Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 170



Urteilskopf

137 III 170

30. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Merck & Co.
Inc. gegen Mepha Pharma AG und Mepha AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_435/2010 vom 4. März 2011

Regeste

Art. 52 Abs. 4 und Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 bzw. Art. 53 lit. c und Art. 54 Abs.
4 EPÜ 2000; Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG; Ausschluss von der Patentierbarkeit;
Patentschutz für zweite medizinische Anwendung; Dosierungsanleitung.
Patentrechtliche Beurteilung eines Anspruchsmerkmals, das in einer
Dosierungsanleitung besteht (E. 2 und 3). Berücksichtigung der Rechtsprechung
der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts sowie ausländischer Gerichte
bei der Auslegung des Europäischen Patentübereinkommens (E. 2.2.1 und 2.2.10).
Auslegung von Art. 52 Abs. 4 und Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 bzw. Art. 53 lit. c
und Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 (E. 2.2). Die Patentierbarkeit ist nicht schon
deshalb ausgeschlossen, weil das einzige nicht zum Stand der Technik gehörende
Anspruchsmerkmal eine Dosierungsanleitung ist (E. 2.2.9). Argument des Fehlens
einer schweizerischen Sonderbestimmung, nach der die Behandlungstätigkeit des
Arztes generell nicht als Patentverletzung erachtet würde; Hinweis an den
Gesetzgeber (E. 2.2.12).

Sachverhalt ab Seite 171

BGE 137 III 170 S. 171

A. Am 28. März 2007 erteilte das Europäische Patentamt der Merck & Co., Inc.,
New Jersey, USA, (Beschwerdeführerin) das Streitpatent EP 1 175 904. Dieses
betrifft die Verwendung des pharmazeutischen Wirkstoffs "Alendronsäure" zur
Behandlung von Osteoporose.
Alendronsäure ist zugleich der wirksame Bestandteil eines Arzneimittels der
Beschwerdeführerin. Dieses Arzneimittel wurde schon früher zur Behandlung von
Osteoporose verwendet. Die Beschwerdeführerin hatte zunächst eine Form des
Medikaments vermarktet, bei welcher der Patient täglich 10 mg Alendronsäure zu
sich nehmen musste.
In der Zwischenzeit hat die Beschwerdeführerin eine neue Form ihres
Arzneimittels auf den Markt gebracht, bei welcher der Patient wöchentlich 70 mg
Alendronsäure einzunehmen hat. Anspruch 1 des entsprechenden Streitpatents
lautet wie folgt:
"Verwendung von Alendronat bei der Herstellung eines Medikaments zur Behandlung
von Osteoporose bei einem Menschen, der eine solche Behandlung benötigt, wobei
das Medikament an den Menschen als eine Einheitsdosis, die etwa 70 mg der
Alendronatverbindung auf Gewichtsbasis an aktiver Alendronsäure enthält, gemäss
einem Dauertherapieplan mit einem Dosierungsintervall von einmal pro Woche oral
verabreicht wird."

B. Am 29. März 2007 klagten die Mepha Pharma AG sowie die Mepha AG, beide mit
Sitz in Aesch BL, (Beschwerdegegnerinnen) beim Handelsgericht des Kantons
Zürich gegen die Beschwerdeführerin mit dem Rechtsbegehren, es sei der
schweizerische Teil des europäischen Patents Nr. 1 175 904 für nichtig zu
erklären.
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Mit Urteil vom 14. April 2009 hiess das Handelsgericht die Klage gut. Es
gelangte im Wesentlichen zum Schluss, die beanspruchte Dosierung sei gemäss
Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG und Art. 52 Abs. 4 des EPÜ 1973 von der Patentierung
ausgeschlossen.

C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem
Bundesgericht, es sei das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 14.
April 2009 aufzuheben und die Klage vom 29. März 2007 abzuweisen. Eventualiter
sei die Streitsache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht hebt den Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom
14. April 2009 in Gutheissung der Beschwerde auf und weist die Sache zu neuer
Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz eine unzutreffende
patentrechtliche Beurteilung des in einer Dosierungsanleitung bestehenden
Anspruchsmerkmals vor.

2.1 Die Vorinstanz hat offengelassen, ob das Streitpatent die Voraussetzungen
einer "patentfähigen Erfindung" im Sinne von Art. 52 des Übereinkommens über
die Erteilung europäischer Patente vom 5. Oktober 1973 (EPÜ 1973; AS 1977 1711)
erfülle. Sie hat namentlich nicht beurteilt, ob die beanspruchte
Dosierungsanleitung neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Art.
52 Abs. 1 EPÜ 1973). Die Vorinstanz hat vielmehr geschlossen, der selbständige
Anspruch 1 des Streitpatents sei gemäss Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 überhaupt von
der Patentierung ausgeschlossen. Diese Bestimmung schreibt vor:
"(4) Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des
menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am
menschlichen Körper vorgenommen werden, gelten nicht als gewerblich anwendbare
Erfindungen im Sinne des Absatzes 1. Dies gilt nicht für Erzeugnisse,
insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend
genannten Verfahren."

2.1.1 In der Begründung ging die Vorinstanz davon aus, dass Anspruch 1 des
Streitpatents die Verwendung einer bekannten Substanz (Alendronsäure) bei der
Herstellung eines Medikaments für eine bekannte medizinische Indikation
(Behandlung von Osteoporose) betrifft und sich von der bisherigen Anwendung
lediglich durch das
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Dosierschema (Menge von 70 mg und Abgabe einmal wöchentlich) unterscheidet.
Nach Ansicht der Vorinstanz ist daher zu entscheiden, ob es sich beim
Streitpatent um eine erlaubte zweite medizinische Anwendung ("Swiss type claim"
bzw. "schweizerische Anspruchsform") handle oder ob ein nach Art. 2 Abs. 2 lit.
a PatG (bei der Revision vom 22. Juni 2007 nicht verändert, SR 232.14) bzw.
Art. 53 lit. c des Europäischen Patentübereinkommens vom 5. Oktober 1973,
revidiert in München am 29. November 2000 (EPÜ 2000; SR 0.232. 142.2) vom
Patentschutz ausgenommenes Therapieverfahren vorliege. Art. 53 lit. c EPÜ 2000
entspricht inhaltlich Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973: Nach dem ersten Satz werden
europäische Patente nicht erteilt für Verfahren zur chirurgischen oder
therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und
Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper vorgenommen werden. Nach dem
zweiten Satz gilt die Ausnahme von der Patentierbarkeit nicht für Erzeugnisse,
insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend
genannten Verfahren.

2.1.2 Die Vorinstanz erwog, dass bei der Beurteilung dieser Frage die
Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) sowie
einschlägige nationale Entscheide zu berücksichtigen seien. Sie nahm zunächst
auf die drei parallelen Entscheide G 1/83, G 5/83 sowie G 6/83 der Grossen
Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 5. Dezember 1984 (Amtsblatt,
Europäisches Patentamt [nachfolgend: Amtsblatt EPA] 3/1985 S. 59 ff.) Bezug,
die sich mit der Zulässigkeit von Patentansprüchen für die sogenannte zweite
medizinische Indikation befassen. Die Vorinstanz hielt fest, dass damit
einerseits die zweite medizinische Verwendung abgesegnet, andererseits aber
auch die Patentierung eines Stoffes zur therapeutischen Behandlung des
menschlichen Körpers verboten worden sei. Die genaue Tragweite dieser
Entscheidungen sei indes unklar geblieben. Die Auseinandersetzung der Parteien
mit der Rechtsprechung des Europäischen Patentamts (so unter anderem mit den
ins Feld geführten Entscheiden T 317/95, T 56/97, T 584/97, T 4/98, T 485/99
und T 1020/03 der Technischen Beschwerdekammer) sei insoweit überholt, als
inzwischen die Grosse Beschwerdekammer mit Entscheid der Technischen
Beschwerdekammer vom 22. April 2008 in der Sache T 1319/04 erneut angegangen
worden sei. Der entsprechende Entscheid G 2/08 (der am 19. Februar 2010
ergangen ist, vgl. dazu unten E. 2.2.2) stehe noch aus, weshalb keine
Rechtsprechung des EPA vorliege, welche die Frage der
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Patentierbarkeit der Verwendung eines bekannten Stoffes zur Behandlung einer
bekannten Krankheit, aber nach neuem Dosierungsschema, beantworten lasse. Zu
berücksichtigen seien hingegen einzelne in Grossbritannien und Deutschland
ergangene Urteile zu dieser Streitfrage.

2.1.3 Die Vorinstanz führte weiter aus, die von der bisherigen Anwendung
abweichenden Merkmale des strittigen Anspruchs 1 enthielten eine blosse
Dosierungsempfehlung, die angebe, in welchen Mengen das Alendronat enthaltende
Medikament zu welchen Zeiten verabreicht werden solle. Die Verabreichung einer
für die Behandlung einer bestimmten Krankheit vorgesehenen Medizin als solche
sei ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers. Die
Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten,
einschliesslich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten, sei prägender
Teil der Tätigkeit des behandelnden Arztes und damit ein nach Art. 2 Abs. 2
lit. a PatG dem Patentschutz entzogenes Verfahren. Würde hier Patentschutz
gewährt, so die Vorinstanz weiter, wäre auch der Arzt, der etwa dem Patienten
aus der mit dem Medikament gefüllten Flasche die richtige Menge abmesse, von
der Gefahr einer Patentverletzungsklage bedroht.
Die Technische Beschwerdekammer habe in ihrem Entscheid T 1020/03 vom 29.
Oktober 2004 (Amtsblatt EPA 4/2007 S. 204 ff.) zwar darauf hingewiesen, die
nationalen Gesetze würden für Ärzte entsprechende Ausnahmen von der Wirkung des
Patents vorsehen, womit ein Arzt, der das Medikament für die zweite
medizinische Indikation verordne, auf Grundlage der nationalen
Verletzungsvorschriften trotz patentgemässem Verhalten kein Patentverletzer
sei. Im schweizerischen Recht gebe es - abgesehen von Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG
und Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 - eine solche den Arzt von Patentverletzungsklagen
befreiende Vorschrift jedoch nicht. Deshalb werde der Arzt in der Schweiz bei
seiner Tätigkeit nur dann vor Patentverletzungsklagen geschützt, wenn die
Bestimmung des geeigneten individuellen Therapieplans für einen Patienten -
einschliesslich der Verschreibung und Dosierung von Medikamenten - als dem
Patentschutz entzogenes Verfahren behandelt werde. Damit erweise sich Anspruch
1 des Streitpatents als von der Patentierung ausgeschlossen, was zur
Nichtigerklärung des schweizerischen Teils des europäischen Patents Nr. 1 175
904 führe, ohne dass weitere Fragen (namentlich Neuheit sowie Naheliegen)
geprüft werden müssten.
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2.2

2.2.1 Mit dem EPÜ 1973 sowie dessen Änderungen gemäss EPÜ 2000 wurde ein den
Vertragsstaaten gemeinsames Recht für die Erteilung von Erfindungspatenten
geschaffen (vgl. Art. 1 EPÜ 1973/EPÜ 2000). Für die nach diesem Übereinkommen
erteilten europäischen Patente gelten nach Art. 52 ff. einheitliche Regeln
hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen der Patentierbarkeit. Zwar enthält
das Übereinkommen keine Bestimmung, wonach die Entscheidungen der Organe des
Europäischen Patentamts für die Gerichte der Vertragsstaaten verbindlich wären.
Im Hinblick auf das Vertragsziel der Rechtseinheit ist jedoch, was auch die
Parteien nicht in Frage stellen, die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des
Europäischen Patentamts zu berücksichtigen (BGE 133 III 229 E. 3 S. 231 f.).
Gegebenenfalls sind auch einschlägige Entscheide ausländischer Gerichte bei der
Auslegung zu berücksichtigen, wobei höchstrichterliche Urteile besonderes
Gewicht haben, aber auch überzeugend begründete Entscheide unterer Instanzen
beachtlich sind (vgl. BGE 121 III 336 E. 5c S. 338; BGE 117 II 480 E. 2b S. 486
f.; vgl. zur justiziellen Zusammenarbeit im Bereich des Patentrechts STEFAN
LUGINBÜHL, Die neuen Wege zur einheitlichen Auslegung des Europäischen
Patentrechts, GRUR 2/2010 S. 99 f.).

2.2.2 Inzwischen hat die Grosse Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts
die bereits von der Vorinstanz erwähnten Vorlagefragen zur Patentierbarkeit im
Zusammenhang mit Dosierungsanleitungen beantwortet. Mit Entscheid G 2/08 vom
19. Februar 2010 (Amtsblatt EPA 10/2010 S. 456 ff.) entschied die Grosse
Beschwerdekammer, Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 schliesse nicht aus, dass ein für die
Behandlung einer Krankheit bereits bekanntes Arzneimittel zur Verwendung bei
einer anderen therapeutischen Behandlung derselben Krankheit patentiert werde
(Frage 1). Die Patentierbarkeit sei auch dann nicht ausgeschlossen, wenn das
einzige nicht im Stand der Technik enthaltene Anspruchsmerkmal eine
Dosierungsanleitung sei (Frage 2). Schliesslich hielt die Grosse
Beschwerdekammer fest, dass ein Anspruch in Zukunft nicht mehr in der
sogenannten schweizerischen Anspruchsform abgefasst werden dürfe, wie sie mit
der Entscheidung G 1/83 geschaffen wurde, falls dem Gegenstand eines Anspruchs
nur durch eine neue therapeutische Verwendung eines Arzneimittels Neuheit
verliehen werde (Frage 3).
Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, mit der - von der
Vorinstanz nicht abgewarteten - Entscheidung G 2/08
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werde auch für die vorliegende Streitsache Klarheit geschaffen, zumal kein
Grund ersichtlich sei, von der bereits durch die Entscheidung T 1020/03 vom 29.
Oktober 2004 (a.a.O., S. 204 ff.) für das EPÜ 1973 entwickelten Rechtsprechung
abzuweichen, die nunmehr für das EPÜ 2000 bestätigt worden sei. Die
Beschwerdegegnerinnen sind demgegenüber der Ansicht, die Grosse
Beschwerdekammer habe ihre Entscheidung ausschliesslich auf der Grundlage des
EPÜ 2000 getroffen, und habe es ausdrücklich abgelehnt, die Patentierbarkeit
von "Swiss type claims" auf Dosierungsanleitungen unter dem EPÜ 1973 zu
bestätigen, das für das Streitpatent nach wie vor allein massgebend sei.

2.2.3 Das EPÜ 2000 trat, worauf die Beschwerdegegnerinnen zutreffend hinweisen,
erst am 13. Dezember 2007 in Kraft. Nach Art. 1 Ziff. 1 des Beschlusses des
Verwaltungsrats des EPA vom 28. Juni 2001 zu den Übergangsbestimmungen nach
Art. 7 Abs. 1 Satz 2 der Akte zur Revision des EPÜ 1973 (AS 2007 7133) sind
unter anderem die Bestimmungen von Art. 52, 53, 54 Abs. 3 und Abs. 4 EPÜ 2000
zur Frage der Patentierbarkeit auch auf die bei ihrem Inkrafttreten bereits
erteilten europäischen Patente anzuwenden. Gemäss Art. 1 Ziff. 3 des genannten
Beschlusses ist hingegen Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 auf die bei seinem
Inkrafttreten anhängigen europäischen Patentanmeldungen nur anzuwenden, soweit
eine Entscheidung über die Erteilung des Patents noch nicht ergangen ist.
Das Streitpatent wurde am 28. März 2007 erteilt. Damit beurteilt sich die
aufgeworfene Frage der Patentierbarkeit im zu beurteilenden Fall nach den
revidierten Art. 53 lit. c sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000, wohingegen Art. 54
Abs. 5 EPÜ 2000 nicht auf das am 13. Dezember 2007 bereits erteilte
Streitpatent anwendbar ist.
Nach Art. 53 lit. c EPÜ 2000 werden europäische Patente nicht erteilt für
"Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen
oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper
vorgenommen werden" (Satz 1). Dies gilt nach derselben Bestimmung jedoch nicht
"für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in
einem dieser Verfahren" (Satz 2).
Derselbe Vorbehalt ist unter dem Titel "Neuheit" unter anderem in Art. 54 Abs.
4 EPÜ 2000 vorgesehen zugunsten von Stoffen und Stoffgemischen, die bereits
bekannt sind und damit zum Stand der Technik gehören, "sofern sie zur Anwendung
in einem in Art. 53 c)
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genannten Verfahren bestimmt sind und ihre Anwendung in einem dieser Verfahren
nicht zum Stand der Technik gehört".

2.2.4 Die Grosse Beschwerdekammer hielt bereits zu Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973
fest, dass der Patentierungsausschluss der in dieser Bestimmung erwähnten
Verfahren auf sozialethischen Überlegungen und auf Erwägungen im Zusammenhang
mit der öffentlichen Gesundheit beruht, auch wenn damals die Rechtsfiktion der
mangelnden gewerblichen Anwendbarkeit gewählt wurde. Ärzten sollte es nämlich
freistehen, alle ihnen geeignet erscheinenden Massnahmen anzuwenden, um eine
Krankheit zu verhindern oder zu heilen, ohne darin durch Patente gehindert zu
werden. Der Grund für die Überführung des bisher anwendbaren Art. 52 Abs. 4 EPÜ
1973 in Art. 53 lit. c EPÜ 2000 war somit, dass es nicht mehr gerechtfertigt
erschien, den Patentierungsausschluss dieser Verfahren mit der fehlenden
gewerblichen Anwendbarkeit zu begründen (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar
2010, a.a.O., S. 474 f. Ziff. 5.3-5.5; G 1/04 vom 16. Dezember 2005, Amtsblatt
EPA 5/2006 S. 347 Ziff. 3, S. 359 Ziff. 10; vgl. auch Entscheidung G 1/83 vom
5. Dezember 1984, a.a.O., S. 63 Ziff. 22). Die Neufassung von Art. 53 lit. c
EPÜ 2000 ist redaktioneller Natur und bezweckt keine Änderung der bisherigen
Rechtslage (vgl. die Erläuterungen zu den Übergangsbestimmungen des revidierten
EPÜ 2000, Amtsblatt EPA 2001, Sonderausgabe Nr. 4, S. 135 Ziff. 6; zu den
Hintergründen der Neufassung siehe Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010,
a.a.O., S. 475 f. Ziff. 5.5). Auch der revidierte Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000
bewirkte im Vergleich zum früheren Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 unstrittig keine
sachliche Änderung der bisherigen Rechtslage (vgl. die Erläuterungen zu den
Übergangsbestimmungen des revidierten EPÜ 2000, a.a.O., S. 135 Ziff. 6 und 8;
Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 477 f. Ziff. 5.8).
Damit bleiben einerseits die unter dem EPÜ 1973 ergangenen Entscheide der
Beschwerdekammern des EPA von Bedeutung. Andererseits trifft entgegen der
Ansicht der Beschwerdegegnerinnen nicht zu, dass die Entscheidung G 2/08 der
Grossen Beschwerdekammer für das vorliegende Verfahren keine Relevanz habe,
zumal sich diese sowohl mit Art. 53 lit. c sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 als
auch mit der Rechtsprechung zu Art. 52 Abs. 4 und Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973
auseinandersetzt.

2.2.5 Art. 53 lit. c EPÜ 2000 unterscheidet - wie vormals Art. 52 Abs. 4 EPÜ
1973 - zwischen nicht gewährbaren
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Verfahrensansprüchen, die auf eine therapeutische Behandlung gerichtet sind
(Satz 1), und gewährbaren Ansprüchen, die sich auf Erzeugnisse zur Anwendung in
solchen Verfahren beziehen (Satz 2). Die beiden Konzepte des Verfahrens zur
therapeutischen Behandlung einerseits und der Erzeugnisse zur Anwendung in
einem solchen Verfahren müssen je auf den ihnen rechtlich zugewiesenen Bereich
begrenzt werden. Es wäre nicht angebracht, Art. 53 lit. c Satz 2 EPÜ 2000 als
eng auszulegende lex specialis zu Satz 1 aufzufassen. Vielmehr kommt beiden
Bestimmungen dasselbe Gewicht zu, weshalb auf eine therapeutische Behandlung
gerichtete Verfahrensansprüche absolut ausgeschlossen sind, während Ansprüche,
die auf Erzeugnisse zur Anwendung in einem solchen Verfahren gerichtet sind,
gewährt werden, sofern ihr Gegenstand neu und erfinderisch ist (Entscheidung G
2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 477 Ziff. 5.7). Damit sind Art. 53 lit. c
Satz 2 sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 nicht etwa eng auszulegende Ausnahmen vom
absoluten Patentierungsverbot für therapeutische Verfahren (Art. 53 lit. c Satz
1 EPÜ 2000), sondern gleichrangige Vorschriften, die darauf abzielen,
Patentschutz für Arzneimittel grundsätzlich zuzulassen. Entsprechend ist die
Ausnahme von der Patentierbarkeit gemäss Art. 53 lit. c Satz 1 EPÜ 2000, wonach
Verfahren zur therapeutischen Behandlung vom Patentschutz ausgeschlossen sind,
im Zusammenhang mit den (gleichrangigen) Bestimmungen von Art. 53 lit. c Satz 2
sowie Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 auszulegen, die einander nicht ausschliessen,
sondern vielmehr ergänzen (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S.
480 Ziff. 5.9.1.2 sowie S. 486 Ziff. 5.10.9).

2.2.6 Nach Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 (wie schon Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973) werden
Stoffe oder Stoffgemische von der Patentierung nicht ausgeschlossen, obwohl sie
zum Stand der Technik gehören, sofern sie zur Anwendung in einem in Art. 53
lit. c EPÜ 2000 genannten Verfahren bestimmt sind und ihre Anwendung in einem
dieser Verfahren nicht zum Stand der Technik gehört. Für ein Erzeugnis zur
Anwendung in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung kann demnach nicht
nur dann Patentschutz gewährt werden, wenn es an sich neu ist und damit
Gegenstand eines Erzeugnisanspruchs sein kann. Vielmehr ist es als Stoff oder
Stoffgemisch nach Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000 auch dann patentierbar, wenn es an
sich zwar bereits bekannt ist, aber noch nicht in einem Verfahren zur
therapeutischen Behandlung angewendet wurde. Diese erste medizinische
Indikation ist in der Regel Gegenstand breiter allgemeiner Ansprüche
BGE 137 III 170 S. 179
in Form von zweckgebundenen Stoffansprüchen (Entscheidung G 2/08 vom 19.
Februar 2010, a.a.O., S. 477 f. Ziff. 5.8; vgl. CHRISTOPH BERTSCHINGER,
Patentfähige Erfindung, in: Schweizerisches und europäisches Patentrecht, 2002,
§ 4 Rz. 71).

2.2.7 Unter der Geltung des EPÜ 1973 bestand noch keine Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000
vergleichbare Vorschrift, die ausdrücklich einen patentrechtlichen Schutz auch
für Erzeugnisse (Stoffe oder Stoffgemische) vorgesehen hätte, die bereits als
Arzneimittel bekannt sind. Diese Lücke war jedoch von der Grossen
Beschwerdekammer mit der Entscheidung G 1/83 (Entscheidung vom 5. Dezember
1984, a.a.O., S. 60 ff.) und der darauf gestützten Rechtsprechung in
richterlicher Rechtsfortbildung gefüllt worden (Entscheidung G 2/08 vom 19.
Februar 2010, a.a.O., S. 478 Ziff. 5.9). Danach können Patentansprüche in der
sogenannten schweizerischen Anspruchsform für eine zweite oder weitere
medizinische Indikation gewährt werden; sie müssen auf die Verwendung eines
Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines Arzneimittels für eine
"bestimmte neue und erfinderische therapeutische Anwendung" gerichtet sein
(Entscheidung G 1/83 vom 5. Dezember 1984, a.a.O., S. 63 Ziff. 23 sowie
Entscheidformel 2, vgl. dazu auch BERTSCHINGER, a.a.O., § 4 Rz. 72). Dies gilt
selbst für den Fall, dass sich das Herstellungsverfahren als solches nicht von
einem bereits bekannten Verfahren unterscheidet, bei dem der gleiche Wirkstoff
verwendet wird, also wenn sich das aus der beanspruchten Verwendung
hervorgehende Arzneimittel in keiner Weise von einem bekannten Arzneimittel
unterscheidet (Entscheidung G 1/83 vom 5. Dezember 1984, a.a.O., S. 63 Ziff.
20, 23).
Den Beschwerdegegnerinnen kann nicht gefolgt werden, wenn sie die Zulässigkeit
der sogenannten schweizerischen Anspruchsform in Frage stellen wollen, wurde
diese in der Schweiz doch mit Art. 7d PatG sogar ausdrücklich gesetzlich
verankert (vgl. auch PETER HEINRICH, Kommentar zu PatG/EPÜ, 2. Aufl. 2010, N. 1
zu Art. 7d PatG, wonach diese Bestimmung nicht unbedingt nötig gewesen wäre,
jedoch der Klarheit diene). Zudem ist der Entscheid der Grossen
Beschwerdekammer, in der "schweizerischen Anspruchsform" abgefasste Ansprüche
inskünftig nicht mehr zuzulassen, in der mit Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 neu
geschaffenen Anspruchskategorie des zweckgebundenen Stoffschutzes begründet und
betrifft bereits erteilte Patente nicht (Entscheidung 2/08 vom 19. Februar
2010, a.a.O., S. 491 ff. Ziff. 7).
BGE 137 III 170 S. 180
Die im Hinblick auf die Patentierbarkeit erforderliche Neuheit und damit
gegebenenfalls auch die erfinderische Tätigkeit (vgl. Art. 52 Abs. 1 EPÜ 2000)
leiten sich in diesen Fällen nicht vom Stoff oder Stoffgemisch als solchem ab,
sondern von seiner beabsichtigten therapeutischen Verwendung.

2.2.8 Aufgrund der mit der Entscheidung G 1/83 der Grossen Beschwerdekammer
begründeten und seither weiterentwickelten Rechtsprechung zu Art. 54 Abs. 5 EPÜ
1973 (vgl. nunmehr Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000) kann Patentschutz in Form von
"Swiss type claims" auch für eine bestimmte therapeutische Verwendung als
weitere medizinische Indikation gewährt werden, sofern der Patentanspruch auf
die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines
Arzneimittels gerichtet ist. Art. 52 Abs. 4 Satz 1 EPÜ 1973 (nunmehr Art. 53
lit. c Satz 1 EPÜ 2000) steht der Gewährung eines solchen Anspruchs nicht
entgegen, vielmehr wird der Arzneimittel betreffende patentrechtliche Schutz
durch Art. 52 Abs. 4 Satz 2 EPÜ 1973 (Art. 53 lit. c Satz 2 EPÜ 2000) sowie
Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 (Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000) bzw. deren analoge Anwendung
gerade ermöglicht (Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 486 f.
Ziff. 5.10.9; Entscheidung G 1/83 vom 5. Dezember 1984, a.a.O., S. 62 f. Ziff.
21 f.; vgl. auch PEDRAZZINI/HILTI, Europäisches und schweizerisches Patent- und
Patentprozessrecht, 3. Aufl. 2008, S. 129, wonach Art. 53 lit. c EPÜ 2000 bzw.
Art. 2 Abs. 2 lit. a PatG einer Patentierung nicht entgegenstehen, wenn eine
Behandlungsmethode durch einen Erzeugnis- oder einen Verwendungsanspruch
dargestellt ist).
Mit der Grossen Beschwerdekammer ist zudem davon auszugehen, dass die
beschriebene Regelung nicht auf eine neue Indikation im Sinne einer neuen
Krankheit beschränkt ist, sondern selbst dann gilt, wenn die Verwendung eines
bekannten Arzneimittels auf die Behandlung einer Krankheit gerichtet ist, die
mit diesem Stoffgemisch bereits behandelt wurde, sofern diese Behandlung neu
und erfinderisch ist. Dies entsprach bereits unter dem EPÜ 1973 einer ständigen
Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, etwa in Fällen, die eine neue
Gruppe von behandelten Subjekten (T 19/86 vom 15. Oktober 1987, Amtsblatt EPA
1-2/1989 S. 28 Ziff. 8; T 893/90 vom 22. Juli 1993 Ziff. 4.1/4.2; T 233/96 vom
4. Mai 2000 Ziff. 8.7), einen neuen Verabreichungsweg bzw. eine neue
Verabreichungsart (T 51/93 vom 8. Juni 1994 Ziff. 3.1.2; T 138/95 vom 12.
Oktober 1999 Ziff. 4 f.; vgl. auch T 120/03 vom 29. Oktober 2004,
BGE 137 III 170 S. 181
a.a.O., Ziff. 51) oder eine andere technische Wirkung (T 290/86 vom 13.
November 1990, Amtsblatt EPA 8/1992 S. 425 Ziff. 6.1; T 254/93 vom 14. Mai
1997, Amtsblatt EPA 6/1998 S. 291 Ziff. 3) betrafen (Entscheidung G 2/08 vom
19. Februar 2010, a.a.O., S. 485 f. Ziff. 5.10.5-7 mit weiteren Hinweisen;
BENKARD/MELULLIS, in: Europäisches Patentübereinkommen, 2002, N. 231 ff. zu
Art. 54 EPÜ 1973; vgl. auch BERTSCHINGER, a.a.O., § 4 Rz. 87 ff.; HEINRICH,
a.a.O., N. 55 zu Art. 2 PatG/Art. 53 EPÜ 2000). Von diesen Grundsätzen
abzuweichen besteht für das Bundesgericht kein Anlass.

2.2.9 Es ergibt sich somit, dass Patentansprüche in entsprechender Anwendung
von Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 (nunmehr Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000) für eine zweite
oder weitere medizinische Indikation zulässig sind, sofern sie sich auf die
Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines
Arzneimittels für eine bestimmte neue und erfinderische therapeutische
Anwendung richten. Diese Anwendung muss nach der bisherigen, von der Lehre
nicht kritisierten Rechtsprechung des EPA nicht eine andere Krankheit
betreffen, sondern es reicht etwa aus, dass sie sich auf eine neue Gruppe von
behandelten Subjekten oder eine neue Verabreichungsart bezieht (vgl. etwa
BENKARD/MELULLIS, a.a.O., N. 231 ff. zu Art. 54 EPÜ 1973; HEINRICH, a.a.O., N.
55 zu Art. 2 PatG/Art. 53 EPÜ 2000, N. 7 zu Art. 7d PatG/Art. 54 EPÜ 2000;
REINHARD SPANGENBERG, in: Europäisches Patentübereinkommen, Singer/Stauder
[Hrsg.], 5. Aufl. 2010, N. 94 f. zu Art. 54 EPÜ 2000; RAINER MOUFANG, in:
Patentgesetz mit EPÜ, Rainer Schulte [Hrsg.], 8. Aufl. 2008, N. 270 zu Art. 52
EPÜ 2000). Es ist daher kein Grund ersichtlich, weshalb ein angeblich neues
Dosierungsregime bzw. eine bestimmte Dosierungsanleitung für ein bekanntes
Arzneimittel anders zu behandeln wäre als diese anerkannten Merkmale. Die
Patentierbarkeit ist demnach nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das
einzige nicht zum Stand der Technik gehörende Anspruchsmerkmal eine
Dosierungsanleitung ist.
Im Hinblick auf die Patentierbarkeit ist allerdings erforderlich, dass dieses
Dosierungsregime neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Art. 52
Abs. 1 EPÜ 2000). Es reicht daher nicht aus, dass die Definition der
Dosierungsanleitung im Anspruch bloss anders formuliert ist, sie muss vielmehr
eine vom Stand der Technik abweichende technische Lehre beinhalten. Dabei ist
zu betonten, dass ein Dosierungsregime in den allermeisten Fällen naheliegend
BGE 137 III 170 S. 182
sein wird, zumal es bei der Entwicklung von Arzneimitteln auf der Hand liegt,
verschiedene Dosierungen zu untersuchen.

2.2.10 Zum gleichen Ergebnis hinsichtlich der patentrechtlichen Beurteilung von
Dosierungsanleitungen wie das Bundesgericht ist der England and Wales Court of
Appeal in einem Urteil vom 21. Mai 2008 gelangt (in der Streitsache Actavis vs.
Merck ([2008] EWCACiv 444; dazu THIERRY CALAME, Court of Appeal stellt
gefestigte EPA- Praxis über eigenes Präjudiz: Patentschutz für zweite
medizinische Indikation aufgrund neuen Dosierungsregimes bejaht, sic! 12/2008
S. 925 ff.). Dieser - noch vor der Entscheidung G 2/08 der Grossen
Beschwerdekammer des EPA ergangene - Entscheid wurde von der Vorinstanz zwar
berücksichtigt, jedoch zu Unrecht mit der Begründung als nicht einschlägig
erachtet, das Merkmal des Einnahmeintervalls scheine in diesem Entscheid nicht
auf, während es in der vorliegenden Streitsache von massgeblicher Bedeutung
sei. Die Vorinstanz verkennt damit, dass der Court of Appeal mit dem erwähnten
Entscheid - noch unter dem EPÜ 1973 - seine bisherige Rechtsprechung in Bezug
auf Dosierungsregimes nach gründlicher Auseinandersetzung mit der europäischen
Rechtsprechung grundlegend geändert hat und nunmehr Patentschutz für eine
zweite medizinische Indikation zufolge eines neuen Dosierungsregimes bejaht.
Insbesondere stiess er das Präjudiz gemäss dem Entscheid Bristol-Myers Squibb
vs. Baker Norton um, an den sich sowohl der High Court als auch der Court of
Appeal in den von der Vorinstanz aufgeführten Urteilen im Zusammenhang mit dem
Stammpatent zum vorliegenden Streitpatent noch gebunden erachtet hatten. Die
Bedeutsamkeit dieser Praxisänderung wird unterstrichen durch den Umstand, dass
der Court of Appeal in diesem Urteil eine neue Ausnahme von der Bindung an
eigene Entscheide begründete. Damit kommt den beiden von der Vorinstanz
berücksichtigten englischen Entscheiden für das vorliegende Verfahren keine
Bedeutung zu, während die neuste Rechtsprechung eindeutig derjenigen der
Beschwerdekammern des EPA folgt.
Das abweichende Urteil 07/16296 des Tribunal de Grande Instance de Paris vom
28. September 2010 erwähnt demgegenüber zwar den Entscheid G 2/08 der Grossen
Beschwerdekammer, setzt sich damit jedoch nicht auseinander, in der Meinung,
den Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA komme keine Bindungswirkung
zu. Der Entscheid dieses erstinstanzlichen Gerichtes ist daher für das
vorliegende Verfahren ebenso wie der von der Vorinstanz erwähnte
BGE 137 III 170 S. 183
Entscheid Carvedilol II (X ZR 236/01) des Bundesgerichtshofs vom 19. Dezember
2006, der hinsichtlich der Beurteilung von Dosierungsregimes nicht auf die
europäische Rechtsprechung zur Behandlung von "Swiss type claims" eingeht, von
beschränkter Aussagekraft.

2.2.11 Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerinnen ist der Umstand nicht
entscheidend, dass der Grundsatzentscheid G 2/08 der Grossen Beschwerdekammer
des EPA letztlich den neuen Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 betrifft, der auf das
Streitpatent noch nicht anwendbar ist. Die Grosse Beschwerdekammer hat zur
Auslegung dieser Bestimmung massgeblich auf das bisherige Verständnis der Art.
52 Abs. 4 sowie Art. 54 Abs. 5 EPÜ 1973 abgestellt und mit eingehender
Begründung dargelegt, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze
zur Patentierbarkeit mit der Einführung von Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 weiterhin
gelten, da der Gesetzgeber in dieser Hinsicht keine Änderung bezweckte
(Entscheidung 2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 478 ff. Ziff. 5.9 f., siehe
insb. S. 480 Ziff. 5.9.12, S. 486 Ziff. 5.10.8; vgl. auch ANDRÉ ESCHER, Der
Entscheid "dosage regime", sic! 7-8/2010 S. 549 f.). Sie bejahte die
Möglichkeit des Patentschutzes infolge eines neuen Anspruchsmerkmals, das in
einer bestimmten Dosierungsanleitung eines bekannten Arzneimittels besteht,
gerade auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zum EPÜ 1973. Indem Art.
54 Abs. 5 EPÜ 2000 eine "spezifische" Anwendung voraussetzt, bewirkt die
Bestimmung - abgesehen vom voraussichtlich unterschiedlichen Schutzbereich -
keine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage unter der Herrschaft des EPÜ
1973, wonach gemäss der Entscheidformel von G 1/83 eine "bestimmte" neue und
erfinderische therapeutische Anwendung gefordert wurde (Entscheidung 2/08 vom
19. Februar 2010, a.a.O., S. 486 f. Ziff. 5.10.9; vgl. bereits die Entscheidung
T 1020/03 vom 29. Oktober 2004, a.a.O., S. 246 Ziff. 51). Die neuste
Rechtsprechung des EPA ist demnach auch für die Rechtslage unter dem EPÜ 1973
von Bedeutung.

2.2.12 Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass sich unter dem revidierten EPÜ
2000 Unterschiede hinsichtlich des Schutzumfangs ergeben werden. Nach dem neuen
Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 können nunmehr zweckgebundene Stoffansprüche gewährt
werden, die auf den Stoff selbst gerichtet sind, während unter der Herrschaft
des EPÜ 1973 nur Ansprüche in der "schweizerischen Anspruchsform" zugelassen
wurden, also solche, die auf die Verwendung eines
BGE 137 III 170 S. 184
Stoffes zur Herstellung eines Arzneimittels für eine therapeutische Anwendung
gerichtet waren. Es ist zu erwarten, dass sich aus der neuen Anspruchskategorie
des zweckgebundenen Stoffschutzes gemäss Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 für die
Patentinhaber breitere Rechte als bisher ergeben, was nach Ansicht der Grossen
Beschwerdekammer insbesondere dazu führen könnte, dass die Freiheit der Ärzte
eingeschränkt wird, Generika zu verschreiben oder zu verabreichen (Entscheidung
2/08 vom 19. Februar 2010, a.a.O., S. 490 Ziff. 6.5).
Entsprechende Bedenken, die Ärzteschaft werde der Gefahr von
Patentverletzungsklagen ausgesetzt, zumal eine besondere Vorschrift fehle, die
den Arzt gegen Patentverletzungsklagen schützen würde, waren letztlich
ausschlaggebend für den angefochtenen Entscheid der Vorinstanz, Anspruch 1 des
Streitpatents von der Patentierung auszuschliessen. Dabei ist zu bedenken, dass
der hier zur Diskussion stehende Anspruch in der sogenannten schweizerischen
Anspruchsform abgefasst und damit auf die Verwendung von Alendronat zur
Herstellung eines Arzneimittels gerichtet ist, womit sich die Frage einer
möglichen Patentverletzung nicht in gleicher Weise stellt wie beim von der
Grossen Beschwerdekammer erwarteten breiteren Schutzumfang der nach Art. 54
Abs. 5 EPÜ 2000 nunmehr zulässigen zweckbezogenen Stoffansprüche. Insbesondere
gilt es jedoch zu beachten, dass die Unterzeichnerstaaten mit Art. 52 Abs. 4
EPÜ 1973 bzw. Art. 53 lit. c EPÜ 2000 einheitliche Regeln zur Frage der
Patentierbarkeit geschaffen haben, während sich die Frage, ob eine Verletzung
des europäischen Patents vorliegt, nach nationalem Patentrecht richtet (vgl.
Art. 64 Abs. 3 EPÜ 1973/EPÜ 2000). Es kann daher nicht angehen, die
einheitlichen Bestimmungen zur Patentierbarkeit sowie deren Ausnahmen aus dem
Blickwinkel des nationalen Rechts und vor dem Hintergrund des Fehlens
nationaler Bestimmungen auszulegen, die bestimmte - als besonders schützenswert
zu erachtende - Handlungen von der Wirkung des Patents ausnehmen würden. Sollte
in diesem Zusammenhang zum Schutz der ärztlichen Freiheit tatsächlich
Handlungsbedarf bestehen, so wäre auf dem Gesetzgebungsweg eine entsprechende
Ausnahme von der Wirkung des Patents (vgl. Art. 9 PatG) vorzusehen. Es
erscheint daher angebracht, den schweizerischen Gesetzgeber auf die
entsprechende Problematik hinzuweisen. Das Fehlen einer nationalen
Sonderbestimmung, nach der die Behandlungstätigkeit des Arztes generell nicht
als Patentverletzung erachtet würde, kann aber nicht als Argument für eine
abweichende Auslegung des Europäischen
BGE 137 III 170 S. 185
Patentübereinkommens und eine Erweiterung der Ausnahmen von der
Patentierbarkeit nach den vereinheitlichten Regeln des EPÜ dienen.

3. Die Vorinstanz hat ein neues Dosierungsregime zu Unrecht als generell
patentierungsunfähig angesehen. Sie hat Anspruch 1 des Streitpatents zu Unrecht
unter die Ausnahme von der Patentierbarkeit gemäss Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 bzw.
Art. 53 lit. c EPÜ 2000 subsumiert. Der angefochtene Entscheid vom 14. April
2009 ist demnach aufzuheben und die Streitsache ist zur Beurteilung der
weiteren Voraussetzungen der Patentierbarkeit, insbesondere der Neuheit und der
erfinderischen Tätigkeit (vgl. Art. 52 Abs. 1 EPÜ 2000), an die Vorinstanz
zurückzuweisen.