Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 V 268



Urteilskopf

136 V 268

32. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. H. gegen
Ausgleichskasse des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_142/2010 vom 12. August 2010

Regeste

Art. 99 BGG; Art. 52 AHVG; Art. 568 Abs. 3, Art. 579 Abs. 1, Art. 591 und 592
OR; Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters für Beitragsschulden der
(ehemaligen) Kollektivgesellschaft.
Die (subsidiäre und persönliche) Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters
für Schulden der (ehemaligen) Kollektivgesellschaft gemäss Art. 568 Abs. 3 OR
bei Weiterführung des Unternehmens als Einzelfirma durch einen der bisherigen
Gesellschafter nach Massgabe des Art. 579 Abs. 1 OR (vgl. dazu E. 2.3.1; zur
Abgrenzung gegenüber der Übernahme nach Art. 181 OR: E. 2.3.2) umfasst auch
AHV-Beitragsschulden. Änderung der Rechtsprechung gemäss BGE 119 V 389 E. 7 S.
400 f. (E. 4.1 und 4.2).
Aus der gesetzlichen Regelung, welche den Schadenersatzanspruch nach Art. 52
AHVG als persönlichen öffentlichrechtlichen Anspruch gegen den Arbeitgeber
konstituiert und von den Gesellschaftsschulden unterscheidet, ergibt sich, dass
der ausgeschiedene Gesellschafter unter Umständen während eines bedeutend
längeren Zeitraums als der Verjährungsfrist gemäss Art. 591 oder 592 OR zur
Rechenschaft gezogen werden kann (E. 2.6).
Eine Schadenersatzforderung nach Art. 52 AHVG kann - auch noch in oberer
Instanz - in eine Beitragsforderung umgedeutet werden (E. 4.4 und 4.5).

Sachverhalt ab Seite 269

BGE 136 V 268 S. 269

A.

A.a Im Jahre 1994 wurde die Kollektivgesellschaft X. mit Sitz in T. gegründet,
bestehend aus den beiden Gesellschaftern H. und R. Am 12. Mai 2003 wurde die
Gesellschaft infolge Austritts von H. aufgelöst und im Mai 2003 im
Handelsregister gelöscht. R. führte das Geschäft unter der Einzelfirma S.
weiter. Am 8. Dezember 2005 wurde über diese Firma der Konkurs eröffnet und am
27. Januar 2006 mangels Aktiven eingestellt.

A.b Mit Verfügung vom 15. August 2007 und Einspracheentscheid vom 12. März 2008
forderte die Ausgleichskasse des Kantons Bern (nachfolgend: Ausgleichskasse)
von H. Schadenersatz für nicht
BGE 136 V 268 S. 270
bezahlte Sozialversicherungsbeiträge der Jahre 1998 bis 2003 (einschliesslich
Verzugszinsen und Kosten) in der Höhe von Fr. 85'919.85.

B. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die von H. dagegen eingereichte
Beschwerde mit Entscheid vom 12. Januar 2010 ab.

C. H. erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen,
dass er nicht schadenersatzpflichtig sei.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) hat keine Vernehmlassung eingereicht.
Mit Verfügung des Instruktionsrichters vom 16. April 2010 wurde der Beschwerde
aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Der von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Schaden liegt darin, dass
die Kollektivgesellschaft X. die paritätischen Beiträge (Art. 5 und 12-14 AHVG)
für die Jahre 1998 bis 2003 unvollständig bezahlt hat. Diese Beiträge wurden
aufgrund einer Arbeitgeberschlusskontrolle und Nachkontrolle mit Verfügungen
vom 28. November 2003 (vorsorglich zur Verjährungsunterbrechung) und 24.
September 2004 veranlagt und blieben unbezahlt. Die Verfügungen ergingen an
"X., p.A. R. in T." bzw. an "X., p.A. S., R. in T.". Der Beschwerdeführer macht
geltend, diese Veranlagungsverfügungen seien ihm gegenüber nichtig, da er in
dieses Verfahren nicht einbezogen worden sei; zudem sei die Forderung gemäss
Art. 181 Abs. 2 i.V.m. Art. 592 Abs. 2 Satz 2 OR verjährt.

2.2 Die Schadenersatzforderung ist von der Beitragsforderung zu unterscheiden (
BGE 123 V 168 E. 3a und 3b S. 171 f.; BGE 121 III 382 E. 3c S. 385; SVR 2006
AHV Nr. 9 S. 35, H 162/01 E. 5.2.2; Urteil 9C_720/2008 vom 7. Dezember 2009 E.
5.5.1; UELI KIESER, Alters- und Hinterlassenenversicherung, in: Soziale
Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1292; THOMAS NUSSBAUMER, Das
Schadenersatzverfahren nach Art. 52 AHVG, in: Aktuelle Fragen aus dem
Beitragsrecht der AHV, 1998, S. 97 ff., 101; MARCO REICHMUTH, Die Haftung des
Arbeitgebers und seiner Organe nach Art. 52 AHVG, 2008, S. 33). Erstere
entsteht erst, wenn Letztere nicht mehr erhoben werden kann (nicht publ. E. 1).
BGE 136 V 268 S. 271

2.3 Nach der Rechtsprechung fällt die Kollektivgesellschaft mit ihrer Auflösung
gegenüber der Ausgleichskasse als beitragsabrechnungs- und
beitragsablieferungspflichtige Arbeitgeberin im Sinne von Art. 12 AHVG aus (BGE
119 V 389 E. 5c S. 397 f.). Das ändert aber nichts daran, dass die einzelnen
Beitragsforderungen in analoger Anwendung der privatrechtlichen Regelungen auf
eine allenfalls übernehmende Arbeitgeberin übergehen, diese somit für die von
der Rechtsvorgängerin geschuldeten Beiträge einzustehen hat (BGE 119 V 389 E.
6b S. 399). Wird eine Kollektivgesellschaft aufgelöst und führt einer der
bisherigen Gesellschafter das Unternehmen weiter, so sind dafür nach der hier
massgebenden, vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 2003 über
Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung (Fusionsgesetz, FusG; SR
221.301) geltenden zivilrechtlichen Rechtslage zwei Formen möglich:

2.3.1 Der Übernehmende kann nach Art. 579 Abs. 1 OR das Geschäft als
Einzelfirma weiterführen; das Gesellschaftsvermögen geht in sein Alleinvermögen
über und er haftet primär und persönlich für die Gesellschaftsschulden. Der
Ausgeschiedene kann nur unter den Voraussetzungen von Art. 568 Abs. 3 OR
persönlich belangt werden; der Konkurs des ehemaligen Gesellschafters und
nunmehrigen Einzelunternehmers wird dem Konkurs der Gesellschaft im Sinne von
Art. 568 Abs. 3 OR gleichgestellt (BGE 101 Ib 456 E. 2c und 2d S. 460 f.;
Urteile 4A_591/2009 vom 18. März 2010 E. 4.1; 4A_67/2007 vom 15. Juni 2007 E.
2.1; DANIEL STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 3.
Aufl. 2008, N. 2 zu Art. 579 OR; HANDSCHIN/CHOU, Zürcher Kommentar, 4. Aufl.
2009, N. 21 ff. zu Art. 579 OR; RETO VONZUN, Rechtsnatur und Haftung der
Personengesellschaften, 2000, S. 259). Die Forderungen von
Gesellschaftsgläubigern gegen den ausgeschiedenen Gesellschafter verjähren
gemäss Art. 591 Abs. 1 OR (HANDSCHIN/CHOU, a.a.O., N. 34 zu Art. 591-593 OR mit
weiteren Hinweisen).

2.3.2 Es können aber auch die Aktiven und Passiven nach Art. 181 OR auf den
übernehmenden Gesellschafter übertragen werden (HANDSCHIN/CHOU, a.a.O., N. 30
ff. zu Art. 579 OR). In Bezug auf die Aktiven hat das keine Universalsukzession
zur Folge (RUDOLF TSCHÄNI, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4.
Aufl. 2007, N. 1 zu Art. 181 OR). Für die Passiven haftet der Übernehmende,
sobald die Übernahme mitgeteilt oder in öffentlichen Blättern ausgekündigt
worden ist; der ausgeschiedene Gesellschafter
BGE 136 V 268 S. 272
haftet noch solidarisch während zweier bzw. dreier Jahre (Art. 181 Abs. 2 OR in
der bis Ende Juni 2004 und in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung; Art. 592
Abs. 2 Satz 2 OR; HANDSCHIN/CHOU, a.a.O., N. 31 zu Art. 591-593 OR).

2.4 In casu sind die Gesellschafter in der Vereinbarung zur Auflösung der
Kollektivgesellschaft übereingekommen, dass R. das Unternehmen nach Art. 579 OR
als Einzelfirma weiterführt. In einem weiteren Abschnitt wurde vermerkt: "Die
solidarische Haftbarkeit von H. für bestehende Schulden besteht gegenüber
Dritten nur noch während zwei Jahren (Art. 181 Abs. 2 OR)". Scheint somit
zwischen den Gesellschaftern eine gewisse Unklarheit bestanden zu haben, ob die
Weiterführung des Geschäfts nach Art. 181 OR oder nach Art. 579 Abs. 1 OR
erfolgt, so entstand jedenfalls Klarheit durch den Eintrag im Handelsregister,
welcher gegenüber gutgläubigen Dritten massgeblich ist (Art. 933 OR); dort
wurde vermerkt, die Gesellschaft habe sich infolge Ausscheidens des
Gesellschafters H. aufgelöst; der Gesellschafter R. führe das Geschäft gemäss
Art. 579 OR als Einzelfirma fort. Demzufolge hatte primär der Einzelunternehmer
R. für die zuvor von der Kollektivgesellschaft geschuldeten Beitragsforderungen
einzustehen (E. 2.3.1).

2.5 Bei dieser Sachlage hat die Beschwerdegegnerin die Nachtragsverfügungen vom
28. November 2003 und 24. September 2004 zutreffenderweise dem ehemaligen
Partner, R., eröffnet. Eine Zustellung an den Beschwerdeführer war, entgegen
der von ihm vertretenen Auffassung, nicht erforderlich, da er für die
Beitragsforderung nicht belangt werden konnte, solange R. nicht in Konkurs
gefallen war (E. 2.3.1). Die Beschwerdegegnerin war auch nicht verpflichtet,
den Beschwerdeführer zu diesem Nachtragsverfahren beizuladen. Dessen Stellung
im Schadenersatzverfahren wird dadurch nicht beeinträchtigt. Denn gerade weil
er im Beitragsbezugsverfahren nicht beteiligt ist, kann er im nachfolgenden
Schadenersatzverfahren die Begründetheit der Beitragsforderung uneingeschränkt
überprüfen lassen (BGE 134 V 401). Aus diesem Grunde ist unerheblich, ob der
Beschwerdeführer dafür hätte sorgen sollen, dass ihn die Nachfolgefirma
orientiert, wie die Vorinstanz annimmt und was der Beschwerdeführer bestreitet.

2.6 Auch in Bezug auf die Verjährung ist die Beitragsforderung von der
Schadenersatzforderung zu unterscheiden. Die zwei- bzw. dreijährige
Verjährungsfrist von Art. 181 Abs. 2 OR (in Verbindung
BGE 136 V 268 S. 273
mit Art. 592 Abs. 2 Satz 2 OR), auf welche sich der Beschwerdeführer beruft,
gilt für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, für welche der ausgeschiedene
Gesellschafter haftet, in casu also allenfalls für die Beitragsforderung,
soweit Art. 181 OR überhaupt anwendbar wäre (vorne E. 2.3.2 und 2.4 sowie
hinten E. 4.3). Die Schadenersatzforderung nach Art. 52 AHVG ist demgegenüber
eine eigenständige Forderung, die sich direkt gegen den Arbeitgeber persönlich
(in casu den Beschwerdeführer als ehemaligen Gesellschafter) richtet und auch
in Bezug auf die Verjährung ein eigenes, von der Beitragsforderung
verschiedenes Schicksal hat (Art. 52 Abs. 3 AHVG). Sie entsteht erst mit dem
Eintritt des Schadens zufolge Verwirkung der Beiträge (Art. 16 Abs. 1 AHVG)
oder Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (BGE 134 V 257 E. 3.2 S. 264; BGE 129
V 193 E. 2.2 S. 195; BGE 123 V 12 E. 5c S. 16; SVR 2006 AHV Nr. 9 S. 35, H 162/
01 E. 5.2.2; REICHMUTH, a.a.O., S. 82 Rz. 336). In diesem Zeitpunkt beginnt die
absolute fünfjährige Verjährungsfrist gemäss Art. 52 Abs. 3 AHVG zu laufen, das
heisst im Falle der Verwirkung der Beitragsforderung mit deren Eintritt und im
Falle der Uneinbringlichkeit, sobald die Beiträge wegen der Zahlungsunfähigkeit
des Arbeitgebers nicht mehr im ordentlichen Verfahren nach Art. 14 ff. AHVG
erhoben werden können, in der Regel mit der Ausstellung eines
Pfändungsverlustscheins oder mit der Konkurseröffnung über den Arbeitgeber (BGE
134 V 257 E. 3.2 S. 264; BGE 129 V 193 E. 2.2 S. 195; BGE 123 V 12 E. 5b und 5c
S. 15 f., BGE 123 V 168 E. 2a S. 170; BGE 113 V 256 E. 3c S. 257 f.; REICHMUTH,
a.a.O., S. 86 ff. Rz. 352 und 357). In casu wurde mit den Nachtragsverfügungen
vom 28. November 2003 und 24. September 2004 gegenüber R. die Verwirkungsfrist
von Art. 16 Abs. 1 AHVG gewahrt. In Frage steht somit nicht die Leistung von
Schadenersatz wegen Verwirkung, sondern wegen Uneinbringlichkeit der
Beitragsforderung; insoweit entstand die Schadenersatzforderung erst mit der
Konkurseröffnung über R. im Dezember 2005. Erst zu diesem Zeitpunkt begann die
fünfjährige Verjährungsfrist, die mit der Schadenersatzverfügung vom 15. August
2007 bei weitem gewahrt ist. Es trifft zu, dass damit im Ergebnis der
ausgeschiedene Gesellschafter unter Umständen während eines bedeutend längeren
Zeitraums als der Verjährungsfrist gemäss Art. 591 oder 592 OR zur Rechenschaft
gezogen werden kann. Das ergibt sich aber aus der gesetzlichen Regelung, welche
den Schadenersatzanspruch nach Art. 52 AHVG als persönlichen
öffentlichrechtlichen Anspruch gegen den (ehemaligen) Arbeitgeber konstituiert
BGE 136 V 268 S. 274
und von den Schulden der Gesellschaft (wozu auch die Beitragsforderung nach
Art. 14 ff. AHVG zählt) unterscheidet. Es steht dem Bundesgesetzgeber frei, im
öffentlichen Recht Regelungen zu treffen, welche von den zivilrechtlichen
Bestimmungen (unter anderem betreffend Verjährung) abweichen.

3. Sind somit die Rügen des Beschwerdeführers hinsichtlich Eröffnung der
Nachtragsverfügung und Verjährung unbegründet, so ist die vorinstanzliche
Betrachtung in anderer Hinsicht zu beanstanden: Die Haftung nach Art. 52 AHVG
ist keine Kausalhaftung, sondern setzt ein grobfahrlässiges Verhalten voraus.
Unter diesem Titel hat die Vorinstanz dem Beschwerdeführer angelastet, er habe
es pflichtwidrig unterlassen, für die Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge
zu sorgen. Eine derartige Unterlassung kann dem Beschwerdeführer indessen nur
vorgeworfen werden in Bezug auf den Betrag, der bis zum Zeitpunkt seines
Ausscheidens aus der Gesellschaft hätte bezahlt werden müssen. Nach den
Feststellungen der Vorinstanz betrug der Saldo per 2. April 2003 - rund
eineinhalb Monate vor dem Austritt des Beschwerdeführers aus der Gesellschaft
(12. Mai 2003) - Fr. 8'213.30 zu Gunsten der Ausgleichskasse. Dass der in
Rechnung gestellte Schadensbetrag schliesslich viel höher war (Fr. 85'919.85)
ist darauf zurückzuführen, dass nach dem Ausscheiden des Beschwerdeführers mit
Nachtragsverfügungen vom 28. November 2003 und 24. September 2004 erhebliche
Nachforderungen in Rechnung gestellt wurden. In Bezug auf diesen, den Betrag
von Fr. 8'213.30 übersteigenden Schaden kann das dem Beschwerdeführer
vorwerfbare Verhalten nicht darin liegen, dass die nachträglich gestellten
Rechnungen nicht bezahlt wurden, hatte er doch darauf keinen Einfluss mehr. Ein
ihm vorwerfbares grobfahrlässiges Verhalten könnte mithin nur darin bestehen,
dass die Gesellschaft unzutreffende Lohnmeldungen erstellt hat (vgl. etwa
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 303/97 vom 30. Juni 1998 E. 2, nicht
publ. in: BGE 124 V 253, aber in: SVR 1999 AHV Nr. 13 S. 37; ZAK 1992 S. 246, H
97/90). Darüber enthält der angefochtene Entscheid aber keine Feststellungen.
Zu tiefe Lohnmeldungen werden zwar oft auf grobfahrlässiges Verhalten der
Organe zurückzuführen sein, doch ist das nicht zwingend: Der Beschwerdeführer
hat bereits in seiner Einsprache geltend gemacht, es seien verschiedene
Geschäftsbereiche unterschieden worden und er sei in der Y. GmbH tätig gewesen
und habe dort Sozialversicherungsbeiträge abgerechnet. Aus den Akten geht
sodann hervor, dass R.
BGE 136 V 268 S. 275
gegen die Nachzahlungsverfügung vom 24. September 2004 Einsprache erhoben
hatte, unter anderem mit der Argumentation, die betreffenden Arbeitnehmer
hätten teilweise nicht für die Kollektivgesellschaft X. gearbeitet. Wenn in
guten Treuen in Bezug auf bestimmte Personen über die Abrechnungspflicht
unterschiedliche Meinungen vertreten werden können, stellt die Unterlassung der
Deklaration noch keine Grobfahrlässigkeit dar, selbst wenn sich nachträglich in
einem Rechtsmittelverfahren ergibt, dass eine Abrechnungspflicht bestanden hat
(SVR 2007 AHV Nr. 9 S. 25, H 8/07 E. 7.1; 2005 AHV Nr. 18 S. 59, H 86/02 E.
5.5.1; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 390/00 vom 13. Juni 2001 E.
6b). Mangels entsprechender Feststellungen im angefochtenen Entscheid und
Angaben in den Akten lässt sich nicht ausschliessen, dass dem Beschwerdeführer
als verantwortlichem Organ in diesem Zusammenhang kein Verschulden oder
lediglich eine einfache Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann (vgl. Urteil
des Eidg. Versicherungsgerichts H 197/04 vom 19. Oktober 2005 E. 4.3). Die
Sache geht daher an das kantonale Gericht zurück, damit es den Sachverhalt
hinsichtlich der Verantwortlichkeit für die Unterlassung der Lohndeklarationen
näher abkläre.

4. In Bezug auf die von der Vorinstanz zu treffenden Abklärungen ist vorab die
von Amtes wegen zu prüfende Rechtsfrage (Art. 106 Abs. 1 BGG) zu entscheiden,
ob der Beschwerdeführer nicht zunächst für die Beitragsschulden der
Gesellschaft haftet, bevor sich die Frage nach der Schadenersatzpflicht stellt.

4.1 Die Kollektivgesellschafter haften subsidiär zum Gesellschaftsvermögen
(Art. 570 OR) persönlich für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft
solidarisch (Art. 568 Abs. 1 OR; BGE 134 III 643 E. 5.1 S. 648). Führt wie hier
einer der bisherigen Gesellschafter das Unternehmen gemäss Art. 579 Abs. 1 OR
als Einzelfirma weiter, so haftet der ausgeschiedene Gesellschafter unter den
Voraussetzungen von Art. 568 Abs. 3 OR für die Schulden der Gesellschaft (vorne
E. 2.3.1). Diese persönliche Haftung gilt auch für öffentlichrechtliche
Verbindlichkeiten (Urteil 2A.95/1999 vom 14. Juni 1999 E. 3c; HANDSCHIN/CHOU,
a.a.O., N. 43 zu Art. 568-569 OR; WILHELM HARTMANN, Berner Kommentar, 1943, N.
7 zu Art. 568 OR; PESTALOZZI/HETTICH, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht,
Bd. II, 3. Aufl. 2008, N. 4 zu Art. 568 OR; WERNER VON STEIGER, Handelsrecht,
Schweizerisches Privatrecht, Bd. VIII, 1976, S. 536; STEFAN PLATTNER, Die
Haftung des Kollektivgesellschafters, 2003, S. 64), namentlich
BGE 136 V 268 S. 276
auch für Beitragsforderungen der AHV (MARLIES KNUS, Die Schadenersatzpflicht
des Arbeitgebers in der AHV, 1989, S. 33 und 64 f.; in Bezug auf die einfache
Gesellschaft auch ZAK 1981 S. 377, H 139/79 E. 4).

4.2 In BGE 119 V 389 E. 7 S. 400 f. wurde allerdings ausgeführt, die
Gesellschafter einer aufgelösten Kollektivgesellschaft seien nicht - auch nicht
subsidiär - beitragspflichtig (ebenso unter Hinweis auf diesen Entscheid
REICHMUTH, a.a.O., S. 85 Rz. 350). Diese Aussage wird jedoch nicht begründet.
Sie steht in Widerspruch zu Gesetz und Lehre sowie Gerichtspraxis in den
anderen Gebieten des öffentlichen Rechts. Ebenso wenig kann sie als eine
feststehende Gerichtspraxis bezeichnet werden, wurde sie doch, soweit
ersichtlich, nie explizit wiederholt, sondern nur implizit vorausgesetzt in den
Urteilen des Eidg. Versicherungsgerichts H 376/01 vom 11. Oktober 2005 E. 3.2
und H 137/94 vom 17. Februar 1995. Es leuchtet auch in der Sache nicht ein,
weshalb der Kollektivgesellschafter in Bezug auf AHV-Beiträge anders zu
behandeln sein soll als in Bezug auf alle anderen Gesellschaftsschulden. In
Änderung von BGE 119 V 389 E. 7 S. 400 f. ist somit davon auszugehen, dass der
ausgeschiedene Gesellschafter nach Massgabe von Art. 568 Abs. 3 OR für die
AHV-Beitragsschulden der bisherigen Kollektivgesellschaft haftet.

4.3 In casu haftet also der Beschwerdeführer für die Beitragsschulden der
aufgelösten Kollektivgesellschaft, wobei diese Haftung nur unter der
Voraussetzung von Art. 568 Abs. 3 OR geltend gemacht werden konnte, d.h. erst
nachdem R. im Dezember 2005 in Konkurs gefallen war. Entgegen der in der
Beschwerde vertretenen Auffassung richtet sich die Verjährung nicht nach Art.
592 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 181 OR, sondern nach Art. 591 OR, da R. - wie
vorne in E. 2.4 dargelegt - die Gesellschaftstätigkeit nicht nach Massgabe von
Art. 181 OR, sondern nach Art. 579 OR weitergeführt hat. Demnach verjährte die
subsidiäre persönliche Haftung des Beschwerdeführers für die Beiträge fünf
Jahre nach der Veröffentlichung des Ausscheidens im Handelsamtsblatt, sofern
nicht wegen der Natur der Forderung eine kürzere Verjährungsfrist gilt. Da die
fünfjährige Frist mit dem Ausscheiden beginnt, der Ausgeschiedene aber vor der
Konkurseröffnung der Nachfolgefirma nicht belangbar ist, kann die Forderung
unter Umständen verjährt sein, bevor sie gegenüber dem ausgeschiedenen
Gesellschafter überhaupt
BGE 136 V 268 S. 277
geltend gemacht werden konnte (STAEHELIN, a.a.O., N. 4 f. zu Art. 591 OR;
HANDSCHIN/CHOU, a.a.O., N. 12 zu Art. 591-593 OR).

4.4 Nach Art. 16 Abs. 1 AHVG erlischt die Beitragsforderung für die Beiträge
der Jahre 1998 bis 2003 jeweils Ende der Jahre 2003 bis 2008. Die an R.
eröffneten Nachtragsverfügungen vom 28. November 2003 und 24. September 2004
konnten in Bezug auf die Forderung gegenüber dem Beschwerdeführer keine
fristwahrende Wirkung haben. Frühestens die Verfügung vom 15. August 2007
konnte ihm gegenüber fristwahrend wirken. Allerdings hat die Beschwerdegegnerin
mit dieser Verfügung nicht die Beiträge, sondern Schadenersatz verlangt. Es
fragt sich, ob ihre Forderung in eine Beitragsforderung umgedeutet werden kann.

4.5 Der Streitgegenstand umfasst das durch die Verfügung geregelte
Rechtsverhältnis, soweit dieses angefochten ist, nicht aber die rechtliche
Begründung dafür (KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege
des Bundes, 2. Aufl. 1998, S. 149). Demzufolge ist auch die Änderung der
rechtlichen Begründung in oberer Instanz bis vor Bundesgericht möglich, ohne
dass darin eine unzulässige Veränderung des Streitgegenstands oder ein
unzulässiges Novum (Art. 99 BGG) läge (vgl. Urteil 9C_115/2008 vom 23. Juli
2008 E. 6). Der Arbeitgeber schuldet der Ausgleichskasse die paritätischen
Beiträge; können diese nicht mehr erhoben werden, entsteht die
Schadenersatzforderung (nicht publ. E. 1). Abgesehen von den Mahn- und
Betreibungskosten ist der mit der Schadenersatzforderung geltend gemachte
Geldbetrag indessen identisch mit der Beitragsforderung (NUSSBAUMER, a.a.O., S.
101). Im Ergebnis wirkt sich der Schadenersatzanspruch so aus, dass unter der
zusätzlichen Voraussetzung der absichtlichen oder grobfahrlässigen Missachtung
von Vorschriften die nicht bezahlten Beiträge unter einem anderen Rechtstitel
noch einverlangt werden können. Es handelt sich damit (soweit sich die
Forderung gegen den nämlichen Schuldner richtet) nicht um ein anderes
Rechtsverhältnis, sondern um eine andere rechtliche Begründung der geltend
gemachten Forderung. Hat somit die Ausgleichskasse Schadenersatz verlangt und
zeigt sich, dass der Belangte bei richtiger Betrachtung noch Beiträge schuldet,
so kann daher - auch noch in oberer Instanz - die Schadenersatzforderung in
eine Beitragsforderung umgedeutet werden.

4.6 Mit der Verfügung vom 15. August 2007 konnten vom Beschwerdeführer als
subsidiär haftendem Kollektivgesellschafter (vorne
BGE 136 V 268 S. 278
E. 4.3) die Beiträge für die Jahre 2002 und 2003 (bis zu seinem Ausscheiden aus
der Gesellschaft) verlangt werden (Art. 16 Abs. 1 AHVG). Für diese Beiträge
haftet der Beschwerdeführer ungeachtet eines Verschuldens (Art. 568 Abs. 3 OR),
da auch die am 20. Mai 2003 beginnende fünfjährige Frist gemäss Art. 591 OR
eingehalten ist. Die ausstehenden Beitragsforderungen für die Jahre 1998 bis
2001 sind demgegenüber erloschen. Der Beschwerdeführer haftet dafür nur unter
dem Titel Schadenersatz, mit anderen Worten nur soweit ihm ein Verschulden
gemäss Art. 52 Abs. 1 AHVG vorgeworfen werden kann. Wie es sich damit verhält,
wird die Vorinstanz abzuklären haben (E. 3). Des Weitern wird sie auch zu
prüfen haben, welcher Anteil der ausstehenden Beiträge auf die Jahre 1998 bis
2001 und welcher auf die Jahre 2002 bis 2003 entfällt.