Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 V 95



Urteilskopf

136 V 95

12. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen
Regionales Arbeitsvermittlungszentrum Sargans (RAV) (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_5/2009 vom 2. März 2010

Regeste

Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 3 AVIV; Art. 70 Abs. 2 lit.
b ATSG; Koordination zwischen Arbeitslosen- und Invalidenversicherung.
Eine bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldete, ganz
arbeitslose, aber aus gesundheitlichen Gründen nur teilzeitlich arbeitsfähige
Person, die bereit ist, im Umfang der ärztlich attestierten Arbeitsfähigkeit
eine Stelle anzunehmen, hat aufgrund der Vorleistungspflicht der
Arbeitslosenversicherung Anspruch auf eine volle Arbeitslosenentschädigung (E.
5-7).

Sachverhalt ab Seite 96

BGE 136 V 95 S. 96

A. Der 1977 geborene A. war seit 1. Oktober 2004 als Maschinenführer für die V.
AG tätig. Seit einem Arbeitsunfall vom 17. Januar 2006 konnte er diese
Beschäftigung nicht mehr ausüben, weshalb die Gesellschaft das
Arbeitsverhältnis per 31. Oktober 2006 durch Kündigung auflöste. Die Agrisano
Krankenkasse richtete Krankentaggelder aus. Mit Schreiben vom 17. Juli 2007
kündigte sie per 23. Juli 2007 eine Reduktion der Taggeldzahlungen auf 50 % an.
Am 14. August 2007 meldete sich A. bei der Arbeitslosenversicherung zur
Arbeitsvermittlung an. In seinem Antrag auf Arbeitslosenentschädigung vom 20.
August 2007 gab er an, er sei bereit und in der Lage, teilzeitlich, höchstens
im Umfang eines 50%igen Arbeitspensums, erwerbstätig zu sein. Die Kantonale
Arbeitslosenkasse St. Gallen leistete Taggelder auf der Basis eines
anrechenbaren Arbeitsausfalls von 50 % (bzw. auf der Basis eines versicherten
Verdienstes von Fr. 2'275.- [50 % von Fr. 4'550.-]). Am 28. Februar 2008 liess
A. mitteilen, auf den 17. März 2008 werde er bei seiner
Krankentaggeldversicherung ausgesteuert, und, mit Hinweis auf die
Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung, um Anpassung der
Arbeitslosentaggelder ersuchen. Das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum
Sargans (RAV) verfügte daraufhin am 24. April 2008, der anrechenbare
Arbeitsausfall betrage nach wie vor 50 %, womit A. im "Umfang von fünfzig
Prozent vermittlungsfähig" sei. Daran hielt es auf Einsprache hin fest
(Einspracheentscheid vom 19. Mai 2008).

B. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die dagegen erhobene
Beschwerde ab (Entscheid vom 24. Oktober 2008).

C. A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem
Antrag, "die Vermittlungsfähigkeit bzw. der anrechenbare Arbeitsausfall" sei ab
18. März 2008 auf 100 % festzulegen und es seien ihm entsprechende
Arbeitslosentaggelder auszurichten.
Das RAV reicht keine Vernehmlassung ein. Das Staatssekretariat für Wirtschaft
(SECO) schliesst auf Gutheissung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur
Neufestsetzung der Arbeitslosenentschädigung an das RAV zurück.
BGE 136 V 95 S. 97

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

5.

5.1 Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG (SR 837.0) in Verbindung mit Art. 15 Abs.
1 AVIG hat der Versicherte Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn er
(unter anderem) vermittlungsfähig ist, d.h. wenn er bereit, in der Lage und
berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen und an
Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen. Der Begriff der Vermittlungs(un)
fähigkeit als Anspruchsvoraussetzung schliesst graduelle Abstufungen aus.
Entweder ist die versicherte Person vermittlungsfähig, insbesondere bereit,
eine zumutbare Arbeit (im Umfang von mindestens 20 % eines
Normalarbeitspensums; vgl. Art. 5 AVIV [SR 837.02] und BGE 120 V 385 E. 4c/aa
S. 390) anzunehmen, oder nicht (BGE 126 V 124 E. 2 S. 126; BGE 125 V 51 E. 6a
S. 58). Die Vermittlungsfähigkeit kann sich dabei beispielsweise auf ein
kleineres Pensum beziehen, während sie für ein höheres Pensum nicht gegeben
sein kann; im Rahmen eines bestimmten (mindestens 20%igen) Pensums kann die
Vermittlungsfähigkeit indessen nur erfüllt oder nicht erfüllt sein.

5.2 Im Falle eingeschränkter Leistungsfähigkeit ist zu unterscheiden zwischen
vorübergehend fehlender oder verminderter Arbeitsfähigkeit im Sinne von Art. 28
AVIG und den behinderten Versicherten im Sinne von Art. 15 Abs. 2 AVIG. Beide
Tatbestände sind Ausnahmen vom Grundprinzip der Arbeitslosenversicherung,
wonach Leistungen nur bei Vermittlungsfähigkeit der Versicherten in Betracht
kommen. Über das Merkmal der vorübergehenden Einschränkung in der
Arbeitsfähigkeit erfolgt die Abgrenzung zu den Behinderten im Sinne von Art. 15
Abs. 2 AVIG (BGE 126 V 124 E. 3a und b S. 127; THOMAS NUSSBAUMER,
Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007,
S. 2264 Rz. 280). Bei länger andauernder gesundheitlicher Beeinträchtigung ist
die Vermittlungsfähigkeit (Art. 15 AVIG) massgebendes Abgrenzungskriterium.
Nach Art. 15 Abs. 2 Satz 1 AVIG gilt der körperlich oder geistig Behinderte als
vermittlungsfähig, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage, unter
Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit
vermittelt werden könnte. Bestehen erhebliche Zweifel an der Arbeitsfähigkeit
eines Arbeitslosen, so kann die kantonale Amtsstelle eine vertrauensärztliche
Untersuchung auf Kosten der Versicherung anordnen (Art. 15 Abs. 3 AVIG). Die
Kompetenz zur Regelung der Koordination mit
BGE 136 V 95 S. 98
der Invalidenversicherung ist in Art. 15 Abs. 2 Satz 2 AVIG dem Bundesrat
übertragen worden. Dieser hat in Art. 15 Abs. 3 AVIV festgelegt, dass ein
Behinderter (nachfolgend auch als "Neubehinderter" bezeichnet, womit ein
Behinderter gemeint ist, bei welchem die Frage der IV-Rentenberechtigung bzw.
der Leistungsanspruch bei einer anderen Versicherung noch nicht abgeklärt ist:
GERHARD GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz [AVIG], Bd. I
[Art. 1-58], 1988, N. 93 zu Art. 15 AVIG), der unter der Annahme einer
ausgeglichenen Arbeitsmarktlage nicht offensichtlich vermittlungsunfähig ist,
und der sich bei der Invalidenversicherung (oder einer anderen Versicherung
nach Art. 15 Abs. 2 AVIV) angemeldet hat, bis zum Entscheid der anderen
Versicherung als vermittlungsfähig gilt.

5.3 Art. 70 Abs. 1 ATSG (SR 830.1) sieht vor, dass die berechtigte Person
Vorleistung verlangen kann, wenn ein Versicherungsfall einen Anspruch auf
Sozialversicherungsleistungen begründet, aber Zweifel darüber bestehen, welche
Sozialversicherung die Leistungen zu erbringen hat. Gemäss Art. 70 Abs. 2 lit.
b ATSG ist die Arbeitslosenversicherung für Leistungen, deren Übernahme durch
die Arbeitslosenversicherung, die Krankenversicherung, die Unfallversicherung
oder die Invalidenversicherung umstritten ist, vorleistungspflichtig.

6.

6.1 Das kantonale Gericht qualifiziert den Versicherten für eine ein 50%-Pensum
übersteigende Stelle als offensichtlich vermittlungsunfähig und anerkennt eine
Vermittlungsfähigkeit in Bezug auf eine 50%ige Teilzeittätigkeit.
Dementsprechend geht es von einem hälftigen Taggeldanspruch aus. Indem in Art.
15 Abs. 3 AVIV die Vermittlungsfähigkeit der offensichtlichen
Vermittlungsunfähigkeit gegenübergestellt wird und nicht von teilweiser oder
gradueller Vermittlungsfähigkeit die Rede ist, kann sich die vom kantonalen
Gericht vorgenommene Differenzierung jedenfalls nicht auf den Wortlaut der
Verordnungsbestimmung stützen.

6.2 Aus der Botschaft vom 2. Juli 1980 zu einem neuen Bundesgesetz über die
obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (BBl
1980 III 489) geht hervor, dass die Ausrichtung von Leistungen an arbeitslose
Kranke oder Behinderte infolge der Vernehmlassungen von Grund auf neu überdacht
und mit Art. 15 und 28 (gemäss Entwurf des Bundesrates: Art. 14 und 27) AVIG
BGE 136 V 95 S. 99
"grosszügig ausgestaltet" worden ist (BBl 1980 III 549 Ziff. 273). Das
Erfordernis der Vermittlungsfähigkeit als einer der zentralen Punkte der
Arbeitslosenversicherung sei bei Behinderten stark abgeschwächt und in
Beziehung zu ihrer Behinderung gesetzt worden (BBl 1980 III 567 f. zu Art. 14
E-AVIG). Dem Protokoll der Sitzung (der vorberatenden Kommission des
Nationalrates) vom 25. August 1980 lässt sich entnehmen, dass nach
Koordinationsmöglichkeiten mit der Invalidenversicherung gesucht wurde. Mit der
neuen Regelung sollte erreicht werden, dass einerseits die Aufgaben zwischen
Arbeitslosen- und Invalidenversicherung klar aufgeteilt sind, und anderseits
verhindert werden, dass die von einer Invalidität betroffenen Personen
"zwischen Stuhl und Bank" fallen. In der Detailberatung der Eidg. Kammern
stellte Nationalrat Leuenberger Antrag auf Aufnahme eines Art. 15 (bzw. gemäss
Entwurf des Bundesrates: Art. 14) Abs. 4 AVIG, wonach die Kasse Taggelder bis
zur Ablösung durch eine andere Sozialversicherung vorzuschiessen habe, wenn dem
Versicherten aufgrund dieser Untersuchung (gemeint ist die vertrauensärztliche
Untersuchung nach Art. 15 Abs. 3 AVIG) die Vermittlungsfähigkeit abgesprochen
wurde, wobei sie im Ausmass ihrer Leistungen in die Rechte des Arbeitslosen
eintrete (AB 1981 N 629 f.). Nach seinem Votum ist der vertrauensärztliche
Befund gemäss Art. 15 Abs. 3 AVIG nicht mit einer Abklärung bezüglich
Invalidität identisch, weshalb die betroffene Person (in diesem Zeitpunkt) auch
keine Leistungen der Invalidenversicherung erhalte. Mit dem beantragten Abs. 4
solle erreicht werden, dass die Kasse so lange Vorschussleistungen erbringe,
bis die Betroffenen in den Genuss der Leistungen der Invalidenversicherung
kämen. Andernfalls würden die Versicherten ausgerechnet in der schwierigsten
Zeit keine Taggelder erhalten, was nicht Sinn des Abs. 3 sein könne, weil sie
ja schliesslich vorher gearbeitet und Beiträge an die Arbeitslosenkasse
geleistet hatten. Der Antrag fand in der Folge keine Ratsmehrheit. Allerdings
hat Bundesrat Honegger vorgängig der Abstimmung ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass bezüglich Konkurrenz zwischen Arbeitslosen- und
Invalidenversicherung gemäss Art. 15 Abs. 2 AVIG der Bundesrat die Koordination
mit der Invalidenversicherung regle und hier "mit Herrn Leuenberger keine
grossen Differenzen" bestehen würden (AB 1981 N 630).

6.3 GERHARDS (a.a.O., N. 99 zu Art. 15 AVIG) erwähnt ebenfalls (vgl. den
Hinweis auf das Protokoll der Sitzung der vorberatenden Kommission des
Nationalrates vom 25. August 1980 in E. 6.2 hiervor),
BGE 136 V 95 S. 100
dass der Behinderte, vor allem mit Blick auf die lange Wartezeit bei der
Invalidenversicherung, nicht "zwischen Stuhl und Bank fallen" solle. Dies
verhindere Art. 15 Abs. 3 AVIV, aus welchem sich eine Vorleistungspflicht der
Arbeitslosenversicherung ergebe. Unter den Bedingungen von Art. 15 Abs. 2 AVIG
gelte ein Neubehinderter entweder grundsätzlich oder überhaupt nicht als
vermittlungsfähig. Denn zur Verhinderung von Entschädigungslücken solle er
zunächst einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung besitzen, wie wenn er
nicht behindert wäre. Bei der Berechnung der Entschädigung werde nicht nach dem
"Grad der Vermittlungsfähigkeit" gefragt (GERHARDS, a.a.O., N. 94 zu Art. 15
AVIG; in diesem Sinne wohl auch NUSSBAUMER, a.a.O., S. 2265 Rz. 283, und UELI
KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 21 f. zu Art. 70 ATSG). Auch
JACQUES-ANDRÉ SCHNEIDER (LAI,perte de gain maladie et LACI: quel suivi
individualisé pour l'assuré?, in: 5^e révision de l'AI, Kahil-Wolff/Simonin
[Hrsg.], 2009, S. 78) ist der Ansicht, die arbeitslose Personhabe Anspruch auf
Arbeitslosentaggelder, basierend auf einem 100%igen Arbeitsausfall, falls sie
nicht offensichtlich als vermittlungsunfähig erscheine und bereit sei, eine
ihrer - nicht notwendigerweise ärztlich attestierten - eingeschränkten
Arbeitsfähigkeit entsprechende Anstellung zu suchen bzw. anzunehmen. Es handle
sich um eine provisorische oder vorsorgliche Kostentragung, durch welche
vermieden werden solle, dass arbeitslose Personen während der Dauer der
notwendigen Abklärungen durch die Invalidenversicherung auf
Versicherungsleistungen verzichten müssten.

6.4 Die Weisungen des SECO zu Art. 15 Abs. 3 AVIV sind klar. Nach Ziffer B254
des Kreisschreibens des SECO über die Arbeitslosenentschädigung (KS ALE),
gültig ab Januar 2007, ist das Taggeld auf der Basis eines 100%igen
Arbeitsausfalls festzulegen, falls nicht von offensichtlicher
Vermittlungsunfähigkeit auszugehen und die versicherte Person grundsätzlich
bereit ist, im Umfang der allenfalls ärztlich festgestellten Arbeitsfähigkeit
eine als zumutbar erachtete Arbeit anzunehmen, wobei sich die geäusserte
Bereitschaft in den Arbeitsbemühungen widerspiegeln muss, ansonsten Sanktionen
zu verfügen sind. Die Arbeitsbemühungen müssen sich auf Stellen beziehen, die
hinsichtlich Umfang und Anforderungen zumutbar sind für die versicherte Person
(gleichlautend: Weisung ALE 015-AVIG-Praxis 2005/29 des SECO betreffend
Koordination ALV-IV; http://tecnet.seco.admin.ch).
BGE 136 V 95 S. 101

7.

7.1 Art. 15 Abs. 2 AVIG statuiert die gesetzliche Vermutung der grundsätzlich
gegebenen Vermittlungsfähigkeit von Behinderten. Der Bundesrat regelt die
Koordination mit der Invalidenversicherung (Art. 15 Abs. 2 letzter Satz AVIG),
was er in Art. 15 Abs. 3 AVIV getan hat. Wie sich bereits aus dem
Gesetzeswortlaut und der Verordnungsbestimmung selbst, aber auch aus den
Materialien zur Entstehung des Art. 15 Abs. 2 AVIG ergibt, liegt der Sinn und
Zweck von Art. 15 Abs. 3 AVIV darin, für die Zeit, in welcher der Anspruch auf
Leistungen einer anderen Versicherung abgeklärt wird und somit noch nicht
feststeht (Schwebezustand), Lücken im Erwerbsersatz zu vermeiden. Dies wird
durch die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung im Sinne von Art. 70
Abs. 2 lit. b ATSG und Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 3
AVIV bewerkstelligt. Aufgrund dieser Bestimmungen hat die
Arbeitslosenversicherung arbeitslose, bei einer anderen Versicherung
angemeldete Personen zu entschädigen, falls ihre Vermittlungsunfähigkeit nicht
offensichtlich ist. Dieser Anspruch auf eine ungekürzte
Arbeitslosenentschädigung besteht namentlich, wenn die voll arbeitslose Person
nurmehr aus gesundheitlichen Gründen lediglich noch teilzeitlich arbeiten
könnte, solange sie im Umfang der ihr ärztlicherseits attestierten
Arbeitsfähigkeit eine Beschäftigung sucht und bereit ist, eine neue Anstellung
mit entsprechendem Pensum anzutreten. Die Vorleistungspflicht der
Arbeitslosenversicherung gemäss Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG und Art. 15 Abs. 3
AVIV ist auf die Dauer des Schwebezustandes begrenzt, denn sobald das Ausmass
der Erwerbsunfähigkeit feststeht, wird der versicherte Verdienst (Art. 23 Abs.
1 AVIG in Verbindung mit Art. 37 AVIV) - gemäss Art. 25 ATSG in Verbindung mit
Art. 95 Abs. 1 sowie Abs. 1^bis AVIG - im Sinne von Art. 40b AVIV angepasst (
BGE 133 V 530 E. 4.1.2 S. 534). Bei Versicherten, die unmittelbar vor oder
während der Arbeitslosigkeit eine gesundheitsbedingte Beeinträchtigung ihrer
Erwerbsfähigkeit erleiden, ist nämlich gemäss Art. 40b AVIV der Verdienst
massgebend, welcher der verbleibenden Erwerbsfähigkeit entspricht. Art. 40b
AVIV betrifft die Abgrenzung der Zuständigkeit der Arbeitslosenversicherung
gegenüber anderen Versicherungsträgern nach Massgabe der Erwerbsfähigkeit. Mit
dieser Verordnungsbestimmung wird die Leistungspflicht der
Arbeitslosenversicherung auf einen Umfang beschränkt, welcher sich nach der
verbleibenden Erwerbsfähigkeit der versicherten Person während der Dauer der
BGE 136 V 95 S. 102
Arbeitslosigkeit auszurichten hat (BGE 133 V 524). Der Sinn der
vollumfänglichen Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung während der
Dauer des Schwebezustandes liegt in der Gewährleistung des Lebensunterhaltes
der arbeitslosen Neubehinderten bis zum Abschluss des Verfahrens der
Invalidenversicherung (oder der anderenVersicherung im Sinne von Art. 15 Abs. 3
in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 AVIV). Es ist den Ausführungen des SECO in
seiner Vernehmlassung beizupflichten, dass Neubehinderte zur Verhinderung von
Entschädigungslücken zunächst einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung
besitzen sollen, wie wenn sie nicht behindert wären (GERHARDS, a.a.O., N. 94 zu
Art. 15 AVIG). In dieser Phase kann bei der Berechnung der
Arbeitslosentaggelder die verbleibende Erwerbsfähigkeit noch nicht
berücksichtigt werden, weil die diesbezüglichen Abklärungen bei der
Invalidenversicherung (oder eineranderen Versicherung) noch nicht abgeschlossen
sind. Die Erwerbsfähigkeit kann auch nicht mit der subjektiven oder der
ärztlich attestierten Arbeitsfähigkeit gleichgesetzt werden. Deshalb gelten
Neubehinderte entweder grundsätzlich oder überhaupt nicht als
vermittlungsfähig. Erst wenn die Erwerbsfähigkeit von der anderen Versicherung
abgeklärt ist, erfolgt die Koordination über Art. 40b AVIV.

7.2 Das SECO weist zu Recht darauf hin, dass eine vorgängige Korrektur der
Taggeldhöhe nach Massgabe des "Grades der Vermittlungsfähigkeit" im Sinne des
angefochtenen Gerichtsentscheides die koordinationsrechtlichen Bestimmungen
(Art. 15 Abs. 2 AVIG, Art. 15 Abs. 3 AVIV und Art. 70 Abs. 1 ATSG) ihres Sinnes
entleeren würde. Die Bestimmung des "Vermittlungsfähigkeitsgrades" könnte zudem
nur gestützt auf die ärztlich attestierte Teilarbeitsfähigkeit - welche für
sich allein keine Rückschlüsse auf die Erwerbsunfähigkeit zulässt - erfolgen.
Allein die Erwerbsfähigkeit ist allerdings für die Anpassung der Leistungen von
behinderten Personen massgebend. Das SECO führt zutreffend aus, dass das
Abstellen auf die Erwerbsfähigkeit im Rahmen der Anwendung von Art. 40b AVIV
auch zur Berücksichtigung der Arbeitsfähigkeit führt, welche sowohl Teilaspekt
der Erwerbs- als auch der Vermittlungsfähigkeit bildet. So würde wohl die
vorgängige Anpassung der Taggelder an den "Grad der Vermittlungsfähigkeit" nach
Massgabe der Arbeitsfähigkeit bei anschliessender Korrektur im Sinne von Art.
40b AVIV eine mehrfache Berücksichtigung des Aspekts der Arbeitsfähigkeit
bedeuten. Für das SECO ist demzufolge fraglich, ob die
BGE 136 V 95 S. 103
durch die Invalidenversicherung festgestellte Erwerbsunfähigkeit in demjenigen
Ausmass, in welchem diese durch die Arbeitsunfähigkeit bestimmt sei, noch als
neue Tatsache im revisionsrechtlichen Sinne qualifziert werden könne und
demgemäss Art. 40b AVIV in diesem Umfang Anwendung finden würde. Wie es sich
damit verhält, kann an dieser Stelle offenbleiben. Der in der Vernehmlassung
des SECO geäusserte Einwand der Rechtsungleichheit bei einer vorgängigen
Anpassung der Arbeitslosentaggelder an den "Grad der Vermittlungsfähigkeit"
lässt sich jedenfalls nicht von der Hand weisen. Die Höhe der
Arbeitslosenentschädigung würde nämlich bei der vom kantonalen Gericht
gewählten Vorgehensweise von der Art der Behinderung abhängen: Während
Neubehinderte, welche unfähig sind, vollzeitlich bzw. im ursprünglich
ausgeübten Pensum tätig zu sein, lediglich eine Teilarbeitslosenentschädigung
im Ausmass des der Teilarbeitsfähigkeit entsprechenden "Grades der
Vermittlungsfähigkeit" beziehen könnten, würde denjenigen Neubehinderten,
welche in einzelnen (leidensangepassten) Beschäftigungen vollständig
arbeitsfähig sind, ein volles Arbeitslosentaggeld ausgerichtet, obwohl in
beiden Fallbeispielen das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit gleich hoch sein kann.

7.3 Die Vermittlungsfähigkeit im Sinne von Art. 15 Abs. 1 AVIG beschlägt drei
Elemente, wovon die Arbeitsfähigkeit und die Arbeitsberechtigung objektiver
Natur sind, die Frage der Vermittlungsbereitschaft jedoch subjektiver Natur
(NUSSBAUMER, a.a.O., S. 2258 Rz. 261). Während die Arbeitsberechtigung bei
Neubehinderten natürlich gleichermassen vorliegen muss wie bei nicht
behinderten Arbeitslosen, wird die Vermittlungsfähigkeit bei Neubehinderten
bezogen auf ein Ganztagespensum unter Umständen präsumtiv auch bei teilweiser
Arbeitsunfähigkeit bejaht. Weitere unverzichtbare Voraussetzung ist jedoch die
Vermittlungsbereitschaft, welche sich allerdings bei arbeitslosen
Neubehinderten nur auf ein Pensum beziehen muss, welches der ärztlich
attestierten Arbeitsfähigkeit entspricht (vgl. E. 5.1 in fine). Ist die
Vermittlungsbereitschaft im Rahmen dieser (Rest-)Arbeitsfähigkeit erstellt, so
besteht entsprechend Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 3 AVIV
Anspruch auf eine ganze Arbeitslosenentschädigung, falls die versicherte Person
bei voller Gesundheit eine Anstellung mit Ganztagespensum suchen würde.
Arbeitslose Neubehinderte werden während des Verfahrens bei der
Invalidenversicherung oder bei einer anderen Versicherung (Art. 15 Abs. 3 in
Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 AVIG) mit nicht
BGE 136 V 95 S. 104
behinderten Arbeitslosen in dem Sinne gleich behandelt, dass beide eine volle
Arbeitslosenentschädigung erhalten, wenn (aber nur dann) sie sich im Rahmen
ihrer Arbeitsfähigkeit dem Arbeitsmarkt vollumfänglich zur Verfügung stellen;
von beiden wird nicht mehr gefordert, als sie leisten können. Will eine
versicherte Person aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkung allerdings gar
nicht mehr arbeiten, oder schätzt sie sich selber als ganz arbeitsunfähig ein,
so ist sie vermittlungsunfähig. Selbst wenn in einem solchen Fall eine
ärztliche Bestätigung vorliegt, wonach entgegen der subjektiven Einschätzung
der neubehinderten Person eine (teilweise) Arbeitsfähigkeit bestehe, bleibt es
bei der Vermittlungsunfähigkeit mangels Vermittlungsbereitschaft. Unter diesen
Umständen hat die versicherte Person keinen Anspruch auf (Vor-)Leistungen der
Arbeitslosenversicherung (SCHNEIDER, a.a.O., S. 77).

7.4 Die in Erwägung 6.4 hiervor erwähnten Verwaltungsweisungen stellen eine
überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben dar und lassen eine dem
Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren
gesetzlichen Bestimmungen zu (nicht publizierte E. 4.3). In der Literatur wird
keine abweichende Meinung vertreten (E. 6.3 hiervor). Würde demgegenüber für
die in Art. 15 Abs. 3 AVIV definierte Übergangszeit mit dem kantonalen Gericht
angenommen, die Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung bestehe nur in
dem Umfang, welcher der (vorläufigen) Restarbeitsfähigkeit entspricht, so würde
der Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung die Anwendung versagt, was
der Intention der Verordnungsbestimmung (und Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG), aber
auch der Gesetzesgrundlage, welche eine Koordination zwischen Arbeitslosen- und
Invalidenversicherung auf Verordnungsstufe vorsieht (Art. 15 Abs. 2 AVIG),
zuwiderlaufen würde. Zu Recht beruft sich der Beschwerdeführer auf ARV 2008 S.
236, 8C_78/2007 E. 4.2, worin festgehalten wird, dass ein - nicht
offensichtlich vermittlungsunfähiger - Versicherter, der sich lediglich noch
für eine Teilzeittätigkeit im Umfang von 60 % einsatzfähig und
taggeldbezugsberechtigt hält und daher nur Arbeit in einem Teilzeitpensum von
60 % sucht, nach Art. 27 ATSG von der Verwaltung darüber aufzuklären ist, dass
er bis zum Entscheid der Invalidenversicherung als vermittlungsfähig gilt und
daher eine Einschränkung seines Taggeldanspruchs wegen eines nur teilweise
anrechenbaren Arbeitsausfalls nicht hinnehmen muss. In gleichem Sinn wurde auch
im Urteil C 119/06 vom 24. April 2007 E. 4.3 festgehalten, dass
BGE 136 V 95 S. 105
die (im Sinne von Art. 15 Abs. 3 AVIV) nicht offensichtlich
vermittlungsunfähige versicherte Person eine Einschränkung ihres
Taggeldanspruches wegen Arbeitsunfähigkeit [unter dem Titel des anrechenbaren
Arbeitsausfalles] nicht hinzunehmen braucht (vgl. auch Urteil 8C_749/2007 vom
3. September 2008 E. 5.3 und Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] C 335/05
vom 14. Juli 2006 E. 3.3). Soweit in ARV 2004 S. 124, C 272/02, andere Schlüsse
gezogen wurden, kann daran nicht festgehalten werden.

7.5 Es ist dem kantonalen Gericht zwar beizupflichten, dass das Ende des
Anspruchs auf Taggelder der Krankenversicherung in der vorliegenden
Konstellation keinen Anlass zur Überprüfung der Taggeldhöhe der
Arbeitslosenversicherung bildet. Allerdings hat sich der Versicherte auf den
18. März 2008 bei der Arbeitslosenkasse als voll arbeitslos registrieren lassen
und er hat sich zudem bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug
angemeldet. Die Invalidenversicherung hat zumindest bis zum Zeitpunkt des
Einspracheentscheides vom 19. Mai 2008 noch nicht über ihre Leistungspflicht
entschieden.
Die Vorinstanz hat die Vermittlungsbereitschaft des Versicherten in Frage
gestellt. Sie hat ausgeführt, er erachte sich lediglich im Umfang von 50 % als
arbeitsfähig und sei daher auch nur in diesem Umfang bereit, sich dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Daraus kann allerdings nichts zu
Ungunsten des Versicherten abgeleitet werden. Er war während der massgebenden
Zeit bereit, im Ausmass der ihm ärztlich attestierten Arbeitsfähigkeit eine
Stelle anzunehmen; Gegenteiliges hat er nie signalisiert und ergibt sich auch
nicht aus den Akten. Der Versicherte war daher nicht offensichtlich
vermittlungsunfähig im Sinne von Art. 15 Abs. 3 AVIV. Wäre er gesund gewesen,
hätte er eine vollzeitliche Anstellung gesucht, womit er als ganz arbeitslos
gilt. Weil er aus gesundheitlichen Gründen nur teilzeitlich arbeitsfähig war,
kommt die Vorleistungspflicht zum Tragen, weshalb er entsprechend seinem
Rechtsbegehren (nicht publizierte E. 1 in fine) ab 18. März 2008 Anspruch auf
eine volle Arbeitslosenentschädigung hat.