Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 V 216



Urteilskopf

136 V 216

26. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. L. gegen
IV-Stelle des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
8C_972/2009 vom 27. Mai 2010

Regeste

Art. 31 IVG; Art. 17 Abs. 1 ATSG; Rentenrevision.
Die in Art. 31 IVG ("Herabsetzung oder Aufhebung der Rente") im Rahmen der
rentenrevisionsrechtlichen Überprüfung vorgesehenen Einkommensfreibeträge
finden nur Anwendung, wenn die Rentenbezügerin oder der Rentenbezüger neu ein
tatsächliches Invalideneinkommen erzielt bzw. ein höheres Erwerbseinkommen
generiert, nicht aber für den Fall, dass ein rein hypothetischer Verdienst
angerechnet wird (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 216

BGE 136 V 216 S. 216

A.

A.a Die 1959 geborene L. meldete sich am 25. Februar 2003 unter Hinweis auf
seit einem Unfall vom 5. Dezember 2001 bestehende Kniebeschwerden bei der
Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen
(nachfolgend: IV-Stelle) klärte die Verhältnisse in beruflich-erwerblicher und
medizinischer Hinsicht ab, wobei sie insbesondere Berichte des Hausarztes Dr.
med. B., Facharzt für Allgemeine Medizin FMH, vom 18. März und 8. Oktober 2003
sowie des Kreisarztes der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Dr. med.
O., Orthopädische Chirurgie FMH, vom 16. Mai 2003 einholte und die Erstellung
eines Gutachtens bei Dr. med. F., Oberarzt, Fachstelle für Sozialpsychiatrie
und Psychotherapie, veranlasste, welches am 2. Juli 2003 ausgefertigt wurde.
Gestützt darauf sprach sie L. mit Verfügungen vom 20. August/5. November 2004
rückwirkend ab 1. Januar 2003 eine ganze Invalidenrente zu.
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A.b Anlässlich eines im April 2007 angehobenen Revisionsverfahrens zog die
Verwaltung einen Verlaufsbericht des Dr. med. B. vom 11. Mai 2007 bei, liess
die Versicherte psychiatrisch sowie rheumatologisch begutachten (Expertisen des
Dr. med. E., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 31. Januar
2008 und des Dr. med. H., Innere Medizin Rheumatologie FMH, vom 9. Juni 2008)
und forderte eine Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) an,
welche am 11. Juli 2008 erstattet wurde. Auf dieser Basis ging sie neu von
einer Arbeitsfähigkeit im Rahmen einer leidensadaptierten Tätigkeit von 60 %
aus, ermittelte einen Invaliditätsgrad von 40 % und setzte die bisherige ganze
Rente auf den zweiten der Verfügungszustellung folgenden Monat auf eine
Viertelsrente herab (Vorbescheid vom 30. Juli 2008, Verfügung vom 29. September
2008).

B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen mit Entscheid vom 21. Oktober 2009 ab.

C. L. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und
beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihr weiterhin eine
ganze Invalidenrente auszurichten.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliessen auf
Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

5. Zu beurteilen ist somit, ob Art. 31 IVG revisionsrechtlich nur zur Anwendung
gelangt, wenn die rentenberechtigte Person neu ein tatsächliches
Erwerbseinkommen erzielt bzw. ein höheres Erwerbseinkommen generiert oder auch
für den Fall, dass ihr ein rein hypothetisches Invalideneinkommen angerechnet
wird.

5.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der
Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss
nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller
Auslegungselemente. Abzustellen ist dabei namentlich auf die
Entstehungsgeschichte der Norm und ihren Zweck, auf die dem Text zu Grunde
liegenden Wertungen sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit
anderen Bestimmungen zukommt. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht
unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der
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Norm zu erkennen. Namentlich bei neueren Texten kommt den Materialien - bei
noch kaum veränderten Umständen oder gewandeltem Rechtsverständnis - eine
besondere Stellung zu. Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von
Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann allein
auf das grammatische Element abgestellt, wenn sich daraus zweifelsfrei die
sachlich richtige Lösung ergab (BGE 135 II 78 E. 2.2 S. 81; BGE 135 V 153 E.
4.1 S. 157, BGE 135 V 249 E. 4.1 S. 252; BGE 134 I 184 E. 5.1 S. 193; BGE 134
II 249 E. 2.3 S. 252).

5.2 Der am 1. Januar 2008 im Rahmen der 5. IV-Revision in Kraft getretene Art.
31 Abs. 1 IVG sieht in der deutschsprachigen Fassung vor, dass eine
Invalidenrente nur dann im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG (SR 830.1) revidiert
wird, wenn die rentenberechtigte Person neu ein Erwerbseinkommen erzielen oder
ein bestehendes Erwerbseinkommen erhöhen kann (und die Einkommensverbesserung
dabei jährlich mehr als Fr. 1'500.-beträgt). Der italienische Gesetzestext
spricht gleichenorts in Bezug auf die hier relevante Passage von "Se un
assicurato che ha diritto a una rendita consegue un nuovo reddito lavorativo o
se il suo reddito lavorativo attuale aumenta, ...", während die französische
Version wie folgt lautet: "Si un assuré ayant droit à une rente perçoit un
nouveau revenu ou que son revenu existant augmente, ...". Der deutschsprachige
Text erscheint mithin in seinem Aussagegehalt insofern nicht ganz klar, als er
bezogen auf das Erwerbseinkommen die Formulierung "erzielen" oder "erhöhen"
kann enthält und damit - entgegen der Betrachtungsweise des BSV - nicht nur den
real erzielten sondern grundsätzlich auch den hypothetischen Verdienst
beinhaltet, welchen die versicherte Person auf Grund ihres verbesserten
Gesundheitszustandes nunmehr zumutbarerweise zu erzielen vermöchte.
Demgegenüber fehlt in der italienisch- und französischsprachigen Fassung das
Wort "können"; es ist einzig von "consegue" und "aumenta" bzw. "perçoit" und
"augmente" die Rede. Der Wortlaut der Gesetzesbestimmung lässt demnach
namentlich in seiner deutschsprachige Version zwar auch die Möglichkeit einer
Anwendung bei nur hypothetisch angerechnetem Invalideneinkommen zu, doch deuten
die in ihrer Ausgestaltung eindeutigen italienisch- und französischsprachigen
Texte auf die vom BSV vertretene Auffassung hin.

5.3

5.3.1 Was das historische Auslegungselement anbelangt, kommt diesem im
vorliegenden Kontext, da Art. 31 IVG erst mit der 5. IV-Revision auf 1. Januar
2008 in Kraft getreten ist, erhöhter Stellenwert
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zu und ist gleichzusetzen mit einer geltungszeitlichen Herangehensweise (vgl.
E. 5.1 hievor; zur Begrifflichkeit der massgeblichen Materialien: BGE 134 V 170
E. 4.1 S. 174 mit Hinweisen). Diesbezüglich ist der Botschaft vom 22. Juni 2005
zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (5. Revision;
BBl 2005 4459 ff., BGE 134 V 4539 Ziff. 1.6.2.2) unter dem Titel "Vermeidung
von Einkommenseinbussen bei erhöhter Erwerbstätigkeit" Folgendes zu entnehmen:
"Wenn Bezügerinnen und Bezüger von IV-Renten sich anstrengen, ihre
Resterwerbsfähigkeit möglichst gut auszunützen, und dadurch ihren
Invaliditätsgrad so stark verringern, dass ihre Rente herabgesetzt oder sogar
aufgehoben wird, werden sie beim heutigen System für diesen persönlichen
Einsatz in bestimmten Fällen 'bestraft', indem das wegfallende Renteneinkommen
grösser ist als die Zunahme des Erwerbseinkommens und somit das Gesamteinkommen
trotz der vermehrten Erwerbstätigkeit tiefer ausfällt als vorher. In der Praxis
verzichten deshalb Bezügerinnen und Bezüger von IV-Renten immer wieder darauf,
ihre erweiterten Erwerbsmöglichkeiten vollständig auszunutzen. Dieser falsche
Anreiz soll behoben werden. Eine Verbesserung des Erwerbseinkommens soll nicht
mehr ohne Weiteres zu Verschlechterungen des Gesamteinkommens führen. Wie bei
den Ergänzungsleistungen wird für die Rentenrevision nur ein Bruchteil des
zusätzlich erzielten Einkommens berücksichtigt. Ähnliche Anreizsysteme zur
Erwerbsaufnahme oder zur Verbesserung eines bestehenden Erwerbseinkommens
werden heute teilweise bereits in der Sozialhilfe praktiziert. Bei Bezügerinnen
und Bezügern von Ergänzungsleistungen führt eine Einkommensverbesserung zwar zu
einer Reduktion der Ergänzungsleistungen. Da aber das Erwerbseinkommen eben
nicht voll angerechnet wird (Art. 3c Abs. 1 lit. a [a]ELG [seit 1. Januar 2008:
Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG (SR 831. 30)]), kann eine bessere Nutzung der
Erwerbsfähigkeit trotzdem zu einer Verbesserung des Gesamteinkommens führen.
Auch unter Berücksichtigung der neuen Dreiviertelsrenten wurden im Jahr 2004
nur rund 600 Renten herabgesetzt. Insgesamt sind die finanziellen Auswirkungen
durch eine grosszügigere Anrechnung von zusätzlichen Erwerbseinkommen bei der
Revision von Invalidenrenten deshalb unbedeutend." Ferner hielt der Bundesrat
im Rahmen der Erläuterung der einzelnen Artikel zu Art. 31 IVG fest (BBl 2005
4569 [und 4613]): "Mit der vorgeschlagenen Regelung werden Rentenbezügerinnen
und -bezüger, die ihre Resterwerbsfähigkeit bestmöglich ausnützen, nicht mehr
durch überproportionale Verluste von
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Leistungen bestraft. Einkommensverbesserungen, welche den Invaliditätsgrad
beeinflussen, führen zwar wie heute auch schon zu einer Herabsetzung oder dem
Verlust der IV-Renten. Allerdings sollen solche Verbesserungen nicht sofort
wirksam werden. Zu diesem Zweck wird auf die Regelung bei den
Ergänzungsleistungen [Einkommensfreibetrag von jährlich Fr. 1'500.-; vom
Betrag, der Fr. 1'500.- übersteigt, sollen nur zwei Drittel für die
Neufestsetzung des Invaliditätsgrades berücksichtigt werden] zurückgegriffen".
Dem wurde in den parlamentarischen Beratungen nicht opponiert (vgl. AB 2006 N
381 in fine f.; AB 2006 S 608; Protokoll der nationalrätlichen Kommission für
soziale Sicherheit und Gesundheit vom 11.-13. Januar 2006, S. 76; Protokoll der
ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 29. und
30. Mai 2006, S. 46 ff.).

5.3.2

5.3.2.1 Obgleich der Bundesrat in seinen Erläuterungen insbesondere bezüglich
der erhöhten Erwerbstätigkeit auf eine Unterscheidung zwischen dadurch real
erzieltem oder hypothetisch zugemutetem Erwerbseinkommen verzichtet, geht
daraus doch deutlich hervor, dass die neue Regelung darauf abzielt, den
bisherigen "falschen" Anreiz des Verzichts auf eine vollständige Ausnutzung der
Erwerbsmöglichkeiten infolge einer durch die Kürzung oder den Wegfall der Rente
drohenden finanziellen Schlechterstellung bzw. der jedenfalls nicht
eintretenden Besserstellung zu verhindern. Im Zentrum der Neuerung stand der
Gedanke, die erhöhte Anstrengung im Sinne des persönlichen Einsatzes der
Rentenbezügerin oder des -bezügers, die ihnen verbliebene Restarbeitsfähigkeit
möglichst optimal zu verwerten, nicht durch eine damit einhergehende Reduktion
der Rentenleistungen gleichsam zu "bestrafen". Vor dem Hintergrund der
bundesrätlichen Ausführungen ist mit dem BSV in dessen Vernehmlassung vom 7.
April 2010 davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung von Art.
31 IVG und den darin im Rahmen von revisionsrechtlichen Neuüberprüfungen von
Renten vorgesehenen Einkommensfreigrenzen die (Re-)Integration der versicherten
Personen in den realen Arbeitsmarkt in dem Sinne nicht mehr "sanktionieren",
sondern fördern - und dergestalt ein "neues" Anreizsystem schaffen - wollte,
als die Betroffenen in bestimmten Konstellationen nicht länger mit der
sofortigen Kürzung der Rente zu rechnen haben. Gelangte diese Vorgehensweise
auch in Revisionsfällen zur Anwendung, in welchem der Rentenbezügerin oder dem
-bezüger ein bloss hypothetisches Invalideneinkommen auf der Basis der
grundsätzlich
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noch zumutbaren Leistungsfähigkeit angerechnet wird, spielte der derart
bezweckte Anreiz gerade nicht. Die betroffene Person könnte diesfalls, obwohl
sie ihre Restarbeitsfähigkeit nicht verwertet, ebenfalls von den
Einkommensfreibeträgen profitieren und dadurch allenfalls weiterhin eine
gemessen an ihrem tatsächlichen Leistungsvermögen überhöhte Invalidenrente
beziehen; dies dürfte dem Anstoss, eine Erwerbsmöglichkeit zu suchen oder zu
erweitern, erfahrungsgemäss erst recht nicht dienlich sein.

5.3.2.2 Im Sinne eines legislatorischen Ausblicks gilt es das Augenmerk auch
auf die aktuell im Gange befindliche 6. IV-Revision zu richten, anlässlich
derer der Bundesrat im Rahmen eines ersten Massnahmenpaketes u.a. die
Streichung des Abs. 2 von Art. 31 IVG sowie die Einführung einer
Übergangsleistung bei Arbeitsunfähigkeit vorschlägt (vgl. Botschaft vom 24.
Februar 2010 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung,
BBl 2010 1817 ff., insb. 1896 ff. und 1941 ff., insb. 1946). Für den hier zu
beurteilenden Kontext massgeblich sind dabei die bundesrätlichen Erläuterungen
(vgl. BBl 2010 1896), wonach Art. 31 IVG eingeführt worden sei, um
Rentenbezügerinnen und -bezüger, die ihr Erwerbseinkommen erhöhten, nicht mehr
durch überproportionale Verluste von Leistungen zu bestrafen. In Anlehnung an
die Regelung bei den Ergänzungsleistungen (Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG) sei in
Art. 31 IVG ein Mechanismus verankert worden, nach welchem
Einkommensverbesserungen nicht bzw. nicht sogleich zu einer Rentenrevision
führten. Für die Rentenbezügerinnen und -bezüger entstehe damit tatsächlich ein
gewisser positiver finanzieller Anreiz, da für die Invaliditätsbemessung nur
ein Teil des zusätzlichen Einkommens angerechnet werde und sie dadurch die
Rente trotz gesteigerten Erwerbseinkommens oft behalten könnten. Im Folgenden
ortet der Bundesrat indes namentlich mit Blick auf Abs. 2 der Bestimmung
umsetzungstechnische Probleme und die Gefahr von damit bewirkten
Ungleichbehandlungen, da der solcherart ermittelte Invaliditätsgrad nicht dem
effektiven Invaliditätsgrad (Erwerbsunfähigkeit nach Art. 7 ATSG) entspreche.
Art. 31 Abs. 1 IVG, welcher vor allem bei tiefen Einkommen einen minimalen
finanziellen Anreiz biete, wird demgegenüber als in der Umsetzung
unproblematisch - und deshalb beizubehalten - bewertet. Der nach dem
bundesrätlichen Entwurf neu zu schaffende Art. 32 Abs. 1 lit. c IVG sieht
sodann vor, dass eine versicherte Person Anspruch auf eine Übergangsleistung in
Form einer Rente haben soll, wenn sie vor Herabsetzung oder Aufhebung
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der Rente an Massnahmen zur Wiedereingliederung nach dem ebenfalls neu
einzuführenden Art. 8a IVG teilgenommen hat oder die Rente wegen der
Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit oder der Erhöhung des
Beschäftigungsgrades herabgesetzt oder aufgehoben wurde. Insbesondere der
zweite Teilsatz dieser Formulierung zielt, worauf das BSV letztinstanzlich
zutreffend hinweist, auf denselben Adressatenkreis ab wie Art. 31 IVG,
verdeutlicht nun jedoch das Erfordernis des durch erneute Aufnahme bzw.
Erweiterung einer erwerblichen Beschäftigung realiter erzielten Einkommens.
Auch aus einer rein entstehungsgeschichtlichen Optik ist der vom BSV
vertretenen rechtlichen Auffassung somit der Vorzug zu geben.

5.4 In Bezug auf Sinn und Zweck der neuen Norm - und damit das teleologische
Element des Auslegungsprozesses - kann weitgehend auf das in E. 5.3 hievor
Gesagte verwiesen werden. Mit der Einführung des Art. 31 IVG wurde darauf
abgezielt, das bisherige, einer Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bzw. einer
Erweiterung des Arbeitspensums eher hinderliche System der unmittelbaren
Kürzung der Rentenleistungen insofern zu mildern, als neu innerhalb bestimmter
Einkommensfreigrenzen auf eine sofortige revisionsrechtliche Herabsetzung der
Rente verzichtet wird. Es soll damit die möglichst zügige (Re-)Integration der
rentenbeziehenden Person in den Arbeitsmarkt gefördert werden. Wie vorstehend
bereits einlässlich erwogen wurde, ist dieses Ziel mit der Anwendung der neuen
Revisionsbestimmung auch auf Fälle, in welchen die betroffene Person die ihr
verbliebene Restarbeitsfähigkeit nicht erwerblich verwertet, sondern der
lediglich ein hypothetisches, auf der Basis des ihr grundsätzlich zumutbaren
Leistungsvermögens erzielbares Invalideneinkommen angerechnet wird, gerade
nicht zu erreichen.

5.5 Unter dem Gesichtspunkt einer systematischen Auslegung gilt es namentlich,
das Verhältnis des Art. 31 IVG zu Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG zu berücksichtigen,
welch letzterer Bestimmung die revisionsrechtliche IV-Norm nachgebildet ist
(vgl. E. 5.3 hievor). Danach sind Erwerbseinkünfte nicht im vollen Betrag,
sondern nur privilegiert einnahmenseitig anrechenbar, d.h. es wird ein fixer
Betrag abgezogen und vom Rest werden zwei Drittel angerechnet. Begründet wird
diese Besonderheit damit, dass das Interesse, weiterhin eine bescheidene
Erwerbstätigkeit auszuüben, nicht gelähmt werden dürfe (Botschaft vom 21.
September 1964 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur
Alters-, Hinterlassenen- und
BGE 136 V 216 S. 223
Invalidenversicherung, BBl 1964 II 681 ff., 692). Die Kombination eines fixen
Freibetrages mit einem prozentualen Einschlag biete den Vorteil, "dass die
wirtschaftlich schwächsten Anwärter besonders begünstigt werden und zugleich
das Interesse an einem bescheidenen Erwerbs-[...]einkommen, das den festen
Abzug übersteigt, erhalten bleibt, indem ein solches Einkommen nicht zu einer
entsprechenden Reduktion der Ergänzungsleistungen führt" (BBl 1964 II 681 ff.,
693; vgl. auch die Botschaft vom 21. November 1984 über die zweite Revision der
Invalidenversicherung, BBl 1985 I 17 ff., 106, wo von einem "Anreiz zur
Selbsthilfe durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit" gesprochen wird).
Beitragspflichtiges Erwerbseinkommen im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn
eine Erwerbstätigkeit kausal für den Zufluss geldwerter Leistungen ist.
EL-rechtlich sind all jene geldwerten Leistungen als Erwerbseinkünfte zu
betrachten, die ihre Ursache in einer erwerblichen Tätigkeit der betreffenden
Person haben und deren privilegierte Anrechnung sich motivierend - "Selbsthilfe
durch Erwerbstätigkeit" - auswirken kann (zum Ganzen RALPH JÖHL,
Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl.
2007, S. 1747 ff. Rz. 163 ff.; CARIGIET/KOCH, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV,
2. Aufl. 2009, S. 148 f.).
Auch dieser Blickwinkel bekräftigt somit ohne weiteres die Betrachtungsweise
des BSV.

5.6

5.6.1 Zusammenfassend ergibt sich auf Grund einer entstehungsgeschichtlichen
(und zugleich zeitgemässen), teleologischen sowie systematischen Auslegung,
dass Art. 31 IVG nur auf Rentenrevisionsfälle Anwendung findet, in der die
betroffene Person ihre Restarbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich
verwertet und dadurch - durch erneute Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder
Erweiterung des bisherigen Arbeitspensums - ein entsprechendes Einkommen
erwirtschaftet. Nicht heranzuziehen ist die Bestimmung demgegenüber in Fällen
wie dem vorliegenden, in welchem der Rentenbezügerin im Rahmen des
Einkommensvergleichs lediglich ein hypothetisches, auf der Basis von
Tabellenlöhnen ermitteltes (erhöhtes) Invalideneinkommen angerechnet wird.
Diese Lesart entspricht überdies dem in allen Sprachregelungen insoweit
übereinstimmenden Wortlaut, auch wenn die deutschsprachige Fassung eine darüber
hinausgehende Interpretation grundsätzlich zuliesse. Schliesslich stösst die
Schlussfolgerung, soweit erkennbar, auch im
BGE 136 V 216 S. 224
Schrifttum nicht auf Widerstand (vgl. etwa SUSANNE FRIEDAUER, Neuerungen im
Rahmen der 5. IV-Revision, HILL 2007, Fachartikel Nr. 6 S. 8; UELI KIESER,
Entwicklungen im Rahmen der 5. IV-Revision, HILL 2007, Fachartikel Nr. 7 S. 6;
THOMAS LOCHER, Invalidität, Invaliditätsgrad und Entstehung des Rentenanspruchs
nach dem Entwurf zur 5. IV-Revision, in: Medizin und Sozialversicherung im
Gespräch, 2006, S. 298 f.).

5.6.2 Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände vermögen keine
andere Sichtweise zu bewirken. Unbehelflich ist insbesondere das Vorbringen, es
stelle eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes dar, diejenigen
Rentenbezügerinnen und -bezüger, welche ihr Invalideneinkommen auf reale Art
erhöhten, besserzustellen als Versicherte, denen ein hypothetischer
Invalidenverdienst angerechnet werde und die sich, da nicht in den Genuss der
in Art. 31 IVG normierten Rechtswohltat gelangend, durch die Herabsetzung ihrer
Rente gleichsam gezwungen sähen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen bzw. diese
zu erweitern. Wie aus den vorstehenden Erwägungen deutlich wird, beabsichtigte
der Gesetzgeber mit der Einführung der Bestimmung gerade die "Belohnung"
derjenigen IV- Rentnerinnen und -Rentner - durch Milderung der Rentenreduktion
-, welche sich freiwillig wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Würde der
Beschwerdeführerin ohne Ausschöpfung des ihr grundsätzlich zumutbaren
erwerblichen Leistungsvermögens das in Art. 31 IVG vorgesehene
rentenrevisionsrechtliche Privileg zugestanden, schaffte dies vielmehr, worauf
hievor bereits hingewiesen wurde, einen gegenteiligen, gerade nicht gewollten
Anreiz. Wie vorzugehen wäre bzw. ob Art. 31 IVG Anwendung finden würde, wenn
eine betroffenen Person ihr vorerst hypothetisches Invalideneinkommen zu einem
späteren Zeitpunkt in ein faktisch erzieltes "umwandeln" könnte, bedarf hier
keiner weiteren Ausführungen. Ebenso wenig braucht an dieser Stelle auf andere,
sich bei Anwendung des Art. 31 IVG in gewissen Konstellationen allenfalls
ergebende Problemstellungen näher eingegangen zu werden (etwa
aufeinanderfolgende Revisionen [Vergleichsbasis für das Invalideneinkommen
einer nachfolgenden Revision], Frage der absoluten - nicht relativen - Grenze,
bloss vorübergehende Veränderungen, Ungleichbehandlung der Nichterwerbstätigen,
Verhältnis IV-/UV-Invalidenrente im Revisionsfall; dazu im Detail KIESER,
a.a.O., S. 10; LOCHER, a.a.O., S. 299 f.). Schliesslich erweisen sich in
Anbetracht des Ausgangs des Verfahrens auch Erwägungen zur Frage, auf welchen
Teil des
BGE 136 V 216 S. 225
Invalideneinkommens sich die in Abs. 2 von Art. 31 IVG verwendete Formulierung
"nur zwei Drittel berücksichtigt" ihrem Rechtssinn nach bezieht, als obsolet
(ebenfalls offengelassen im Urteil 9C_833/2009 vom 4. Februar 2010 E. 4).