Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 137 III 123



Urteilskopf

137 III 123

20. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y.
(Beschwerde in Zivilsachen)
4A_622/2010 vom 21. Februar 2011

Regeste

Kündigung von mehreren separaten Mietverträgen über in funktionalem
Zusammenhang stehende Mietobjekte wegen Zahlungsverzugs, wenn der
Zahlungsrückstand nicht alle Mietobjekte betrifft (Art. 253a Abs. 1 und Art.
257d OR).
Darf der Vermieter, wenn für eine Wohnung und zwei damit in funktionalem
Zusammenhang stehende Parkplätze je separate Mietverträge bestehen, auch den
Vertrag betreffend die Wohnung zufolge Zahlungsrückstands kündigen, wenn dieser
nur die Parkplätze betrifft (E. 1, 1.1 und 2)?

Erwägungen ab Seite 123

BGE 137 III 123 S. 123
Aus den Erwägungen:

1. Die Vorinstanz hielt fest, ein Mietzinsrückstand habe einzig bezüglich der
Parkplätze, nicht aber bezüglich der Wohnung bestanden, was die
Beschwerdeführerin nicht beanstandet. Sie vertritt
BGE 137 III 123 S. 124
jedoch wie bereits im kantonalen Verfahren den Standpunkt, dieser Rückstand
habe sie berechtigt, nach unbenütztem Ablauf einer angesetzten Zahlungsfrist
gestützt auf Art. 257d OR auch die Wohnung zu kündigen.

1.1 Die Vorinstanz erwog, dies wäre dann der Fall, wenn über die Wohnung und
die Parkplätze ein einheitliches Mietverhältnis zustande gekommen wäre, dessen
einzelne Teile, die Wohnung und die beiden Parkplätze, nicht isoliert hätten
gekündigt werden können. Ob von einem einheitlichen Mietverhältnis auszugehen
sei, bestimme sich in Auslegung der Verträge, primär also nach dem Willen der
Vertragsparteien (Art. 18 Abs. 1 OR). Diese hätten diesbezüglich keine
ausdrückliche Regelung getroffen. Die Vorinstanz legte daher die von den
Parteien getroffenen Vereinbarungen normativ aus und berücksichtigte dabei,
dass die Parteien die Überlassung zum Gebrauch dreier Objekte zu drei
verschiedenen Zeitpunkten vereinbart hätten, wobei jede Vertragsurkunde für
jedes einzelne Objekt einen umfassenden Mietvertrag enthalte, ohne dass für
einzelne Punkte auf einen anderen Vertrag verwiesen würde. Die
Beschwerdeführerin habe denn auch jedes Objekt mittels eines eigenen amtlichen
Formulars gekündigt. Die für die Parkplätze vereinbarten Kündigungsfristen
entsprächen den Mustermietverträgen diverser Hauseigentümerverbände, offenbar
auch des zürcherischen. Im Unterschied zum Mietvertrag über die Wohnung sähen
die Parkplatzmietverträge einen dritten Kündigungstermin Ende Juni vor, was
eine flexiblere Kündbarkeit bedeute. Auch wenn zwischen der gemieteten Wohnung
und den gemieteten Parkplätzen ein funktioneller Zusammenhang bestehe, weil die
Beschwerdegegnerin die Parkplätze wohl im Hinblick auf ihren Wohnort gemietet
habe, verbiete sich unter den gegebenen Umständen die Annahme eines
einheitlichen Mietverhältnisses, sei doch denkbar, dass beide Parteien an einer
separaten Kündigung der Parkplätze interessiert gewesen sein könnten.
(...)

2. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, die Bedeutung des
funktionellen Zusammenhangs zwischen Haupt- und Nebensache (der Wohnung und den
Parkplätzen) verkannt und dadurch sowohl gegen Art. 253a OR als auch gegen die
bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 125 III 231) verstossen zu haben. Auf
das zeitliche Auseinanderfallen der Abschlüsse der Verträge über Haupt- und
Nebensache komme es nicht an, weshalb im Rahmen der Vertragsauslegung nicht
darauf zurückgegriffen werden dürfe.
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2.1 In BGE 125 III 231 hatte das Bundesgericht die Gültigkeit der Kündigung von
Autoeinstellplätzen zu beurteilen, die sich in unmittelbarer Nähe der Wohnräume
befanden, welche die Parkplatzmieter vom gleichen Vermieter ebenfalls gemietet
hatten. Der funktionelle Zusammenhang zwischen den Mietsachen war demnach
gegeben. Dass die Verträge über die Einstellplätze später als jene über die
Mietwohnungen abgeschlossen worden waren, erachtete das Bundesgericht für
unerheblich. Es hielt dafür, die Autoabstellplätze seien dem Beklagten im Sinne
von Art. 253a Abs. 1 OR mitvermietet (BGE 125 III 231 E. 2b S. 233 f.). Dennoch
liess das Bundesgericht im Hinblick darauf, dass für die Haupt- und die
Nebensache formell selbständige Verträge abgeschlossen worden waren, für die
separat vermieteten Nebensachen die Kündigung mit amtlich genehmigtem Formular
genügen, ohne dass es einer Mietvertragsänderung gemäss Art. 269d OR bedürfte.
Dies wurde damit begründet, dass der Mieter, wenn die Vertragsänderung im
Entzug einer Nebensache besteht, im Regelfall keiner weiteren Grundlagen für
die Neuberechnung über die Aufteilung des bisherigen Entgelts auf die
verbleibende Mietsache bedürfe. Der Mieter verfüge bereits aufgrund des
Vertrages über die nötigen Informationen, welche ihm im Verfahren nach Art.
269d Abs. 2 OR bekannt gegeben werden müssten. Eine sachgerechte Anfechtung sei
ihm daher möglich (BGE 125 III 231 E. 3e S. 237 f.). Das Bundesgericht mass
mithin trotz funktional zusammengehöriger Mietobjekte dem Umstand, dass
separate Verträge darüber abgeschlossen worden waren, Bedeutung bei und
erkannte, dass dem bei einheitlicher Betrachtungsweise mit der
Änderungskündigung verfolgten Schutzzweck im Ergebnis bereits Genüge getan war.
Eine schematische Berücksichtigung des funktionalen Zusammenhangs ungeachtet
des Schutzzwecks der einschlägigen Norm erschien als unangebracht. Insoweit
kommt dem genannten Präjudiz allgemeine Tragweite zu.

2.2 Zur Debatte steht die Gültigkeit einer ausserordentlichen Kündigung zufolge
Zahlungsverzugs nach Art. 257d OR. Umstritten ist, ob die ausserordentliche
Kündigung einer Wohnung wegen Zahlungsrückstandes hinsichtlich funktional
zugehöriger, aber separat zugemieteter Parkplätze zulässig ist. Im Lichte
dieser Konstellation ist die Frage zu beantworten, ob sämtliche separat
abgeschlossenen Verträge über funktional zusammengehörende Mietobjekte
einheitlicher Behandlung bedürfen oder ob sie sinnvollerweise einem isolierten
Schicksal unterstellt werden müssen. Dies kann nicht losgelöst von der
Interessenlage der Parteien geschehen. Haben die Parteien für
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Haupt- und Nebensachen je eigene, voneinander unabhängige Verträge
abgeschlossen und wird der Mieter lediglich mit der Bezahlung des Mietzinses
für eine Nebensache säumig, ist zu prüfen, ob die einzelnen Teile
sinnvollerweise auch für sich selbst Bestand haben können, d.h. ob unter den
gegebenen Umständen die betreffenden Mietobjekte auch unabhängig voneinander
genutzt bzw. vermietet werden können. Handelt es sich beim Hauptmietvertrag um
eine Wohn- oder Geschäftsmiete, darf nicht ausser Acht bleiben, dass der Mieter
erhöhten Schutzes bedarf. Eine isolierte Betrachtung ist umso eher
gerechtfertigt, wenn der Vermieter seinerseits grundsätzlich in der Lage ist,
die Nebensache selbständig anderweitig zu vermieten, nachdem er das
Mietverhältnis zufolge diesbezüglichen Zahlungsverzugs aufgelöst hat. Unter
derartigen Umständen erscheint nicht sinnvoll, von der Interessenlage der
Parteien abzusehen und einzig auf die funktionelle Beziehung zwischen den
einzelnen Vertragsgegenständen abzustellen. Richtig ist zwar, dass gemäss
bundesrätlicher Botschaft zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27. März
1985 (BBl 1985 I 1421 f. Ziff. 421.101 zu Art. 253a OR), auf welche sich die
Beschwerdeführerin stützt, die Bestimmungen über die Wohn- und Geschäftsräume
auch für diejenigen Sachen gelten, die zusammen mit solchen Räumen vermietet
werden (z.B. Zugehör, Garagen, Einstellplätze, Parkplätze im Freien, Möbel,
Estrich- oder Kellerabteile, Mansarden, Bastelräume und Schaukasten) und dass
nach der Botschaft nicht massgebend sein soll, ob ein besonderer Vertrag
abgeschlossen wird oder nicht und ob dies gegebenenfalls gleichzeitig oder zu
verschiedenen Zeitpunkten geschehen ist, sondern vielmehr, dass die Sachen vom
Vermieter demselben Mieter überlassen werden und dass ihr Gebrauch mit dem des
Hauptmietobjektes zusammenhängt. Begründet wird diese Auffassung aber damit,
dass es in solchen Fällen wenig sinnvoll wäre, wenn für die hinzugemietete
Mansarde oder Garage andere Auflösungsbestimmungen gälten als für die Wohnung
oder die Geschäftslokalität. Auch nach der Botschaft ist mithin entscheidend,
ob eine die diversen Mietobjekte zusammenfassende rechtliche Beurteilung
sinnvoll ist oder nicht. Dies wiederum kann einzig mit Blick auf die Interessen
der beteiligten Parteien entschieden werden, in welchem Lichte die formalen
Kriterien zu prüfen sind.

2.3 Gemäss den getroffenen Vereinbarungen können die Parkplätze auf einen
Zeitpunkt gekündigt werden, auf welchen eine Wohnungskündigung nicht zulässig
ist. Daraus leitet die Vorinstanz zutreffend
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ab, die Parteien hätten insoweit ein unterschiedliches Schicksal der beiden
Verträge in Kauf genommen. Ebenso indiziert der Umstand, dass die Parkplätze
von der Beschwerdegegnerin erst etwa zwei Jahre nach Mietantritt der Wohnung
hinzugemietet wurden, dass für beide Parteien eine Gesamtmiete nicht
unerlässlich ist. Die Beschwerdeführerin zeigt denn auch nicht auf, weshalb für
sie unzumutbar sein soll, die Wohnung und die Parkplätze getrennt zu vermieten.
Dass es hingegen die Beschwerdegegnerin besonderes hart treffen würde, wenn sie
aufgrund des lediglich die Abstellplätze betreffenden Mietzinsausstandes nicht
nur das Recht verlieren würde, die vom Zahlungsrückstand betroffenen
Mietobjekte, sondern auch die Wohnung weiter zu benutzen, bedarf keiner
weiteren Erörterung. Die Vorinstanz erarbeitete somit eine sinnvolle und damit
Art. 253a Abs. 1 OR entsprechende Lösung, indem sie der formellen
Selbständigkeit der Verträge Rechnung trug. Wie zu entscheiden wäre, wenn sich
der Ausstand nicht klar einem Mietobjekt zuordnen liesse, für das ein
gesonderter Vertrag besteht, ist nicht zu prüfen.