Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 V 127



Urteilskopf

136 V 127

16. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. G. gegen
Pensionskasse X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_3/2010 vom 31. März 2010

Regeste

Art. 20a Abs. 1 und Art. 49 BVG; Hinterlassenenleistungen der weitergehenden
beruflichen Vorsorge; Begünstigung der Lebenspartnerin.
Es ist mit Art. 20a BVG vereinbar, wenn eine Pensionskasse reglementarisch den
Anspruch der überlebenden Konkubinatspartnerin auf das Todesfallkapital an die
formelle Voraussetzung einer Begünstigung zu Lebzeiten knüpft (E. 4.5).

Sachverhalt ab Seite 128

BGE 136 V 127 S. 128

A. Der unverheiratete, 1953 geborene C. war bei der Pensionskasse X. (im
Folgenden: Pensionskasse) berufsvorsorgeversichert, als er im Juli 2007
verstarb. Er hinterliess seine Mutter L. und drei Schwestern (H., S. und R.)
als gesetzliche Erbinnen sowie G. als testamentarische Erbin zu 30 % des
Nachlasses und als Vermächtnisnehmerin für den Hausrat und persönliche
Gegenstände ohne Anrechnung an den Erbteil. Die Pensionskasse teilte den
gesetzlichen Erbinnen mit, es bestehe ein Todesfallkapital von Fr. 431'896.90,
welches ihnen gemäss Art. 18 Abs. 5 ihres Reglements zur Hälfte ausbezahlt
werde.

B. Am 11. Juni 2008 erhob G. beim Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden
Klage gegen die Pensionskasse mit dem Begehren, es sei das gesamte
Todesfallkapital ihr auszubezahlen. Das Verwaltungsgericht lud die vier
gesetzlichen Erbinnen zum Verfahren bei und wies die Klage mit Entscheid vom
25. März 2009 ab.

C. G. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben mit
dem Antrag, unter Aufhebung des Entscheids vom 25. März 2009 sei die
Pensionskasse zu verpflichten, ihr das Todesfallkapital von Fr. 431'896.90
zuzüglich Zins auszubezahlen.
Die Pensionskasse lässt die Abweisung der Beschwerde beantragen. Die
gesetzlichen Erbinnen und das kantonale Gericht lassen sich nicht vernehmen,
das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

3. (Eine Begünstigung der Beschwerdeführerin im Sinne des Vorsorgereglements
liegt nicht vor.)

4. Streitig und zu prüfen ist weiter, ob es mit Art. 20a BVG (SR 831. 40)
vereinbar ist, wenn eine Pensionskasse als Voraussetzung für einen Anspruch der
überlebenden Konkubinatspartnerin auf das Todesfallkapital eine Begünstigung zu
Lebzeiten verlangt.
BGE 136 V 127 S. 129

4.1 Vor dem Inkrafttreten von Art. 20a BVG am 1. Januar 2005 war es gemäss
Rechtsprechung zulässig, den Anspruch des überlebenden Lebenspartners auf
Todesfallleistungen an das Vorliegen einer zu Lebzeiten erfolgten
(schriftlichen) Begünstigung oder Meldung zu binden. Dies wurde mit dem
Anliegen der Rechtssicherheit (vgl. nicht publizierte E. 3.1) begründet sowie
mit dem schutzwürdigen Interesse der Vorsorgeeinrichtung an der Kenntnis der
durch den Todesfall eines Versicherten ausgelösten Leistungen (BGE 133 V 314 E.
4.2.3 S. 318 f.; SVR 2009 BVG Nr. 18 S. 65, 9C_710/2007 E. 5.2; vgl. auch SVR
2006 BVG Nr. 13 S. 47, B 92/04 E. 5.3).

4.2 Streitig ist, ob der am 1. Januar 2005 in Kraft getretene und hier
anwendbare Art. 20a BVG diesbezüglich eine Änderung gebracht hat. In BGE 134 V
369 E. 6.3.1 S. 378 führte das Bundesgericht unter der Geltung des neuen Rechts
und unter Hinweis auf Lehrmeinungen sowie auf die früher ergangene
Rechtsprechung aus, die Reglemente der Vorsorgeeinrichtungen könnten die
Anspruchsberechtigung der in Art. 20a Abs. 1 BVG genannten Personen von der
Abgabe einer Begünstigungserklärung oder einer schriftlichen Vereinbarung über
die Unterstützungspflicht abhängig machen. Die Frage war allerdings dort nicht
entscheiderheblich, da das anwendbare Reglement eine solche Anforderung ohnehin
nicht enthielt. Im Urteil 9C_488/ 2009 vom 16. Dezember 2009 E. 2, nicht publ.
in BGE 136 V 49 führte das Bundesgericht aus, es sei unbestritten, dass die zu
Lebzeiten erfolgte Begünstigung der Lebenspartnerin durch den Versicherten nach
dem im Zeitpunkt der entsprechenden Erklärung geltenden alten wie auch nach dem
ab 1. Januar 2005 geltenden neuen Reglement der Vorsorgeeinrichtung zulässig
sei; zu prüfen war nur, ob diese reglementarisch zulässige Begünstigung - im
Hinblick auf den (konkurrierenden) Anspruch eines Waisen im Sinne von Art. 20
BVG - mit Art. 20a BVG vereinbar war.

4.3 Art. 20a BVG wurde ins Gesetz aufgenommen, um die vorher nur durch
Kreisschreiben der Steuerverwaltung geregelte Frage zu beantworten, ob und in
welchem Umfang die Lebenspartner in der 2. Säule begünstigt werden können. Mit
der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung sollten die Hinterlassenenleistungen
für nicht verheiratete Lebenspartner verbessert und der Kreis der begünstigten
Personen im Bereich des Überobligatoriums vereinheitlicht werden (Botschaft vom
1. März 2000 zur Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [1. BVG-Revision], BBl 2000 2683 Ziff.
2.9.6.1). Die nunmehr auf Gesetzesstufe gehobene Regelung stimmt inhaltlich
weitgehend mit
BGE 136 V 127 S. 130
der früheren Rechtslage überein mit der Ausnahme, dass die Begünstigung des
nicht verheirateten Lebenspartners erweitert zulässig wurde, indem sie bei
ununterbrochener fünfjähriger Lebensgemeinschaft vor dem Tod oder bei Sorge für
ein gemeinsames Kind auch möglich ist, ohne dass eine erhebliche Unterstützung
nachgewiesen werden muss (BGE 136 V 49 E. 4.3-4.5 S. 53 ff.; BGE 135 V 80 E.
3.3 S. 86).

4.4 Ob die Vorsorgeeinrichtung die Begünstigung der in Art. 20a BVG erwähnten
Personen von einschränkenderen Bedingungen als den im Gesetz genannten abhängig
machen kann, ist umstritten (verneinend: Mitteilungen des BSV über die
berufliche Vorsorge Nr. 79 vom 27. Januar 2005 Ziff. 472 S. 8 f.; bejahend:
MARKUS MOSER, Die Lebenspartnerschaft in der beruflichen Vorsorge nach
geltendem und künftigem Recht, AJP 2004 S. 1511; HANS-ULRICH STAUFFER,
Berufliche Vorsorge, 2005, S. 263 Rz. 708) und geht aus dem Wortlaut des
Gesetzes nicht klar hervor. Die Regelung ist jedenfalls in dem Sinne zwingend,
als die Vorsorgeeinrichtungen an die darin genannten Personenkategorien sowie
an die Kaskadenfolge gebunden sind. Nach wie vor gehört aber die Begünstigung
der in Art. 20a BVG genannten Personen zu der überobligatorischen Vorsorge; die
Vorsorgeeinrichtungen sind frei, ob sie überhaupt Leistungen an diese Personen
vorsehen wollen (BGE 136 V 49 E. 3.2 S. 51 f.; BBl 2000 2683 Ziff. 2.9.6.1,
2691; STAUFFER, a.a.O., S. 261 f. Rz. 703; MOSER, a.a.O., S. 1510).

4.5 Wenn somit ein Anspruch der in Art. 20a BVG genannten Personen nicht von
Gesetzes wegen besteht, sondern nur, wenn das Reglement der Vorsorgeeinrichtung
einen solchen statuiert (Art. 49 Abs. 1 und Art. 50 BVG), dann scheint es
folgerichtig, dass das Reglement diese Begünstigung auch von einer
entsprechenden Erklärung des Versicherten abhängig machen kann. Dafür spricht,
dass im Bereich des Überobligatoriums - im Rahmen der verfassungsmässigen und
gesetzlichen Schranken - eine grosse Autonomie der Vorsorgeeinrichtungen
besteht (Art. 49 Abs. 1 BVG; BGE 136 V 49 E. 4.6 S. 56). Weder aus dem Wortlaut
von Art. 20a BVG noch aus den Materialien dazu ergibt sich, dass damit die
vorher bestehende Möglichkeit, die Begünstigung von einer Erklärung des
Versicherten abhängig zu machen (E. 4.1), aufgehoben werden sollte. Mit einem
solchen Erfordernis wird nicht eine zusätzliche materielle Bedingung, sondern
nur eine formelle Voraussetzung aufgestellt. Es entspricht auch der Natur der
nichtehelichen Lebensgemeinschaft, dass im Unterschied zur gesetzlich
geregelten Ehe die Beziehungen
BGE 136 V 127 S. 131
zwischen den Partnern vollumfänglich deren Autonomie überlassen werden. Diese
Flexibilität dürfte ein wichtiger Grund sein dafür, dass manche Paare jene
Lebensform der Ehe vorziehen. Es ist daher systemkonform, wenn auch in der 2.
Säule die Begünstigung der nichtehelichen Lebenspartner vom Willen der
Beteiligten abhängig gemacht wird. Schliesslich gelten die Überlegungen zur
Rechtssicherheit (E. 4.1) weiterhin. Auch in der Literatur wird die Auffassung
vertreten, dass die Reglemente die Abgabe einer Begünstigungserklärung oder
eine schriftliche Unterhaltsvereinbarung verlangen können (MOSER, a.a.O., S.
1512; ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Berufliche Vorsorge, 2. Aufl. 2009, N. 2 und
10 f. zu Art. 20a BVG) oder dass die versicherte Person innerhalb der in Art.
20a genannten Kaskaden die begünstigten Personen bezeichnen kann (WILLI
LÖTSCHER, Die neuen Begünstigungsmöglichkeiten in der beruflichen Vorsorge nach
der 1. BVG-Revision, HAVE 2005 S. 163; VETTER-SCHREIBER, a.a.O., N. 4 und 7 zu
Art. 20a BVG).

4.6 Insgesamt erweist sich die Klausel in Art. 18 Abs. 2 lit. c des
Vorsorgereglements, wonach für die Begründung eines Anspruchs zu Lebzeiten eine
Begünstigung erfolgt sein muss, als mit Art. 20a BVG vereinbar. Damit wird die
gesetzlich zwingende Kaskadenordnung nicht verletzt, weil die reglementarische
Reihenfolge der gesetzlichen entspricht und ein rein formelles zusätzliches
Erfordernis zulässig ist. Nicht zu entscheiden ist hier, ob dieses Erfordernis
auch im Rahmen von Art. 15 FZV (SR 831.425) zulässig wäre, da die
Voraussetzungen für eine Begünstigung nach Art. 20a BVG nicht zwingend mit
denjenigen nach Art. 15 FZV übereinstimmen (BGE 135 V 80 E. 3.4 S. 86 f.; vgl.
auch BGE 129 III 305 E. 3.3 S. 312 f.).