
ist rechtzeitig erfolgt (Art. 100 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin handelt
vorliegend nicht als Inhaberin öffentlicher Gewalt, sondern als Gläubigerin
einer abgetretenen Forderung privatrechtlicher Natur. Sie ist demnach zur
Beschwerde legitimiert (Art. 76 Abs. 1 BGG; Urteil 5P.75/2004 vom 26. Mai 2004
E. 1).

1.2 Fraglich ist, ob der Entscheid über die Schuldneranweisung gemäss Art. 291
ZGB als materielles Endurteil aufzufassen ist, bei dessen Prüfung das
Bundesgericht über volle rechtliche Kognition (Art. 95 BGG) verfügt, oder ob
der Entscheid eine vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 98 BGG darstellt,
womit nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden
kann. Für die Qualifizierung ist nicht massgebend, in welchem Verfahren der
Entscheid ergangen ist. Ein materieller Endentscheid liegt vor, wenn eine
Rechtsfrage endgültig, aufgrund einer vollständigen tatsächlichen und
rechtlichen Beurteilung mit Wirkung materieller Rechtskraft geregelt wird, ohne
den Entscheid in einem Hauptverfahren vorzubehalten (BGE 133 III 589 E. 1 S.
590; BGE 135 III 430 E. 1.1 S. 431). Vorsorgliche Massnahmen hingegen sind
einstweilige Verfügungen (BGE 133 III 399 E. 1.5 S. 400; BGE 135 III 670 E. 1.3
S. 673), die eine Rechtsfrage nur vorläufig regeln, bis darüber in einem
späteren Hauptentscheid definitiv entschieden wird (Urteil 4A_640/2009 vom 2.
März 2010 E. 3, nicht publ. in: BGE 136 III 178; BGE 133 III 393 E. 5.1 S.
396). In Frage steht die Vollstreckung von rechtskräftig festgesetzten
Kinderunterhaltsbeiträgen. Darüber entscheidet das zuständige Gericht ohne
Vorbehalt eines nachfolgenden Hauptverfahrens. Es besteht somit für das
Bundesgericht nicht die Gefahr, allenfalls zweimal über dieselbe Frage befinden
zu müssen
BGE 137 III 193 S. 197
(Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl
2001 4336 Ziff. 4.1.4.2). Die Schuldneranweisung tritt als privilegierte
Zwangsvollstreckungsmassnahme an die Stelle einer definitiven Rechtsöffnung mit
nachfolgender Pfändung; Rechtsöffnung und Pfändung sind keine vorsorglichen
Massnahmen (BGE 133 III 399 E. 1.5 S. 400; Urteile 5A_360/2010 vom 12. Juli
2010 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 136 III 379, zum Arrestvollzug; 5A_515/2009
vom 5. November 2009 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 135 III 663, betreffend
Pfändungsvollzug). Dass dem Entscheid über eine Schuldneranweisung gemäss Art.
291 ZGB allenfalls keine volle materielle Rechtskraft zukommt, sondern bloss
eine beschränkte, sofern man mit Stimmen in der Lehre den Abänderungsvorbehalt
von Art. 286 Abs. 2 ZGB analog auf die Schuldneranweisung anwenden möchte
(ROLAND HASELBACH, Zivilrechtliche Vollstreckungshilfen im Kindesrecht [Art.
290 und 291 ZGB], 1991, S. 247 ff.; CYRIL HEGNAUER, Berner Kommentar, 1997, N.
14 zu Art. 291 ZGB), steht dem nicht entgegen. Der Abänderungsvorbehalt von
Art. 286 Abs. 2 ZGB hindert nämlich auch sonst nicht, Entscheide über den
Kindesunterhalt als materielle Endentscheide zu qualifizieren. Schliesslich
geht es vorliegend weder um eine Schuldneranweisung als Eheschutzmassnahme
gemäss Art. 177 ZGB noch um eine vorsorgliche Massnahme während des
Scheidungsverfahrens gemäss aArt. 137 Abs. 2 ZGB (AS 1999 1132; neu Art. 276
ZPO) i.V.m. Art. 177 ZGB. In diesen Fällen läge eine vorsorgliche Massnahme
gemäss Art. 98 BGG vor (BGE 134 III 667 E. 1.1 S. 668; BGE 133 III 393 E. 5 S.
396 f.). Nach dem Gesagten stellt die Schuldneranweisung gemäss Art. 291 ZGB
somit grundsätzlich keine vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 98 BGG dar.

2.

2.1 Wenn die Eltern die Sorge für das Kind vernachlässigen, kann das Gericht
gemäss Art. 291 ZGB ihre Schuldner anweisen, die Zahlungen ganz oder zum Teil
an den gesetzlichen Vertreter des Kindes zu leisten. Kommt das Gemeinwesen für
den Unterhalt des Kindes auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten
auf das Gemeinwesen über (Art. 289 Abs. 2 ZGB). Dies gilt insbesondere, wenn
das Gemeinwesen die Alimente wie vorliegend bevorschusst (Art. 293 Abs. 2 ZGB).
Beim Rechtsübergang, wie er in Art. 289 Abs. 2 ZGB vorgesehen ist, handelt es
sich um eine Subrogation bzw. Legalzession.

2.2 Das Obergericht hat der Beschwerdeführerin die Schuldneranweisung unter
Hinweis auf seine Praxis verweigert. Danach sei der
BGE 137 III 193 S. 198
Unterhaltsgläubiger für die künftigen Kinderalimente trotz laufender
Bevorschussung durch ein Gemeinwesen nach wie vor alleine zur Stellung des
Anweisungsbegehrens legitimiert. Für die künftigen, noch nicht fälligen
Kinderalimente finde keine Subrogation statt, womit die Aktivlegitimation zur
Stellung des Anweisungsbegehrens dem Berechtigten bzw. dessen gesetzlichem
Vertreter oder dem Obhutsinhaber verbleibe. Die Beschwerdeführerin könne
allerdings die Mutter der beiden Kinder bzw. das inzwischen mündige Kind zur
Einleitung eines Anweisungsverfahrens anhalten. Zudem verweist das Obergericht
auf das Urteil 5A_698/2009 vom 15. Februar 2010 (teilweise publ. in: FamPra.ch
2010 S. 462), wo offengelassen wurde, ob das Gemeinwesen überhaupt zur Stellung
eines Begehrens um Schuldneranweisung legitimiert sein kann.

3. Der vorliegende Fall wirft die Frage nach dem Umfang der in Art. 289 Abs. 2
ZGB vorgesehenen Legalzession auf. Es ist zu klären, ob nicht nur die
Unterhaltsberechtigten die Schuldneranweisung gemäss Art. 291 ZGB verlangen
können, sondern auch das bevorschussende und in den Unterhaltsanspruch
subrogierende Gemeinwesen. Falls dies grundsätzlich zu bejahen ist, bleibt zu
untersuchen, ob das Gemeinwesen die Schuldneranweisung für künftige, noch nicht
fällige Unterhaltsbeiträge verlangen kann, was von der Vorinstanz verneint
worden ist.

3.1 Der Wortlaut von Art. 289 Abs. 2 ZGB sieht vor, dass der Unterhaltsanspruch
"mit allen Rechten" auf das für den Unterhalt aufkommende Gemeinwesen übergeht.
Die französische ("avec tous les droits") und italienische Fassung ("con tutti
i diritti") weisen diesbezüglich keine Abweichung auf. Es stellt sich demnach
die Frage, wie diese Wendung zu deuten ist.

3.2 Gemäss Botschaft des Bundesrates zum Entwurf von Art. 289 Abs. 2 ZGB
umfasst die Subrogation alle mit dem Unterhaltsanspruch verbundenen Rechte,
namentlich auch den Anspruch auf Anweisungen an die Schuldner gemäss Art. 291
dieses Entwurfs (Botschaft vom 5. Juni 1974 über die Änderung des
Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesverhältnis], BBl 1974 II 64 Ziff.
322.6 [im Folgenden: Botschaft Kindesrecht]). Diesbezüglich gab die Bestimmung
in den Räten zu keinen Diskussionen Anlass (AB 1975 S 129; AB 1975 N 1776 f.).
Die Gesetz gewordene Fassung stimmt mit dem Entwurf überein, abgesehen von
einer hier nicht interessierenden Abweichung redaktioneller Natur.
BGE 137 III 193 S. 199

3.3 Es entspricht denn auch der überwiegenden Lehre, dass das Recht, die
Schuldneranweisung gemäss Art. 291 ZGB zu verlangen, auf das bevorschussende
Gemeinwesen übergeht (BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, 3. Aufl. 1980, N. 282
zu Art. 156 ZGB; VALY DEGOUMOIS, Pensions alimentaires, Aide au recouvrement et
avances, 1982, S. 23; ANDREAS HAFFTER, Der Unterhalt des Kindes als Aufgabe von
Privatrecht und öffentlichem Recht, 1984, S. 216; HASELBACH, a.a.O., S. 234;
PETER BREITSCHMID, Fragen um die Zwangsvollstreckung bei
Alimentenbevorschussung [Art. 289 ff. ZGB], SJZ 88/1992 S. 62; RENÉ SUHNER,
Anweisungen an die Schuldner [Art. 177 und 291 ZGB], 1992, S. 25, 47 f.;
HEGNAUER, a.a.O., N. 10 zu Art. 291 ZGB; ROELLI/MEULI-LEHNI, in: Handkommentar
zum Schweizer Privatrecht, 2007, N. 1 zu Art. 291 ZGB; BASTONS BULLETTI/FARINE,
Les avances de contributions d'entretien en cas d'impossibilité de recouvrer
les dites contributions auprès de leur débiteur, ZVW 2008 S. 46; FRANÇOISE
BASTONS BULLETTI, in: Commentaire romand, Code civil, 2010, N. 10 zu Art. 291
ZGB; PETER BREITSCHMID, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, 4. Aufl. 2010,
N. 10 zu Art. 289 ZGB). Das Bundesgericht ist in seiner Rechtsprechung bisher
ebenfalls von der Aktivlegitimation des Gemeinwesens ausgegangen, ohne die
Frage vertieft erörtern zu müssen. In BGE 106 III 18 E. 2 S. 20 f. hat es
festgehalten, wenn Art. 289 Abs. 2 ZGB vorsehe, dass der Unterhaltsanspruch des
Kindes mit allen Rechten auf das Gemeinwesen übergehe, so könnten damit nicht
die Rechte höchstpersönlicher Natur gemeint sein, sondern nur Rechte, die als
solche abtretungsfähig und nicht an die Person des Berechtigten gebunden seien.
Ihrer Natur nach ohne weiteres abtretbar seien namentlich das Recht,
Unterhaltsklage zu erheben, sowie die Abänderung des Unterhaltsbeitrags,
Anweisungen an den Schuldner und Sicherstellung zu verlangen. Auf dieses Recht
des subrogierenden Gemeinwesens zur Schuldneranweisung hat das Bundesgericht
auch in späteren Entscheiden hingewiesen (Urteile 5P.193/2003 vom 23. Juli 2003
E. 1.1.2, in: FamPra.ch 2003 S. 971; 8C_501/2009 vom 23. September 2009 E.
4.2). Zuweilen ist das Bundesgericht stillschweigend von der Zulässigkeit der
vom Staat verlangten Schuldneranweisung ausgegangen (vgl. BGE 110 II 9 E. 1a S.
12; Urteil 5P.75/2004 vom 26. Mai 2004 E. 1). Im Urteil 5A_698/2009 vom 15.
Februar 2010 E. 4.4 (in: FamPra.ch 2010 S. 462) hat das Bundesgericht die Frage
ausdrücklich offengelassen. Dieser Entscheid bezieht sich allerdings auf aArt.
137 Abs. 2 ZGB (AS 1999 1132; neu Art. 276 ZPO) i.V.m. Art. 177 ZGB. Im
Zusammenhang mit diesen Normen fehlt eine ausdrückliche
BGE 137 III 193 S. 200
Subrogationsbestimmung zugunsten des Gemeinwesens. Dennoch ist nachfolgend auf
die in diesem Entscheid erwähnten Bedenken einzugehen und zu untersuchen, ob es
diese rechtfertigen, entgegen der historischen Meinung des Gesetzgebers, der
überwiegenden Ansicht in der Literatur und der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesgerichts, dem Gemeinwesen die Aktivlegitimation zur Schuldneranweisung
gemäss Art. 291 ZGB zu versagen.

3.4 Die Kritik an der Zulassung der Schuldneranweisung zugunsten des Staates
zielt im Wesentlichen darauf ab, dass der Hauptzweck der Anweisung in der
regelmässigen Zahlung existentiell notwendiger Beträge liege. Das subrogierende
Gemeinwesen sei nicht in derselben Art wie eine Privatperson auf die
Begleichung der Unterhaltsbeiträge angewiesen. Bei ihm bestehe weder eine
besondere zeitliche Dringlichkeit bzw. existentielle Notwendigkeit noch ein
Bedürfnis nach regelmässiger Zahlung. Dem Gemeinwesen stünden andere Mittel zur
Geltendmachung der Unterhaltsbeiträge beim Pflichtigen - wie Mahnung und
Betreibung - zur Verfügung. Da sich der Zweck der Schuldneranweisung für das
Gemeinwesen damit in einer erleichterten Einforderung erschöpfen würde,
erscheine dieses Mittel angesichts des damit verbundenen Eingriffs in die
Persönlichkeit des Schuldners kaum als verhältnismässig (SUHNER, a.a.O., S. 47
ff., der seine Kritik aber ausdrücklich als rechtspolitische bezeichnet, da der
gegenteilige Wille des Gesetzgebers zu Art. 289 ZGB klar sei; bezüglich Art.
177 ZGB ebenfalls kritisch HAUSHEER UND ANDERE, Berner Kommentar, 1999, N. 13b
zu Art. 177 ZGB).
Dass die Situation des Gemeinwesens eine andere ist als diejenige des
unterhaltsberechtigten Kindes, ist nicht zu verkennen. Dies rechtfertigt jedoch
kein Abweichen vom Willen des Gesetzgebers. Es besteht kein Anlass, das Recht
zur Schuldneranweisung als höchstpersönliches Nebenrecht der
Unterhaltsforderung zu qualifizieren, welche nicht auf das Gemeinwesen
übergeht. Es bestehen nämlich sachliche Gründe, dem Staat das Recht zur
Schuldneranweisung zuzugestehen, auch wenn dies mit einer gewissen
Zweckverlagerung dieses Instituts verbunden sein mag. Einerseits gehört die
Alimentenbevorschussung für den Kindesunterhalt nach heutiger, weitverbreiteter
Auffassung zu einem sachgerechten öffentlichen Sozialwesen (vgl. Art. 293 Abs.
2 ZGB; HEGNAUER, a.a.O., N. 23 zu Art. 293 ZGB), auch wenn die Kantone frei
sind, ob sie die Bevorschussung überhaupt vorsehen wollen und wie sie ein
entsprechendes System ausgestalten (BGE 106 II 283 E. 3 S. 285 f.).
Andererseits handelt es
BGE 137 III 193 S. 201
sich eben nur um eine Bevorschussung, d.h. die Ausgaben sollen nicht dauerhaft
zulasten der öffentlichen Hand bzw. der Steuerzahler gehen, sondern vom
Pflichtigen zurückgefordert werden (SUHNER, a.a.O., S. 47). Dieser soll von
seiner Nachlässigkeit nicht profitieren. Zum Zwecke dieses Regresses geht der
Unterhaltsanspruch des Kindes auf das Gemeinwesen über (Art. 289 Abs. 2 ZGB).
Es ist dabei der Einrichtung der Alimentenbevorschussung und damit dem Anliegen
des Reformgesetzgebers, in der Versorgung des Kindes möglichst keine Lücken
entstehen zu lassen (vgl. Botschaft Kindesrecht, a.a.O., S. 66 Ziff. 322.7),
förderlich, wenn dem Gemeinwesen dieselben Inkassomöglichkeiten zustehen wie
dem Kind (SUHNER, a.a.O., S. 47). Insofern erscheint es angebracht, dem
Gemeinwesen die der Schuldneranweisung zugeschriebenen Vorteile (etwa Zeit- und
Kostenersparnis gegenüber einem Betreibungsverfahren; SUHNER, a.a.O., S. 8;
BASTONS BULLETI/FARINE, a.a.O., S. 46) ebenfalls zukommen zu lassen.
Die Anordnung der Schuldneranweisung kann den Betroffenen insbesondere
gegenüber seinem Arbeitgeber blossstellen. Vorliegend befürchtet der
Beschwerdegegner sogar seine Entlassung. Dies rechtfertigt jedoch nicht den
Ausschluss des Gemeinwesens von der Geltendmachung der Schuldneranweisung. Eine
Blossstellung droht auch bei einer dem Arbeitgeber angezeigten Lohnpfändung.
Vielmehr ist solchen Einwänden im Rahmen der konkreten Entscheidfindung
Rechnung zu tragen. Art. 291 ZGB ist eine "Kann"-Bestimmung; die Anordnung
einer Schuldneranweisung liegt folglich im Ermessen des Gerichts. Dabei sind
alle erheblichen Umstände, insbesondere auch die Situation des säumigen
Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen (HASELBACH, a.a.O., S. 186 ff.;
HAUSHEER UND ANDERE, a.a.O., N. 7a zu Art. 177 ZGB; SUHNER, a.a.O., S. 51 ff.).
In die Abwägung wird auch mit einfliessen dürfen, dass das subrogierende
Gemeinwesen gerade nicht in existentieller Weise auf diese Inkassomöglichkeit
angewiesen ist. Schliesslich kann berücksichtigt werden, dass bei hinreichend
nachgewiesener Gefährdung der Arbeitsstelle mit einer sog. stillen Lohnpfändung
unter Umständen die langfristig besseren Ergebnisse zu erzielen sind (dazu BGE
83 III 17 E. 2 S. 20; GEORGES VONDER MÜHLL, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz
über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 45 zu Art. 93
SchKG). Um das Institut der Schuldneranweisung nicht seines Sinnes zu
entleeren, sind solche Verweigerungsgründe allerdings nur zurückhaltend
anzunehmen.
BGE 137 III 193 S. 202

3.5 Daraus ergibt sich, dass im Rahmen von Art. 291 ZGB keine Gründe
ersichtlich sind, dem subrogierenden Gemeinwesen die Schuldneranweisung in
allgemeiner Weise zu versagen.

3.6 Unbestritten ist, dass es vorliegend einzig um künftige Unterhaltsbeiträge
geht. Rückständige Unterhaltsbeiträge sind hingegen nicht Gegenstand dieses
Verfahrens (vgl. dazu Urteil 5P.75/2004 vom 26. Mai 2004 E. 3, in: SJ 2005 I S.
25; HEGNAUER, a.a.O., N. 16 zu Art. 291 ZGB; je mit Hinweisen). Es bleibt zu
untersuchen, ob die Vorinstanz dem Gemeinwesen die Schuldneranweisung für die
künftigen Unterhaltsbeiträge verweigern durfte.

3.7 Gemäss Botschaft Kindesrecht (a.a.O., S. 65 Ziff. 322.62) beschlägt die
Anweisung während des Zeitraums, für den sie angeordnet wird, auch zukünftige
Leistungen und muss daher nicht - wie die Schuldbetreibung - für jede fällige
Leistung wieder neu eingeleitet werden. Darin liege eine nicht zu
unterschätzende Erleichterung der Rechtsverfolgung. Diese Ausführungen des
Bundesrats leuchten ein. Wäre es anders, würde das Institut der
Schuldneranweisung hinsichtlich der Sicherung des laufenden Unterhalts seines
Sinnes beraubt. Die in die Zukunft gerichtete Anweisung bezieht sich demnach
auf den jeweils fällig werdenden Betrag (HEGNAUER, a.a.O., N. 16 zu Art. 291
ZGB; unklar BREITSCHMID, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 4 zu Art. 291 ZGB).
Im Übrigen anerkennt auch die Vorinstanz, dass der Unterhaltsgläubiger selber
für die künftigen Kinderalimente Schuldneranweisung verlangen kann.

3.8 Die Vorinstanz hat aber dem Gemeinwesen die Schuldneranweisung für die
künftigen Kinderalimente verweigert, da die Gemeinde nicht in diese künftigen,
noch nicht fälligen Kinderunterhaltsforderungen subrogiert sei. Die einzelne
Beitragsforderung gehe erst im Moment ihrer Entstehung auf das Gemeinwesen über
und dieser Übergang trete ein, sobald, soweit und solange das Gemeinwesen für
das Kind aufkomme (unter Hinweis auf HEGNAUER, a.a.O., N. 85 und 87 zu Art. 289
ZGB; DEGOUMOIS, a.a.O., S. 39).
Die Auffassung der Vorinstanz basiert auf der Vorstellung, dass das Gemeinwesen
einzig in die einzelne, je fällig gewordene und von diesem anstelle des
Unterhaltsschuldners beglichene Unterhaltsforderung subrogiert. Dies entspricht
jedoch nicht den - mehr oder weniger explizit ausgedrückten - Vorstellungen des
Gesetzgebers, der Lehre und der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
Der Rechtsübergang umfasst mehr als die einzelne, periodisch fällig
BGE 137 III 193 S. 203
werdende Unterhaltsforderung. Vielmehr sollen dem subrogierenden Gemeinwesen
grundsätzlich dieselben Rechte zustehen wie dem unterhaltsberechtigten Kind.
Ausgeschlossen vom Übergang sind einzig höchstpersönliche Rechte, also Rechte,
die an die Person des Berechtigten gebunden sind (BGE 106 III 18 E. 2 S. 20).
Dass das Recht zur Schuldneranweisung nicht höchstpersönlicher Natur ist, wurde
bereits gesagt (oben E. 3.4). Der weite Rahmen der Subrogation zeigt sich etwa
daran, dass dem Gemeinwesen die Befugnis zur Unterhaltsklage oder zur Klage auf
Abänderung des Unterhaltsbetrags zusteht (Botschaft Kindesrecht, a.a.O., S. 64
Ziff. 322.6). Dabei handelt es sich um eine Befugnis, welche sich nicht auf den
Übergang einer einzelnen Unterhaltsforderung stützen lässt. Mit der
erfolgreichen Unterhaltsklage wird als Ausfluss des Rechts auf Unterhalt (Art.
276 ZGB) überhaupt erst ein Dauerschuldverhältnis geschaffen, welches
anschliessend periodisch die je einzelnen Unterhaltsforderungen entstehen
lässt. Mit HAFFTER (a.a.O., S. 213 f.) mag man als Gegenstand der Subrogation
gemäss Art. 289 Abs. 2 ZGB folglich das Stammrecht auf Unterhalt und nicht die
einzelne Beitragsforderung bezeichnen, wobei zu präzisieren ist, dass sich der
Übergang einzig auf den in Form einer Geldzahlung zu erfüllenden
Unterhaltsanspruch bezieht. Geht der Anspruch somit insgesamt über, soweit er
vom Gemeinwesen tatsächlich anstelle des Pflichtigen erfüllt wird, so ist nur
konsequent, wenn dem Gemeinwesen auch das Recht zusteht, die Schuldneranweisung
mit Wirkung für die Zukunft zu verlangen, in derselben Weise wie dieses Recht
auch dem unterhaltsberechtigten Kind zustand (HAFFTER, a.a.O., S. 214). Zum
selben Ergebnis führt die dogmatische Konstruktion, dass die Legalzession nicht
nur den einzelnen fällig gewordenen und bevorschussten Betrag umfasst, sondern
den Anspruch auf alle während der Dauer der bewilligten Bevorschussung fällig
werdenden Beträge (CYRIL HEGNAUER, Alimentenbevorschussung und Abtretung, ZVW
1991 S. 68). So wie künftige Forderungen rechtsgeschäftlich abgetreten werden
können (BGE 113 II 163), können sie auch Gegenstand einer Legalzession sein.
Wenn aber die künftigen Unterhaltsbeiträge Gegenstand der Subrogation sind, ist
nur folgerichtig, dass dem Gemeinwesen auch die Schuldneranweisung für diese
Beiträge offensteht. Anders entscheiden hiesse überdies, die Subrogation gemäss
Art. 289 Abs. 2 ZGB im Zusammenhang mit der Schuldneranweisung nach Art. 291
ZGB zumindest eines grossen Teils ihres praktischen Zwecks zu berauben. Falls
die Schuldneranweisung für rückständige Beträge
BGE 137 III 193 S. 204
zudem nicht zulässig sein sollte (vgl. Urteil 5P.75/2004 vom 26. Mai 2004 E. 3
mit Hinweisen, in: SJ 2005 I S. 25), wäre die Subrogation in das Recht zur
Schuldneranweisung sogar ihres ganzen Nutzens beraubt, da es kaum mehr einen
Anwendungsfall gäbe, in welchem das Gemeinwesen die Anweisung verlangen könnte.
Das Gemeinwesen müsste diesfalls den Unterhaltsschuldner für jede bevorschusste
Leistung erneut belangen bzw. so lange zuwarten, bis die Höhe der aufsummierten
fälligen Beträge den Aufwand für die Durchsetzung rechtfertigt (vgl. HAFFTER,
a.a.O., S. 214). Ein Nachteil der Zulässigkeit der Schuldneranweisung für
künftige Unterhaltsbeträge kann darin gesehen werden, dass Änderungen in der
Bevorschussung - mitunter rasch - eintreten können, z.B. infolge Wegzugs des
Berechtigten aus dem bevorschussenden Gemeinwesen, und der Angewiesene davon
keine Kenntnis erhält. Dieser Gefahr kann aber dadurch begegnet werden, dass
das Gemeinwesen entsprechende Änderungen dem Angewiesenen mitzuteilen hat.

3.9 Daraus folgt, dass die Vorinstanz die Aktivlegitimation der
Beschwerdeführerin zu Unrecht verneint hat. Die Beschwerde ist insoweit
gutzuheissen. Die Beschwerdeführerin hat einen reformatorischen Antrag auf
Anordnung der fraglichen Schuldneranweisung gestellt. Das Bundesgericht kann
allerdings nicht in der Sache selber urteilen und die Begründetheit der
anbegehrten Vollstreckungsmassnahme prüfen, da die notwendigen tatsächlichen
Voraussetzungen noch nicht erstellt sind. Die Angelegenheit ist deshalb an das
Gerichtspräsidium Lenzburg zur Beurteilung zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2
BGG). Das Gericht wird dabei unter Berücksichtigung aller massgeblichen
Umstände zu prüfen haben, ob die Schuldneranweisung zu gewähren sei oder nicht.
Zudem wird zu berücksichtigen sein, dass das subrogierende Gemeinwesen nicht in
das Existenzminimum des Schuldners eingreifen darf (BGE 116 III 10). Der
Beschwerdegegner macht geltend, dass gegen ihn eine Lohnpfändung verfügt worden
sei und er bereits jetzt am Existenzminimum lebe. Gegebenenfalls wird das
urteilende Gericht demnach die Schuldneranweisung mit der Pfändung zu
koordinieren haben (vgl. BGE 110 II 9 E. 4b S. 16; THOMAS GEISER, Die Anweisung
an die Schuldner und die Sicherstellung, ZVW 1991 S. 10 ff.; BREITSCHMID, in:
Basler Kommentar, a.a.O., N. 6 zu Art. 291 ZGB).